Haupt-Reiter
Mein Vater Che Guevara
Regie
Maria Knilli
Bühne und Kostüme
Lena Knilli
Musikalische Leitung
Toni Matheis
Es spielen
Corinna Beilharz, Björn Jung, Berit Menze, Florian Stadler, Peter Wolter
Percussion
Wolfgang Gleixner, Jens Fischer-Rodrian
Dauer
90 MinutenAlter
Ab 12 JahrenPremiere
08. März 2001Nächste Termine
Mythos Che
Die Regierungen von Bolivien und den USA fürchteten es und taten alles, um es zu verhindern. Umsonst. Als Ernesto "Che" Guevara am 9. Oktober 1967 nach einem Gefecht mit US Offizieren und bolivianischen Truppen im Hochland Boliviens gefangen genommen wurde, waren sich die Regierungen beider Länder einig, dass der legendäre, in der ganzen Welt bekannte Revolutionär schnellstens und spurlos beseitigt werden musste, um jegliche Mythenbildung zu vermeiden. Als Lüge wurde in die Welt gesetzt, er sei im Kampf umgekommen, obwohl man ihn exekutierte und anschließend beide Hände abhacken ließ, um die Identifizierung des Toten zu verhindern. Die Furcht vor seinem Charisma war so groß, dass sein Leichnam an einem unbekannten Ort verscharrt wurde. (Erst 30 Jahre später wurde er wieder entdeckt). Keine Spur sollte von ihm bleiben. Das war zumindest der Wunsch all jener, die Ernesto "Che" Guevara erbittert bekämpften. Umsonst. Che lebt!
Seine unersättliche Neugier und Faszination von allem, was anders, fremd, sonderbar, geheimnisvoll war, bestimmten seine Interessen seit seiner Jugend. Und so konnte er die Augen nicht verschließen vor der Armut und Verzweiflung der Menschen in Lateinamerika. Er ließ seine bourgeoise Herkunft hinter sich für die Sache, an die er glaubte und für die er bedingungslos kämpfte.
Die Größe und Tragik seines Lebens mag darin liegen, dass er fest davon ausging, dass alle Lateinamerikaner sich diese Überzeugung zueigen machen würden. Che Guevara - ein Romantiker der Revolution, ein Kämpfer gegen den Imperialismus, ein entschlossener Guerillero.
Zunächst, kurz nach seiner Ermordung, war Che noch der politische Held, verehrt von Menschen, die so radikal sein wollten wie er, so selbst bestimmend und anarchistisch. Er füllte die sozialen Utopien und Träume einer ganzen Generation mit Leben, er verkörperte, auf eine fast mythische Weise, den Geist seiner Epoche. Marx, Lenin, Mao - wer spricht noch von ihnen? Aber Che lebt!
Das Bild mit Mütze und Bart wurde eine der am häufigsten reproduzierten Photographien der Welt, so oft kopiert und verfremdet wie die Bilder von James Dean und Jimi Hendrix. Che Guevara ist der einzige Linke, der zum Pop-Star wurde, ein Übermensch, genauso wie sein Gegenspieler John F. Kennedy.
Che Heute
Sicher hat es heute eine andere Bedeutung, wenn junge Leute seinem Bild auf Postern und T-Shirts huldigen. Aber es ist doch beachtlich, dass er fast 40 Jahre nach seiner Ermordung noch immer nicht in der Versenkung des Vergessens verschwunden ist. Zwar findet man das berühmte Photo eher auf Swatch-Uhren oder einem besonders griffigen Ski als in politischen Schriften, dennoch steht sein Konterfei für Mut, Unangepasstheit und Rebellion.
Die Sechzigerjahre des letzten Jahrhunderts und die damalige politische Situation sollen mit Hilfe von Ches Biographie genauer beleuchtet werden: Die Zweiteilung der Welt in Ost und West, der Kalte Krieg, die Angst des Westens vor dem Kommunismus, das globale Projekt einer besseren, gerechteren Welt, die Abhängigkeit Lateinamerikas, eine sozialistische Revolution auf einer kleinen Insel vor der Küste der USA - auf Kuba. Kuba, das war nicht Billigtourismus oder Buena Vista Social Club. Kuba, das war "die Hoffnung der halben Welt."
Aufbruch und Hoffnung auf sinnvoll lenkbare, bessere Zeiten - so lauteten die Signale jener Zeit, in der sich Che Guevara aufmachte, um den Menschen dieser Welt seine politischen Lösungen aufzuzeigen. Die kubanischen Revolutionäre hatten vorgeführt, dass es möglich war, bestehende Machtverhältnisse durch Gewalt zu verändern; und damals schien möglich, mit Macht und Vernunft eine bessere, weil menschlichere Gesellschaft zu denken und zu errichten. Aber uns interessiert an diesem Stoff nicht nur der Blick zurück in die Historie.
Heute regiert häufig die Überzeugung, sinnvoll gelenkte Veränderung sei überhaupt nicht möglich. Deshalb erscheint es uns reizvoll, die Frage aufzuwerfen, ob es nicht doch möglich sein könnte, Gesellschaftsprozesse anders als über die heute praktizierten Mechanismen der so genannten Marktregulierung zu lenken. Zu glauben, dass es sinnvolle Steuerungsmechanismen gibt, die es zu finden gilt, das erscheint doch lohnend. Und für diese Hoffnung steht auch heute noch Che Guevara.
Ideale und Gewalt
Zu seinen Vorstellungen auf dem Weg zu einer gerechteren Welt gehörte auch die Notwendigkeit des bewaffneten Kampfes. Es gab keinen Zweifel daran, dass der Kampf der Guerilleros legitim und ihr Sieg gerechtfertigt war. Diese Haltung teilte er mit seinen Anhängern in der ganzen Welt in der facettenreichsten Nachkriegsepoche von '68. Lächelnd, talentiert, einfallsreich und mutig schienen er und mit ihm große Teile einer ganzen Generation jeden Himmel stürmen zu wollen.
Wahr ist aber auch, dass Che bezüglich der Todesstrafe, der Standgerichte oder kollektiver Aburteilungen wenig Skrupel empfand. Er war bereit, sein Leben für seine Ideale zu geben, und er glaubte, auch andere sollten dies tun. Wenn der einzige Weg, die Revolution zu verteidigen, darin bestand, Denunzianten, Gegner und Verschwörer hinzurichten, dann würden ihn keine humanitären oder politischen Argumente ins Wanken bringen. Gewalt war nicht per se tabuisiert, sondern an die Bedingungen einer konkreten Situation geknüpft.
Die Inszenierung – Ein theatraler Essay
Erinnerung tröpfelt. Fünf Spieler und ein Musiker versammeln sich in einem Raum, der an eine kubanische Bar denken lässt, der aber dennoch eher ein Gedankenraum denn ein realistischer Ort ist. Die Spieler versuchen, sich die Geschichte zu vergegenwärtigen. Sie unterbrechen das Spiel immer wieder, um Erinnerungen zurückzuholen oder zu korrigieren. Stellenweise verhalten sie sich ganz ungezwungen, verfolgen die anderen bei ihrer Erinnerungsarbeit, und wenn sie in ihren Rollen agieren, illusionieren sie die Charaktere nicht. Die Geschichte wird sprunghaft und in Rückblenden erzählt. Dabei schlüpfen die Spieler mit schnittschneller Geschwindigkeit in immer andere Figuren. Man kann die Aufführung als theatralen Essay bezeichnen.
Die Zeit des Theaterstücks ist der Moment der Erschießung Che Guevaras. Dieser Augenblick wird ausgedehnt auf 90 Theaterminuten, in denen sich in einer fiktiven Situation Che Guevara, sein Mörder, der bolivianische Soldat Mario Teran und Guevaras älteste Tochter gegenüber stehen. Mit ihren unterschiedlichen Fragen an den Titelhelden rollen sie sozusagen seine Biographie auf.
Schlusswort
Ernesto "Che" Guevara steht für die sozialen Utopien und Träume einer ganzen Generation. Er verkörpert den Geist und das Lebensgefühl seiner Epoche wie kein anderer. Seine wichtigsten politischen Thesen - der bewaffnete Kampf, die Guerillabewegung, der kämpferische und solidarische Internationalismus - sind heute aktueller denn je! Che lebt! Sein Leben und Tod gehören zu den großen Mythen des vergangenen Jahrhunderts. Che - Freiheitskämpfer oder Terrorist? Eine drängende Frage unserer Zeit.