Willem Vanderdecken oder Das Märchen vom fliegenden Holländer

Regie, Bühne, Kostüme

Peer Boysen
Choreinstudierung und Sound Design
Taison Heiß, Greulix Schrank
Lichtdesign
Hans-Peter Boden
Es spielen
Markus Campana, Nick-Robin Dietrich, Nicholas Reinke, Regina Speiseder, Lucca Züchner
und der
Münchner Frauenchor mit
Katrin Ehmer, Marina Fritz, Annette Hecht, Amy Lombardi, Fiona Pötzinger, Adelheid Schalk, Thea Schuette, Karin Seidel, Hannah Siebert, Hannah Vogler, Anna-Lena Wende, Sarah Williamson, Lara Wolff

 

Spielort

Großer Saal

Dauer

ca. 1 Std 50 Min

Alter

Ab 15 Jahren

Premiere

15. Juni 2017

nach Vorlagen aus dem 13. bis 19. Jhdt.

von Peer Boysen

 

"Und wenn ich bis zum jüngsten Tag auf dieser Welt noch leben müsste, ich werde dich bezwingen, dich, Wirklichkeit, mit meinen Träumen!

Doch: die Träumer sterben aus, wo wir sie dringend bräuchten."

Nächste Termine

Alle mündlichen und schriftlichen Überlieferungen vom Fliegenden Holländer eint im Kern der Fluch, den ein Schiffskapitän durch eigene Schuld auf sich lädt. Meist sind es niederländische Kapitäne des 17. Jh., die beim Versuch, das wilde Kap der Guten Hoffnung zu umschiffen, um auf dem Seeweg nach Indien zu kommen, schwören, notfalls bis zum Jüngsten Tag weiter segeln zu wollen, bis sie diese stürmische Passage bezwungen haben. In der Realität dauerte das dann schon mal Wochen – wenn man Glück hatte und nicht vorher Schiffbruch erlitt. Allein die 300 Schiffsfracks, die Taucher in der Tafelbucht – wo der kalte Benguelastrom aus dem Südatlantik auf den warmen Agulhasstrom des Indischen Ozeans trifft – fanden, lassen erahnen, wie gefährlich diese Gegend für die Segelschifffahrt damals war.

Diese realen Hintergründe standen am Beginn der Geschichte vom Fliegenden Holländer. In diversen Erzählungen ließen die Menschen dann den Schwur dieser hart geprüften niederländischen Kapitäne wahr werden und schufen damit die perfekte Ausgangslage für eine Fülle an Geschichten über einen ewig verfluchten Fliegenden Holländer.
Ohne jemals einen Hafen anlaufen zu können, wird dieser nun durch den Fluch gezwungen, bis zum Tag des Jüngsten Gerichts als Untoter auf den Meeren herumzuirren. Es sei denn, er findet vorher, durch eine ihm aufgetragene Handlung, Erlösung im Tod. Oft sind es Frauen, die durch ihre uneingeschränkte Liebe bis in

 

den Tod hinein Rettung versprechen. Aber auch Familienangehörige oder die eigene Einsicht zur Reue stellen Erlösung in Aussicht, die gleichsam alle mit dem Tod des Verfluchten einhergehen. Immerhin, möchte man meinen, denn in den allermeisten Geschichten über den Fliegenden Holländer hat er dieses Glück nicht und muss als Untoter bis ans Ende der Zeit über die Weltmeere segeln.
Ab dem 18. Jh. tauchen erste schriftliche Versionen auf, die zusammen mit mündlichen Überlieferungen der Legende aus vorherigen Zeiten und realen Kapitänen des 17. Jh. zu Literatur verschmolzen. So waren beispielsweise Washington Irving, Walter Scott, Wilhelm Hauff, Heinrich Heine, Theodor Fontane, Edgar Allen Poe und nicht zuletzt Richard Wagner von diesem zur Ruhelosigkeit gezwungen Kapitän fasziniert und brachten bis heute beeindruckende Werke heraus.
Festzuhalten bleibt, dass das Schicksal des Fliegenden Holländers eine der ältesten und bekanntesten Seefahrergeschichten ist, die in überlieferten Sagen und Legenden ebenso wie in der Literatur immer wieder neu erzählt wurde. Was dabei genau Sage, Legende, historische Realität oder literarische Fiktion ist, lässt sich nicht mehr feststellen. Und ob es sich beim Fliegender Holländer um den Namen des Kapitäns oder dem des Schiffs handelt, ist dabei ebenso unklar wie sagenumwoben.

Nun hat Peer Boysen in vielen dieser Geschichten nachgelesen und mithilfe einiger darin vorgefundener Handlungsmotive ein eigenes Stück geschrieben.

In einer Gerichtsverhandlung versucht Richter van Rotenboom die näheren Umstände über den Tod von zwölf Frauen herauszufinden. Dazu verhört er Erasmus Vanderdecken, dessen Vater Willem, der Fliegende Holländer, tatverdächtig ist. Vor allem die Familie, als Hort und Beginn jeglichen Glücks oder Unglücks im Leben eines jungen Menschen, steht dabei schonungslos im Vordergrund der richterlichen Untersuchung. Was der Richter dabei heraus bekommt, lädt nicht nur zum Gruseln ein: Ein tiefer schmerzhafter Blick in die menschliche Existenz wird sichtbar, der uns den ewigen Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit jeglichen Handelns vorführt. Und wenn dann, wie in einer Gespensternovelle, Tote und Untote in die richterliche Befragung hinein irrlichtern, zweifelt nicht nur der Richter zusehends an seiner Wahrnehmung. Auch für den Zuschauer ergeben sich im Verlauf der Geschichte immer mehr Fragen statt Antworten: Wo sind eigentlich die Mädchen abgeblieben, zerhackt und angeblich in Jutesäcke verpackt? Hat der Sohn sich diese Geschichte

 

ausgedacht, um seinen Vater unsterblich zu machen? Der Sohn träumt zeitgleich mit dem Vater eine Fahrt zum Kap der guten Hoffnung? Der Vater, allein auf einem Dreimast-Schoner? Der Sohn schwimmend? Im Meer? Oder hat der Sohn gar die zwölf Hausangestellten und die eigenen Eltern getötet? Hat die Geliebte des Holländers, Sybille van Achteren, die Mutter vielleicht mit Arsen vergiftet, um sie als Konkurrentin loszuwerden? Oder hat die Mutter ihre Krankheit nur vorgetäuscht, um so ihren Mann in den Wahnsinn zu treiben? Wer träumt hier wessen Traum in den Anderen hinein?
Sicher, viele Fragen statt Antworten, die in ihrem Zentrum immer auf die gegenseitige Verantwortung der Generationen gerichtet sind und damit auch die Position der Schauburg in den letzten siebenundzwanzig Jahren zusammenfasst. Bei der Beantwortung dieser Fragen wird jeder Zuschauer, egal welchen Alters, auf sein eigenes kurzes oder langes Leben blicken können. Die Antworten zuzulassen erfordert zunächst vielleicht Ehrlichkeit und Mut, bereitet aber im weiteren Verlauf der Handlung immer mehr Lust, die eigenen familiären Unausweichlichkeiten für die Länge einer Vorstellung zum Leben zu erwecken.

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