Hexenfieber

Eine Hänsel und Gretel Fantasie
Regie
Beat Fäh
Bühne und Kostüme
Carolin Mittler
Musik
Toni Matheis
Es spielen
Matthias Friedrich, Sabine Zeininger
Musiker
Esther Schöpf, Ricardo Döringer, Karl Kaeser
Chor
Annabelle von Arnim, Michael Elliscasis, Lisa Huber, Toni Matheis

Hexenfieber

Dauer

75 Minuten

Alter

Ab 9 Jahren

Premiere

28. Februar 1998
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Nächste Termine

Beat Fäh ist wieder da

Der Theaterzauberer Beat Fäh arbeitet wieder an der Schauburg. Die Stücke, die er Mitte der Achtzigerjahre hier in München entwickelt hat, sind bis heute stilbildende Meilensteine für das Kinder- und Jugendtheater und Publikumsrenner sowohl bei Lehrern wie bei Schülern. Erinnert sei an „Die Geschichte vom Onkelchen“ oder „Die Geschichte vom Baum“. Die von ihm geschriebenen und inszenierten Stücke „Rose und Regen, Schwert und Wunde“ oder „Max“ sind inzwischen fester Bestandteil des Theaterrepertoires. Von München aus traten sie ihren Siegeszug an.

In „Hexenfieber“ hat sich Beat Fäh mit dem bekannten Märchen von „Hänsel und Gretel“ beschäftigt. Wer seine oben genannten Arbeiten noch in Erinnerung hat, wird keine konventionelle Märchenvorstellung erwarten. Für all diejenigen, die seine früheren Arbeiten nicht kennen, möchten wir seine Art, Geschichten auf dem Theater zu erzählen, kurz vorstellen.
 

"Hexenfieber"

Hans feiert seinen neunten Geburtstag. Es sind viele Gäste da. Die Tanten und Verwandten überhäufen ihn mit guten Ratschlägen und Kuchenstücken. Er versucht, ein netter Junge zu sein, aber innerlich ist er ganz woanders. Ihm ist das alles zu viel, aber er kann sich nicht wehren. Er findet keinen konkreten Weg aus der elterlichen Enge. Der Chor der guten Ratschläge wird immer drängender. Dies ist wörtlich zu verstehen, denn die Geburtstagsgäste sind nicht konkret auf der Bühne anwesend, sondern musikalisch – als Chor eben.
Seine Phantasie hilft. Hans träumt von Flucht, von einem selbstbestimmten Leben. In seinem Gefühlschaos versucht er einen Ausgang aus dem ganzen Familien-Schlamassel zu finden. Da erinnert er sich an Hänsel und Gretel. Er entdeckt die Parallelität zwischen der Grimmschen Geschichte und seinem eigenen Leben. Das Märchen ist wie ein Vexierbild, das sich ihm im Laufe der Geschichte immer wieder aufdrängt.
Er schaut nach oben und sieht die Lampenfrau, die seit 99 Jahren den Kronleuchter an der Decke hält. Er steht auf, nimmt ein paar Kekse von der Festtafel und markiert damit seinen Weg. Plötzlich ist unten oben und oben unten. Er steht vor der Lampenfrau am Plafond. So wie er sie aus der Entfernung bewundert hat, so verwirrt und hilflos steht er jetzt vor ihr. Sie hat einen schönen und weiblichen Körper, aber auch eine Behinderung. Sie ist ein bisschen kaputt. Ihr rechter Fuß fehlt. Sie ist rätselhaft für ihn. Er rettet sich in ein großspuriges, überlegenes Gehabe. Er vernünftelt. Sie ist direkt. Als sie beide gemeinsam von oben auf seine Geburtstagsgesellschaft blicken, entstehen erste Spannungen. Hans lästert über den Klumpfuß einer Tante, ohne den fehlenden Fuß der Lampenfrau zu bemerken. Peinlichkeit breitet sich aus. Ihm graust vor ihrem Stummelbein. Er will nicht hinschauen, kann aber auch nicht wegschauen. Er macht sie zur Hexe. Sie entdeckt die Lust am Quälen. In Gefahr und großer Not fällt ihm wieder das Märchen ein.
Er will nach Hause, wieder hinunter zu seinem Geburtstagsfest, findet aber den Weg nicht mehr nach unten, denn die Frau hat die wegweisenden Kekse weggenommen. Er fühlt sich unendlich klein und hilflos. Und in genau diesem Moment kann die Frau, die sonst fast grob zu ihm war, sich seiner annehmen. Sie umarmt ihn und er weiß nicht, was ermachen soll. Der verkrampfte, angespannte Junge wird butterweich. Für seine Schwäche wird er nicht getadelt. Er darf sein, wie er ist, das tut gut.
Beide bekommen die Idee den Kronleuchter abzusägen und auf die Festtafel rauschen zu lassen. Rein in den Bienenstich, Sauce würde spritzen, Hühnerknochen splittern, Würste platzen, das Sauerkraut flöge den Gästen um die Ohren: Doch der Junge merkt, dass ihm der Mut fehlt. Er will zurück zu seiner Familie, seinen Geschenken und seiner Geburtstagsfeier.

Wenn „ich eimal groß bin“!

„Darin bewährt sich jede ächte Poesie, dass sie niemals ohne Beziehung auf das Leben seyn kann, denn sie ist aus ihm aufgestiegen und kehrt zu ihm zurück, wie die Wolken zu ihrer Geburtsstätte, nachdem sie die Erde getränkt haben.“ (Aus der Vorrede zu den Kinder- und Hausmärchen der Gebrüder Grimm)
Wie wäre es, wenn ich von zu Hause abhauen würde? Wahrscheinlich spielt jedes Kind irgendwann mal mit diesem Gedanken. Die Entscheidung, es wirklich zu tun, erfordert sehr viel Mut. Jeder Schritt macht Angst. Wie weit geht man, wenn es eng wird? Man könnte einfach in der Luft hängen bleiben, so wie Hans in unserer Geschichte. Im Gegensatz zum Märchen, wo die Kinder von der Mutter ausgesetzt werden, will Hans in dieser Geschichte aus eigenen Motiven abhauen.
Hexenfieber“ ist eine Geschichte übers Großwerden, über die notwendige Ablösung von den Eltern und der Angst, was sein wird, wenn „ich mal groß bin“. Gezeigt wird ein Junge, der seine verwirrten Gefühle mit Hilfe des Märchens auslebt. Er will den domestizierenden Anforderungen der Eltern nicht mehr gerecht werden und weiß gleichzeitig, dass damit ein Abschied von der Kindheit verbunden ist, der schmerzhaft ist.
Dass Hans den Weg wieder nach Hause findet, wird ihm keine Lösung bringen. Das lehrt das Märchen der Gebrüder Grimm. Wer versucht mit den Problemen des Lebens auf dem Weg der Regression und Verleugnung fertig zu werden, wird feststellen, dass er unfähig bleibt, seine Probleme zu lösen. Dennoch erlebt Hans ein großes Abenteuer. Und diese Erfahrung wird ihn befähigen, beim nächsten Mal die unreife Abhängigkeit von den Eltern zu überwinden.
 

Grimms Märchen und Fähs Stück

Vielleicht sind uns seit den Kindertagen keine Texte so lieb und vertraut wie die Märchen der Gebrüder Grimm. Wir kennen sie, weil wir sie oft gehört oder gelesen haben. Aber kennen wie die Geschichten wirklich? Haben sie uns Ende des Jahrtausends überhaupt noch etwas zu sagen? Mit welchen Augen lesen wir sie in welchem Alter? Mit welchen Augen soll man sie lesen? Gibt es ein „richtige“ Art, sie zu verstehen? Welche Bedeutung messen Kinder diesen Geschichten bei, die sie eher als Zeichentrick-Video oder Kassette kennen, denn als vorgelesene Geschichte?
Es ist das Geheimnis dieser rätselvollen Märchentexte, dass sie mehr Fragen an uns stellen, als sich Antworten finden lassen. Dass sie sich uns immer wieder neu reizvoll vor Augen stellen und sich zugleich auch immer wieder entziehen, so dass wir uns auf vielen verschiedenen Wegen den Märchen nähern können und das ganze Panorama nie vor Augen haben.
Die so einfach scheinenden Texte sind schwer festlegbar auf eine einzige Weise der Deutung; sie machen im Gegenteil vielfältige Angebote, geben beim Versuch, sie zu verstehen, immer nur einen Teil ihres Sinngehalts preis; und es fragt sich, ob nicht gerade dies ihr Spezifikum ist, dass sie – noch stärker als andere Texte – Identifikationsmuster darstellen, an denen der produktive Leser seine Phantasie entfaltet, zu denen er seinen eigenen Zugang finden kann.
Dies gilt für das gelesene oder vorgelesene Märchen. Beat Fäh ist es zusammen mit Gerd Imbsweiler gelungen, in seiner Hänsel-und-Gretel-Phantasie die oben beschriebenen Charakteristika bei der Umsetzung in ein neues Medium zu erhalten. Die Geschichte vermeidet jede Illustrations-Nettigkeit. Stattdessen entwirft sie eine eigene Welt mit den Motiven des Märchens. Die Wirklichkeit verdichtet sich. In rasendem Tempo durchläuft der Junge während des Stücks verschiedene Lebensalter und durchlebt die Bedrohung durch seine eigene Umgebung und seine Befreiungsversuche.
Im „richtigen“ Leben ist es unmöglich, die Schwerkraft zu überwinden und an die Zimmerdecke zu kommen. In der surrealen Welt des Beat Fäh ist es eine Umsetzung für den „Wald“ des Grimmschen Märchens. Für die Bedrohung und gleichzeitige Faszination, die von ihm ausgeht. Der Hunger ist ein anderes Wort für Sehnsucht. Und das Sehnsuchtspotential dieses Jungen ist immens. Zwischen Wachen und träumen unternimmt er eine große Reise, die gekennzeichnet ist von Fülle, Erinnerungen, Ängsten, Labyrinthen, in denen er sich entdeckt und verliert. Die Situationen sind tragisch und daher komisch.
Märchen bieten den Vorteil, dass in ihrem Erzählverlauf aus der Krise heraus auch ein Entwicklungsweg gezeigt wird; sie sind getragen von der Hoffnung auf Veränderung, auf die Wandelbarkeit des Lebens, getragen aber auch von dem Bewusstsein, dass genügend Kräfte vorhanden sind, um die Situation zum Besseren zu wenden, man muss die Kräfte nur suchen und finden.

Innenansichten des Regisseurs Beat Fäh

Beat Fäh hat als Credo für seine Arbeit folgendes formuliert: „Ich bin als Zuschauer und Theatermacher nicht daran interessiert, dass mir mein Auge lediglich bestätigt, was das Ohr vernimmt und als mehr oder minder glaubwürdig empfindet, oder dass mir das Ohr nur bestätigt, was mein Auge empfängt und als glaubwürdig einordnet. Warum werden diese beiden Sinne nicht öfter oder härter auf unterschiedlichen Ebenen angesprochen, so dass sich für den Betrachter auf einer dritten Ebene eine theatralische Wirklichkeit einstellt?
Ich möchte eine unglaubliche, aber gerade deswegen vielleicht glaubwürdigere theatrale Wirklichkeit erreichen.“

Das klingt sehr theoretisch und kinderabgewandt. An einem kleinen Beispiel kann aber schnell aufgezeigt werden, dass Kinder diese „Theatersprache“ spielend leicht erfassen. In dem Stück „Die Geschichte vom Onkelchen“ spielte ein Schauspieler einen Hund. Dieser Hund trug als Kostüm kein Fellimitat, sondern einen einfachen Trenchcoat. Der Schauspieler wurde dadurch zum Hund, dass er sich den Charakter dieses Tieres, seine Motorik, seine Instinkthaftigkeit so genau zu Eigen gemacht hatte, dass eine Hundeimitation unnötig war. In einer Vorstellung saß ein kleiner Junge, der diesen Schauspieler privat kannte. Als sich ihre Blicke trafen, rief der Junge laut in die Vorstellung: „Der Hund hat mich erkannt“. Nicht der ihm bekannte Schauspieler hatte ihn erkannt, sondern der Hund. Die dritte Ebene einer theatralischen Wirklichkeit.
Diese künstlerische Forderung von Beat Fäh hat auch Folgen für den Beitrag, den die Musik und Bühnenbild für die Gesamtaufführung zu liefern haben. Sie dürfen auf gar keinen Fall illustrierend sein.
Wie anfangs kurz angedeutet, sind die Familienangehörigen des Jungen nicht leiblich anwesend. Als Chor, der rein musikalisch präsent ist, bedrängt er mit rhythmisch gesungenen und gesprochenen Texten den Jungen. Die Musik ist nicht neutral, sondern wird mit den Ohren des Jungen gehört: suggestiv, bedrohlich, schmerzlich. Ganz im Sinne der Märchen bleibt somit Platz für die Zuschauer, dieses Familienpersonal mit Menschen zu besetzen, die man aus der eigenen Erfahrung kennt.
Das kleine Orchester in der Besetzung Geige, Fagott und Schlagzeug beschreibt mit musikalischen Mitteln die Gefühlstemperaturen der beiden Figuren. Das Repertoire reicht von Salonmusik, über ein Kinderlied bis zu Tangothemen und Hexentänzen: Die Musiker greifen hin und wieder in das Geschehen ein. In dem Moment, als der Junge in höchsten Glücksgefühlen schwelgt, einen Abschiedsbrief an den Vater schreibt und mithilft, den Kronleuchter anzusägen, an dieser Stelle reicht ihm die Geigerin ihr Instrument, führt ihm den Arm mit Bogen und die Griffe so lange, bis er selbstständig spielt. Und er spielt wild und innig, ehe ihn Angst und Zweifel überkommen. Dann legt er die Geige weg.
Märchen sprechen nicht so sehr unser logisches als vielmehr unser ganzheitliches Denken an, unsere Fähigkeit, Zusammenhänge zu erschauen und zu erfühlen, in größeren Zusammenhängen zu denken. Das tut diese Vorstellung gleichfalls.
 

Beat Fäh

Geboren 1952 in Zürich, ist Schauspieler, Theater- und Opernregisseur, Autor. Nach sechsjähriger Bühnen-, Film- und Fernseharbeit führt er seit 1982 Regie, zuerst ausschließlich im Kinder- und Jugendtheater. Seit 1989 arbeitet er als freier Regisseur in Esslingen, Ulm, Nürnberg, Freiburg, Bonn, Mainz und Stuttgart.

 

Carolin Mittler

Jahrgang 1962, ist Bühnen- und Kostümbildnerin. Nach dem Studium an der Akademie der Bildenden Künste München folgten die ersten Arbeiten am Theater der Jugend, danach war sie zwei Jahre feste Bühnenbildnerin in Esslingen.
Seit 1991 arbeitet sie freischaffend u.a. in Ulm, Tübingen, Mainz Erfurt und Bonn.
Seit „Die Geschichte vom Onkelchen“ in München arbeitet sie mit Beat Fäh zusammen.

 

Toni Mattheis

Geboren 1951 in Brannenburg. 5 Jahre Mitglied bei den Regensburger Domspatzen, Musikstudium am Mozarteum in Salzburg und an den Musikhochschulen in Berlin und München. Anschließend Wanderjahre als Orchestermusiker. Fünf Jahre Posaunist bei Konstantin Wecker. Filmkomponist. Seit 1986 fester Theaterkomponist an der Schauburg. Erste Zusammenarbeit mit Beat Fäh und Carolin Mittler ebenfalls bei „Die Geschichte vom Onkelchen“

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