Beim Relaunch unserer Homepage ist uns die Festrede des ehemaligen Staatsintendanten und langjährigen Präsidenten des Deutschen Bühnenvereins Herrn Professor August Everding anlässlich der Eröffnung der renovierten SCHAUBURG am 3. Dezember 1993 noch einmal aufgefallen – Vor allem die Feststellungen des letzten Absatzes haben noch immer Gültigkeit.
In unserem Service - dort unter Veröffentlichungen - finden Sie den kompletten Tonmitschnitt aller Festreden anlässlich der Eröffnung der renovierten SCHAUBURG aus dem Jahr 1993.
Professor August Everding am 3.12.1993
„Meine Damen und Herren, (....) München eröffnet heute wieder sein Theater der Jugend. Gut, es hat lange Zeit gedauert, aber dieses Theater ist nach vielen Wirren in seiner Konstruktion und auch seinem Theaterbau ein Glanzbeispiel für ein Theater der Jugend.
Ich darf sagen, ich habe die Entwicklung des Kinder- und Jugendtheaters in München mitgemacht. Ich weiß noch, wie es im Goethesaal begann; und ich weiß noch, wie es in der Reitmorstrasse Kinder- und Jugendtheater gab. Angegriffen waren immer die Kinder- und Weihnachtsmärchen, die damals der Hauptbestandteil des Programms waren. Und dann der große Verdienst von Herrn Jobst, dieses Theater in der Reitmorstrasse so aufrecht erhalten zu haben. Und dann kam die wilde Zeit, die ich auch mitgemacht habe: Alles wurde enttabuisiert im Geschlechter- und Aufklärungskampf: Wie können wir den Alten nur zeigen, dass Kinder viel vernünftiger sind als die Eltern. Auch diese Wogen haben sich geglättet.
Nun haben Sie ein Theater, Herr Kollege Podt, mit einer klaren Zielsetzung, die immer noch manchen ein Dorn im Auge ist, weil Sie nicht nur behütete, behütende Stücke spielen wollen. Aber Theater der Jugend heißt ja auch Sturm und Drang. (....) Als Präsident des Deutschen Bühnenvereins, aber auch als bayerischer Intendant, beglückwünsche ich die Stadt, den Intendanten und sein Theater.
Meine Damen und Herren, etwas Merkwürdiges ist nach der Wiedervereinigung geschehen. In den neuen Bundesländern meldeten sich viele Puppen- und Kindertheater beim Deutschen Bühnenverein. Ich muss bekennen, ich habe zunächst negativ reagiert. Dann wurde mir klar, wie wichtig diese Theater in der ehemaligen DDR waren, und wie wichtig sie heute noch sind, und welche Professionalität sie haben. Dieser Rest-Hochmut, die wir Großtheaterleiter manchmal noch haben, ist uns ausgetrieben worden.
Mein Credo war und ist: Man muss mit Theater und Kultur aufwachsen. Man darf und muss nicht erst mit 16 in die erste unschuldige Oper geführt werden – meistens Lohengrin, weil da nur ein Schwan vorkommt oder Hänsel und Gretel, weil das eine so unschuldige Oper zu sein scheint und so leicht Musik zu haben scheint. Man darf nicht durch Klassiker-Aufführungen – durch die Schule oft schlecht vorbereitet – für die Klassiker verdorben werden. Wir dürfen aber die Jugendtheater auch nicht sehen – wir Intendanten – als Klippschule zur Gewinnung neuer Abonnenten. Das Kinder- und Jugendtheater ist ein Theater sui generis. Meine Überzeugung ist: Kein gutes Stück ist für Jugendliche zu schwer. Viele Erwachsene sind auch noch nicht reif für Shakespeare. Der wunderbare Erzähler Rafik Schami (‚Reden gegen das Verstummen’) hat gesagt: Wenn Kinder unter den Anwesenden sind, wird jeder Erzähler spüren, wie gut oder schlecht er erzählt. Kinder sind die besten Zuhörer. Sie bezahlen gnadenlos und großzügig mit Ablehnung oder Zustimmung. Bar, versteht sich. Ziel ist es, erwachsene Löwen in lauschende Kinder zu verwandeln und lauschende Kinder in erwachsene Löwen. Ein Glückwunsch der Stadt und ein Toi Toi Toi dem Intendanten und seinem Theater.