Geschichte

Idealismus gegen Bürokratie (1953 - 1969) – Der Gründer Sigfrid Jobst

Alles begann 1953 damit, dass der ehemalige Tänzer und Schauspieler Sigfrid Jobst eine Versicherungssumme, die er nach einem schweren Motorradunfall als Rente zugesprochen bekam, dafür verwendete, zusammen mit seiner Frau Annemarie Jobst-Grashey die MÜNCHNER MÄRCHENBÜHNE ins Leben zu rufen. Sein Motiv war, nach der Barbarei des Zweiten Weltkrieges junge Menschen wieder an Literatur, Geist, Ästhetik heranzuführen. Er verstand dies als eine Art spiritueller Aufbauhilfe nach all den materiellen und geistigen Zerstörungen der Nazizeit und des Krieges. Welch ein Glück, dass er damals seiner Intuition und nicht dem Ratschlag etlicher Freunde folgte, die ihm rieten, lieber einen Zigarrenladen aufzumachen. Der wäre heute längst geschlossen, während sein Engagement für ein Kinder- und Jugendtheater bis heute fortgeführt wird.

„Pechvogel und Glückskind“ hieß die erste Vorstellung, die im Juni 1953 im so genannten Goethesaal in der Leopoldstraße über die Bühne ging. Danach folgten mehr als 50 Premieren bis zum Jahr 1968.

Nach ihrem Verständnis hatte das Ehepaar Jobst einen kulturellen Auftrag übernommen, der eine kommunale Aufgabe war und verstanden ihren privaten finanziellen Einsatz nur als Anschubfinanzierung.

Aber es war in all den Jahren ein mühevolles Geschäft, die erforderliche Unterstützung zusammenzubetteln. Das Programm wurde erweitert auch auf Stücke, die sich an Jugendliche richteten, Klassiker von Grillparzer, Molière und Schiller wurden ins Programm aufgenommen, sodass das Theater schließlich in THEATER DER JUGEND umbenannt wurde. Ab 1959/60 fand das Theater einen festen Spielort in der Reitmorstrasse, und im Dezember 1967 konnte nach mehr als 2.000 Vorstellungen die einmillionste Besucherin begrüßt werden.

Erst 1969 ging der Wunsch von Sigfrid und Annemarie Jobst in Erfüllung: Ihr Theater wurde von der Landeshauptstadt München übernommen. Allerdings konnten beide die gesicherte finanzielle Situation ihrer Lebensleistung nicht genießen, denn ihr persönlicher Vertrag wurde nicht verlängert. Es war die Zeit des großen Aufbruchs und der Spirit der beiden Gründer nicht mehr gefragt. Bis zu ihrem Lebensende konnten sie diese Entscheidung nicht verschmerzen.

 

Grips gegen Grimm (1969 – 1973) Norbert J. Mayer

Es war die Zeit des rebellischen, emanzipatorischen Theaters, inspiriert vom Berliner GRIPS THEATER. Die Märchen der Brüder Grimm galten als veraltet und realitätsfern. Als neuer künstlerische Leiter wurde Norbert J. Mayer berufen. Er wollte das Theater zu einem Kommunikationszentrum machen, zu einem Ort der Provokation und des Protests. Stücke trugen Titel wie „Oder auf etwas schießen bis es kaputt ist“ oder „Besser keine Schule als ....“ und markierten schon durch die Titel eine neue Aufbruchstimmung.  Ein wissenschaftlicher Beirat unterfütterte die Arbeit mit der neuesten Pädagogik- und Soziologie-Literatur, und selbstverständlich wurde das Haus als Mitbestimmungstheater geführt.

Die unterschiedlichen Kräfte und Interessen führten zu hohen Reibungs- und Qualitätsverlusten. Immer wieder kam es zu Konflikten mit dem Kultusministerium, dem Schulreferat und sogar der Brandpolizei (wegen des Einsatzes von Räucherstäbchen während eines Konzerts), sodass Norbert J. Mayer 1973 seinen Posten aufgab. In seiner Ära entstanden knapp 20 Inszenierungen, die vorwiegend von Schauspiel-Schülern der Otto-Falckenberg-Schule gespielt wurden.

 

Bildphantasie gegen Wohnküchenrealismus (1973 - 1975) – Hedda Kage & Iven Tiedemann

Hedda Kage und Iven Tiedemann gaben als gemeinsame künstlerische Leiter nur ein kurzes Gastspiel. Beide hatten nur geringes Interesse an Lehrplan und Unterrichtsbegleitung, sie wollten Theater als Erlebnis definieren, möglichst nicht nur für den organisierten Vormittagsbesuch durch Klassen, sondern auch für die ganze Familie freiwillig am Abend. Damals wurden sie als ‚Fellini des Kindertheaters’ bezeichnet und das war als Denunziation gemeint. Mit ihrer Programmatik, wonach die Schauspieler keine Sozialarbeiter mehr sein sollten, stellten die beiden den stilistischen Neubeginn der Presse vor. Vielleicht waren die beiden ihrer Zeit voraus, denn was sie postuliert haben, findet inzwischen völlig selbstverständlich statt: Theater für alle Generationen, auch am Abend mit Stoffen, die sich nicht auf Unterrichtseinheiten beschränken. Und wenn die SCHAUBURG heute als ‚Fellini des Kindertheaters’ tituliert würde, dann wäre uns das eine Ehre. (Nur nebenbei: Im Januar 2016 wird Beat Fäh La Strada (dazu gibt es noch keinen Link) von eben diesem Federico Fellini für Jugendliche bearbeiten.)

Auch in anderen Punkten waren die beiden Avantgarde. Obwohl sie sich einerseits nicht als ‚Schulversorger’ vereinnahmen lassen wollten, initiierten sie gleichzeitig eine neuartige Zusammenarbeit mit Schulen und Lehrern, die inzwischen ganz selbstverständlich ist: Jugendclubs, Arbeitskreise mit Lehrern und Lesungen, Stücke, bei denen ‚Experten des Alltags’ mitspielten. Damals gab es diesen heute gängigen Begriff noch gar nicht, aber in „Ein Fest bei Papadakis“ von Volker Ludwig standen nicht nur griechische Musiker auf der Bühne, sondern es spielten ‚echte’ Türken und Griechen mit, und an Ostern wurde ein großes Fest mit echtem Lammbraten gemeinsam mit den Zuschauern auf der Bühne gefeiert.  

Eigentlich schade, dass beide zu wenig Unterstützung hatten und nach zwei Jahren das Haus verließen. Am Ende ihrer Intendanz wurde auch noch das Theater in der Reitmorstrasse aus feuerpolizeilichen Gründen geschlossen.  (mehr S. 34 – 43 incl.)

 

Mobilität gegen Guckkastentheater (1975 – 1980) Jens Heilmeyer

Ohne festen Spielort begann für Jens Heilmeyer die Leitung des THEATERS DER JUGEND. Das alte Haus war bereits geschlossen und das neue am Elisabethplatz noch nicht fertig. Kein Problem für ihn und sein Team: Man spielte einfach mobil in ganz München: Unaufwendige Produktionen wurden in Schulen und Freizeitheimen gezeigt. Bleibenden Eindruck für lange Zeit allerdings hinterließ die dreiteilige Serie rund um „Oma Stingl“  in ganz München. Mit großen Masken und ausdrucksstarker Comictechnik wurde drei Jahre im Sommer kostenlos auf Straßen und Plätzen gespielt, um das Theater bis zur Eröffnung des neuen Gebäudes in Erinnerung zu halten. Allerdings war Jens Heilmeyer mit seiner Mannschaft gar nicht glücklich über die Architektenpläne. Sie wollten aufgrund ihrer Erfahrungen mit dem berühmten New Yorker La MaMa Theatre ganz anders arbeiten als das auf einer traditionellen Guckkastenbühne mit Rampe und Vorhang möglich ist. 

Aber genau so ein traditionelles Theater war das Haus am Elisabethplatz geworden mit fester Bestuhlung, Plätzen auf dem Rang und Rückenlehnen, die so hoch waren, dass kleine Kinder nicht drüber schauen konnten. Ob es an den architektonischen Unzulänglichkeiten oder am Programm lag, ist nicht geklärt. Sicher allerdings ist, dass die Inszenierungen zu wenig Anklang bei Schulbehörden, Eltern und Lehrern fanden. Als das berühmte Aufklärungsstück „Was heißt hier Liebe?“ des Berliner Theaters ROTE GRÜTZE  auf den Spielplan gesetzt wurde, verbot das Kultusministerium den klassenweisen Besuch am Vormittag. Dieses Verbot führte dazu, dass die Schüler entgegen allen Erwartungen freiwillig am Abend kamen und die Vorstellungen immer voll waren. Dennoch wurden die Restriktionen und der Kampf ums Geld immer heftiger. Jens Heilmeyer setzte ein Ultimatum, die Stadt kündigte seinen Vertrag. (mehr S. 46 – 57)

 

Imagination gegen Instrumentalisierung (1980 – 1989) Jürgen Flügge

Der nächste Leiter verließ das Theater erst nach neun Jahren. Es war Jürgen Flügge, der Jens Heilmeyer nachfolgte. Flügge kannte das Haus und seine Klippen aus seiner Zeit als Assistent seiner Vorgänger sehr gut. Deshalb konnte er einen Bogen spannen von der künstlerischen Suche aus der Zeit von Kage/Tiedemann über das politische Theater von Heilmeyer bis zu ganz neuen aktuellen Strömungen der Achtzigerjahre, die vorwiegend aus den skandinavischen Ländern nach Deutschland schwappten: Das Bild von Kindheit hatte sich inzwischen verändert. Im Zuge gesellschaftlicher und pädagogischer Strömungen als Folge der Achtundsechziger-Bewegung hatte sich das so genannte emanzipatorische Kinder- und Jugendtheater entwickelt, das sich abgrenzte gegen das traditionelle Weihnachtsmärchen. Kinder sollten Gleichberechtigung, Ausgleich zwischen Arm und Reich und Nord und Süd durch einen Theaterbesuch verstehen, um klügere, emanzipiertere, demokratischere, tolerantere Bürger zu werden. Der wichtigste Erziehungspartner war die Institution Schule. 

Seit den Achtzigerjahren hatte sich die Haltung der Kinder- und Jugendtheatermacher weiter entwickelt. International ging es nicht mehr darum, Weltverbesserung in die Hände der jungen Generation zu legen. Vorrangig in Schweden, Dänemark, Holland und Belgien entstand eine breite Palette von AutorInnen, RegisseurInnen, SchauspielerInnen, die den (in den genannten Ländern gut subventionierten) Bereich des Kinder- und Jugendtheaters als großartiges Theaterexperimentierfeld ansahen, das nicht beschnitten wurde durch die Frage: ‚Verstehen Kinder das?’

In diesen internationalen Arbeiten fand Jürgen Flügge Inspiration. Konsequenterweise zeigte er in den bis dahin größten Festivals für Kinder- und Jugendtheater SCHAUSPIELE 85, 86 und 88 aufsehenerregende Arbeiten aus der ganzen Welt, die nachhaltig die deutsche Szene beeinflussten.
 

Einer seiner Schwerpunkte war die Förderung von Autoren, die diesen neuen Geist mittrugen (Rudolf Herfurtner, Wilfrid Grote), und er gründete damals bereits ein eigenes Türkisches Theater unter der Leitung von Erman Okay.

Aber manche Problemzone erbte er von seinem Vorgänger. Vorgesetzter eines jeden künstlerischen Leiters war der Intendant der Münchner Kammerspiele, damals Hans Reinhard Müller. Ihm mussten alle Projekte, Stücke, Themen vorgelegt werden, und in den Kammerspielen wurde auch über das Geld entschieden. Erst als 1983 Dieter Dorn Intendant wurde, sprach dieser sich für die künstlerische Unabhängigkeit des Theaters der Jugend aus. Jürgen Flügge wurde Intendant und bekam die künstlerische und finanzielle Unabhängigkeit.   

Ein weiterer Grund für Unzufriedenheit war die Architektur des Theaters am Elisabethplatz. Die Klagen von Jens Heilmeyer über eine starre, zuschauerfeindliche Architektur wurde durch die skandinavischen Einflüsse bestätigt und verstärkt. Dort wurden mobile Räume gebaut, die sich an der Ästhetik der Stücke und den Bedürfnissen der jungen Zuschauer orientierte. Als Jürgen Flügge mit seiner wiederholten Forderung nach entsprechenden Umbauten immer wieder vertröstet wurde, kündigte er seinen Vertrag. Erst unter der Intendanz von George Podt wurde das Gebäude in ein perfektes, multifunktionales Theater umgebaut. (Mehr Seite 60 – 87)

 

Öffentlichkeit gegen Intendanz (1989 – 1990) Barbara Fischer

Nach dem Weggang von Jürgen Flügge entschied der Stadtrat, die Leitung an jemanden zu übergeben, die bis dahin in einem völlig anderen Bereich gearbeitet hat und keinerlei Erfahrung mit der Leitung eines Theaters mitbrachte. In einem heute längst vergessenen politischen Tauschgeschäft wurde Barbara Fischer die neue Intendantin.

Sie schaffte es innerhalb weniger Wochen, so viel Widerstand und Protest bei den Mitarbeitern des Theaters, in der Öffentlichkeit und bei den Medien gegen ihre Person zu entfachen, dass sie nach 6 Monaten die Flinte ins Korn warf. (mehr S. 88 – 91)   

 

Kompliziertheit gegen Vereinfachung (seit 1990) George Podt

Auf Bitten des damaligen Kulturreferenten Siegfried Hummel erkundigten sich der damalige Intendant der Münchner Kammerspiele Dieter Dorn und sein Dramaturg Hans-Joachim Ruckhäberle in der ihnen unvertrauten Kinder- und Jugendtheaterszene, wer denn wohl geeignet sei, das Theater der Jugend wieder flott zu kriegen. Nach ausführlichen Recherchen schlugen sie George Podt vom international renommierten Kindertheater WEDERZIJDS aus Amsterdam vor.

 

Die Bezeichnung Theater der Jugend hatte immer wieder zu Missverständnissen geführt. Einerseits glaubten Bürger, nur als Jugendlicher dieses Theater besuchen zu können, andererseits erwarteten viele Eltern junger Kinder keine Vorstellungen für Kindergarten- und Grundschulalter am Elisabethplatz. Daher beschloss George Podt gleich nach Amtsantritt eine Namensänderung zurück zum alten Begriff SCHAUBURG.  (mehr S. 92 – 105 und Archive)

 

Vom Kino zum Theater – Die Geschichte des Gebäudes

Das Gebäude am Elisabethplatz im Stadtteil Schwabing-West wurde 1926 als Kino unter dem Namen  SCHAUBURG gebaut. Direkt nach dem Zweiten Weltkrieg wurde es kurzzeitig ein Operettentheater, das allerdings schnell Konkurs anmelden musste. 1967 bauten die damals legendären Brüder Anusch und Temur Samy die SCHAUBURG zur berühmtesten Diskothek Europas um, dem BLOW UP. Die Lightshow war einmalig und legendär: 250 Scheinwerfer reagierten auf den Rhythmus der Musik. Das hatte man bis dahin noch nicht erlebt. Im Stil des New Yorker Guggenheim Museums war eine an den Außenwänden entlangführende Gangway eingebaut, die auf verschiedenen Ebenen in Plattformen mündete. Im Saal konnten bis zu 2.000 Menschen tanzen, die Bands spielten auf den Plattformen. Pink Floyd, Yes und Künstler wie Jimi Hendrix und Sammy Davis Jr. traten auf. Doch 1972, nach 5 Jahren war Schluss. 

Eine Supermarkt-Kette interessierte sich für das leerstehende Gebäude. Anwohner und Bezirksausschuss sahen den gegenüberliegenden Elisabethmarkt dadurch in Gefahr. 1973 gründete sich die „Bürgerinitiative Kurfürstenplatz/Westschwabing“, die dafür kämpfte, dass das Gebäude dem heimatlos gewordenen Theater der Jugend eine Bleibe bieten sollte.

Ein engagierter Wortführer war der spätere Oberbürgermeister Christian Ude. Die Stadt kaufte das Gebäude, um es als kommunales Kinder- und Jugendtheater zu betreiben.

1977 konnte es als Theater der Jugend mit der Vorstellung „Das Märchen vom Starken Hans“ (siehe Seite 51) eröffnet werden. Allerdings waren die Theaterleute nicht glücklich mit den architektonischen Lösungen. Fast konnte man den Eindruck bekommen, dass dort ein kinderfeindliches Theater gebaut wurde (siehe Seite 47). Deshalb verstummten die Forderungen nach Korrekturen und Verbesserungen nie (siehe Seite Seite 75). 1990 wurde dann auch noch Asbest im Haus entdeckt. Die Entsorgung dieses krebserregenden Baumaterials wurde mit dem Umbau zu einem zuschauerfreundlichen modernen Theater kombiniert. Alles ging glatt, bis der damalige Oberbürgermeister Kronawitter bemerkte, dass ein großer Teil des Gebäudes abgerissen worden war. Da er die Sanierung sowieso viel zu teuer fand, schlug er vor, das Grundstück zu verkaufen und das Theater mobil durch Turnhallen und Klassenzimmer tingeln zu lassen. Der große Sturm der Entrüstung bei Münchner Bürgern und der lokalen Presse führte dazu, dass dieser Plan fallen gelassen wurde. Seit 1993 genießen Zuschauer und Mitarbeiter die Möglichkeiten des inzwischen wieder in SCHAUBURG umbenannten kommunalen Kinder- und Jugendtheaters am Elisabethplatz.