Max

Regie
Dagmar Schmidt
Bühne und Kostüme
Hans Richter
Musikalische Leitung
Toni Matheis
Es spielen
Klaus HadererSabine Zeininger

Max

Dauer

45 Minuten

Alter

Ab 7 Jahren

Premiere

09. Dezember 2000
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Zwei Welten begegnen sich

Max kommt aus dem Wasser. Mit seinen Flossen, der Taucherbrille, dem Schnorchel, Schwimmhäuten und Kiemenatmung könnte er ein Wassermann sein. Zum Beispiel. Jedenfalls ist der Kerl an Land im falschen Element! Was will er da? Er will in die Schule.

Genau da fängt die Geschichte an, die Beat Fäh in seinem Stück erzählt. Max begegnet einer Putzfrau. Im Waschraum der Schultoilette. Sie denkt, er will sich über sie lustig machen. Unmöglich, wie der da herumwatschelt. Bis ihr langsam dämmert: Der tickt anders. Mit dem stimmt irgendwas nicht. Oder doch? Oder wie? Oder was? Jedenfalls kann man in dem Aufzug bestimmt nicht in die Schule gehen. Nun ist die Putzfrau doch neugierig geworden. Sie bringt ihm etwas bei. Aber Max will noch mehr lernen. Schließlich zeigt ihm die Putzfrau, wo er sich anmelden muss. Und wirklich - Max geht in die Schule. Und kommt wieder zurück. In den Waschraum. Zu der Putzfrau. Die ist zwar ein bisschen ruppig. Aber irgendwie auch nett.

Max erzählt von seinen Erlebnissen in der Schule. Nicht nur mit Worten. Auch sein Körper, seine Kleider, sein ganzes Auftreten erzählen davon. Weniger davon, was er in der Schule macht, sondern davon, was die Schule mit ihm macht. Max versucht so zu sein wie die anderen Kinder. Das ist nicht einfach. Er trägt einen Schulranzen, er kürzt seine Flossen, er versucht ohne Schnorchel zu atmen. Max wird erwachsen. Schließlich erfüllt er sich einen Traum: Er kauft sich spitz zulaufende, glänzende Schuhe. Im Mund eine Pfeife. Ein Mann von Format. Er hat es geschafft. Er ist wer. Nur wer?
 

Fremdheit und Anpassung

Die Putzfrau sucht nach einem Weg zu Max. Ungelenk bemüht sie sich darum, seine Fremdheit zu verstehen. Eine vorsichtige Annäherung bahnt sich an. Dann erschrickt die Putzfrau vor der Geschwindigkeit, mit der Max bereit ist, sich anzupassen. Sie findet, dass er sich aufgibt. Doch ohnmächtig erkennt sie, dass sie ihn nicht davon abhalten kann. Gleichsam spiegelbildlich wirkt Max' Anpassungsbewegung auf ihre eigene Person zurück: Die ordentliche Putzfrau wird etwas merkwürdig; in dem Maße wie Max sich in die Menschenwelt eingliedert, beginnt sie Konventionen über den Haufen zu werfen. Zunehmend selbstbewusster wird sie zu einer etwas verrückten Person, die ihren eigenen Kopf hat und sich wenig um das Gerede der Leute schert.

Am Ende stehen sich die Beiden als vertraute Fremde gegenüber. Mit umgekehrten Vorzeichen. Fragile Momente der emotionalen Berührung sind entstanden. Aber die Fremdheit bleibt bestehen. Sie wird nicht von falscher Versöhnlichkeit zugedeckt. Deutlich wird die emotionale und physische Anstrengung, die eine solche Annäherung erfordert.

Fähs Stück erzählt ohne Sentimentalität von der Schwierigkeit einer Begegnung zwischen zwei Welten. Und es erzählt von den Schmerzen und Freuden eines Sozialisationsprozesses. Es erzählt vom erwachsen werden. Wenn man will, könnte Max der Protagonist eines Bildungsromans aus dem 20. Jahrhundert sein. So gesehen ist er freilich der ambivalenten Figur des Affen Rotpeter aus Kafkas berühmter Erzählung "Bericht für eine Akademie" näher als Goethes Wilhelm Meister. Mit Kafkas Figur verbindet ihn auch die Fantasie einer Grenzübertretung vom Außen der Gesellschaft in ihre Mitte, vom Tier zum Mensch, vom Flossenwesen zum erfolgreichen Geschäftsmann. In diesem Sinn liefert Fäh mit seiner Figur ein offenes Bild, das jeden Zuschauer auf andere Weise anzusprechen vermag. Da jedes schulpflichtige Kind eine tiefe und ganz individuelle Kenntnis all der Vorgänge von Anpassung, Gewöhnung, Unterordnung und Gehorsam hat, provoziert das Stück eine große Imagination bei den Zuschauern: zwischen dem, was sie sehen, und dem, was sie aufgrund eigener Erfahrungen begreifen.

(Dagmar Schmidt) Das ist auch der Grund, warum das Stück seit seiner Uraufführung vor 16 Jahren nichts von seiner originellen Frische und Aktualität verloren hat. Vielleicht kommen den erwachsenen Zuschauern Erinnerungen an die eigene Schulzeit in den Sinn. Die Kinder jedenfalls erkennen in Max auch heute noch einen Zeitgenossen...
 

Die Inszenierung

In der Schauburg-Inszenierung begegnen sich Max und die Putzfrau im winzigen Vorraum der Schultoilette. Das ist ein öffentlicher Raum, jeder kann da rein. Es ist aber auch ein Durchgangsraum, kein Ort, an dem man länger verweilt. Es sei denn, man hat dort zu tun. Es sei denn, man muss da zum Beispiel putzen. Wichtig ist, dass es hier Wasser gibt. Allein das wäre ein Grund für Max immer wieder zurückzukehren. Der Raum wird für ihn gleichsam zur Durchgangsstation von der einen Welt in die Andere, etwa wie die Schleusenkammern eines Raumschiffs oder eines U-Boots. Ein Ort des Druckausgleichs.

Deshalb ist der Raum auch nicht besonders groß, sondern eher klein. Sehr klein sogar. Auf den ersten Blick ist das ein sehr realistischer Raum. Ein bekannter Raum, jeder war schon mal in so einem Raum. Aus dem Wasserhahn kommt sogar echtes Wasser. Wenn man aber etwas genauer hinschaut, wird man schnell merken, dass der vermeintliche Realismus auf eine falsche Fährte lockt. Das fängt schon damit an, dass der Raum zentralperspektivisch gebaut ist. So hat der Bühnenbildner den Realismus ein bisschen in Schräglage versetzt. Entsprechend haben wir auch die Figuren etwas surrealistisch angelegt. Nicht nur den Max, sondern auch die Putzfrau. Denn in so einem schräg gelegten Bühnenbild kann man nicht spielen wie in der Lindenstraße. Deshalb kommt man hier mit den gewohnten Maßstäben einer Logik von realistischen Handlungsabläufen nicht sonderlich weit. Das wäre ungefähr so, wie wenn man sich in der Oper darüber wunderte, dass sich die Leute ansingen anstatt normal miteinander zu reden.

Wer Lust hat, kann sich den Spaß machen und zum Beispiel mal darauf achten, wie viel Zeit im Stück eigentlich vergeht. Ein Tag? Ein Jahr? Beides gleichzeitig?
 

Wasserwesen

Max ist ein Wasserwesen. Er kommt aus einem anderen Element. Er atmet nicht wie ein Mensch, sondern wie ein Fisch durch die Kiemen. Schon das macht ihm das Leben unter den Menschen alles andere als einfach. Es geht ihm wahrscheinlich so ähnlich wie uns, wenn wir in ein fremdes Land reisen und die Sprache nicht verstehen. Oder einfach wie jemandem, der mitten unter dem Jahr neu in die Klasse kommt. Der keine Freunde hat. Oder, oder, oder...

Im Folgenden haben wir zwei Geschichten abgedruckt, die auf andere Weise Erfahrungen von Wasserwesen im fremden Element imaginieren. Die erste Geschichte ist aus der Perspektive eines Flossenwesens erzählt, die zweite Geschichte erzählt von der Wahrnehmung eines Wassermannes aus dem Blickwinkel einer sensationslüsternen Öffentlichkeit.
 

Eine Verwandlung (Joanne K. Rowling)

Dann, ganz plötzlich, fühlte sich Harry, als würde ihm ein unsichtbares Kissen auf Mund und Nase gedrückt. Er versuchte Luft zu holen, doch es drehte sich alles in seinem Kopf; seine Lungen waren leer und er spürte plötzlich einen stechenden Schmerz zu beiden Seiten seines Halses - Harry klammerte die Hände um den Hals und spürte zwei große gelippte Schlitze gleich unter den Ohren ... er hatte Kiemen. Ohne weiter nachzudenken, tat er das Einzige, was Sinn hatte - er warf sich bäuchlings ins Wasser.

Der erste Zug eisigen Wassers kam ihm vor wie das lebensrettende Atemholen. Der Wirbel in seinem Kopf legte sich; er nahm einen weiteren kräftigen Zug Wasser und spürte, wie es sanft durch seine Kiemen floss und Sauerstoff in sein Gehirn schickte. (...) Er neigte den Kopf nach unten und musterte seine nackten Füße - sie waren länger geworden, und zwischen seinen Zehen waren nun Schwimmhäutchen; es sah aus, als wären ihm Flossen gewachsen. (Joanne K. Rowling: Harry Potter und der Feuerkelch)

Eine Vorgeschichte (Heinrich von Kleist)

In der Wiener Zeitung vom 30. Juli 1803 wird erzählt, daß die Fischereipächter des Königssees in Ungarn mehrmals schon, bei ihrem Geschäft, eine Art nackten, wie sie sagten, vierfüßigen Geschöpfs bemerkt hatten, ohne daß sie unterscheiden konnten, von welcher Gattung es sei, indem es schnell, sobald jemand sich zeigte, vom Ufer ins Wasser lief und verschwand. Die Fischer lauerten endlich so lange, bis sie das vermeintliche Thier, im Frühling des Jahrs 1776, mit ihren ausgesetzten Netzen fingen. Als sie nun desselben habhaft waren, sahen sie mit Erstaunen, dass es ein Mensch war. (...) Derselbe mochte damals etwa 17 Jahre alt sein, seine Bildung war kräftig, bloß die Hände und Füße waren krumm, weil er kroch; zwischen den Zehen und Fingern befand sich ein zartes, entenartiges Häutchen, er konnte, wie jedes Wasserthier, schwimmen, und der größte Theil des Körpers war mit Schuppen bedeckt.

Man lehrte ihn gehen, und gab ihm anfangs nur rohe Fische und Krebse zur Nahrung, die er mit dem größten Appetit verzehrte (...) Die Kleider waren ihm öfters zur Last und er warf sie weg, bis er sich nach und nach daran gewöhnte. An gekochte, grüne Mehl- und Fleischspeisen hat man ihn nie recht gewöhnen können... Er lernte auch reden, und sprach schon viele Worte aus, arbeitete fleißig, war gehorsam und zahm. Allein nach einer Zeit von drei Vierteljahren, wo man ihn nicht mehr so streng beobachtete, ging er aus dem Schloße über die Brücke, sah den mit Wasser angefüllten Schloßgraben, sprang mit seinen Kleidern hinein und verschwand... (Heinrich von Kleist: Berliner Abendblätter, 1811)

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