Das Versprechen

von Friedrich Dürrenmatt
Fassung von Florian Fischer
 
Regie
Florian Fischer
Bühne und Kostüme
Susanne Scheerer
Musik
Daniel Door
Es spielen
Regina Speiseder

Spielort

Großer Saal

Dauer

100 Minuten

Alter

Ab 15 Jahren

Premiere

10. Januar 2015

Alles beginnt mit einem Mordfall in einem kleinen Dorf. Der Hausierer von Gunten findet ein neunjähriges Mädchen tot im Wald und alarmiert die Polizei. Kommissar Matthäi überbringt den Eltern die schreckliche Nachricht und gibt der verzweifelten Mutter das Versprechen, den Täter zu finden. Daran fühlt er sich so sehr gebunden, dass er im Verlauf der Geschichte völlig die Kontrolle verliert.

Nächste Termine

Fragen statt Antworten

Warum soll der Roman „Das Versprechen“ fürs Theater bearbeitet werden? Warum nicht lieber eins der bekannten Theaterstücke des Autors spielen? Der Krimi ist ein Genre, das sich inzwischen im Fernsehen ebenso wie in den Printmedien ausgebreitet hat wie eine ansteckende Krankheit. Warum also ein „Requiem auf den Kriminalroman“ aus dem Jahr 1958 fürs Theater?
Wir konsumieren Krimis sehr routiniert als Unterhaltung. Und stellen die wichtigen Fragen nicht. Dieser Roman tut es. Und die Antworten sind unangenehm, schmerzhaft. Das Unerträgliche wird nicht weggeschminkt, sondern provoziert essentielle Fragen: Was macht den Täter zum Täter? Welche Verantwortung bekommen Stammtisch-Meinung, Wegsehen, Vorverurteilung, Intoleranz, Verdrängen? Warum werden im Verlauf der
Untersuchungen zwei Menschen zu Tätern? Wo wäre Rettung gewesen? Das sind die Themenfelder, die uns bei unserer Arbeit beschäftigt haben und die wir gerne an unser Publikum weiterreichen. Wir wissen, das ist kein Stoff für Ablenkung, Entertainment und Spaß. Dazu braucht es eine gewisse Reife und Neugier des Publikums. Aber wenn man diese mitbringt, erlebt man eine andere Art der Erfüllung: Der eigene Horizont kann sich erweitern, die Brille, mit der man in die Welt blickt, wird schärfer und genauer. Das ist eine besondere Art von Erlebnis im Theater. Einer der meist zitierten Sätze von Dürrenmatt lautet: „Eine Geschichte ist erst dann zu Ende gedacht, wenn sie die schlimmstmögliche Wendung genommen hat“. Dies ist der Leitspruch für diese Theaterumsetzung.

Ein Mord und ein Verdächtiger

Ein Mädchen, das neunjährige Gritli Moser, wird ermordet im Wald gefunden. Die Welt des kleinen Dorfes und seiner Bewohner gerät durch dieses Geschehen aus den Fugen. Gerüchte, Verdächtigungen, Vorurteile, Falschaussagen verweben sich rasend schnell zu der unauflöslichen Sicherheit: Der Hausierer selbst, der das tote Mädchen im Wald gefunden und dies der Polizei gemeldet hat, muss der Mörder sein. Er ist wegen eines Sittlichkeitsdelikts an einer Vierzehnjährigen einschlägig vorbestraft, und Hausierer sind sowieso immer verdächtig. Diese Lynchjustiz-Stimmung kann der erfahrene Kommissar Matthäi nur knapp entschärfen. Bei der Beerdigung verspricht er den Eltern des ermordeten Kindes, den Mörder ihrer Tochter zu finden.
Im Polizeiverhör beteuert der Hausierer seine Unschuld.
Allerdings gibt es einige Indizien, die gegen ihn sprechen. So zieht sich die Schlinge immer enger. Der kurz vor einer Beförderung stehende Polizeibeamte Henzi hat den ehrgeizigen Wunsch, seinen ersten eigenständigen Fall zu lösen. Auch für ihn steht aufgrund der Faktenlage schnell fest, dass der Hausierer der Täter sein muss. Ihm fehlt einfach die Vorstellungskraft, Zweifel zuzulassen. Nach einem mehr als 20 Stunden dauernden Verhör bricht der Hausierer zusammen und gesteht. Kurze Zeit später kommt die Nachricht, dass er sich in seiner Zelle das Leben genommen habe. Henzi interpretiert das als zweites Geständnis.
Kommissar Matthäi glaubt nicht an den Hausierer als Täter. Er fühlt sich verpflichtet, den wirklichen Mörder finden. Deshalb tritt er seinen neuen Posten in Jordanien nicht an.

Der Kommissar und das Kind

Matthäi ist in der Klemme. Er fühlt sich an sein Versprechen gegenüber den Eltern des ermordeten Kindes gebunden und will durch seine Ermittlungen weitere Mädchenmorde verhindern. Aber seine alte Stelle bekommt er nicht zurück. So ermittelt er privat und auf eigene Faust weiter. Der bis vor kurzem Vernunft betonte Kommissar ignoriert zunehmend alle Gesetze und arbeitet mit Ermittlungsmethoden, die von einem einzigen Kriterium geprägt sind: Was führt auf dem kürzesten Weg zur Verhaftung des Mörders. Wie Sisyphos, der niemals aufgibt, sucht er nach Spuren und Hinweisen. Auf diesem Weg mutiert er vom sorgfältig arbeitenden Kommissar zum verkommenen Tankwart, der keine moralischen Grenzen mehr kennt. Und auch der Zuschauer weiß nicht mehr als der Kommissar.
Der ist überzeugt, dass der Kindermörder an seiner Tankstelle vorbei kommen muss und will ihm eine Falle stellen. Dazu benützt er ein Kind, das Ähnlichkeit mit Gritli aufweist. Weder das Kind noch seine Mutter wissen, für welch ungeheuerliche Lockvogel-Rolle sie missbraucht werden. Ein Kind als Köder für einen potentiellen Mörder! Matthäi verrennt sich derart in seine Obsessionen, dass er selbst zum Täter wird.
Übrig bleiben Abgründe. Das Mädchen Gritli Moser ist tot, das Leben der Eltern zerstört, der Hausierer richtet sich selbst, der Polizist Henzi kann seinen Ermittlungsirrtum nicht eingestehen, der wahre Täter überlebt nicht, das Lockvogel-Mädchen ist fürs Leben gezeichnet, Kommissar Matthäi wird zum Gewalt-Täter ...

Der genaue Blick

Diese Vorstellung schreibt dem Publikum nicht vor, was es zu denken hat. Es kann im Zuschauer Fragen aufwerfen, an eigene Vorurteile erinnern, das Hinschauen im Alltag wecken, für Verdrängtes sensibilisieren und vielleicht einen Sex-Touristen aus dem Bekanntenkreis auf sein Tun ansprechen.
Das Institut für Sexualforschung der Berliner Charité geht davon aus, dass 8,6 % aller Mädchen und 2,8 % aller Jungen in Deutschland Opfer sexueller Gewalt werden. Das bedeutet, in jeder deutschen Schulklasse sitzt statistisch gesehen mindestens ein Kind, das so etwas erleben musste und muss. Zur Dunkelziffer traut sich überhaupt niemand Angaben zu machen. Es geschieht in Familien, in Sportvereinen, Kitas, Kirchen, Internaten, Schulen. Die Zahl ist so unerträglich, dass man lieber wegschaut und verdrängt. „Es gibt in Deutschland keine Kultur für den Umgang mit sexueller Gewalt. Wenn jemand stirbt, kondoliert man, wenn jemand Geburtstag hat, gratuliert man. Wenn aber jemand erzählt, ‚ich bin als Kind vergewaltigt worden’, herrscht
Schweigen.“ So formuliert es Andreas Huckele, der den Missbrauchs-Skandal an der Odenwald-Schule öffentlich gemacht hat. Wie kann es sein, dass schon das Anhören der Wahrheit fast jeden Adressaten stumm macht?
Vielleicht hat den Autor Dürrenmatt diese Frage umgetrieben, als er den Auftrag für das Drehbuch zu einer Filmerzählung zum Thema Sexualverbrechen an Kindern annahm. Der Film „Es geschah am helllichten Tag“ bildete anschließend die Grundlage für seinen Roman „Das Versprechen“. Während der Film mit einem aufklärerischen und somit positiven Schluss endet, verweigert Dürrenmatt diesen in seiner Erzählung. Zu Recht.
Um Kinder vor sexueller Gewalt zu schützen, müssen alle hinsehen und gegebenenfalls einschreiten, statt sich hinter falschen Argumenten zu verstecken. Was Kindern angetan wird, ist nicht Privatsache. Sie brauchen Mitgefühl und den Schutz der Gesellschaft. Das ist sie den Opfern schuldig. Und die Gesellschaft, das sind wir alle. Wegschauen darf es nicht geben.

Der richtige Blick

Wichtig ist aber auch, dass wir „das Richtige“ sehen. Und manches Mal kann man den Eindruck gewinnen, dass wir das genaue schmerzhafte Hinschauen durch wohlfeile Empörung ersetzen. Aktuell lautet das reißerische Skandalwort ‚Pädophilie’. Fachleute nennen Menschen pädophil, die ausschließlich oder vorwiegend sexuell ansprechbar sind durch vorpubertäre Kinder. Und diese Fachleute wissen auch, dass ca. 1 % der erwachsenen Männer diese Veranlagung hat. Das bedeutet, in der ausverkauften, nur von Männern besetzten Allianz-Arena, sind ca. 700 betroffen.
Allerdings: Begehren bedeutet nicht Gewalt anwenden. Nur selten begehen Pädophile sexuelle Handlungen an Kindern, weil sie wissen, welches Unheil sie Kindern antun würden oder weil sie Angst haben, entdeckt zu werden. Immer bedeutet es, diese Neigung geheim halten zu müssen, weil klar ist, dass ihre Veranlagung mit
unermesslichen Vorurteilen behaftet ist. Dieser Geheimhaltungsdruck ist fast nicht auszuhalten.
Umgekehrt ist es Tatsache, dass die wenigsten verurteilten Kindermörder pädophile Neigungen haben. Es sind vielmehr gestörte Menschen, die eine gleichberechtigte sexuelle Begegnung nicht ertragen können.
In unserer Inszenierung soll es um diese Genauigkeit gehen. Was wir nicht wissen, erleben wir als unheimlich. Vor dem Unheimlichen verschließen wir die Augen. Das ist gefährlich für die Opfer. Sexuelle Gewalt an Kindern muss geächtet, verfolgt und bestraft werden. Das gelingt nur, wenn man Vorurteile ablegt und durch Kenntnis ersetzt. Nur dann kann man dem vertrauen, was man sieht und hört. Nur dann kann man die richtigen Fragen stellen. Nur dann kann man Kinder schützen.

Der Roman auf der Bühne

Der Leser des Romans verfolgt sehr lange mit Kommissar Matthäi die Suche nach dem Täter. Das ist das Muster des klassischen Krimis. Mit großer Lust führt der Autor damit auf einen Holzweg. Denn der sich zunehmend in die Ermittlungen verbeißende Kommissar hat keinen Erfolg. Erst auf den allerletzten Seiten klärt sich der Fall völlig überraschend in einem komplett anderen Umfeld.
Diese Erzählform ist im Theater ein bisschen holprig. Deshalb haben wir eine Umsetzung gefunden, die freier mit der Vorlage umgeht und doch dem Anliegen von Dürrenmatt gerecht wird. Es geht um den Zufall, der bei der Aufklärung von Verbrechen eine viel wichtigere Rolle spielt als jeder Krimi vorgibt. Dürrenmatt zeigt in seiner letzten Szene abgründig, wie schlimmste Verbrechen unter dem Mäntelchen der Wohlanständigkeit geschehen und mit höchster Energie vertuscht werden. Und er zeigt, dass der obsessiv-blinde Kommissar den richtigen Blick auf die Dinge
verloren hat. Dafür haben wir eine szenische Übertragung gefunden, die sich mit dem Satz zusammenfassen lässt: Die Täter sind unter uns.
Wir erzählen diese Geschichte mit den Mitteln des Theaters. Das heißt, die fünf an der Produktion beteiligten Spieler behaupten die Figuren in einem abstrakten Bühnenraum, der den Schauspielern ermöglicht, unterschiedliche Rollen anzunehmen. Immer ist offensichtlich, dass eine Geschichte erzählt wird. Jede Simulation von Echtheit wird vermieden. Der Raum füllt sich mit Gegenständen, die im Zusammenhang mit der Geschichte unangemessen und unangenehm wirken. Die Musik leistet dazu einen eigenen Beitrag. Irritation soll sich im Zuschauer entwickeln. Auf der Bühne breitet sich Klaustrophobie aus, die Körper drücken im Laufe der Entwicklung totale Hilflosigkeit aus, die Zeit bleibt stehen, und dann explodiert alles.

Florian Fischer

Vor seinem Regiestudium an der Otto-Falckenberg Schule studierte er Philosophie, Geschichte und Anglistik. Während des Studiums inszenierte er u.a. E.T.A. Hoffmanns „Sandmann“, Heinrich von Kleists „Homburg ohne Traum“. Seine Abschlussarbeit
„Der Fall M. – eine Psychiatriegeschichte“ (Ausstattung Susanne Scheerer), die am 1. März 2014 im Werkraum der Münchner Kammerspiele hatte, gewann im November 2014 den Fast-Forward-Preis beim Festival für junge Regie in Braunschweig.

Susanne Scheerer

Sie studierte Bühnenbild bei Hartmut Meyer an der Universität der Künste Berlin. Während ihrer Ausbildung entwickelte sie Bühnen- und Kostümbilder für Schauspiel und Oper sowie verschiedene Performance-Projekte am Theater Hebbel am Ufer in Berlin, am Castillo Theater New York und auf Kampnagel
Hamburg. 2010 wurde sie als Nachwuchskünstlerin des Jahres der Kunsthochschule Berlin für „Israel n’existe pas“ ausgezeichnet. Sie arbeitete u.a. am Maxim Gorki Theater Berlin, der Vlaamse Opera in Antwerpen, am Theater Freiburg und an den Münchner Kammerspielen.

Außerdem: Anlaufstellen für Hilfesuchende

Für Menschen mit auf Kinder gerichtete sexuelle Fantasien:
Präventionsnetzwerk KEIN TÄTER WERDEN
Telefon 0941/9411088
kontakt@kein-taeter-werden-bayern.de
 
Für Jungen und junge Männer bis 21 Jahren, denen sexuelle Gewalt widerfahren ist:
KIBS (Kontakt, Information und Beratung)
Kinderschutz e.V.
Kathi Kobus Straße 9
80797 München
Telefon 089/2317169120
mail@kibs.de
Für Mädchen und junge Frauen, die sexueller Gewalt ausgesetzt sind oder waren:
Fachberatung IMMA e.V.
An der Hauptfeuerwache 4
80331 München
Telefon 089/2607531
beratungsstelle@imma.de

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