Secret Garden

Dauer

100 Minuten

Alter

Ab 14 Jahren

Premiere

09. März 2014

Tanztheater von Johanna RichterWer kennt es nicht, das Zuviel an Eindrücken, das Zulaut an Geräuschen, das Zuschnell an Informationen. Es begleitet uns Tag für Tag auf jedem Weg. Alles ist "to go" – der Kaffee, das Telefon, der Lieblingssong – für nichts muss man anhalten, zur Ruhe kommen – alles ist ständig in Bewegung. Doch was ist, wenn es still wird, keiner mehr drängt, nichts mehr treibt? Wenn man plötzlich umgeben ist von einem riesigen allumfassenden "Funkloch"?

Nächste Termine

Gejagte und Getriebene

Wer kennt es nicht: das Zuviel an Eindrücken, das Zulaut an Geräuschen, das Zuschnell an Informationen. Es begleitet uns Tag für Tag auf jedem Weg. Alles ist „ to go“ – der Kaffee, das Telefon, der Lieblingssong – für nichts muss man anhalten, zur Ruhe kommen – alles ist ständig in Bewegung.
Als das Meinungsforschungsinstitut Allensbach im Jahr 2009 die Deutschen fragte, was sie an ihrem Charakter am liebsten verändern würden, wünschten sich die meisten, sie wären gerne „viel ruhiger“. Und auf der Liste der guten Vorsätzen zum Jahreswechsel stehen ganz oben „Stress vermeiden“ und „mehr Zeit haben für Freunde“.

Generalpause

Doch was ist, wenn es still wird, keiner mehr drängt, nichts mehr treibt? Wenn man plötzlich umgeben ist von einem riesigen allumfassenden „Funkloch“?

Was macht man dann? Wer ist man dann noch? Derselbe, der überall vernetzt und immer erreichbar ist, der in jeder Minute weiß, was in der entlegensten Ecke der Welt passiert? Derselbe, der abends mit seinen Freunden ausgeht und versucht das zu sein, was andere in ihm sehen, oder was er die anderen gerne glauben machen möchte? Vielleicht?! Wer weiß?! Womöglich lässt sich in dieser unbekannten Ruhe auch etwas anderes finden, etwas, was man schon längst vergessen, oder sich immer gewünscht hat. 

„Aus der Hirnforschung weiß man inzwischen, dass das menschliche Gehirn dringend Phasen des Nichtstuns braucht, dass ein gewisser Leerlauf im Kopf für unsere geistige Stabilität sogar geradezu unabdingbar ist.

Allerdings haben wir die hohe Kunst des Nichtstuns weitgehend verlernt. Das abschätzige Wort vom Müßiggang, der angeblich aller Laster Anfang sei, steckt uns derart tief in den Knochen, dass wir dem gestressten Karrieremenschen gesellschaftlich mehr Bewunderung entgegenbringen als dem genügsamen Lebenskünstler. (...) Wir betrachten es als Vorteil, wenn uns ein neues digitales Gerät (...) noch mehr Optionen eröffnet, uns noch mehr Informationskanäle erschließt – als ob es immer noch darauf ankäme, die Quantität der verfügbaren Informationen zu steigern und nicht ihre Qualität.“ (aus: Ulrich Schnabel, Muße – vom Glück des Nichtstuns)

 

Glücksuche

Der SECRET GARDEN in unserer Fantasie könnte ein Ort sein, an dem alles anders ist, an dem man frei ist von allem, was einen sonst bestimmt. Es könnte ein Ort der Entschleunigung, der Muße sein, ein Ort inspirierender Gespräche und des entspannten Nichtstuns, des Versunkenseins oder der Absichtslosigkeit. Vielleicht ein Ort des Glücks.  

Doch erst einmal sind wir vor dem Eingang zu einem Club. Es ist Nacht, es ist ungemütlich. Wir treffen auf Nachtschwärmer, die wir alle irgendwie kennen: Das nicht mehr ganz so verliebte Pärchen, der Türsteher mit den breiten Schultern, die schöne Blonde, die allen den Kopf verdreht, der Einzelgänger, der überall ist und nirgends, der sympathische Spüler aus dem Club, der die Nacht lang arbeitet und gern mal Pause hätte und der geheimnisvolle Unbekannte, um den alle irgendwie einen Bogen machen.

Wir sehen sie flirten, über Bagatellen streiten, in ausgelassener Partylaune übermütig Freizeit genießen und amüsieren uns über die Missverständnisse, die entstehen, wenn keiner dem anderen richtig zuhört, oder sich Zeit nimmt, Kleinigkeiten zu klären. 
Drinnen im Club herrscht beste Stimmung. Irgendjemand feiert um Mitternacht sogar seinen Geburtstag. Aber unsere Figuren sind nicht eingeladen, sondern verstricken sich draußen vor der Tür immer mehr in ihre Probleme. 
Dann kommt der Vollmond hinter den Wolken hervor und es wird plötzlich ganz still…

Gedanken

In SECRET GARDEN stehen drei Schauspieler/innen und vier Tänzer/innen auf der Bühne. Sie erzählen zusammen eine Geschichte und das nicht nur durch Worte, sondern durch Situationen, die sie spielen, tanzen und als real erkennbare Figuren erleben. Das ist zum Teil sehr komisch, weil wir uns und uns bekannte Situationen wiedererkennen. 

So kann jeder Zuschauer diese Geschichte verstehen, auch ohne Seh-Erfahrung mit dem Medium Tanztheater. Man könnte sagen, es ist wie das Wort selbst eine Mischung aus Tanz und Theater. Man erlebt nie nur Tanz und nie nur Theater. Beides zusammen erzählt die Geschichte. Und die Geschichte von SECRET GARDEN ist wie ein Märchen, in das wir uns alle hinein träumen können.

Doch das Paradies ist verriegelt und der Cherub hinter uns;
wir müssen die Reise um die Welt machen und sehen,
ob es vielleicht von hinten irgendwo wieder offen ist.

(Heinrich von Kleist: Über das Marionettentheater)

Dieses Zitat war der Ausgangspunkt für Johanna Richters neue Arbeit: Es gibt eine Zeit der Unschuld, des Nichtwissens, des naiven „Einfach so Seins“, bis man sich plötzlich im Spiegelbild erkennt, und ab da ist nichts mehr wie es vorher war. Das Außen, der Andere, das Gegenüber wird mächtiger als das eigene Empfinden, das spontane Reagieren und das unmittelbare Sein.

Unsere Gesellschaft hat sich immer mehr und immer schneller in immer mehr Netze verstrickt, sodass man nur schwer dazu kommt, sich selbst als unabhängiges Individuum zu erleben. Zu viel rast an uns vorbei und fordert immer wieder, auf äußere Gegebenheiten zu reagieren. Sollten die Ruhe und das Innehalten im Augenblick das Paradies sein, so haben wir uns weit davon entfernt.

Laut Kleist ist eigentlich nur noch die Marionette in der Lage, das naive Sein zu verkörpern und darin die Schönheit des Augenblicks einzufangen. Der Mensch, der sich selbst reflektiert und fremd bestimmen lässt, kann kaum mehr diese Unmittelbarkeit erlangen. Aber er sehnt sich danach, das Paradies zu betreten. Es beginnt eine lange Reise der Hoffnung, eine Tür dorthin zu finden. Der SECRET GARDEN ist vielleicht dieses verlorene Paradies. Die Sehnsucht ist der Lotse, die Hoffnung der Motor und der Körper das Gefährt auf dieser Reise.

Nach dem sensationellen Erfolg von INTIMATE STRANGER beschreibt die Choreographin und Regisseurin Johanna Richter mit (fast) demselben Team in ihrer neuen Produktion wieder das Lebensgefühl und die Sinnsuche – nicht nur – von Jugendlichen.

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