Jenseits von Eden

Übersetzung und Bearbeitung von Ulrike Syha
Regie
Gil Mehmert
Musik
Bananafishbones
Songtexte
Sebastian Horn
Bühne und Kostüme
Dagmar Morell
Es spielen
Julia MeierLucca ZüchnerMarkus CampanaMiko GrezaDavid JohnstonThorsten KrohnPeter Wolter, Peter HornSebastian HornFlorian Rein

Dauer

2 Stunden

Alter

Ab 15 Jahren

Premiere

09. April 2013

Die biblische Erzählung von Kain und seinem Bruder Abel stand Pate für diese dramatische Familiensage. John Steinbeck übertrug das alttestamentarische Gleichnis auf die Konflikte einer amerikanischen Familie über drei Generationen von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Ende des Ersten Weltkrieges. In der von Gil Mehmert sind nach "Scuderi" und "Fahrenheit 451" die Bananafishbones wieder für die musiktheatralische Struktur der Inszenierung verantwortlich.

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Vertreibung und Schutz

Jenseits von Eden“ ist ein Roman von alttestamentarischer Wucht. Der Titel bezieht sich auf ein Zitat aus dem 1. Buch Mose, worin die Geschichte von Kain und seinem Bruder Abel damit endet, dass Kain nach dem Brudermord, versehen mit einem göttlichen Schutzzeichen, das ihn vor dem Rachetod bewahren soll, „im Lande Nod, jenseits von Eden“, siedelt. Kain wird aus dem Paradies, dem Garten Eden vertrieben, erfährt aber trotz seiner Schuld den Schutz Gottes.

Der amerikanische Autor John Steinbeck (1902 – 1968) versetzt die biblische Geschichte in den Kontext einer amerikanischen Familie über drei Generationen, die in der Mitte des 19. Jahrhunderts beginnt und bis zum Ende des Ersten Weltkriegs reicht. Für diejenigen Leser, die den Roman sehr gut kennen, sei hier angeführt, dass wir uns in der Inszenierung auf die Geschichte der Familie Trask beschränken. Das Schicksal der Familie Hamilton wäre ein eigener Theaterabend.

Wenn Götter stürzen

Die Geschichte beginnt mit Cyrus Trask, einem wilden Kerl aus einer kleinen Stadt in Connecticut, der im Jahr 1862 zum ersten Mal Vater und zeitgleich Soldat wird. Sechs Wochen nach der Geburt seines Sohnes Adam kommt er heim. Kriegsversehrt, mit Holzbein. Seine Frau, ein blasses, depressives Wesen, fällt in tiefe Umnachtung und begeht Selbstmord. Der junge Adam steht ab diesem Moment allein in der Welt. Schnell sucht Cyrus Trask eine neue Frau, und schon hat Adam einen Stiefbruder, Charles. Auf seiner Suche nach Wärme und Geborgenheit erlebt Adam viele Enttäuschungen. So versteckt er heimlich kleine Geschenke für seine Stiefmutter. Diese aber hält den leiblichen Sohn für den Stifter. Und sein holzbeiniger Vater lebt seine Begeisterung für das Soldatendasein auf Kosten seiner Söhne aus. Gewehrübungen, Drill und brutale Märsche sind ihr Alltag schon in früher Kindheit. 

„Wenn ein Kind anfängt, die Erwachsenen zu durchschauen, wenn seinem ernsthaften kleinen Gehirn aufgeht, dass die Erwachsenen auch keinen göttlichen Verstand besitzen, dass ihre Ansichten nicht immer klug, ihre Gedanken nicht richtig, ihre Urteile nicht gerecht sind, dann wird es von trostlosem Entsetzen gepackt, und seine Welt fällt in Trümmer. Die Götter sind vom Thron gestürzt; der sichere Boden ist verschwunden. Eines aber ist ausgemacht, wenn Götter stürzen; dann purzeln sie nicht bloß ein wenig herunter, nein, dann zerkrachen und zersplittern sie gleich in tausend Stücke und versinken im grünen Schlamm. Ein trübseliges, unersprießliches Unterfangen, sie wieder zusammenzusetzen und aufbauen zu wollen; ihren Glanz gewinnen sie nie wieder zurück. Und nie wird die Welt des Kindes wieder heil und ganz. Großwerden ist mit Schmerzen verbunden.“

Adam durchschaut seinen Vater. Charles nicht. Vielmehr buhlt dieser vergeblich um dessen Liebe und fühlt sich zurückgewiesen. Rasend vor Eifersucht schlägt er Adam zusammen, der nur durch Glück und Zufall dem Tod entkommt. Niemand in der Familie spricht diesen Vorfall an. Statt Trost und Hilfe bekommt Adam den nächsten Nackenschlag: Der Vater zwingt ihn gegen seinen Willen zum Militär, während der Bruder Charles auf der Farm bleiben darf. Wie zum Hohn erklärt er, dass diese Entscheidung von Liebe getragen sei, denn Adam sei sein Lieblingssohn. 
Machtlos wird Charles zum Spielball seiner eigenen Gefühle: Rivalität, Streit und Eifersucht führen zu offener Feindschaft. Sein Bruderhass ergreift so starken Besitz von ihm, dass er einen weiteren Mordversuch an Adam unternimmt.

 
Wie kann man mit einer solch gewaltigen Wut umgehen? Ein ehrliches Gespräch zwischen Vater und Sohn entsteht nicht. Im Gegenteil: Der Vater argumentiert mit Härte gegenüber Adam, und der hat nicht die Kraft, sich gegen diesen Vater zu wehren. Aber auch der vermeintlich stärkere Bruder Charles ist dem Vater ausgeliefert, weil er sich ungeliebt fühlt. Übergangen zu werden, ist die tiefste Kränkung, die man einem Menschen zufügen kann. Daran trägt Charles lebenslang.

Das Böse tritt auf

Wer als Kind nicht gelernt hat, Vertrauen zu entwickeln, wer als Kind elterliche Geborgenheit und Fürsorge entbehren musste, der bleibt sein ganzes Leben belastet. So geht es auch den beiden Brüdern Adam und Charles. Nach Adams Entlassung aus der Armee leben die beiden wieder auf der elterlichen Farm. Aber Frieden finden sie miteinander nicht, weil die Rivalität um die Liebe des Vaters sie über dessen Tod hinaus umtreibt. 
Doch dann wird alles anders. Eines Tages liegt eine schwer verletzte junge Frau vor ihrer Haustür. Beide wissen nicht, um wen es sich handelt. 

„Von Geburt an war sie anders als andere Menschen. Und wie ein Krüppel seinen Mangel so auszunutzen lernen kann, dass er auf einem begrenzten Gebiet leistungsfähiger wird als die Nichtkrüppel, so benutzte Cathy ihr Anderssein, um ihre Welt in schmerzliche und verwirrende Erregung zu versetzen. Es hat Zeiten gegeben, in denen ein junges Mädchen wie Cathy als vom Teufel besessen gegolten haben würde .“ Adam verliebt sich sofort in sie. Charles, geleitet von einer gewissen Seelenverwandtschaft, will sie sofort aus dem Haus schaffen, obwohl er ihre Vorgeschichte nicht kennt.

 
Von Kindesbeinen an war sie auf ihren Vorteil aus. Deshalb entwickelte sie sich zur rücksichtslosen Lügnerin, um Strafe, Verantwortung oder Arbeit zu entgehen. Ehe sie bei den beiden Brüdern landete, hatte sie schon viel Unglück über ihre Umgebung und ihr Elternhaus gebracht. Um sich Zeit zu verschaffen und wieder gesund zu werden, erwidert sie zum Schein Adams Gefühle. Der ist ihrem bösen Spiel schutzlos ausgeliefert, im Gegensatz zu Charles, der ihr intuitiv misstraut. Die Heirat kann er nicht verhindert. Cathy und Adam verlassen die Farm. Er träumt von einem neuen Leben in Kalifornien mit Frau und Kindern und Glück im Garten Eden. Sie hat ganz andere Pläne.

Im Salinas-Tal kauft er eine Farm. Dort werden die Zwillinge geboren. Der herzensgute Nachbar, Sam Hamilton hilft bei der Geburt, aber auch ihm ist diese Frau unheimlich. Irgendetwas stimmt nicht. Gleich nach der Geburt verlässt sie ihren Mann und die Neugeborenen auf Nimmerwiedersehen. Adam ist emotional vernichtet. Ab da wiederholt sich die Geschichte, seine eigene Kindheitsgeschichte.

Und wieder rast die Wut

So wie Cyrus Trask seine Entscheidungen und Erziehungsprinzipien völlig selbstbezogen getroffen hatte, ohne seine Söhne Adam und Charles im Blick zu haben, so selbstbezogen handelt derselbe Adam als Erwachsener. Als Kind und junger Mann war er Opfer seines Vaters, nun fügt er – unbewusst und unabsichtlich - seinen beiden Söhnen dasselbe Leid zu: Er nimmt sie einfach nicht wahr und fügt ihnen dadurch Verletzungen zu, die unheilbare Wunden schlagen. 

Die Jungen sind schon ein Jahr alt und haben noch immer keine Namen. Wieder ist es Sam Hamilton, der diesem unhaltbaren Zustand ein Ende bereitet. „Es ist bequem, sich in den Schoß der Gottheit zu werfen und zu sagen: ‚Ich konnte nicht anders; es war so bestimmt.’ Bedenke die Herrlichkeit der eigenen Wahl! Die Menschenseele ist herrlich und einzigartig im Universum. Immer ist sie Angriffen ausgesetzt, doch nie wird sie vernichtet – Der Weg liegt offen vor dir. Du kannst, du magst – das lässt eine Wahl.“ 

Zusammen mit dem weisen Koch Lee zwingt er den Vater dazu, seine Söhne zu taufen: Nein, er nennt sie nicht Kain und Abel. Nach langer Suche nennen sie den einen Caleb, nach Caleb, der nach dem Auszug aus Ägypten im Gelobten Land ankam. Caleb ist der Dunkle, der Gescheite. Den anderen nennen sie Aron, weil dem Vater der Name gefällt. Aron kam nicht im Gelobten Land an.
Sam und Lee gelingt es mit sehr viel Mühe, Adam aus seinem Trauerkokon herauszuholen. Dazu gehört auch, ihn mit der Wahrheit über seine Frau zu konfrontieren: Cathy führt das widerwärtigste Bordell der Stadt. Adam besucht sie und kann sich dadurch von ihr befreien. 

Die beiden ungleichen Brüder wachsen heran. Caleb ist stark, aber die Starken sind besonders empfindlich gegenüber Misserfolgen. Dies zeigte sich bereits zwischen Adam und seinem Bruder Charles; nun wiederholt sich der Bruderzwist in der nächsten Generation zwischen Caleb und seinem Bruder Aron. Wer es gewohnt ist, dass ihm alles gelingt, wird schneller grimmig und aufbrausend als jemand, der ohnehin im Schatten steht oder sogar dauernd Schläge und Rückschläge verkraften muss.

Diese Feststellung gilt für Adam ebenso wie für seinen Sohn Aron. Arons langjährige Freundin Abra wird kurz vor Ende des Stücks über ihn sagen: „Als wir Kinder waren, lebten wir in einem von uns erfundenen Märchen. Aber als wir erwachsen wurden, genügte das Märchen nicht mehr. ... Aron wurde nie erwachsen. Vielleicht wird er das nie. ... Er wollte nun einmal das Märchen und wollte, dass alles sich nach seinem Sinn entwickelt. Er konnte es nicht ertragen, über seine Mutter Bescheid zu wissen, weil das Märchen nicht so verlief, wie er gewünscht hatte. Und so riss er die Welt in Fetzen.“ Und wie in der vorigen Generation stellt sich wieder die Frage: Wie kann man mit seiner Wut umgehen?

Entscheidungsfreiheit

Das Böse übt eine große Faszination aus und provoziert die Frage: Wie konnte das geschehen? Wodurch wird der Mensch zum wahnhaft Getriebenen? Woher kommt die Macht des Bösen? Warum ist der Mensch grausam und brutal? „Kurz: Wie kommt das Böse in die Welt?“ (Rüdiger Safranski).

Safranski schreibt in seinem Buch „Böse – oder das Drama der Freiheit“, dass das Böse der Preis für die menschliche Freiheit nach der Vertreibung aus dem Paradies sei. Immer wieder muss der Mensch wählen zwischen Gut und Böse ohne klar zu wissen, was das Gute und das Böse wirklich sind, weil er die Folgen seiner Entscheidungen nicht kennt. Es herauszufinden, dazu sind wir immer wieder aufs Neue aufgefordert und wünschen zugleich, dass Eindeutigkeit besteht über Wahr und Falsch, Gerecht und Ungerecht.  

Auch das Alte Testament liefert die Antwort nicht. Warum sah Gott Abels Opfer gnädig an, das von Kain aber nicht? Eine Erklärung fehlt. Entscheidend ist, dass Ungleichheit in das Nebeneinander Gleichberechtigter tritt: Der eine bekommt, was dem anderen versagt bleibt. So ergreifen Neid, Rivalität und Feindschaft Besitz von demjenigen, der sich zurückgewiesen fühlt. Die Situation kann außer Kontrolle geraten.

Eines steht fest: Die Entscheidungsfreiheit hat stets zwei Seiten: Immer wieder tut jemand einem anderen Böses, das niemand verhindert. Wir haben ein Gewissen, wir wissen, was erlaubt ist und was nicht. Aber dieses Gewissen ist nicht allmächtig, um Böses zu verhindern.

„Die größte Angst, die ein Kind befallen kann, ist die, nicht geliebt zu sein; die Verwerfung ist die Hölle, die es ängstigt. Jeder Mensch auf der Welt hat wohl in größerem oder kleinerem Maß solche Verwerfung verspürt. Und mit der Verwerfung kommt der Zorn, und mit dem Zorn stellt sich, als Rache für die Verwerfung irgendeine Missetat ein, mit der Missetat aber Schuldgefühl – da haben Sie die Geschichte der Menschheit.“

Gil Mehmert

Er studierte Musik in Köln und absolvierte anschließend die Regieausbildung bei August Everding an der Musikhochschule in München. Inzwischen hat er fast 100 Inszenierungen gemacht: Oper und Musical ebenso wie Komödie und Drama. Seit 2003 lehrt er als Professor im Bereich Musical an der Folkwang-Hochschule in Essen. 

Gil Mehmert hat schon an fast allen großen Häusern im deutschsprachigen Raum gearbeitet und ist sehr gefragt bei Großprojekten wie der Eröffnungsshow der RUHR 2010/Kulturhauptstadt Europa. Seine Arbeiten an der SCHAUBURG sind vielen Zuschauern eindrücklich in Erinnerung: EIN BLICK VON DER BRÜCKE von Arthur Miller, DIE WEBER von Gerhart Hauptmann, SCUDERI nach E.T.A. Hoffmann und FAHRENHEIT 451 von Ray Bradbury. Die beiden letztgenannten Arbeiten entstanden in enger Zusammenarbeit mit den BANANAFISHBONES. 

Bananafishbones

Die BANANAFISHBONES sind Sebastian Horn (Gesang, Bass), Peter Horn (Gitarre) und Florian Rein (Schlagzeug). Der Bandname ist inspiriert durch den Titel „Bananafishbones“ von The Cure, der sich auf die Kurzgeschichte „A Perfect Day for Bananafish“ von J.D. Salinger bezieht.
In der aktuellen Besetzung spielen die drei seit 1991 zusammen. Seit dieser Zeit haben sie etliche Hits produziert („Come to Sin“, „Easy Day“, „When you Pass by“, „12 Songs in One Day“.). Außerdem schreiben sie Songs für Film-Soundtracks („Wer früher stirbt, ist länger tot“, „Die Wilden Kerle“ etc.). Seit 2001 veranstalten sie jährlich das Hillside Festival in Bad Tölz und waren beim Nockherberg 2013 beim Singspiel mit von der Partie.

Dagmar Morell

Sie studierte Theatre Design an der Central School of Speech & Drama in London. Nach ihrem Abschluss gestaltete sie zunächst Kostüme für Installationen und Londoner Off-Theater. 2003 entwarf sie die Kostüme zur preisgekrönten Produktion „Die 12 Geschworenen“ (Edinburgh Festival/Theaterfestivals Perth, Adelaide, Wellington) und 2004 für „Einer flog übers Kuckucksnest“ im Londoner Westend.

Nach Assistenzen u.a. am Bayerischen Staatsschauspiel, der Staatsoper Stuttgart und dem Theater an der Wien folgten ab 2008 eigene Arbeiten für „Der Ignorant und der Wahnsinnige“ in Bochum, „Die Entführung aus dem Serail“ (KKL Luzern, Theater Freiburg) „Orlando Furioso (Bayerische Theaterakademie, München) und „Herodiade (Vlaamse Opera, Antwerpen).

2011 arbeitete sie mit Gil Mehmert für „Die Fledermaus“ am Aalto Musiktheater in Essen. Noch in diesem Jahr wird sie mit ihm für das Domplatz Open Air in Magdeburg in „Les Miserables“ zusammenarbeiten.

Alle kursiv gedruckten Texte entstammen dem Roman.

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