Leonce und Lena

Dauer

80 Minuten

Alter

Ab 15 Jahren

Premiere

28. Mai 2005

Ein Lustspiel von Georg Büchner Als 23-jähriger nahm Büchner an einem Preisausschreiben der Cotta’schen Buchhandlung für das beste Lustspiel teil. So entstand "Leonce und Lena", ein Kaleidoskop literarischer Anspielungen und Zitate um zwei junge Leute, die einander verlobt sind ohne sich zu kennen. Unabhängig von einander beschließen sie, vor den elterlichen Plänen die Flucht zu ergreifen. Der Zufall will, dass sie sich unterwegs begegnen und ineinander verlieben, aber diese Gefühle haben nichts mit den ursprünglichen Absichten, Forderungen und Anforderungen der Eltern zu tun.

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Das Stück

"Leonce und Lena" wirkt wie eine Parodie auf damals gängige Komödienschemata: Prinz Leonce und Prinzessin Lena sind einander verlobt ohne sich zu kennen. Unabhängig von einander beschließen sie, vor der Hochzeit zu fliehen. Im zweiten Akt treffen und verlieben sie sich, und im dritten heiraten sie, um sich erst anschließend als diejenigen zu erkennen, die sich von vorn herein versprochen waren.

Büchner bemühte sich nicht, den Verlauf der Geschehnisse nach den Gesetzen eines dramaturgischen Aufbaus zu entfalten. Die einzelnen Momente der Handlung – der Entschluss zur Flucht, die Begegnung der Flüchtenden und die Entscheidung zur Heirat – werden nicht entwickelt, sondern setzen abrupt ein. Leonce verkündet spontan seine Absicht, nach Italien zu gehen und dort als Faulpelz zu leben. Lena lässt sich von der unvermittelten Idee ihrer Gouvernante leiten, den Hof zu verlassen. Lenas erster Satz ist Anlass für Leonce, sich in sie zu verlieben und auch die Ehe wird unvermittelt geschlossen.

Was die Sprunghaftigkeit seiner Erzählweise betrifft, ist Büchner fast mit einem zeitgenössischen Autor vergleichbar. Man kann den Eindruck gewinnen, er sei in seinem Schreiben viel mehr von Videoclips beeinflusst als von dem Versuch, Bühnenhandlung aus der Psychologie der Figuren zu entwickeln. Diese Feststellung ist für uns allerdings kein Grund gewesen, die Sprache zu verändern. Nichts wird sprachlich vereinfacht, aktualisiert oder modernisiert.

Ein Lustspiel?

"Leonce und Lena" ist gemäß den Ausschreibungs-Bedingungen des Verlages ein Lustspiel. Aber es ist noch viel mehr. Glücklicherweise besteht ein  Klassiker aus vielen unterschiedlichen Aspekten und Schichten, die unterschiedlich gültig sind und entsprechend verändert werden müssen.

Wenn man sich Büchners Biographie vergegenwärtigt, wird klar, warum er es in seinem Stück nicht bei romantischen Tändeleien belassen konnte. In dem scheinbar unpolitischen Genre ging er innerhalb der Gattungsmöglichkeiten bis an die äußersten Grenzen. Der Literaturwissenschaftler Hans Mayer formulierte, die "Grundstimmung" des Stücks sei "nicht fröhlicher Mutwillen oder heiter lächelnder Spott, sondern Hass." Büchners Abrechnung mit dem Zeitgeist und der politischen Situation erscheint uns keine relevante Botschaft heutzutage.

Unsere Theaterarbeit richtet sich zu erst an Jugendliche. Unter diesem Gesichtspunkt haben wir andere Aspekte und Schichtungen bei "Leonce und Lena" gefunden: Der suchende Sohn im Konflikt mit einem ihm die Aufmerksamkeit verweigernden Vater war unser Untersuchungsschwerpunkt.    

Zwar wird bei Büchner am Schluss die Unveränderlichkeit der Verhältnisse zementiert, zugleich aber lässt er Valerio ein utopisches Bild von Gesellschaft entwickeln: "Ich werde ein Dekret erlassen, dass, wer sich Schwielen an die Hände schafft, unter Kuratel gestellt wird, dass, wer sich krank arbeitet, kriminalistisch strafbar ist, dass Jeder, der sich rühmt, sein Brot im Schweiße seines Angesichts zu essen, für verrückt und der menschlichen Gesellschaft gefährlich erklärt wird, und dann legen wir uns in den Schatten und bitten Gott um Makkaroni, Melonen und Feigen, um musikalische Kehlen, klassische Leiber und eine kommode Religion!"  Und Leonce ergänzt: "Und morgen fangen wir in aller Ruhe und Gemütlichkeit den Spaß noch einmal von vorne an."

Auf diese Lebenszugewandte Vereinbarung verständigen sich Leonce, Lena, Valerio sowie die Gouvernante, denn die Frage, wie wir uns zu den Abgründen des Scheiterns verhalten, wie wir die Niederlage nicht nur als Niederlage sondern als Erfahrungsdepot gegen Mangel, das "objektive Grau" und die frühe Vergreisung verstehen, dieser Frage müssen wir uns immer wieder aufs Neue stellen.
 

Generationendialog

Anlässlich seiner Rede zur Verleihung des Büchnerpreises 2004 stellte Wilhelm Genazino fest: "Büchner hat gewusst, wie töricht es ist, Langeweile auszublenden oder gar bekämpfen zu wollen. Er lässt Leonce und Lena geduldig durch ihre Langeweile hindurchgehen. Die beiden erleben, was der Ennui mit ihnen macht, welche Verwandlungsideen er ihnen eingibt. Die Figuren werden dabei von sich selbst entfernt und kehren dann, mit neuartigen Bildern beschenkt, zu sich zurück."

Man merkt es sofort, Genazino ist ein Befürworter des Langeweile-Erlebens. Für die meisten Menschen allerdings ist Zeit heutzutage so einzigartig, dass die Langeweile keinen Platz mehr hat. Zeit ist kostbar und muss unbedingt bestmöglich genutzt werden. Möglichst mit Tätigkeiten, die wir als sinnvoll begreifen. Nun ist es allerdings so, dass Erwachsene andere Beschäftigungen sinnvoll nennen als junge Menschen. Während Eltern von Hausaufgaben und Zukunftsorientierung reden, würden Jugendliche lieber nichts tun und gleichzeitig über sich nachdenken. "O, wer einmal jemand anders sein könnte" wünscht sich Leonce und spielt mit dem Gedanken des Persönlichkeitstausches. Er möchte ein anderer sein, gleichzeitig aber doch Leonce bleiben, möchte wissen, wie man zu sich steht, wenn man gleichzeitig ein anderer würde.

Ist dagegen die Gedankenwelt des Vaters nicht geradezu banal: "Der Mensch muss denken und ich muss für alle anderen denken, denn sie denken nicht. Die Substanz ist das 'an sich', das bin ich."? Diese Selbstzufriedenheit des Vaters macht Leonce unglücklich und einsam, was sich erst mit Valerios Auftauchen ändert.

Auch Lena zeigt mehr Lebensklugheit als ihre abwesenden Eltern, die sie verheiraten wollen. "O Gott, ich könnte lieben, warum nicht. Man geht ja so einsam und tastet nach einer Hand, die einen hielte, bis die Leichenfrau die Hände auseinander nähme und sie jedem über der Brust faltete. Aber warum schlägt man einen Nagel durch zwei Hände, die sich nicht suchten?"

Da die Elterngeneration keine Wahrnehmungssensibilität für die existentiellen Fragen der Jugend hat, müssen diese sich zu Dritt auf den Weg machen, um selber Antworten zu finden. Nur die Gouvernante ist mit von der Partie, wenn es heißt: "Und morgen fangen wir in aller Ruhe und Gemütlichkeit den Spaß noch einmal von vorne an." Es lohnt sich!

Che Famo

Che famo, im Italienischen umgangssprachlich für Was tun wir? steht in Glühbirnchen-Schrift über dem Bühnenbild. Inspiriert wurden wir zu dieser Aufforderungsfrage durch den Autor selber, der den ersten beiden Akten seines Stücks jeweils ein Zitat (aus Shakespeares "Wie es Euch gefällt" bzw. Adalbert von Chamisso) vorangestellt hat.

In unserer Lesart von "Leonce und Lena" war dieses Was tun wir? die wichtigste Frage, die die drei jungen Leute Leonce, Lena und Valerio umtreibt, – und zwar jeden auf seine ganz eigene Art: Was kann Leonce tun, um die Aufmerksamkeit seines Vaters zu gewinnen? Wie schafft er es, von diesem Antworten auf seine Lebenssinn-Fragen zu bekommen?

Was kann Lena tun, um ihre Verheiratung zu verhindern? Wäre Selbstmord eine Lösung? Und Valerio, das Schlitzohr, ist damit beschäftigt, herauszufinden, was er tun muss, um sein Leben nach eigenen Vorstellungen zu gestalten.
Diese Suche endet nie. Am Schluss des Stücks, wenn Leonce und Lena verheiratet sind und der alte König das Reich an seinen Sohn übergibt, fragt Prinz Leonce die Prinzessin, was sie denn nun gemeinsam mit der ihnen zugefallenen Macht anfangen wollen.

Für uns kommt hier ein Thema ins Spiel, das heutzutage eben so viel Brisanz hat wie zur Entstehungszeit des Stücks Büchners Kritik am Staat: Nämlich die Schwierigkeiten im Umgang mit der Macht des Geldes.

Valerio wirft die Frage auf, ob es überhaupt eine ehrliche Art gibt, sein Geld zu verdienen, um sofort die Macht als Staatsminister an sich zu reißen. Die Gouvernante bricht für einen Augenblick aus ihrem Dienstboten-Kosmos aus und lässt sich zu dem Gedanken hinreißen, dass man vielleicht nur dann ehrlich bezahlt ist, wenn man stiehlt. Lena stellt die Grundsätze christlichen Glaubens in Frage und sogar der grüblerische Leonce hat so viel Lust an der selbständigen Suche nach dem Sinn im Leben gefunden, dass er vorschlägt "Und morgen fangen wir in aller Ruhe und Gemütlichkeit den Spaß noch einmal von vorne an."

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