Seiten, die auf Ein Blick von der Brücke verweisen

Dauer

90 Minuten

Alter

Ab 14 Jahren

Premiere

14. Januar 2003

Amerika Anfang der 50iger Jahre ist in den Augen der sizilianischen Einwanderer das Land der unbegrenzten Möglichkeiten - trotz Arbeitsverboten, Ausbeutung, Illegalität und ständiger Angst vor der Ausweisung. Die unwürdigen Lebensumstände führen dazu, dass die Menschen den realen Blick auf ihre Lebenssituation verlieren. So kommt es, dass der anständige Hafenarbeiter Eddie Carbone einen illegal in Brooklyn lebenden Verwandten bei der Einwanderungsbehörde verpfeift und dies mit dem Leben bezahlen muss. Ein Melodram um Arbeit, Liebe, Glück und Männerehre.

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Vorwort von Arthur Miller

"Als ich die Geschichte eines Abend in meiner Nachbarschaft hörte, fiel mir sofort auf, wie direkt und mit welch atemberaubender Einfachheit sie sich entfaltete. Ich kam schließlich zu der Einsicht, dass gerade diese Kargheit der Geschichte, ihr nirgends abschweifender Verlauf, sozusagen ihr freiliegendes Skelett, ihre Weisheit und sogar ihren Charme ausmachte und dass man daran nichts verändern dürfe. (...)

Bei der Abfassung des Stücks ging ich von der Annahme aus, dass das Publikum mir darin gleicht, endlich einmal ein Stück sehen zu wollen, in dem ein klarer, hoher, von stets sichtbaren Kräften vorangetriebener Handlungsbogen offen auf einen einzelnen explosiven Konflikt zuläuft." (Arthur Miller: Aus dem Vorwort zur Erstausgabe des Stücks)
 

Generationenkonflikt

Catherine ist siebzehn und zum ersten Mal verliebt: in Rodolpho, der aus Sizilien kommt. Zusammen mit seinem Bruder Marco ist er illegal nach New York eingewandert, in Erwartung eines besseren Lebens und einer Zukunft ohne Hunger und Armut. Er hofft, im Hafen Arbeit zu finden, möchte am liebsten amerikanischer Staatsbürger werden und dort bleiben. Rodolpho sieht gut aus, ist im Gegensatz zu seinem Bruder nicht verheiratet und kann gut singen. Klar, dass Catherine ihn mag.

Gar nicht klar ist das für Eddie. Eddie ist Catherines Onkel. Zusammen mit seiner Frau Beatrice hat er Catherine wie seine Tochter aufgenommen, als deren Mutter, Beatrices Schwester, starb. Eddie stammt wie seine Frau auch aus Sizilien, ist aber schon mehr als zwanzig Jahre in New York. Im dortigen Hafen schuftet er wie ein Tier, ist sich für keine Arbeit zu schade, denn Catherine soll es einmal besser haben. "Ich habe wegen ihr auf viel verzichtet." Das stimmt. Aber Catherine muss ihr eigenes Leben leben. Was Eddie ihrer Mutter auf dem Sterbebett versprochen hat, das ist nicht ihre Geschichte. 

In letzter Zeit sind seine Bevormundungen überdeutlich. Als ihr vor dem Schulabschluss eine Stelle als Stenotypistin angeboten wird, weil sie Klassenbeste ist, findet Eddie, sie solle erst die Schule fertig machen und die Stelle nicht annehmen, da er das Viertel nicht mag, in dem die Firma liegt. "Sie kommt mit einer Menge Klempner zusammen, und auf der Straße wimmelt es von Matrosen." Und sie solle nicht so gehen, dass alle Männer hinter ihr herschauen, und keinen so kurzen Rock tragen und und und ... . Junge Mädchen kennen diese Auseinandersetzungen mit den Eltern.

Einwanderer

Die Umstände, unter denen die drei leben, sind nicht leicht. Zwanzig Jahre zu den Unterprivilegierten am Rande der Gesellschaft zu gehören, zwanzig Jahre in Angst zu leben, tiefer zu fallen, nach unten abzurutschen, das prägt. Die kontinuierliche Entwürdigung ehrlicher Menschen durch unsichere Arbeitsverhältnisse, die Härte und körperliche Anstrengung bei der Arbeit, die Enge der Wohnverhältnisse, der kulturelle Spagat zwischen sizilianischen Herkunft und dem neuen Leben in Amerika, all das belastet Eddie Carbone und seine Frau.

Sie bewahren sich ihr Selbstbewusstsein darüber, dass sie all die Jahre ihr Leben und ihr Schicksal selber und aktiv in die Hand nehmen konnten. "In den schlechtesten Zeiten, in der allerschlechtesten Zeit, als kein Schiff im Hafen lag, habe ich mich nicht um Arbeitslosenunterstützung bemüht - sondern mich rangehalten." Es gelingt ihnen, ihre Würde zu bewahren, bis Rodolpho in ihr Leben dringt.
 

Familienehre

Selbstverständlich wird den beiden Vettern Rodolpho und Marco, die illegal per Schiff aus Sizilien kommen, in der engen Wohnung Unterschlupf gewährt. "Angenommen, mein Vater wäre nicht in dieses Land gekommen und ich würde hungern, wie die da drüben (...) und hätte Leute in Amerika, die mich ein paar Monate aufnehmen könnten. Es wäre doch eine Ehre für den Mann, wenn er mir einen Platz zum Schlafen anbieten würde." Das ist keine freiwillige Entscheidung, das ist eine ungeschriebene, aber unumstößliche Regel: Die Familie hält zusammen. Nur so können die Angehörigen möglichst viel Geld an die Familie nach Hause schicken. Aber je beengter die Wohnverhältnisse werden, um so mehr steigt der Druck. Eddie unterstellt Rodolpho, sein Geld für Schuhe und Schallplatten auszugeben, statt es nach Hause zu schicken. Außerdem singt Rodolpho so laut, dass Eddie fürchtet, Nachbarn könnten hören, dass neue Mitbewohner eingezogen sind, und schon könnte die Einwanderungsbehörde vor der Tür stehen. 

"In der Gegend hier lauern überall Spitzel. Jede Woche gibt man ihnen Geld für Informationen, und du weißt nicht, wer sie sind. Es könnte dein bester Freund sein."Eddies Verwirrung wird immer größer, ohne dass er sich daraus lösen kann. Es kränkt ihn, dass Rodolpho nicht mal um Erlaubnis fragt, wenn er mit Catherine ins Kino geht. Und dann kommen die beiden erst nach Mitternacht nach Hause! Seine Ehre ist verletzt.

Zwischenruf von Arthur Miller

"Es ist so, dass vom ersten Augenblick an die Form des Stücks erkennen lässt, dass nur das berichtet wird, was zwingend notwendig ist, dass diese Geschichte das einzig bemerkenswerte Ereignis in Eddie Carbones Leben ist und deshalb kein Versuch gemacht wird, Teile seines Lebens mit hineinzuziehen, die mit jenen bedeutungsschweren Stunden an Dichte und Spannung nicht zu vergleichen sind. Die Form hat ihre jetzige Gestalt, weil sie darauf ausgerichtet ist, mein eigenes Gefühl gegenüber dieser Geschichte wiederzugeben, nämlich: Verwunderung.

Sie zielt nicht primär darauf ab, ein Publikum zum Weinen oder Lachen zu bringen, sondern eine besondere Art von Erstaunen hervorzurufen über die Art und Weise, wie ein Mann sein Leben riskiert und verliert und über die Gründe, um derentwillen er den letzten Einsatz wagt." (Arthur Miller: Aus dem Vorwort zur Erstausgabe des Stücks)
 

Gefühlsverwirrung

Seine Frau merkt, dass Eddies Gefühlsleben völlig durcheinandergeraten ist, aber sie kann ihm nicht helfen, weil er sich nicht helfen lässt. Sie sagt ihm ins Gesicht, dass er eifersüchtig sei. Umsonst. Er verrennt sich immer weiter, ohne sich das selber eingestehen zu können. Er unterstellt Rodolpho, schwul zu sein, weil er Kleider näht und kochen kann und dass er sich über Catherine die Aufenthaltserlaubnis ergaunern will. Er demütigt ihn vor Catherines Augen und kann sich nicht eingestehen, was der Anwalt, den er fragt, wie er Rodolpho loswerden kann, folgendermaßen formuliert: "Ein Mann arbeitet hart, zieht ein Kind groß, manchmal ist es seine Nichte, manchmal seine Tochter, und es wird ihm während all der Jahre nie bewusst, dass er seine Tochter zu sehr liebt, seine Nichte zu sehr liebt. Verstehen Sie, was ich damit sagen will?" 

Eddie versteht nicht. Er fasst einen Plan, den schlimmsten Plan, den man fassen kann. Und er weiß, dass es das Schlimmste ist, was man tun kann. Und er tut es: Er verpfeift Marco und Rodolpho bei der Einwanderungsbehörde. 
 

Nachwort von Arthur Miller

"Als ich diese Geschichte zum erstenmal hörte, schien es mir, als käme sie von weit her, als hätte ich sie schon vor sehr langer Zeit einmal gehört. Nach einer Weile glaubte ich, es müsse sich um den Nachvollzug eines griechischen Mythos handeln, der in meinem Unterbewusstsein eine tief vergrabene Erinnerung wachrief. Ich habe einen solchen Mythos nicht ausfindig machen können, aber dennoch glaube ich, dass es ihn gibt, und habe deshalb an der festen mythenähnlichen Struktur der Erzählung nichts ändern wollen. Mir ist oft der Gedanke gekommen, dass die beiden 'Illegalen', die Einwanderer, die aus Italien kommen, sozusagen vor zweitausend Jahren zu ihrer Reise aufgebrochen sind. Die alles andere ausschließende Selbstbezogenheit, mit der jede der betreffenden Personen ihre Lebensziele verfolgt, ist von solch absoluter Geradlinigkeit, dass das Zusammentreffen ihrer Lebenswege nahezu als Werk des Schicksals erscheint.

Ich habe versucht, die objektiven und subjektiven Elemente, aus denen dieses Schicksal sich zusammensetzt, so klar herauszuarbeiten, wie es vernünftigerweise überhaupt möglich ist, aber ich muss bekennen, am Ende bleibt für mich ein Rätsel bestehen, und ich habe nicht versucht, diese Tatsache zu vertuschen. Mir fallen eine Menge von Erklärungsmöglichkeiten für diese Geschichte ein, aber keine füllt ihre Konturen ganz aus." (Arthur Miller: Aus dem Vorwort zur Erstausgabe des Stücks)