Fünfter Sein

oder "Wer springt den Salto Mortale?"
Regie
Peter Ender
Bühne und Kostüme
Ute Werner
Musik
Toni Matheis
Es spielen
Andrea Sonnberger, Beate Vollack, Marion Niederländer, Matthias Friedrich, Florain Stadler, Thorsten Krohn

Dauer

70 Minuten

Alter

Ab 6 Jahren

Premiere

11. Januar 2000
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Nächste Termine

Fünfter Sein

Fünfter ist, wer an die Tafel muß und keine Antwort weiß
Fünfter ist, wer vorm Chef steht und keine Lösung kennt
Fünfter ist, wer mit Sechs noch Schwimmflügel braucht
Fünfter ist, wer beim neuesten Star-Wars-Film nicht mitreden kann.
Fünfter ist, wer schnell einen roten Kopf bekommt
Fünfter ist man nie freiwillig

Fünfter ist der Legastheniker 
Fünfter ist der Legastheniker, wenn alle über ihn lachen
Fünfter ist der Legastheniker, wenn er den verkloppt, der über ihn lacht.
Fünfter ist er beim Förderprogramm mittags, wenn alle Freunde spielen.
Fünfter ist und bleibt er.

Fünfter ist, wer Geige spielt statt Schlagzeug
Fünfter ist, wer bei den Europameisterschaften nur Dritter wird
Fünfter ist, wer zu klein, zu rothaarig, zu anders ist.
Fünfter ist, wer den falschen Pass hat, oder gar keinen.
Fünfter ist man nicht, zum Fünften wird man gemacht.

Über die Vorstellung - Mädchenfreundschaften

Ein Mädchen ist allein. Aber nicht unglücklich. Sie erkundet den Ort, an dem sie sich aufhält. Er ist ein bisschen eigenartig. Aber nicht unheimlich. Vielleicht ein verbotener Ort. Wie sie hierher gekommen ist, wird nicht erzählt. Vielleicht ist es ein Traumland, ein Wunderland, ein Wellenland? Sechs Betten, eines davon ist gekippt.
Eine riesige Tür öffnet sich. Eine Zweite kommt. Rosa. Das ist unerwartet. Auch die Eintretende ist überrascht. Sie hat nicht mehr damit gerechnet, hier jemanden anzutreffen. Blicke. Wer ist Erste? Wer ist Zweite?
Das Mädchen gibt deutlich zu verstehen, dass hier ihr Terrain ist. Als sie ein Bett anhebt und fallen lässt, muss Rosa husten. Peinlich!
Hoffentlich merkt die nicht, dass ich krank bin.
Rosa sucht ihr Bett. Das Bett könnte Rückzugsort sein, ein Platz, der Sicherheit bietet, in dem man sich verstecken kann, so tun, als ob die andere nicht dabei sei. Das Mädchen äfft das Husten nach. Zweiter!
Sie sitzen sich gegenüber. Taxieren. Was ist bloß in dem Koffer, den Rosa mitgebracht hat. Sie öffnet ihn. Ein Akkordeon!
Sie hängt es dem Mädchen um, das vorsichtig zu spielen beginnt. Freundschaft. Wenn zwei gleich gut sind, können sie Freunde werden. Und wenn sie gleich schlecht sind, dann gilt das auch.
Rosa tanzt zur Musik des Mädchens. Und hustet. Sie tanzt und hustet und stirbt wunderschön. Wie die Kameliendame. Noch mal! Noch mal so schön sterben! Das Mädchen spielt weiter auf dem Akkordeon. Und Rosa stirbt wieder. Und noch mal! Das Mädchen freut sich darüber, wie schön Rosa sterben kann.
Das geht zu weit. Hör doch auf mit dem Spielen. Ich bin schon zweimal gestorben. Hör doch bitte auf! Will die mich ärgern? Sich über mich lustig machen? Ich mach weiter. So schnell lass ich mich nicht unterkriegen. Sonst ist schon klar, dass ich Zweite bin.

Über die Vorstellung - Du gehörst nicht hierher

Da kommt noch einer reingestolpert. Wir sind zu Zweit, Wir halten zusammen. Mal schauen, was das für eine ist. Der will gleich wieder gehen. Geht aber nicht. Welches Bett soll er nehmen? Nicht so einfach zu entscheiden, wenn zwei Mädchen scheinbar freundlich zuschauen. Er spürt die Blicke im Rücken. Sie führen sicher was im Schilde und wollen, dass ich mich blamiere. Er entscheidet sich für ein Bett, setzt sich, sackt mit einem riesigen Plumser durch die Sprungfedern. Dritter und Letzter. Vorläufig.
Um nicht noch eine Blamage zu riskieren, bleibt er neben einem Bett stehen. Und hält sich daran fest. Das hat er wohl nötig! Was machen denn seine Beine. Der kann ja nicht eine Sekunde ruhig stehen, dieser Springer. Das sieht ja idiotisch aus. Er tut, als ob mit seinen Beinen alles in Ordnung wäre. Nur keine Zugeständnisse.
 

Über die Vorstellung - Kraftproben

Bevor geklärt werden kann, ob der Typ mit der bemerkenswerten Beinarbeit dazugehören darf, kommt schon der Nächste. Ein Angeber. Das sieht man gleich. Er muss sofort zeigen, was er alles kann und das auch noch mit Stoppuhr Die Mädchen lachen. Aber vielleicht ist er doch der Stärkste. Springer zeigt vorsichtshalber was in ihm steckt. Konkurrenz! Wer wird Vierter? Hektik breitet sich aus. Keiner will Vierter sein.
Da öffnet sich schon wieder die Tür. Stille. Blicke. Der ist ja unheimlich. Ganz schwarz, dunkle Brille, sieht kaum was. Bewegt sich tastend. Ein Maulwurf, oder was. Interessiert sich nicht für die anderen. Sucht sich ein Bett, öffnet seinen Koffer. Noch ein Koffer! Was steckt in diesem Koffer? Alle Blicke gehen in eine Richtung. Maulwurf spürt die Neugier der anderen. Das macht Spaß. Es macht Spaß, auf Kosten der anderen einen Spaß zu machen.
 

Über die Vorstellung - Gemeine Spiele

Wer verbündet sich mit wem?
Wer kann über seinen Schatten springen?
Vier gegen einen ist doch unfair!
Hoffentlich fängt meine Nase nicht gerade jetzt zu laufen an.
Jetzt habe ich kapiert, worum es hier geht: man wird verarscht.
Wer macht den ersten Fehler?
Ist das Spiel oder Ernst?

Was mach ich, wenn er rennt?
Ob mir jemand hilft? Allein schaffe ich es nie.
Tut mir leid, war nur Spaß, wollen wir uns wieder vertragen?
Ich kann jetzt nicht mitmachen. Mein Bein weh.
Mir macht das nix. Oder vielleicht doch.
 

Erster Sein

Erster Sein. Das scheint das Ziel vor unser aller Augen zu sein: Wir sind verdammt dazu, Bester zu werden. Wer Erster ist, genießt Anerkennung, Geld, Ruhm, Ehre. In einem Zeitungsinterview hat Arnold Schwarzenegger beschrieben, wie er es geschafft hat: „ Des, was i im Sport gelernt hob, des kannst nirgends lernen, in keiner Schul: dass es keinen kurzen Weg gibt. Du musst Stunden dran arbeiten, Wochen, Monate, Jahre – und nur dann kannst Du was erreichen. Wie man über Hindernisse hinwegkommt, wenn man verliert, wie man zusammenarbeiten muss, alles habe ich im Sport gelernt. Und des ganz gleiche System hob i überall verwendet. Für alles, was i mach.“ (Aus: Süddeutsche Zeitung, 11./12. Dez. 1999). Und wer kein guter Sportler ist? Der hat Pech. Fünfter eben!

Theaterform

Die Vorstellung hat keine durchgehende Fabel, sondern erzählt in vielen kleinen Episoden von menschlichen Anstrengungen und Verrenkungen, die jeder unternimmt um zu verhindern, dass er für den Letzten gehalten wird. Die Vorstellung kommt fast ohne Sprache aus. In Haltung, Gesten, im Körperausdruck findet sie ihre eigene Sprache eher als mit Worten. An die Stelle der Sprache als Möglichkeit für den Ausdruck innerer Befindlichkeit tritt die Bewegung, Körpersprache, Spiele von Nähe und Distanz, Tempo und Langsamkeit, Zuwendung und Abkehr.
Das Interesse an den Geschichten entsteht durch fortwährende Überraschungen und schnelle Wechsel der Kräfteverhältnisse. Eben noch erster, ist eine Figur nur kurz unachtsam und schon geht sie zu Boden. Fünfter. So schnell kann es gehen. Mosaikhaft und immer wieder neu ansetzend wird das Thema umkreist.
Gezeigt wird ein Kosmos von Alltäglichkeiten, von unausgesprochenen Sehnsüchten und plötzlich aufflackernden Aggressionen, der sich statt in einer großen Handlung in Wiederholungen oder kleinen Variationen entfaltet. Keiner richtet aus Wut sein Messer gegen den anderen. Vielmehr isst einer eine Scheibe Brot ganz alleine und ohne den Hunger der anderen zu bemerken. Ob er das bewusst und somit voller Garstigkeit tut oder ob es eine Unaufmerksamkeit ist, die ihre Ursache in seiner Egozentrik hat, bleibt der Interpretation des Zuschauers überlassen.
Die Szenen beschreiben mit liebevollem Verständnis und viel Augenzwinkern kleine Bosheiten, kleine Ängste und große Quälereien, Ausreden, Zurückweisungen und Aufschneidereien. Sie zeigen, wie sich Konstellationen von Sympathie und Abneigung formieren. Und zwar meist ohne Worte.
Der Bühnenraum ist kein sozial definierter Ort, kein Klassenzimmer oder Großraumbüro, vielmehr ist es ein Traum-Raum, ein Kopf-Raum, ein surrealer Ort. Die Vorstellung endet damit, dass vier Figuren schlagartig verschwinden und das Mädchen allein zurücklassen. In einer letzten großen Tanz-Nummer schaut man ihr zu, wie sie all die Begegnungen verarbeitet, indem sie den körperlichen Ausdruck der anderen übernimmt und zu einem Tanz transformiert.
 

Peter Ender

Geboren 1958 in Duisburg, Ausbildung an der Otto-Falckenberg-Schule, zwischen 1989 und 1995 war er als Schauspieler an der Schauburg engagiert und ist derzeit als Gast in Katzelmacher zu sehen. Drehen mag er nur sehr selten („Nach Fünf im Uhrwald“, „Der Krieger und die Kaiserin“). Vor „Fünfter Sein“ hat er bereits einmal Regie an diesem Theater geführt in „Das Kabinett des Dr. Caligari“. Seit 1996 unterrichtet er als Lehrer an der Otto-Falckenberg-Schule. Peter Ender hat eine Tochter und lebt in München.

Ute Werner

Ute Werner stammt aus Stuttgart, wo sie 1960 geboren wurde. Sie studierte Bühnenbild und Kostümentwurf am Mozarteum in Salzburg und Medienkunst an der Kunsthochschule für Medien in Köln. 1995 bis 1998 lehrte sie an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe. Wichtige Bühnenbild-Arbeiten waren ihre Entwürfe für „ Am Ziel“ von Thomas Bernhard, „Das kunstseidene Mädchen“ von I. Keun, „Prinz Friedrich von Homburg“ von Heinrich von Kleist und „Fidelio“ von L. van Beethoven. An der Schauburg hat sie für Peter Ender den Bühnenraum für „Das Kabinett des Dr. Caligari“ entworfen.

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