Seiten, die auf Buddenbrooks verweisen

Dauer

120 Minuten

Alter

Ab 17 Jahren

Premiere

14. April 2007

Für Thomas Buddenbrook ist Pflichterfüllung oberste Maxime. Er tut das, was sein Vater und die Familientradition von ihm erwarten. Er weiß zwar, dass er die Geschäfte des Hauses Buddenbrook anders führen müsste als der Vater - hemdsärmlige Geschäftsmethoden der Konkurrenz bestimmen die neue Zeit - doch er findet den Weg nicht, die vorgegebene Bahn zu verlassen. Das führt zu Selbstzerstörung durch Pflichterfüllung.

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Thomas Mann für ein jugendliches Publikum

„Ich kenne keinen besseren deutschen Prosa-Autor. Keinen einzigen, der ihn übertroffen hätte ... er ist für mich der größte Prosa-Autor in der ganzen Geschichte der deutschen Literatur.“ Mit diesen überschwänglichen Sätzen beschreibt Marcel Reich-Ranicki einen der zweifellos bedeutendsten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts.

Ob die Wertschätzung, die der „Literaturpapst“ Thomas Mann angedeihen lässt, von einer jugendlichen Leserschaft geteilt wird, bleibt zu fragen. Polemisch könnte man behaupten, erst als „Literaturpapst“ sei man ein adäquater Leser für Thomas Manns Werk.

Gleichzeitig ist es eine spannende Herausforderung, jungen Leuten diesen Autor nahe zu bringen. – Auch in Zeiten von Chat und SMS muss es möglich sein, Neugier und Interesse zu wecken für die Mannsche Sprachgewalt, seine Detailbesessenheit und seinen Humor.

Einfach ist das nicht. Aber das liegt nicht an Thomas Mann. Das Eintauchen in literarische Welten der Vergangenheit ist für Jugendliche immer schwer, egal, ob es sich um Grimmelshausen, Goethe, Thomas Mann oder Franz Kafka handelt. Man stelle sich vor, wie ein Schüler im Alter von 16 oder 17 Jahren im Normalfall den Literaturkanon kennen lernt: Auf seinem Sofa liegend, über sich Bilder seiner Lieblingsband oder seiner Sport- und Filmhelden, in den Ohren den MP3 Player mit Musik der Arctic Monkeys oder Snoop Dog greift er zum Buch. Unter solchen Bedingungen ist es fast unmöglich, in den Kosmos von Werther oder der Buddenbrooks einzutauchen. Das leuchtet jedem ein.

Dennoch erscheint es uns lohnend, den Versuch zu unternehmen, junge Leute für komplexe Texte zu interessieren. Und vielleicht kann eine Theatervorstellung bei diesem Versuch Brücken bauen. Vereinfacht könnte man unsere Intention so formulieren: Wenn jungen Leuten oft unklar ist, „was mir Lesen denn bringt“, und wenn es für sie schwer ist, die Lust am Lesen zu entdecken, dann lesen wir ihnen auf der Bühne vor.

Der Regisseur Beat Fäh hat sich meisterhaft als „Theater-Vorleser“ bewährt. Seine Inszenierungen von Steinbecks „Von Mäusen und Menschen“ und Kafkas „Verwandlung“ sind auch nach mehreren Jahren vielen Zuschauern als starke literarisch-theatralische Erlebnisse in Erinnerung. Deshalb trauen wir uns nun an die „Buddenbrooks“.

Unabhängig vom Vermittlungsproblem an ein Jugendtheater-Publikum bleibt zu allererst die Frage: Wie kann man ein vier Generationen und 700 Seiten umfassendes Prosa-Werk ohne größte Beschädigungen auf die Bühne transponieren? Schon vor unserer Premiere haben sich die ersten Skeptiker zu Wort gemeldet. Da trifft es sich gut, dass der Bearbeiter des Stoffes, der renommierte Theaterautor John von Düffel, sich diese Frage ebenfalls gestellt hat. „Ist also eine Dramatisierung der ‚Buddenbrooks’ von vornherein zu einem riesigen literarischen Verlustgeschäft verurteilt?“ fragt er sich im Programmheft der Uraufführungsinszenierung am Thalia Theater Hamburg. In einem Essay (Auszüge daraus im nächsten Gliederungspunkt) formuliert er, welche Prioritäten ihn bei seiner Bearbeitung für die Bühne geleitet haben, wodurch gleichzeitig sehr überzeugende Argumente dafür genannt werden, dass eine Vermittlung dieses Romans und dieses Autors an die junge Generation lohnend sein kann.

John von Düffel: Zur Bearbeitung der „Buddenbrooks

„ (...) Entscheidend für die Gewinn- und Verlustrechnung einer Dramatisierung ist nicht die Quantität des verarbeiteten Materials, sondern die Frage, ob es gelingt, zum Kern der Sache vorzudringen, zum Wesentlichen. Dass dabei viele geliebte Details auf der Strecke bleiben, dass allerhand weggelassen werden muss, von dem man sich nur schweren Herzens trennt, ist nicht per se ein Manko, sondern notwendiger Bestandteil eines Prozesses der Konzentration und Verdichtung. Es kann also bei einer Dramatisierung nicht darum gehen, möglichst viel Stoff unterzubringen, sondern vor allem darum, die Figuren, die Konflikte, die Dreh- und Angelpunkte der Geschichte so klar wie möglich herauszuarbeiten. Insofern spricht der Reichtum und die Komplexität der „Buddenbrooks“ nicht gegen eine Dramatisierung, der Gehalt und die Gültigkeit dieses Romans sprechen dafür.

Über Gedeih und Verderb einer Romanbearbeitung entscheidet der Zugriff, die Wahl des richtigen Winkels: Unter welchen Aspekten, mit was für einem Erkenntnisinteresse wird das Werk betrachtet? Von daher ist eine Dramatisierung immer auch eine Frage nach der Relevanz, nach dem spezifischen Gewicht eine Geschichte heute, nach ihrer inneren – nicht äußerlichen – Aktualität. Und gerade in dieser Hinsicht sind die „Buddenbrooks“ so stark, dass man sich vielmehr die umgekehrte Frage stellt: Warum hat seit über fünfundzwanzig Jahren niemand mehr diese Geschichte, diese Figuren auf die Bühne gebracht?
Zwei Stichworte waren hierfür entscheidend. Das erste lautet: ‚Werte’. Wie kein Zweiter beschreibt Thomas Mann in den ‚Buddenbrooks’ die Geschichte einer bürgerlichen Struktur: ihrer Prinzipien und Zwänge, ihres Überlebenskampfes und ihrer Zerstörung. Die „Buddenbrooks“ sind weit entfernt davon, ein nostalgischer Abgesang auf großbürgerliche Zeiten zu sein, sie sind eine sehr genaue Untersuchung bürgerlicher Werte, ihrer Leistungs- und Lebensfähigkeit, ihrer äußeren Intaktheit und inneren Aushöhlung. In Zeiten des allseits beklagten Werteverfalls gibt es kaum ein relevanteres Werk.

Das zweite Stichwort lautet: ‚Ökonomie’. Das ökonomische Denken beherrscht nicht nur das Leben der Firmenchefs von Anfang bis Ende, alle Familienmitglieder sind Teil des großen Buddenbrookschen Rechenwerks. Die Interessen der Firma stehen über den Glücksvorstellungen, den Interessen und Träumen der Einzelnen. Sie alle müssen sich dem Diktat des Geldes nicht nur unterordnen, sondern das ökonomische Denken mit seinen Gesetzen und Grenzen zu ihrem eigenen machen, es verinnerlichen. Die Sorge um das Firmenkapital, der Ehrgeiz seiner Vermehrung und die Angst vor dem Verlust, dominieren das Reden und Handeln in der Familie. Es gibt kaum ein literarisches Werk von Rang, das die Verzahnung von Geld und Glück, von Biographie und Ökonomie so deutlich zeigt wie die ‚Buddenbrooks’, es gibt kaum eine unerbittlichere Geschichte vom Kaufen und Verkaufen in einer wirtschaftlich turbulenten, sich schnell verändernden Zeit, ‚wo sich jeder Krämerladen in wenigen Jahren zu einer angesehenen Großhandlung entwickeln kann’, wie es bei Thomas Mann heißt. Umgekehrt vollzieht sich aber auch der Abstieg des Traditionsunternehmens ebenso rasant. Wann war die Geschichte dieses ökonomischen Überlebenskampfes und seiner menschlichen Opfer aktueller als jetzt?

Der Verfall der Firma Buddenbrook ist wirtschaftlich klar zu beziffern, und seine menschliche Zerstörungswucht ist erheblich. Dennoch scheint Thomas Mann in dieser Verfallsgeschichte nicht nur Negatives gesehen zu haben. Die ‚Dekadenz’ der Enkelgeneration war für ihn nicht nur ein Zeichen des Verlusts der primären, primitiven Macht- und Geschäftsinstinkte, sondern auf der anderen Seite auch ein Gewinn an Komplexität und Differenzierung. Von Generation zu Generation „verfeinern“ sich die Charaktere: War der hemdsärmlige Firmengründer noch identisch mit dem Willen zur Macht und zum Machen, ist schon sein Sohn, der Konsul, ein schwächerer, pietistischer Charakter, der seine Kraft in Gott sucht. Dessen Sohn wiederum, Thomas Buddenbrook, weiß von Kind an, dass er seine Empfindsamkeit abtöten und Stärke zeigen muss. Er stählt sich regelrecht für das harte, praktische Geschäftsleben, zahlt aber dafür den Preis der Nichtidentität: Außen und Innen, Funktionieren und Empfinden klaffen immer weiter auseinander, so dass Thomas am Ende zum Schauspieler seiner selbst wird.
Diese ‚Verfeinerung’ des Charakters, die mit dem Verfall einhergeht, lässt sich auch bei Thomas’ Schwester Tony und seinem Bruder Christian beobachten, was nicht nur zur Folge hat, dass diese Figuren dem Leser durch ihre Psychologie, ihre äußeren und inneren Kämpfe sehr viel näher sind als ihre simpler gestrickten Vorgänger. Sie bilden die Seele und das Herz des Romans. Sie sind aber auch die modernsten, weil brüchigsten, abgründigsten Figuren dieser Familiensage, deren generationenübergreifender Verlauf sich in dem Leben dieser Geschwisterfiguren widerspiegelt, angefangen von ihrem hoffnungsvollen, viel versprechenden Beginn bis hin zum tiefen Fall. Es ist klar, dass eine Dramatisierung diese ausdifferenzierten, reichen Figuren in den Mittelpunkt stellen muss.

Für eine Dramatisierung heißt das konkret: Es gibt drei wirkliche Hauptfiguren, die Geschwister Thomas, Tony und Christian. Sie machen im Laufe der Geschichte die größte Entwicklung durch, ihre inneren und äußeren Bewegungen werden erzählt, in ihrer Lebensspanne verdichtet sich die gesamte Verfallsproblematik des Romans. (…) Der Spannungsbogen umfasst das Leben der drei Geschwister von ihrer späten Jugend bis zum endgültigen Scheitern, einen Zeitraum also von etwa 25 Jahren. Das ist keine willkürliche Maßnahme, sondern entspricht größtenteils der Erzählgegenwart des Romans. Dadurch ist es möglich, den Konflikten, Wendepunkten und Katastrophen ihrer Biographie weitgehend zu folgen, wie Thomas Mann sie vorgegeben hat. Man wird – von diesem Blickwinkel aus – erstaunt sein, wie szenisch, wie dialogisch und dramatisch pointiert der Roman geschrieben ist.

Es zeigt sich also, dass eine Dramatisierung der ‚Buddenbrooks’ möglich ist, dass man das Drama im Roman freilegen kann, ohne der Geschichte und ihren zentralen Figuren Gewalt anzutun. Doch damit bleibt noch immer der Einwand: Warum überhaupt? Warum diese Geschichte aus ihrer gültigen epischen Form herauslösen und auf die Bühne transferieren? Das ist eine Frage, die viel damit zu tun hat, was ein Klassiker ist und wie man mit einem solchen Respekt gebietenden Werk umzugehen hat. Sicherlich kann man vor den ‚Buddenbrooks’ in Ehrfurcht erstarren. Aber man kann auch versuchen, sie neu zu lesen, neu zu untersuchen und die überraschende Nähe, den psychologischen Kern dieser Figuren zu entdecken, ihre zeitlose Modernität. Und wenn einem dieser Kern wirklich wichtig ist, muss man es sogar.“
(Auszüge aus einem Essay im Programmheft der Uraufführungsinszenierung am Thalia Theater Hamburg.)

John von Düffel

Geboren 1966 in Göttingen. Studium der Philosophie, Germanistik und Volkswirtschaft in Stirling (Schottland) und Freiburg. Promotion mit 23 Jahren über Erkenntnistheorie. Anschließend Theater- und Filmkritiker, seit 1991 als Dramaturg in Stendal, Oldenburg, Basel, Bonn und dem Thalia-Theater in Hamburg tätig. Parallel dazu arbeitet er als Roman- und Theaterautor. Zu seinen Stücken gehören „Rinderwahnsinn“, „Die Unbekannte mit dem Fön“, „Balkonszenen“, „Die Kurguerilla“ und „Das schlechteste Theaterstück der Welt“, mit dem er 1995 auf den ersten Autorentheatertagen des Schauspiel Hannover entdeckt wurde.

Die Uraufführungen all der genannten Stücke wurden von Beat Fäh inszeniert. Die beiden arbeiteten zusammen bei Düffels Bearbeitungen für „Schlachthof 5“ von Kurt Vonnegut und „Professor Unrat“ von Heinrich Mann. Außerdem wurde John von Düffel mit seinen Romanen „Vom Wasser“, „Zeit des Verschwindens“ und „Houwelandt“ bekannt.

Beat Fäh

Geboren 1952 in Zürich. Arbeitete zunächst als Schauspieler, ehe er begann, eigene Projekte zu entwickeln („Max“, „Der Transatlantiksurfer’“ „Ussflug“ (zusammen mit Ueli Jäggi) und die Sommernachtstraum-Adaption „Von Rose und Regen, Schwert und Wunde“. Seit 1982 arbeitet er als Regisseur u.a. in Esslingen, Freiburg, Ulm, Bonn, Mainz, Wiesbaden, Potsdam, Dresden, Stuttgart - und glücklicherweise immer wieder an der Schauburg. Mit John von Düffel verbindet ihn eine langjährige künstlerische Zusammenarbeit.