Bremer Wind

Ein Musikstück
Komposition:
Raymund Huber & Toni Matheis
Libretto:
F.K. Waechter
Regie und Bühne:
Peer Boysen
Mitarbeit und Kostüme:
Andrea Spanier
Musikalische Einstudierung:
Toni Matheis
Stimmtechnik:
Margarete Adler
Puppenspieler:
Meisi von der Sonnau, Panos Papageorgiou
Puppenbau:
Beniamin Sovetov
Puppenportraits:
Justus Müller
Übersetzer:
Pjotr Gurin
 

Bremer Wind

Dauer

90 Minuten

Alter

Ab 12 Jahren

Premiere

17. Juni 1995

Es spielen:
Michael Vogtmann, Sabine Zeininger, Corinna Beilharz, Christoph Wettstein, Silke Nikowski, Ercan Karacayli, Christof Thiemann, Marion Niederländer, Lisa Huber
Musiker:
Claus Reichstaller, Werner Bernklau, Wilhelm Jakob, Leopold Gmelch, Heinz Frommeyer, Siegfried Rössert, Alexander Hötzinger

Nächste Termine

Die Suche nach dem Glück

Für diese Vorstellung wurde die Schauburg in einen Zirkus verwandelt: typische Musik begrüßt die Besucher beim Einlaß; ein Sieben-Mann Orchester thront über dem Geschehen. Die Zuschauer können auf drei Seiten rund um die Manege die zirzensischen Darbietungen aus nächster Nähe verfolgen: Ein poetischer Zirkusdirektor, eine Soubrette, die die Blüte ihrer Jahre bereits hinter sich hat, ein clownesker Boxer wollen den Abend bestreiten. Ein vom Zahn der Zeit zerzauster Kellner könnte fürs leibliche Wohl sorgen. – Wenn, ja wenn nicht ...
Das Sagen in diesem Zirkus haben fünf ziemlich garstige Spieltreiber, die sich und andere gerne mit kleinen Gemeinheiten unterhalten: Die Ouvertüre ist noch nicht verklungen, da kommt einer von ihnen unvorbereitet in die Situation, die Show eröffnen zu müssen. Hämische Freude der anderen, während er in drei Sprachen um Worte ringend sich als Conferencier versucht. Betretenes Schweigen statt rauschendem Beifall beim Abgang. 

Und ehe man seine Verwunderung ob dieses peinlichen Beginns überwinden kann, fliegt der alte Kellner durch den Vorhang, rutscht über die Sägespäne und bleibt bäuchlings liegen. Die fünf Garstigen umkreisen ihn hämisch. Sein Alter, seine Einfalt, die Schwerhörigkeit, all seine Gebrechen bieten Anlaß für Hohn und Spott. Dem Kellner verschlägt es die Worte - aber nicht sein Lied. Er rappelt sich wieder auf und beschließt, alles hinter sich zu lassen und ein neues Leben zu beginnen. Er macht sich auf die Suche nach einer besseren Zukunft.
Der Boxer will seine große Chance wahrnehmen. So lange wird auf ihn eingeredet, dass er der Stärkere sei, daß er den Sieg davon tragen könne, bis er es selbst glaubt – und mächtig die Hucke vollkriegt. Und wieder haben die fünf Spieltreiber ihre Finger im Spiel. Benommen liegt der Boxer am Boden, als der Kellner vorbeikommt. Die beiden Unverstandenen tun sich zusammen.
Der Auftritt der Soubrette platzt. Statt gepflegt ihre Chansons vortragen zu können, wird sie öffentlich von ihrem Liebhaber verhöhnt. Und verlacht. Er tanzt sie in Grund und Boden, um sie dann vor den Augen aller zu verlassen und sich einer anderen, einer jüngeren zuzuwenden. Für die Soubrette hat das Leben keinen Sinn mehr.

Als Kellner und Boxer sie finden, halten sie sie zunächst für tot. Der Kellner haucht ihr von Mund zu Mund wieder Leben ein – und erntet nur Undankbarkeit. Viel Überredungskunst ist erforderlich, bis die Diva sich den beiden auf ihrem neuen Lebensweg anschließt.
Und auch der alte Zirkusdirektor hat keine Chance gegen die fürchterlichen Fünf. Sie verwandeln seine Poesie über die vier Jahreszeiten zu einem grausamen Abfragespiel, so daß er zusehends den Durchblick verliert. Kopflos und verwirrt bleibt er zurück, ehe er sich den drei Verstoßenen anschließt, denn: Was Besseres als der Tod ist überall zu finden.
"Ich hasse nasse Füße", mault die Soubrette, kaum dass sie wieder ein bisschen Lebensmut gefunden hat, mitten in Wald und Nebel. Diese Äußerung trägt nicht zur Verbesserung der Stimmung bei. Keiner kennt den Weg. Alle sind bis zum Bauch verdreckt. Die Nerven liegen blank. Wie so häufig in angespannter Situation kommt es zum Streit. 
Schont scheint es, als ob die gemeinsame Reise mitten im Sumpf ihr Ende fände, da erspäht der Direktor ein Licht am Horizont. 
Sie schleichen sich an und schauen durchs Fenster. Fünf Räuber sitzen beim Schmaus. Mit schrecklichem Getöse werden diese vertrieben und das Haus besetzt. Weil es hier so angenehm ist, wird die Reise nicht fortgesetzt.
Was aus den armen Räubern geworden ist, danach fragt wohl keiner mehr.

Wind oder Stadtmusikant

Es ist klar: Die Geschichte ist eine abgewandelte Version des Grimmschen Märchens von den „Bremer Stadtmusikanten“. Die erste Theaterfassung dieses Märchens hat F.K. Waechter 1977 für das Schauspiel in Frankfurt geschrieben. Seither sind mehrere Neufassungen entstanden. Unter anderem auch diejenige, die für uns Ausgangspunkt der Arbeit war und die F.K. Waechter zusammen mit unserem festen Komponisten Toni Matheis und dessen Freund Raymund Huber erarbeitete.
Nicht die Dialogtexte sondern die Musik bilden den Kern dieses „MusikStücks“, das von einer Sieben-Mann-Kapelle begleitet wird in der Besetzung Trompete, Klarinette, Saxophon, Tuba, Bass, Klavier und Schlagzeug.

Diese Musik hat uns inspiriert, das alte Märchen von vier Haustieren, die sich zusammen auf die Wanderschaft begeben, weil ihnen zuhause der Tod droht, zu verändern und im Zirkusambiente anzusiedeln.
Neunzehn Musiknummern sind in die Handlung eingebaut, deren Charakter sich aus den Liedtexten und der dramaturgischen Situation herleitet. Daher werden ganz unterschiedliche Musikstile verwendet. Nummern mit sentimentalen oder Brecht-Weillschen Merkmalen stehen Formen der klassischen Tanzmusik (Tango) gegenüber. Vom suggestiven Leitmotiv "Was Bessres als der Tod ist überall zu finden" bis hin zum lyrisch-empfindsamen Liebesduett reicht das Spektrum, und selbst vor Schlageranleihen schrecken die beiden Komponisten nicht zurück.
F.K. Waechter selber hat Märchen für die heutige Zeit adaptiert. So ist in seiner Fassung zum Beispiel der Esel davon bedroht, daß sein Herr ihn durch einen Schlepper ersetzen will. Und der Grimmsche Hund ist bei Waechter zum Faustkämpfer geworden. (Für interessierte: Der Text ist im Buchhandel erhältlich: Friedrich Karl Waechter, der Schweinehirtentraum, Die Bremer Stadtmusikanten, Zwei Theatermärchen, Theaterbibliothek, Verlag der Autoren).
Trotz Zirkusdramaturgie ist BREMER WIND mehr als nur eine lose Aneinanderreihung einzelner Musik-, Sprech- oder Tanznummern, die durch einen Conferencier zusammengehalten werden. Das ganze verwebt sich zu einer Geschichte: Einer Geschichte von Vieren, die nicht mehr gebraucht werden und die sich gemeinsam auf den Weg machen, um einen neuen Sinn für ihr Leben zu finden. Und weil wir im Zirkus sind, muß die Geschichte nicht sozialanklagend und milieugetreu erzählt werden, sondern mit den Mitteln des Spiels, der Überzeichnung, mit Clowns, die sich all die Schrecklichkeiten antun und mit sehr viel Musik.
Dabei sind das gesamte SCHAUBURG-Ensemble, sowie die beiden Puppenspieler Meisi von der Sonnau und Panos Papageorgiou.

Toni Matheis

Geboren 1951 in Brannenburg, fünf Jahre Regensburger Domspatz bei gleichzeitigem Leiden am katholischen Drill. Musikstudium am Mozarteum in Salzburg und der Musikhochschule in Berlin und München. Wanderjahre als Orchestermusiker. Fünf Jahre Posaunist bei Konstantin Wecker. Filmkomponist. Seit 1986 Theaterkomponist an der SCHAUBURG (Auswahl: Don Quijote, 1705, Romeo und Julia, Das Märchen vom treuen Johannes, Clinch, Die Geschichte vom Baum,

Die Trafford tanzi Story, Rose und Regen – Schwert und Wunde, Robinson & Crusoe, Yvonne – die Burgunderprinzessin, der Sohn des Chao, Weißt du, wo mein kleiner Junge ist, das Kabinett des Dr. Caligari, Ixypsilonzett, Iphigenie Königskind, Polenweiher, Grindkopf, Tanz aus der Reihe.)

Raymund Huber

Geboren 1952. Lebt in München. Komponist, Arrangeur, Gründungsmitglied vom Team Musikon/Konstantin Wecker-Band.

Langjährige Tätigkeit als Musiker (Keyboards und E-Baß). Intensive Beschäftigung mit elektronischer Musik und deren technischen Mitteln. Diverse Bühnen- und Filmmusiken.

Friedrich Karl Waechter

Geboren 1937 in Danzig, Studium der Gebrauchsgraphik in Hamburg 1956 – 1959. Seit 1962 Mitarbeiter der Zeitschrift „Pardon“, später bei „konkret“, „twen“ und „Titanic“. 1975 Deutscher Jugendbuchpreis für „Wir können noch viel zusammen machen“. 1983 Brüder-Grimm-Preis des Landes Berlin für „Kiebich und Dutz“. Lebt in Frankfurt.

Veröffentlichungen (Auswahl): „Ich bin der Größte“, „Die Wahrheit über Arno Hau“ mit Robert Gernhardt und F.W. Bernstein, „Der Anti-Struwelpeter“, „Opa Huckes Mitmachkabinett“, „Wahrscheinlich guckt wieder kein Schwein“, „Mich wundert, daß ich fröhlich bin“.
Theaterstücke (Auswahl): „Pustekuchen“, „Schule mit Clowns“, „Der Teufel mit den drei goldenen Haaren“.

Peer Boysen

Geboren 1957 in Bochum, nach dem Abitur Ersatzdienst. 1979 Bühnenbild-Assistenz in Nürnberg, Wien, Residenztheater München, Münchner Kammerspiele, anschließend Hausbühnenbildner in Mainz, freier Bühnenbildner in Ulm, Stuttgart, Gießen, Kaiserslautern, Hannover.
1990 erste Regie (Der Sohn des Chao von Ad de Bont), seither fester Regisseur an der SCHAUBURG (Weißt du, wo mein kleiner Junge ist, Ixypsilonzett, Polenweiher, Magdalena, Grindkopf). Weitere Regiearbeiten in Freiburg, Opernregie in Wiesbaden und Weimar.

Peer Boysen hat sich vor drei Jahren zum ersten Mal bei „Ixypsilonzett“ mit dem Autor F.K. Waechter beschäftigt, mit diesen Figuren, die immer wie hingestrichelt erscheinen, widersprüchlich und zerbrechlich, niemals eindeutig gut oder böse, aber auch in ihrem Unvermögen immer liebenswürdig. "Ich mag seine verzitterten Gestalten."

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