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Regie und Bühnenbild
Peer Boysen
Kostüme
Andrea Spanier
Musik
Toni Matheis
Es spielen
Heio von Stetten, Corinna Beilharz, René Dumont, Peter Ender, Silke Nikowski, Darko Vasiljevic

Ixypsilonzett

Dauer

70 Minuten

Alter

Ab 12 Jahren

Premiere

25. Juni 1992
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Fabel, Text und Dramaturgie

Der gewaltige Ix liebt die schöne Ypsilon. Das wäre kein Problem, wenn nicht der zaghaft zittrige Zett sich in die gleiche Frau verguckt hätte.
Wir gehen davon aus, dass die daraus entstehenden Konflikte jedermann vertraut sind und Ahnungen wecken, wie sich das Bühnengeschehen entwickeln könnte.
"Ein Licht scheint auf, und die Einclownkapelle spielt die Ouvertüre, bevor sie einen Wind aufheulen lässt, der wie der erste Wind erklingt, der über diese Erde wehte. Er weht ums Zelt und wirbelt einen Stuhl in die Arena. An diesem Stuhl hält sich der dürre Zett geklammert. Zett schaut sich um und sucht nach einem Platz für seinen Stuhl und sich."

Mit diesen Regieanweisungen beginnt das Stück. Und damit ist klar: Unser Theater in der Entenbachstraße muss für diese Vorstellung in eine Zirkusarena verwandelt werden. Die Figuren sind dem klassischen Clowns-Kanon entlehnt. Der dumme August ist ebenso zu finden wie der Weiße Clown. Aus ihren unterschiedlichen Lebensprinzipien entstehen Konflikte und Komik.

Allerdings sehen die Figuren unter Peer Boysens Federführung gar nicht aus wie klassische Clowns. Nicht an die Fools-Bewegung der Siebzigerjahre mit weißem Gesicht und roter Pappnase lässt diese Aufführung denken, sondern an uralte Ritter oder Moriskentänzer, die schon sehr lange in der Mottenkiste gelegen haben, bevor sie von den beiden Sprechstallmeistern wieder zum Leben erweckt werden.

Das Textbuch von F.K. Waechter besteht zum größten Teil aus sehr poetischen Regieanweisungen. Nur ein kleiner Teil der Textvorlage ist dialogisch. Daraus ergab sich für uns der Ansatz, zwei neue Figuren zu schaffen, denen diese Regieanweisungen als Existenzgrundlage dienen: die Sprechstallmeister.
Wie in den klassischen Clownsnummern ist der Sprechstallmeister eine Art Zirkusdirektor, der auf ungemein autoritäre Art die Clowns schurigelt. Ihm waren sie auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. So auch in unserer Inszenierung: Die beiden erwecken die Figuren und halten die Geschichte in Gang.

Bühne, Form und Regie

Das Interesse an einem Stück entwickelt sich bei Regisseur Peer Boysen stets über die Form. Nicht das Thema ist es, das ihn reizt. Die Fragen "Worum geht es?" oder "Was soll (vor allem der Schüler) daraus lernen?" hält er für irrelevant. Sein Zugang zu einer Arbeit entsteht aus der Musikalität eines Textes, aus den Bildern, Bewegungen, die sich beim Lesen einstellen. Aus dem gleichberechtigten Zusammenspiel von Sprache, Klängen, Bildern, Farben, SchauspielerInnen, Licht, Musik entsteht eine Gesamtheit, die wir Theater nennen.

Unter dieser Prämisse ist, wie in seinen beiden vorangegangenen Arbeiten (DER SOHN DES CHAO und WEISST DU, WO MEIN KLEINER JUNGE IST?), eine Aufführung entstanden von großer Formgenauigkeit. Stellenweise könnte man es als Sprechoper mit Balletteinlagen für Nichttänzer kategorisieren.

Zwar wissen wir, dass diese hohe theatralische Form oft auf Misstrauen bei Lehrer stößt: "Zu schwierig für die Schüler" – das ist ein vielgehörtes Urteil. Auch wir sind uns darüber im Klaren, dass eine Vorstellung, die den - von Schülern meist - erwarteten Fernsehrealismus nicht bedient, die nicht Populäre Musik verwendet, für die meisten jungen Zuschauer eine Herausforderung darstellt. Aber so verstehen wir unseren Auftrag. Nicht Bekanntes wiederkäuen, sondern Begegnungen mit Neuem, unbekanntem ermöglichen, Fragen aufrufen, statt Antworten geben. Und wir sind sicher, dass Schüler das interessant finden, wenn die begleitenden Erwachsenen dies auch tun.

"Wollt ihr Kunst machen oder was für Kinder?"

...unter diesem provokanten Titel hat der Autor F.K. Waechter vor einiger Zeit einen Artikel in der Züricher Weltwoche veröffentlicht, in dem er seine Haltung zu dieser Frage bekannt gibt.

"Noch nie ist, denke ich, soviel Schrott auf Kinder gekippt worden wie heutzutage. Ich meine damit vor allem die Produkte, in denen erwachsene Menschen sich auf ein eingebildetes oder bereits bewährtes Kinderniveau herunterschrauben. Das mag ja auch in Ordnung sein, wenn’s darum geht, den Kindern unsere komplizierten gesellschaftlichen Spielregeln über- und durchschaubarer zu machen. Aber wenn es um Leben und Tod geht, um Liebe, Hass, Eifersucht, Lügen, List, Hoffnung, Sehnsucht, Wünsche und so weiter, da wissen diese kurzen Menschen doch verdammt gut Bescheid.

Da könnten wir doch eher manches wieder lernen. Weil sich aber Kinder offenbar gern mit solchem Schrott bekippen lassen, in dem alles neckisch, lustig trallala zugeht, scheint diese Frage, ob Kunst für Kinder, so schrecklich normal, dass ich mich manchmal wie von einem anderen Stern fühle, wenn ich keinen Unterschied machen will zwischen Erwachsenen und Kindern, wenn ich Kinder Erfahrung mit Kindern mich lehrt, dass Spielen, wie es Kinder tun, dem Tun des Künstlers zum Verwechseln ähnelt.

Die Kinder zeigen uns wie's geht

Ich denke, sobald Erwachsenen im Namen von Kindern reden, lügen sie zwangsläufig. Vielleicht wollen sie die Verzauberung, die sie durch die Weihnachtsmärchen ihrer Kindheit erfahren haben, nun auch ihren Kindern zuteil werden lassen und begreifen nicht, dass das nicht geht, dass das lediglich dem sentimentalen Verhältnis zu ihrer eigenen Kindheit entspringt und dass wahrscheinlich die Wirkung eines unverfälschten Märchens auf Kinder heute viel größer sein könnte, als die eines süßlich aufgemotzten Weihnachtsmärchens auf die Eltern damals, wenn Kinder heute nicht viel zu viel Zeit damit verbrächten, sich von den täglichen 'Weihnachtsmärchen' aus dem Fernsehen überschütten zu lassen, statt zu spielen.

Bisher waren es die Kinder bis zu sechs Jahren, die Bilder malten und Spiele spielten, die jeden Künstler entzücken und mit Neid erfüllen könnten. Dann erst kommt die Schule und macht sie blass, und aus den Bildern verschwinden Vater, Mutter; Krokodile und Gefühle, und übrig bleiben Blumenbildchen. Fernsehen, Video- und Tonkassetten machen solch blasse Blumenkinder aus immer jüngeren. Bald bleiben uns nur noch die allerkleinsten, die uns zeigen können, wie es geht. Damit den bornierten Erwachsenen ein Licht aufgeht, was Kunst ist, und wie viel mühsamer ihr Weg dorthin ist als der der Kinder, will ich einige Erfahrungen mit Kindern beschreiben.

Als mein Sohn Robert seine ersten vier Worte konnte, hat er die unterschiedlich heruntergebrannten Adventskerzen der Länge nach Papa, Mamma, Eia (das war sein älterer Bruder Moritz) und Data (das war er selbst) genannt. Ist das keine Äußerung, die Kunst genannt werden könnte?
Vor Jahren habe ich mich Kindern bei Veranstaltungen als zeichnender Roboter angeboten, anstatt ihnen vorzulesen, um auf diese Weise zu Geschichten

Kein Autor dürfte schreiben, was Kinder selber erfinden

Im Rahmen der Internationalen Jugendbuchausstellung in Duisburg wurden Kinder, zum Großteil Jugendliche, aus einer Diskothek getrommelt, und sie latschten in den mit Tapetenrollen beklebten Raum, in dem ich saß und auf sie wartete: Ihr Wortführer: 'Du bist der Dichter? Dann dicht uns mal was.' Ich hielt meinen dicken Filzstift hoch und sagte: 'Ich dichte nicht. Ich denke nicht: Ich zeichne nur. Denken und dichten müßt ihr. Ihr müsst sagen, wie der Held eurer Geschichten aussieht.' Die Haltung der Jugendlichen war klar: Die wollten mich knacken, mich schnell zum Aufgeben bringen, damit sie weitertanzen konnten.

'Unser Held soll ein Monster sein mit zwei Köpfen, vier Armen und vier Beinen. Und nackt.' Ich zeichnete den Helden blitzschnell hin. Ohne Geschlechtsteil. 'Wenn was fehlt, sagt's mir.' Ihr Wortführer: 'Ne, ne, is o.k.' es wurde noch ein weibliches Monster hinzugedichtet, auch mit zwei Armen, vier Köpfen und vier Beinen.

Die beiden Monster gingen tanzen und ein buckliger Klavierspieler machte die Musik dazu und spielte so wild und brachte die beiden Monster so in Fahrt, dass alle drei von einem Kronleuchter erschlagen und als ein Klumpen Fleisch ins Hospital eingeliefert wurden. Die Ärzte operierten und alle Jugendlichen operierten mit, indem sie mit farbigen Filzstiften Blutbahnen, Fleisch und Menschenteile malten. Am Ende humpelten Mann und Frau mit je einem Kopf, einem Arm und einem Bein auf Krücken aus dem Hospital und heirateten.
Die Geschichten, die an Wochentagen in Vororten von Duisburg, ohne die Anwesenheit anderer Erwachsener entstanden, waren fast alle so grausam, so erotisch, so traurig, so böse und so dreist, dass kein Kinderbuchautor sie hätte schreiben dürfen, ohne von Erwachsenen aufs heftigste kritisiert und beschimpft zu werden.

An Sonntagen waren Eltern dabei, als ich Roboter spielte und zeichnete. Sie waren gerührt und amüsiert über die originellen kreativen Kleinen und merkten nicht, wie sehr sie schon der Erwachsenenvorstellung von munteren lustigen Kindern entsprachen, wie angepasst sie schon im zarten Alter waren. Ihre Helden waren Zebras mit Giraffenköpfen und ähnliches. Das war deutlich harmloser, alberner, langweiliger. Da brachen sich weniger Gefühle Bahn.

Bei einer Kinderveranstaltung in Wien kamen Lehrer mit zwei Schulklassen. Das ging auch recht sonntäglich los. Der Held war ein Chinese, der ging spazieren, bis er einen Löwen traf, er seine Kleider fraß und auch die Kleider einer Chinesin, die des Weges kam. 'Wie sieht die Chinesin aus ohne Kleid?' 'Sie hat einen gepünktelten BH an'. Ein Kind schnipste wie wild mit den Fingern. 'Ich weiß was Besseres!' 'Ja?' 'Keinen gepünktelten BH!' Unglaublich, wie das Interesse an der Chinesengeschichte wuchs. Auch hier zeichnete ich die Nackten nur in Umrissen, ohne die entscheidenden Details. Ein sehr adrett gekleidetes Mädchen schob sich in der ersten Reihe immer weiter vor und flüsterte immer lauter zu mir: 'Biiiette, das Gliiied, biiiette, das Gliiied.' Ich warf ihr einen Stift zu und sie zeichnete liebevoll, was fehlte. Am Ende der Geschichte waren Chinese und Chinesin nackt und einsam in weiter Landschaft, so dass (angesichts der Lehrer?) alle chinesischen Verwandten plötzlich den Kopf über den Horizont stecken mußten, und unsern beiden blieb nur noch die Scham.

Am Nachmittag hörte ich eine Radiosendung über die Kinderveranstaltung, in der Hörer übers Telefon beisteuern konnten. Eine Frau beschwerte sich darüber, dass ausländische Schriftsteller österreichische Kinder verderben würden.

Was will ich sagen mit diesen Geschichten? Um's kurz zu machen, das: Ich will nicht Kinder auf Kosten von Erwachsenen verherrlichen, das wäre dumm. Es gibt genügend Formen (Parodie und Parabel), Haltungen (Ironie und Zynismus) und Themen (Atomphysik und Kriminalistik), die ich schätze, für Kinder aber als gänzlich ungeeignet halte. Ich will nur einmal gegen diesen Wall von Arroganz und Geringschätzung an, der jeder, der für Kinder arbeitet, kennt.
Das einzige, was mir Spaß macht, ist Kunst zu machen über angepasste graue langweilige Köpfe hinweg. Und wenn du fragst: 'Was hast du da für einen Kunstbegriff?'- 'kunst mir den Buckel runterrutschen.'"