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Wie die Welt auf die Welt kam
Spielort
StudiobühneDauer
ca. 60 MinutenAlter
ab 9 JahrenPremiere
18. Februar 2017Was war zuerst da, Ei oder Huhn? Und wie stellen sich Menschen hier, da und dort die Entstehung der Welt vor? Um dem nachzugehen sind Hedwig Rost und Jörg Baesecke zu einer Forschungsreise aufgebrochen – kreuz und quer mit dem Finger über den Globus. Allerlei Weltwissen sammelte sich dabei an. Und ständig tauchten neue Fragen auf: Wie kam der Tod in die Welt? War das Böse von Anfang an da, und wo hat es seinen Anfang genommen? Ist die Welt eigentlich fertig – oder geht die Schöpfung immer noch weiter? Eine "Vorstellung" als Weltreise zu den Anfängen der Zeit.
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„Wie die Welt auf die Welt kam“ erzählt in mehr als 20 Variationen die gleiche alte Geschichte von der Schaffung der Welt. Und doch ist sie jedes Mal anders. Wodurch entstehen die Unterschiede? Birgt so eine Sammlung nicht die Gefahr der Wiederholung und Langeweile?
Hedwig: Die Geschichten, die wir ausgesucht haben, stammen aus allen Kulturen, Ländern, Kontinenten, Klimazonen, Religionen rund um den Globus.
Jörg: Wir starten mit der Genesis, und machen uns dann auf eine Reise rund um den Globus. Schöpfungsgeschichten aus Nigeria, China, Finnland, Patagonien, Südafrika, Mali, Indien, Sudan, Kongo, Borneo, Kalifornien und Polynesien werden ebenso erzählt wie von der Insel Nauru im Pazifischen Ozean. Gezeigt wird, wie die Völker der Yoruba, der Navajos, der Maori, der Maya und der Irokesen sich die Entstehung der Welt vorstellten, ehe unsere Aufführung mit dem Urknall endet.
Der faszinierende Motor für dieses Projekt war, all diese Schöpfungsideen als gültig und ohne Wertung nebeneinander zu stellen. Dies tun zu können, war für uns eine unendlich kostbare Freiheit, nicht wählen zu müssen zwischen Richtig oder Falsch.
Hedwig: In jeder Geschichte gibt es jemanden, der den Urimpuls gibt. Das heißt, es muss schon jemand da gewesen sein vor dem Anfang. In den Geschichten, die wir ausgesucht haben, ist das nie der Mensch. Urtiere wie Spinnen, Ratten, Schnecken, das Huhn oder Muscheln, aber auch konkrete Geschöpfe der jeweiligen Region, z.B. der Kojote, die Schildkröte, der Elefant, Affen oder Lamas sind in manchen Geschichten sehr aktiv beteiligt an der Erschaffung der Welt. Oder es sind göttliche Wesen, die menschenähnlich und doch spürbar keine Menschen sind wie die Hüterin der Welt, Gottes Windhauch oder der Riese im Ei.
Wie viele Märchen, Sagen, Legenden und Mythen habt ihr in der Vorbereitung gelesen? Welche Kriterien gab es bei der Auswahl?
Hedwig: Wir beschäftigen uns seit mehr als 30 Jahren mit Geschichten und Märchen aus der mündlichen Überlieferung. Diese Stoffe sind plausible Abbildungen unseres Menschseins, die nicht von einem einzelnen ausgedacht wurden, sondern ein Kondensat aus Lebensrealität, Dämonenbewältigung, Erfahrungsweitergabe und Welterklärungsmodellen sind. Und die Frage, wie die Welt überhaupt auf die Welt kam, also wie die Welt geschaffen wurde, davon handelt diese Vorstellung. Wir beginnen mit europäischen Erklärungsmustern, die durch das Alte Testament bestimmt sind, und bewegen uns dann weiter durch alle Kontinente und Kulturen.
Jörg: Interessant ist, dass ein bestimmtes Schöpfungsmodell, nämlich Schöpfung durch Wort und Lied sich in einem Großteil der Mythen weltweit wiederfindet. Das ist das Menschheitsverbindende, das Trostspendende, Ermutigende an allen Schöpfungsgeschichten.
Hedwig: Um es an einem Beispiel zu veranschaulichen: In der indianischen Vorstellung bildet sich aus einem Ur-Geheul der erste Kojote, der dann wiederum die Welt durch sein Geheul, also seinen Gesang erschafft. In der Genesis wird das gesprochene Wort: „Es werde Licht“ zum Auslöser für die Schöpfung.
Jörg: Wenn man sich die Frage stellt, warum diese Urschöpfer überhaupt tätig werden, dann fällt auf, dass die Beweggründe in sehr alltäglichen, heutigen Beweggründen ihren Ursprung haben: Langeweile, Einsamkeit, Leere, Trauer. Das ist doch interessant. Aus diesen - zunächst schwer zu ertragenden - Daseinszuständen entsteht offensichtlich die größte schöpferische Kraft. Das könnte doch als ein Impuls für all diejenigen genommen werden, die jede Langeweile ganz schnell zutünchen mit Scheinaktivitäten verschiedenster Art.
Hedwig: Dazu eine kleine Geschichte aus eigener Beobachtung: Ein 9-jähriges Mädchen aus Äthiopien spielt im Garten hingebungsvoll einen ganzen Nachmittag mit großen Verpackungskartons und stellt anschließend fest, dass die deutschen Kinder gar nicht spielen können. Diesem Mädchen war aufgefallen, dass andere (vielleicht verwöhntere?) Kinder keine kreativen Impulse bekommen beim Anblick eines großen Kartons, während sie sofort Ideen hatte, was man damit anstellen kann: Eine Burg bauen, oder ein Schiff, oder ein Flugzeug.
Mit dieser Geschichte soll nicht das „naive Fremde“ verkitscht werden. Aber es ist ein schönes Beispiel dafür, dass viel Besitz nicht wirklich reicher macht.
Jörg: Viele der von uns ausgewählten Geschichten sind zunächst fremd. Und sofort stellt sich die Frage: Wie geht man mit dem Fremden, dem Anderen um. Dazu gibt es heute mehrere Grundreflexe: Auslöschen, Vereinnehmen, Ausgrenzen, Ausbeuten, aber auch das Hochstilisieren. Uns geht es darum, das Fremde fremd zu belassen und gleichzeitig das Menschenverbindende zu suchen. Eine Geschichte der Maori zum Beispiel erzählt davon, wie Himmel und Erde quasi als Elternfiguren ihre Kinder umklammert halten. Erst wenn die Kinder sich daraus befreien, kann die Schöpfung beginnen. Das ist doch ein wunderbares allgemein verständliches Bild in allen Kulturen zu allen Zeiten.
Hedwig: Die Frage nach der Herkunft hat zwei Aspekte. Zum einen den gesellschaftspolitischen, der aktuell sehr heftig geführt wird. Aber es gibt einen zweiten, sehr persönlichen. Die Frage nach der eigenen Herkunft ist für alle Kinder extrem wichtig. Unsere Tochter hat uns, als sie noch sehr klein war, zur Orientierung auf der Zeitachse immer die Frage gestellt: „Gab es mich da schon?“ Und wenn wir das verneint haben, dann musste sie sich ihrer selbst versichern mit der Feststellung: „Aber ihr habt euch da schon ein Kind gewünscht?“ Dahinter steht ja der Wunsch, dass man als Kind zumindest als Idee vor der Geburt schon anwesend war. Man könnte es in der Frage zusammenfassen. „Was war vor mir?“
Jörg: Das ist ein starkes kindliches Grundinteresse. Unterschiedliche Imaginations-Impulse schaffen in unserer Vorstellung Raum für derartige philosophische Fragen. Und diese sind unzensierbar, weil unsere Geschichten alle wahr sind und somit dazu auffordern, den eigenen Vorstellungen Vertrauen zu schenken und andere zu akzeptieren.
Wir haben uns immer gefragt, wie man nach unserer Vorstellung in die Welt blickt. Wir hoffen, dass es etwas Weltverbindendes in den Geschichten gibt, nämlich die Annahme, dass es vor dem eigenen Leben schon etwas gab, denn die Welt beginnt nicht erst mit der eigenen Existenz. Und jede Geschichte ist ein Steinchen in einem Mosaik auf der Suche nach der nie zu beantwortenden Frage nach der Wahrheit.
Hedwig: Zum Beispiel die Frage“ Wer ist Gott?“ Dazu gibt es in Überlieferungen ein treffendes Bild: Gott ist ein Elefant und alle Menschen stehen ganz nah vor dem Elefanten. Deshalb sehen sie nur einen kleinen Ausschnitt des Tieres, und deshalb gibt es so unterschiedliche Antworten auf diese Frage. Für den einen ist Gott ein Auge, für den anderen ein kräftiger Fuß oder ein gewaltiger Elfenbein-Stoßzahn. Nur alle Sichtweisen gemeinsam kommen einer Antwort näher.
Jörg: Dieses Bild gilt auch in den Naturwissenschaften. Schwarze Löcher, der Urknall oder die Relativitätstheorie sind ebensolche Bilder oder Metaphern, also eine Art Wissenschafts- Geschichten, um sehr komplexe Vorgänge beschreibbar und fassbar zu machen. Deshalb gibt es in unserer Vorstellung auch eine Geschichte zum Urknall.
Hedwig: Es ist doch großartig, dass unsere Ahnen, die von all dem modernen Wissen nichts wussten, doch wussten, wie man die Welt erklären kann. An diese schöpferischen Vorgänge zu erinnern, das ist der Motor für diese Arbeit gewesen.
Papier, Stein, Schere
Es ist ja ein ziemlich anmaßendes Projekt, auf einer begrenzten Bühne von der Grenzenlosigkeit der menschlichen Vorstellungskraft erzählen zu wollen. Ihr beide traut Euch und schafft es scheinbar ohne Mühe. Dennoch kann sich jeder Zuschauer vorstellen, dass der Weg zum endgültigen Ergebnis ein langer war.
Jörg: Für mich war der Anfang wie der Blick auf ein leeres weißes Blatt. Da gibt es hoffentlich einen Impuls, und das Blatt wird gefaltet oder geknüllt oder gerissen. Vielleicht sehe ich dann in der entstandenen Form einen Dämonen. Das kennen alle Menschen, wenn sie schon einmal auf dem Rücken liegend Wolken betrachtet haben und plötzlich ganze Welten an sich vorbei ziehen sehen.
Hedwig: Für mich war das ganz anders, denn Papier ist ja schon etwas Geschaffenes. Vor meiner ersten Schöpfungsgeschichte, der biblischen, fragte ich mich, welches Material am unmittelbarsten vom Ursprung der Welt erzählt und noch nicht vom Menschen geschaffen ist. Für mich begann alles mit einem Isarspaziergang, wo mich beim Suchen ein Walfisch-Stein und ein Vogelkopf-Stein angeschaut haben. Egal ob Wolken oder Steine: Es geht immer um die Imaginationskraft, in bestehenden, profanen Dingen etwas anderes zu sehen. Dieser schöpferische Vorgang war die einzige Grundlage bei der Auswahl und der Umsetzung der Überlieferungen. Das bedeutet, wir bemalen Steine nicht, damit sie zu Tieren werden. Die Figur ist schon da. Wir sehen, was die Materialien uns erzählen. Während des Arbeitsprozesses sagen wir dazu: Das Material kennt die Antwort. Und die Kunst besteht oft darin, die richtige Frage zu stellen. Je genauer man das Material befragt, desto aussichtsreicher ist es, eine Antwort zu bekommen. Dazu braucht es außer Vorstellungsvermögen viel Vertrauen und Ausdauer. Unser Grund-Satz dazu heißt: „Dazu fällt uns noch was Besseres ein.“ Und manchmal ist es ein Einfall, der die Entwicklung einer Geschichte vorantreibt. Einfälle an sich sind eher gefährlich. Viele Menschen stellen sich ja vor, wir sitzen am Tisch und produzieren Ideen, die wir dann umsetzen. So ist es meist nicht. Konstruktive Einfälle sind diejenigen, die nicht nur Einfall bleiben, sondern die uns weitertreiben in der Entwicklung und der Formenfindung der Geschichte. Dazu ist sehr viel Geduld und Vertrauen, aber auch Respekt und Zuwendung dem Material gegenüber nötig. Für alle kreativen Prozesse gilt, dass man nicht zu schnell zufrieden sein darf. Und gleichzeitig muss man es aushalten können, sehr viel Material, Zeit und Arbeit in den Papierkorb zu versenken.
Jörg: Phantasie und Einfachheit sind zwei Etiketten, mit denen unsere Arbeit oft beschrieben wird. Damit fühlen wir uns nicht gut verstanden. Unsere Materialien sind am Ende des Findungsprozesses einfach. Aber ohne den langen Weg der Präzision, der Verbesserung, des Ringens um größtmögliche Genauigkeit wären unsere Vorstellungen karg und simple Ideen-Konstruktionen. Treibende Unzufriedenheit und die ständige Suche danach, wie man noch detaillierter erzählen kann, wie die Beziehung zwischen Text, Musik und dem Material noch einzigartiger und präziser weiter entwickelt werden kann, das ist die eigentliche schöpferische Arbeit. Unser Ensemble besteht aus Isarkieseln, vielen schwarzen und weißen Bögen Papier, wenigen Seidenbändern, einem Weidenkorb, Muscheln, der Geige, einem Globus, einem Seiden-Wandelprospekt und einer geheimnisvollen Schublade. Aber alles formt sich erst zu interessanten Geschichten mit der Lust der Zuschauer daran, unseren Weg ein Stückchen nachzuvollziehen: Genau Hinsehen! Entdecken! Anders Denken! und Neu Hören! Das heißt, es braucht Zuschauer, die selbst zu Schöpfern werden.
Hedwig Rost stammt aus München, wo sie am Richard-Strauss-Konservatorium Geige studierte. In Hamburg folgte eine Ausbildung zur Tanzpädagogin und zur Gestalttherapeutin. Auf der Suche nach einer beruflichen Zukunft, bei der sie ihre Erfahrungen und Fähigkeiten zusammenführen konnte, besuchte sie mehrere Theaterkurse. 1984 schloss sie sich einer professionellen Straßentheater-Gruppe an.
Jörg Baesecke stammt aus Wesel/Rhein und absolvierte in Hamburg das 1. und 2. juristische Staatsexamen. 1979 begann er dort mit politischem Straßentheater, im Rahmen der Umwelt- und Anti-AKW-Bewegung. Durch den Besuch von unterschiedlichen Theaterkursen öffnete sich sein Blick für den spielerischen Umgang mit Alltagsgegenständen.
Gemeinsam treten sie seit 1983 mit einem kleinen Koffertheater auf, der „Kleinsten Bühne der Welt.“ Sie gelten als eines der ersten Objekttheater in Deutschland und wurden in viele Länder in Europa, Nord- und Südafrika zu Gastspielen eingeladen. Seit 1991 arbeiten die beiden mit der SCHAUBURG zusammen. Zunächst zeigten sie Gastspiele aus ihrem Programm, ehe gemeinsame Produktionen für das Theater entstanden, weil der Koffer ein wenig zu klein wurde. Die 1997 entstandenen Stadttorheiten sind bis heute im Repertoire und werden in Grundschulen in und um München gezeigt, bisher mehr als 600 mal. Andere Produktionen waren u.a. Kolumbus Nachfahren, Alice im Wunderland und Salz. Letzteres wird noch immer auf der Studiobühne gezeigt.
Die beiden sind seit 1993 verheiratet und haben zwei Töchter.