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Der Polenweiher

Dauer

90 Minuten

Alter

Ab 14 Jahren

Premiere

24. Juni 1993
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Thomas Strittmatter zu „Polenweiher“

„Anna, eine in den Schwarzwald dienstverpflichtete Magd, wird tot in einem Weiher gefunden. Ganz besonders schlimm nimmt der Vorfall Rot mit, einen ehemaligen Landstreicher und Korbflechter.
Rot findet recht bald heraus, daß Hungerbühler, der Bauer, bei dem er als „Schlafgänger“ wohnt, für Annas Tod verantwortlich ist.

Auch der Kommissar, der in dem Fall ermittelt, ist recht bald im Bild; zum einen aber findet er Gefallen an Hungerbühlers Frau Antonia, zum anderen sieht er den nahenden Zusammenbruch voraus und braucht einen Unterschlupf, den er in dem abgelegenen Schwarzwaldhof zu finden hofft. Außerdem wäre es peinlich, wenn von dem Fall etwas an die Öffentlichkeit käme, denn es widerspräche der Nazipropaganda über die Lage der Ostarbeiter.
Rot reagiert mit einem körperlichen Zusammenbruch profaner Art: Darmverschluß.

Da bald das ganze Dorf über Hungerbühlers Tat Bescheid weiß, da er auch mit seinen Gewissenskonflikten zwischen Nazi-Ideologie und Menschlichkeit nicht mehr zurecht kommt, meldet er sich an die Front. Er fällt bald.
Rot stirbt an seiner Krankheit.

Der Plan des Kommissars gelingt, er kann bei Antonia Unterschlupf finden.
Bei einem Nachspiel erhält der Kommissar vom CIC (Counter Intelligence Corps) – der Organisation, die Nazi-Verbrechen ahndet – den begehrten „Persil-Schein“.
Danach ist er nicht mehr an Antonia interessiert. Seiner weiteren Laufbahn als Polizeibeamter steht nichts mehr im Wege, da durch einen Brand kompromittierende Akten vernichtet wurden.

Der Figur des Joachim Rot und auch dessen seltsamen Schicksal liegt eine authentische Gestalt zugrunde: Der „Rot-Jockel“, den mein Vater noch gekannt hat. Nach seinem Tod wurden in seiner Kammer Hunderte von Bierflaschen gefunden, die er mit seinem eigenen Harn gefüllt hatte.“

...Schweigen ist Gold

Das Stück spielt zwischen 1943 und 1946 im Schwarzwald und zeigt, wie die Ermittlungen zum Tod einer jungen Polin im Sande verlaufen.
„Er schwätzt net viel“ sagt die Bäuerin Antonia Hungerbühler über den Rot-Jockel. „Net viel schwätze“ scheint das oberste Gebot der Gemeindeordnung zu sein, das von allen befolgt wird. Nichts wahrhaben wollen, keine Fragen stellen, ein dumpfes, ungutes Gefühl haben, ohne zu handeln, das zeichnet die Dorfbewohner übereinstimmend aus.
Das Unglück der jungen Frau ist nichts, worüber man reden oder gar richten sollte. Obwohl jeder zu wissen glaubt, was vorgefallen ist. Dumpfes Wegsehen statt couragierter Wahrheitssuche prägt die Persönlichkeit aller. Die Gründe dafür sind individuell ganz verschieden, teils sogar verständlich. Die Folgen sind trotzdem verheerend, und zwar für lange Zeit.

Der Rot-Jockel zum Beispiel. Er war Landstreicher. Dafür konnte man im Dritten Reich ins KZ eingeliefert werden. Seit 5 Jahren hat er auf dem Hof vom Hungerbühler Bleibe und Auskommen gefunden; ihm verdankt er viel. Er ist kein großer Redner. Wenn er zum Kommissar ginge und sagte, was er weiß, ihm würde man doch nicht glauben. Da frißt er sein Wissen lieber in sich rein – so lange, bis es zu spät ist.

Oder die Hungerbühlerin. Natürlich hat sie bemerkt, daß ihr Mann „die Anna angeschaut hat, wie eine Frau.“ Und daß sie schwanger war, ist ihr auch nicht entgangen. Aber Familie hält doch zusammen. Hinter vorgehaltener Hand reden die Leute von Rassenschande. Darauf steht in dieser Zeit die Todesstrafe. Aber die Anna ist ja schon tot. Den Hof könnte sie ohne Mann gar nicht halten. Dafür hat man ja auch eine Verantwortung. Und wirklich wissen tut sie ja nix. Aber der Herr Kommissar, der tät sie interessieren.
Die Wirtin ist froh, wenn es Gesprächsstoff gibt im Lokal. Dann fließen Most und Bier reicher durch die Kehlen derjenigen, die sich’s Maul zerreißen. Spaß muß sein nach Feierabend. Aber nicht mehr! Das finden die Knechte auch. Und daß man vom Hungerbühler mehr weiß, als dem lieb ist, das ist den Knechten nur recht. Man weiß ja nie, wann dies Wissen nützlich sein kann.

Und der Doktor? Der ist halt der Doktor. Leidenschaftlich in seinem Fach, weniger in seinem Verhältnis zu den Menschen. Er kommt von auswärts und war früher Viehdoktor. Ärgerlich findet er, daß er dem Rot-Jockel nicht helfen kann. Worüber im Dorf geredet wird, da hält er sich raus.

Der Kommissar versucht in diesem Schwarzwälder Dorf zu „überwintern“. Ewig kann das mit den Nazis ja nicht mehr dauern. Er, eine schöngeistige Sprechblase aus Goethe-Zitaten, weiß alles und schwätzt nix. Er schweigt sozusagen für seine Zukunft. Auf diese Weise profitiert er am meisten von dem unangenehmen Unglücksfall. „Weiß der Himmel, wie es passiert ist.“ Der Himmel weiß nix, sondern d’Leut!

Nicht hören - Nicht sehen - Nicht sprechen

Die schnelle Figurenbeschreibung zeigt, warum wir das Stück auf den Spielplan gesetzt haben. Schweigen, Zusehen, glauben, man sei nicht betroffen, das sind Verhaltensweisen in unserem Zusammenleben heute 1993 genauso wie in der Zeit des Stücks.
So unzulässig ein direkter Vergleich zwischen der Zeit des Faschismus und dem heutigen Deutschland auf politischer Ebene wäre, so sehr liegen die Parallelen in soziologischer Hinsicht auf der Hand.

Das Schweigen, das Verdrängen war schon im Dritten Reich eine staatstragende Eigenschaft. Der Holocaust wäre unmöglich gewesen ohne das Wegschauen so vieler. Anstelle von Zivilcourage herrschten zu oft vorauseilender Gehorsam und Blockwart-Mentalität, die mieseste Art des Hinschauens.

Auch nach 1945 ist die moralische Gleichgültigkeit ein prägendes Merkmal des gesellschaftlichen Zusammenlebens geblieben. In den alten Bundesländern wurden die Ärmel hochgekrempelt. Der Blick ging nach vorn. Wer zurückschauen, Erinnerungsarbeit leisten wollte, wurde als Bremser denunziert. Schuldfragen sollten dem Wiederaufbau nicht im Wege stehen.

Und „die Fachleute der Zerstörung vor 1945 wurden ganz selbstverständlich zu den Fachleuten des Wiederaufbaus danach“(Ralph Giordano). Zu unkritisch wurde den großen und kleinen Tätern, der Elite aus Wirtschaft, Industrie und Bürokratie die Absolution erteilt. Erschreckend, daß heute fast vergessen wird, wie per Gesetz ein großer Teil des NS Beamtenapparats in den neuen „demokratischen“ Staat übernommen wurde oder daß kaum einer der NS-Richter oder Staatsanwälte rechtskräftig verurteilt wurde. Das Gebot des Schweigens, des Wegsehens galt noch immer.

Glotzen

Wenn man die Brandanschläge und die Jagd auf Ausländer (wie in Mölln, Rostock oder Hoyerswerda) der letzten beiden Jahre beschaut, kann man nur feststellen, dass sich wenig geändert hat in Sachen bürgerliche Courage, wachsamer Humanität im Alltag. Von Seiten der Politik ist – auch das lehrt die Geschichte – kein glaubwürdiges handeln zu erwarten – allen Lippenbekenntnissen zum Trotz. Es mag wohl war sein, daß jedes Volk die Politiker bekommt, die es verdient. Dem Volk gedient ist mit dieser Erkenntnis nicht.

Nach jedem Brandanschlag auf ausländische Mitbürger beglotzen wir in der sicheren 'Ersten Reihe' die Beileidsgesten und die zur Schau getragene Betroffenheit, das Herunterspielen des Problems unserer Volksvertreter. Jedes mal geben wir uns zufrieden mit einer halbherzigen Suche nach Verantwortung und Schuldigen. Und noch immer lassen wir uns Sand in die Augen streuen durch vorschnelle Patentlösungen.

Nun kann es nicht darum gehen – und schon gar nicht auf dem Theater – lauter Helden zu fordern. Solidarität, Rücksichtnahme, Toleranz, sich einmischen, das sind Verhaltensmuster, die in unserer Raff-Gesellschaft sehr altmodisch klingen, um die es aber geht. Ansonsten bleibt ein Schweigen, das nichts mehr zu sagen weiß zu den Ungeheuerlichkeiten, die weiterhin passieren werden.

Der Autor

Thomas Strittmatter wurde 1961 geboren und stammt aus St.Georgen im Schwarzwald. Er studierte Malerei und Grafik in Karlsruhe und begann mit dem Schreiben von Kunst- und Theaterkritiken in örtlichen Zeitungen. Sein erstes Theaterstück „Viehjud Levi“ reichte er ein beim Wettbewerb für Volkstheaterstücke, den das Baden-Württembergische Wissenschafts- und Kunstministerium ausschreibt und gewann sofort den ersten Preis. Inzwischen ist er nicht nur mit seinen Arbeiten fürs Theater erfolgreich, sondern auch als Hörspiel- und Drehbuchautor (Winckelmanns Reisen, Polenweiher). Sein vielbeachteter Roman „Rabe Baikal“ erschien 1990. Thomas Strittmatter lebt in München.