Größere Welten

Lieber Kritiker, was ist Ihnen denn bei Ihrer Kritik unseres neuesten Jugendstücks Liebeslichterloh passiert? Selbstverständlich ist es Ihr gutes Recht, die Inszenierung schlecht zu finden. Aber Ihre Beurteilung liest sich, als ob sie von einem theaterungeübten Jugendlichen geschrieben wurde, der keine Erfahrung darin hat, im Theater eigene Vorstellungswelten zu aktivieren, sondern sich lieber (ein wenig denkfaul) bespaßen lassen will und dann moniert, wenn das nicht in der erwarteten Form stattfindet. Derartige Kritik von jugendlichen Besuchern  kennen wir alltäglich. Aber genau deshalb wählen wir Theaterformen, die Jugendliche dazu provozieren, neu und anders zu schauen, die sich auffordern lassen, eigene Vorstellungskräfte beim Zuschauen spielen zu lassen.
An ihrer Kritik sind uns mehrere Punkte aufgefallen, die sich mit einer typischen Schüler-Kritik decken:
Von Beginn an kommen Sie nicht von Ihrer vorgefertigten Erwartung los. Sie messen den Abend an einer Wittenbrink-Vorstellung. Bei genauem Hinschauen wäre aufgefallen, dass Liebeslichterloh eben dieses Wittenbrink-Muster absichtlich verweigert. Die Musik soll nicht wie im Musical funktionieren, sondern sich assoziativ zu den Szenen verhalten. Wer sich auf den Abend einlässt, der bekommt eigene Antworten auf Fragen, zum Beispiel, warum Tybalt nach seinem Tod „Freiheit“ singt, denn die Reibung zwischen Songtext und Szene vermeidet eindeutige Antworten und gibt
Möglichkeiten, mit eigenen Assoziationen zu spielen. Notengeben ist ebenfalls ein (sinnloser) Klassiker in Schülerrezensionen. Die Sängerin, die einen Hip Hop Song hat, wird von Ihnen als die beste benotet, während die Darstellerin der Amme, deren Songs rollengemäß  aus anderen Genres kommen, fällt durch. Rolle und Darsteller zu verwechseln, ist ein weiterer typischer Laien-Fehler.
Vielleicht haben Sie beim Schreiben Ihrer Rezension versucht, in die Rolle eines Jugendlichen zu schlüpfen, sich in seine Welt einzudenken. Das ist ein beliebter Umgang mit Kindern und Jugendlichen, den wir seit Beginn unserer Intendanz immer verweigert haben, denn Kinder und Jugendliche brauchen erwachsene Erwachsene, die ihnen die Türen zu neuen, fremden, größeren Welten zu öffnen, um fit zu werden für eine selbstbestimmte, vorurteilsfreie, tolerante Welt. Schade, dass Ihre Kritik dazu keinen Beitrag geliefert hat.
 
Seien Sie gegrüßt
Ihre Dramaturgie
 
PS: Der Regisseur Peer Boysen ist ein gefragter erfahrener Opernregisseur in mehreren Ländern und nicht jemand, der vorwiegend an der SCHAUBURG inszeniert. Auch hier ist die Welt größer als von Ihnen wahrgenommen.