Kolumbus Nachfahren

Regie
Christoph Biermeier
Bühnenbild und Kostüme
Stefan Axel Schulz
Musik
Toni Matheis
Sprechtraining
Isolde Alber
Es spielen
Hedwig Rost, Jörg Baesecke

Eine Produktion der SchauBurg München in Zusammenarbeit mit DER KLEINSTEN BÜHNE DER WELT aus Hamburg

Kolumbus Nachfahren

Dauer

60 Minuten

Alter

Ab 12 Jahren

Premiere

23. April 1992
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Nächste Termine

500 Jahre Entdeckung Amerikas durch Kolumbus

Unter diesem Stichwort firmieren in diesem Jahr 1992 zahllose Festivals, Kulturprogramme, Gastspielreisen von und nach Südamerika, Sonderveranstaltungen in der ganzen Welt.
Dabei beinhaltet dieser Titel bereits zwei Fehler. Zum einen war es erwiesenermaßen nicht Kolumbus, der als erster Europäer auf dem amerikanischen Kontinent landete. Die von uns heute als "Amerika" bezeichnete Landmasse, wurde bereits um 1000 n. Chr. von "Norwegern" entdeckt.

Wenn die Landung von Kolumbus keine Entdeckung im eigentlichen Sinne war, warum wurde ihr dann soviel Bedeutung beigemessen – von seinen Zeitgenossen genauso wie von allen Generationen danach bis in unsere Zeit? Warum wurde gerade sie zum Wendepunkt in der Geschichte der Welt?

- Erstens wurde diese Reise in offizieller Mission des Königs und der Königin von Kastilien und Aragon unternommen. Es waren nicht Abenteurer, die zufällig auf einer unbekannten Insel landeten.

- Zweitens wurde diese Reise sorgfältig dokumentiert, sowohl von Kolumbus selbst in seinem Bordbuch, als auch vom mitreisenden königlichen Sekretär (leider sind dessen Aufzeichnungen nicht mehr erhalten).

- Drittens wurde nicht nur ein Weg nach Amerika gefunden, sondern auch ein Weg zurück, dem andere folgen konnten. Die Reise war nicht mehr dem Zufall überlassen. Fahrtrichtung, Strömungen, Wetter, Riffe etc. hat Kolumbus sorgfältigst aufgezeichnet.

- Viertens konnte sich die Nachricht von der Reise dank der Erfindung der Druckerpresse in bis dahin nie gekanntem Tempo in ganz Europa verbreiten.

- Fünftens – und das ist wohl der wichtigste Punkt – verfolgte Kolumbus von Anfang an nur ein einziges Ziel, das sich grundlegend unterschied von den Motiven der Seefahrer seiner Zeit. Kolumbus ging es nicht darum, einen Außenposten für den Handel zu eröffnen. Seine Reise war der Anfang eines langen, wohlvorbereiteten und äußerst wirksamen Prozesses; mit seiner Reise begannen Handel, Eroberung, Kolonialisierung und Ausbeutung im großen Stil.

Kolumbus Entdeckung an sich wäre kein erinnernswertes Ereignis. Nicht weil ein Fremder auf einer winzigen Insel der Bahamas landete, haben wir uns in diesem Jahr mit Kolumbus beschäftigt, sondern weil wir daran erinnern möchten, daß mit dieser Entdeckung die Eroberung der Welt durch die Europäer begann.

Gott, Gold und Glorie

Das war der Stoff, aus dem Kolumbus’ Träume waren, und das waren auch die Beweggründe des Königs und der Königin von Kastilien und Aragon, die Expedition zu finanzieren wie auch all derer, die Kolumbus nachfuhren.

Kolumbus’ Ziel war nicht Land, sondern Gold. "Das Gold ist überaus vortrefflich", schrieb er nach seiner letzten Reise, "denn wer es hat, der macht damit alles, was er in der Welt nur will."

Europa wurde in die Lage versetzt, Reichtum und Macht in einem vorher nie gekannten Maße anzuhäufen, so dass es das erfolgreichste System aller Zeiten schaffen und ausbauen konnte, ein Gemisch aus Humanismus und Säkularismus, Rationalismus und Wissenschaft, Materialismus und Kapitalismus, Nationalismus und Militarismus – also das Grundgefüge unserer sogenannten modernen Zivilisation. Kolumbus verkörpert mit seiner Entdeckung den Umbruch vom Mittelalter zur Neuzeit.

Kolumbus Suche

Die Geschichtsschreibung geht davon aus, dass Kolumbus China (oder Cahtay, wie er selbst es nannte) und das ihm vorgelagerte sagenumwobene Cipango, das heutige Japan, suchte. – "Indien" nannte man im fünfzehnten Jahrhundert die gesamten östlichen Gebiete Asiens.
In den zwischen dem spanischen Monarchen und Kolumbus ausgehandelten Verträgen findet sich allerdings kein Hinweis auf Indien, Cahtay oder ein anderes Land des Orients. Es heißt immer nur – und zwar insgesamt neunmal –, dass Kolumbus ermächtigt werde, Länder und Reiche im Ozeanischen Meer zu "entdecken und zu erobern".

Grundlage aller Pläne waren die Reisebeschreibungen Marco Polos, der bereits im 13. Jahrhundert im Auftrag Venedigs auf dem Landweg nach Indien gereist und dort mehrere Jahre gelebt hatte. Er hat ausführlich vom Reichtum Cipangos gesprochen und der Achtung, die er vor dem dortigen Herrscher, dem Großen Khan hatte.

Kann es sein, dass der König und die Königin von Kastilien Kolumbus bewußt in bewohnte Gebiete schickten mit dem Auftrag zu "entdecken und zu erobern"? Unwahrscheinlich ist weiterhin, dass man auf die Reise nur wertlosen Trödel wie Ketten, Glasperlen und Glocken mitgenommen hat. Wenn man wirklich beabsichtigt hat, das Land des Großen Khan zu erreichen, hätten fürstliche Gastgeschenke an Bord sein müssen. Das war aber nicht der Fall. Bis heute sind diese Ungereimtheiten nicht geklärt, und die Frage, was dem Generalkapitän zu Beginn seiner Expedition wirklich vorschwebte, wird wohl nie geklärt werden können.

Denn die Zeit ist nahe

Um Kolumbus und seinen Handlungsmotiven gerecht zu werden, darf man sicher nicht außer acht lassen, in welcher Zeit, in welchem gesellschaftlichen, kulturellen und ökonomischen Umfeld er gelebt hat.
"Als Herbst des Mittelalters" bezeichnete der Historiker Johan Huizinga diese Zeit. Seit Europa im 14. Jahrhundert von schrecklichen Seuchen verwüstet worden war, beschäftigte der Tod alle Gesellschaftsschichten von den Fürsten bis zu den Bauern. Die "Kunst des Sterbens" war stärkstes Thema in allen Lebensbereichen und der Kunst.

Das Ende der Welt - im Europa des 15. Jahrhunderts nahm man diesen Gedanken sehr ernst. Er war nicht nur Phantasie oder theologische Metapher, sondern eine düstere, beängstigende Voraussage, die sich auf die göttliche Weisheit der biblischen Prophezeiung und die Erfahrungen des täglichen Lebens stützte.
Kolumbus war ein Mann, der genau von diesem Glauben geprägt war. Fast besessen beschäftigte er sich mit dem Ende der Welt, und sein Handeln war bestimmt von dem Wunsch, die ihm verbleibende Zeit bis zum Jüngsten Gericht so gut wie möglich selbst zu bestimmen.

Die individuelle Gewalt von brutalen Dieben, Mördern, Ehebrechern zermürbten das Gemeinwesen ebenso wie die justizielle Grausamkeit. Der von der Kirche geförderte Terror der Inquisition, die methodisch und gnadenlos alle Arten von Ketzern, Abtrünnigen, Reformern und Mystikern verfolgte, tat ein übriges.
Und schließlich ging auch von den zu jener Zeit entstehenden Nationalstaaten ebenso wie von rivalisierenden Adelscliquen und Herrscherfamilien beim Kampf um Vormachtstellung und Einflußgebiete Willkür aus.

Krankheiten wie die Beulen- und Lumpenpest, aber auch Lepra, Skorbut, Poken und Masern rafften die Menschen in Massen dahin. Und für das gemeine Volk war im fünfzehnten Jahrhundert zu keiner zeit in keinem Teil Europas Nahrung in ausreichender Fülle vorhanden.

Kurzgefasster Bericht von der Verwüstung der westindischen Länder

Unter diesem Titel veröffentlichte der Dominikermönch Don Bartolomé de Las Casas 1552 seine Eindrücke des Genozids, den Kolumbus und seine Nachfahren in Amerika anrichteten.
Las Casas Bericht handelt von Kolonialismus in seiner frühesten Form. Eigentlich war der Bericht ausschließlich bestimmt für König Karl den 1. von Spanien, den späteren Karl 5., Kaiser des heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Doch der Buchdruck machte ihn in ganz Europa bekannt.

"Wir können hier als eine gewisse und wahrhafte Tatsache anführen, dass in obgedachten vierzig Jahren durch das erwähnte tyrannische und teuflische Verfahren der Christen mehr als zwölf Millionen Männer, Weiber und Kinder auf die ruchloseste und grausamste Art zur die Schlachtbank geführt wurden, und wir würden in der Tat nicht irren, wenn wir die Anzahl derselben auf fünfzehn Millionen angäben.

Die einzige und wahre Grundursache, warum die Christen eine so ungeheure Menge schuldloser Menschen ermordeten und zugrunde richteten, war bloß diese, dass sie ihr Gold in ihre Gewalt zu bekommen suchten. Sie wünschten nämlich, in wenigen Tagen sich mit ihren Schätzen zu bereichern, um sodann sich ungleich höher empor zu schwingen, als es ihr Stand und ihre Verhältnisse erlaubten. Es geschah, ich muss es nur sagen, weil sie einen so unerträglichen Geiz und Stolz besaßen, dass ihresgleichen in der ganzen Welt wohl schwerlich zu finden ist. Es geschah, weil sie in diesen reichen und fruchtbaren Ländern sich festzusetzen wünschten, und weil die Bewohner derselben so demütig, so geduldig, so leicht zu unterjochen waren."

Jörg Baesecke und Hedwig Rost als Kolumbus Nachfahren

Die beiden leben – wenn sie nicht auf Tournee sind – in Hamburg. Seit Dezember 1983 bespielen sie zusammen die KLEINSTE BÜHNE DER WELT.
Jörg kommt aus Wesel ( wie heißt der Bürgermeister von Wesel? ) am Niederrhein und hat so seriöse Fächer wie Biologie, slawische Philologie, Russisch und Jura studiert, bevor er begann, sich an seine Kindheit zu erinnern.

Eigentlich war das der Anfang der KLEINSTEN BÜHNE. Schuhe als Schiffe, der Teppich als Meer, Mutters Nähkästchen als Burg. "Heftiges Erinnern" nennt er selbst als Auslöser für seine Lust, mit Objekten Geschichten zu erzählen.
Vorgänge verstehbar, sinnlich zu machen, das war sein Bestreben. Gegen die Papierförmigkeit der Politik anzutreten, das war Motiv fürs Spielen. Mit politischem Straßentheater und Bürgerinitiative gegen Atomkraftwerke begann seine Karriere. Papierschiffe statt Flugblätter ist seine Devise seit dem Kampf gegen Brokdorf 76/77.

Hedwig ist in München mit drei Geschwistern aufgewachsen. Da alle gute Klavierspieler waren, blieb dem Nesthäkchen nur das Ausweichen auf die Geige, die ihr ein Gönner der Familie geschenkt hatte: Hedwigs schlimmstes Weihnachten. Noch heute sind auf ihrer ersten Dreiviertelgeige die salzigen Tränenspuren verewigt.
Zum Üben gab es nur Platz im Badezimmer, da das Wohnzimmer belegt war vom Flügel und das Klavier in den Keller ausgewichen war. Geigenstunden zwischen türkischen Fliesen. Nach dem Abitur arbeitete sie zunächst in einem Berliner Kinderladen, bevor sie in Hamburg eine Ausbildung als Tanzpädagogin begann. Krise in der Ausbildung. Um sich neu zu orientieren, besuchte sie einen Theaterworkshop unter der Leitung von Jörg Baesecke...

Der große Durchbruch kam mit ihren Auftritten auf dem Kinder- und Jugendtheaterfestival SCHAUSPIELE 86 in München. Hymnische Kritiken, Fernsehauftritte, Gastspieleinladungen aus ganz Europa.
Sicher werden einigen Lesern die Gurken-Thisbe aus dem "Sommernachtstraum", "Der fliegende Holländer" als Papierschiffchen und der "Krieg der Sterne" mit Tortenspritzen und Blitzlichtern noch in Erinnerung sein.

Seitdem sind die beiden einige Male zu Gastspielen in der SCHAUBURG aufgetreten. Mit KOLUMBUS NACHFAHREN entsteht zum erstenmal ein Stück, das sie speziell für dieses Theater geschrieben und entwickelt haben. Ob sie sich bei diesem umfassenden Thema auf DIE KLEINSTE BÜHNE beschränken können oder diesmal expandieren müssen – so wie Kolumbus – das soll an dieser Stelle noch nicht verraten werden.

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