Frühlings Erwachen

Eine Kindertragödie

Regie
Jos van Kan
Bühne
Jan Ros
Kostüme
Regina van Korlaar
Musik
Toni Matheis
Es spielen
Sabine ZeiningerLisa HuberMarion Niederländer, Christoph Wettstein, Silke Nikowski, Christof Thiemann, Michael Vogtmann, Dirk Laasch, Ercan Karacayli, Corinna Beilharz

Frühlings Erwachen

Dauer

90 Minuten

Alter

Ab 14 Jahren

Premiere

13. Januar 1996
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Zum Stück

Geschrieben Herbst 1890 bis Ostern 1891 in München, veröffentlicht 1891 auf Kosten des Autors; Uraufführung 15 Jahre später durch Max Reinhardt an den Berliner Kammerspielen am 20.11.1906.
"Ich begann zu schreiben ohne irgendeinen Plan, mit der Absicht zu schreiben, was mir Vergnügen macht. Der Plan entstand nach der dritten Szene und setzt sich aus persönlichen Erlebnissen oder Erlebnissen meiner Schulkameraden zusammen. Fast jede Szene entspricht einem wirklichen Vorgang." (Wedekind im Selbstkommentar zu seinen Werken)
"Und der Humor, mit dem ich mein „Frühlings Erwachen“ durchtränkte, hat bei meinem Publikum bis heute noch ebenso wenig Würdigung gefunden wie bei der Kritik. Zehn Jahre lang, von 1891 bis 1901, wurde das Stück allgemein (...) für eine unerhörte Unflätigkeit gehalten. Seit etwa 1901, vor allem seitdem Max Reinhardt es auf die Bühne brachte, hält man es nun für eine bitterböse, steinernste Tragödie, für ein Tendenzstück, für eine Streitschrift im dienste sexueller Aufklärung und was der spießbürgerlich-pedantischen Schlagworte mehr sind. Nimmt mich Wunder, ob ich es noch erleben werde dass man das Buch endlich für das nimmt, als was ich es vor zwanzig Jahren geschrieben habe, für ein sonniges Abbild des Lebens, in dem ich jeder einzelnen Szene an unbekümmertem Humor alles abzugewinnen suchte, was irgendwie daraus zu schöpfen war." (Frank Wedekind zu seinem Stück)

Mutter und Tochter

"Frau Bergmann: Ich würde dich ja gerne so behalten, Kind, wie du gerade bist. – Wer weiß, wie du sein wirst,...

Wendla: Wer weiß – vielleicht werde ich nicht mehr sein.

Frau Bergmann: Kind, Kind, wie kommst du auf den Gedanken!

Wendla: Sie kommen mir so des Abends, wenn ich nicht einschlafe. Mir ist gar nicht traurig dabei, und ich weiß, dass ich dann besser schlafe. – Ist es sündhaft, Mutter über derlei zu sinnen?

Frau Bergmann: Du bist und bleibst doch ein Kindskopf! – Deine arme, einfältige Mutter so in Schrecken zu jagen! – Nimm mich Wunder, wann bei dir einmal der Verstand kommt. – Ich habe die Hoffnung aufgegeben.

Wendla: Um meinen Verstand ist es ein traurig Ding. – Hab ich nun eine Schwester, die ist seit zwei und einem halben Jahr verheiratet, und ich selber bin zum dritten Male Tante geworden, und habe gar keinen Begriff, wie das alles zugeht ... Wen in der Welt soll ich denn fragen als dich!

Frau Bergmann: Ich kann nicht, Wendla.

Wendla: Und wenn nun dein Kind hingeht und fragt den Schornsteinfeger?

Frau Bergmann: Aber das ist ja zum Närrischwerden! Komm, Kind, komm her, ich sage es dir! Ich sage dir alles ... O du grundgütige Allmacht! – Nur heute nicht, Wendla! Morgen, übermorgen, kommende Woche ... wann du nur immer willst, liebes Herz..."
 

Freundinnen

Thea: Wie einem das Herz hämmert!

Wendla: Wie einem der Wind um die Wangen saust!

Martha: Um Gottes Willen, Wendla! Papa schlägt mich krumm, und Mama sperrt mich drei Nächte ins Kohlenloch

Wendla: Womit schlägt er dich, Martha?

Martha: Manchmal ist es mir, es müsste ihnen doch etwas abgehen, wenn sie keinen so schlecht gearteten Balg hätten wie ich.

Wendla: Ich an deiner Stelle wäre ihnen längst in die Welt hinausgelaufen.

Martha: Wenn ich einmal Kinder habe, ich lasse sie aufwachsen wie das Unkraut in unserem Blumengarten.

Thea: Wenn ich Kinder habe, kleide ich sie ganz in Rosa. Rosahüte, Rosakleidchen, Rosaschuhe. Nur die Strümpfe – die Strümpfe schwarz wie die Nacht!

Martha: Wenn du welche bekommst, Wendla, was möchtest du lieber, Knaben oder Mädchen?

Wendla: Jungens! Jungens!

Thea: Ich auch Jungens!

Martha: Ich auch. Lieber zwanzig Jungens als drei Mädchen.

Thea: Mädchen sind langweilig.
 

Regungen

Melchior: Du bist wie ein Mädchen.

Moritz: Glaubst du nicht auch, Melchior, dass das Schamgefühl im Menschen nicht nur ein Produkt seiner Erziehung ist?

Melchior: Denk dir, du sollst dich vollständig entkleiden vor deinem besten Freund. Du wirst es nicht tun, wenn er es nicht zugleich auch tut. – Es ist eben auch mehr oder weniger Modesache.

Moritz: Eine beiläufige Frage – 

Melchior: Nun?

Moritz: Hast du sie schon empfunden?

Melchior: Was? – Männliche Regungen?

Moritz: M-hm.

Melchior: Allerdings!

Moritz: Ich auch.----------------------

Melchior: Ich kenne das nämlich schon lange! Schon bald ein Jahr.

Moritz: Ich war wie vom Blitz gerührt.

Melchior: Gewissensbisse?

Moritz: Gewissensbisse?? --- Todesangst! Ich hielt mich für unheilbar. Ich glaubte, ich litte an einem inneren Schaden. Ich kann heute kaum mehr mit irgendeinem Mädchen sprechen, ohne etwas Verabscheuungswürdiges dabei zu denken, und dich weiß nicht, was.

Melchior: Komm doch mit auf mein Zimmer: Mama braut uns wieder eine Limonade, und wir plaudern gemütlich über die Fortpflanzung.

Moritz: Ich kann nicht. Ich kann nicht gemütlich über die Fortpflanzung plaudern. Wenn du mir einen Gefallen tun willst, dann gib mir deine Unterweisungen schriftlich.

Schule (1)

Ernst: Zentralamerika! – Ludwig der Fünfzehnte! Sechzig Verse Homer! Sieben Gleichungen!

Melchior: Verdammte Arbeiten!

Georg: Wenn nur wenigstens der lateinische Aufsatz nicht auf morgen wäre!

Moritz: An nichts kann man denken, ohne dass einem Arbeiten dazwischen kommen!

Melchior: Möchte doch wissen, wozu wir eigentlich auf der Welt sind!

Moritz: Wozu gehen wir in die Schule? – Wir gehen in die Schule, damit man uns examinieren kann! – Und wozu examiniert man uns? – damit wir durchfallen.

Moritz: Ich will arbeiten und arbeiten, bis mir die Augen zum Kopf herausplatzen. Wenn ich durchfalle, rührt meinen Vater der Schlag, und Mama kommt ins Irrenhaus.

Frau Gabor: Wir haben zu viele Beispiel, dass zu schlechte Schüler vorzügliche Menschen geworden und umgekehrt ausgezeichnete Schüler sich im Leben nicht sonderlich bewährt haben.

Moritz: Heut früh wäre ich um ein Haar noch zu spät gekommen. Himmel-Herrgott-Teufel- Donnerwetter, während des Frühstücks und den Weg entlang habe ich konjugiert, dass mir grün vor den Augen wurde.

Melchior: Das Leben ist von einer ungeahnten Gemeinheit. Ich hätte nicht übel Lust, mich in die Zweige zu hängen
 

Mütterliche Freundin (1)

Frau Gabor: Du bist alt genug, Melchior, um wissen zu können, was dir zuträglich und was dir schädlich ist. Tu, was du vor dir verantworten kannst. Ich werde die erste sein, die es dankbar anerkennt, wenn du mir niemals Grund gibst, dir etwas vorenthalten zu müssen. – Ich wollte dich nur darauf aufmerksam machen, daß auch das Beste nachteilig wirken kann, wenn man noch die Reife nicht besitzt, um es richtig aufzunehmen. Ich werde mein Vertrauen immer lieber in dich als in irgendbeliebige erzieherische Maßregeln setzen.

Heuboden

Melchior: Weg von mir! – Weg von mir!

Wendla: Was ist dir denn? Was verbirgst du dein Gesicht?

Melchir: Fort, fort! – Ich werfe dich die Tenne hinunter

Wendla: Warum kommst du nicht mit auf die Matte hinaus, Melchior? Hier ist es schwül, und düster. Werden wir auch nass bis auf die Haut, was macht uns das!

Melchior: Das Heu duftet so herrlich. Der Himmel draußen muss so schwarz wie ein Bahrtuch sein. Ich sehe nur noch den leuchtenden Mohn an deiner Brust, und dein Herz hör ich schlagen.

Wendla: Nicht küssen. Melchior! Nicht küssen!

Melchior: Dein Herz - hör ich schlagen – 

Wendla: Man liebt sich – wenn man küsst --- Nicht, nicht! ---

Melchior: O glaub mir, es gibt keine Liebe! Alles Eigennutz, alles Egoismus! Ich liebe dich so wenig, wie du mich liebst.

Wendla: Nicht! --- Nicht, Melchior!

Melchior: --- Wendla!

Wendla: O Melchior! -----nicht ---nicht---

Mütterliche Freundin (2)

Frau Gabor: Daß sie mir andeutungsweise drohen, im Fall ihnen die Flucht nicht ermöglicht wird, sich das Leben nehmen zu wollen, hat mich, offen gesagt, Herr Stiefel, etwas befremdet. Sei ein Unglück noch so unverschuldet, man sollte sich nie und nimmer zur Wahl unlauterer Mittel hinreißen lassen. Die Art und Weise, wie sie mich, die ihnen stets nur Gutes erwiesen, für einen eventuellen entsetzlichen Frevel ihrerseits verantwortlich machen wollen, hat etwas, das in den Augen eines schlecht denkenden Menschen gar zu leicht zum Erpressungsversuch werden könnte.
Und so hoffe ich denn auch zuversichtlich, dass diese meine Worte sie bereits in gefassterer Gemütsstimmung antreffen. Es wird mir stets zur Freude gereichen, Melchior mit einem jungen Mann umgehn zu sehn, der sich, mag ihn nun die Welt beurteilen, wie sie will, auch meine vollste Sympathie zu gewinnen vermochte. Und somit, Kopf hoch, Moritz. Solche Krisen dieser oder jener Art treten an jeden von uns heran und wollen eben überstanden sein.

 

Schule (2)

Rektor: Meine Herren! Wenn wir nicht umhin können, bei einem hohen Kultusministerium die Relegation unseres schuldbeladenen Schülers zu beantragen, so können wir das aus den schwerwiegendsten Gründen nicht. Wir können es nicht, um das bereits hereingebrochene Unglück zu sühnen, wir können es ebenso wenig, um unsere Anstalt für die Zukunft vor ähnlichen Schlägen sicherzustellen. Wir können es nicht, um unseren schuldbeladenen Schüler für den demoralisierenden Einfluß , den er auf seine Klassengenossen ausgeübt, zu züchtigen; wir können es zuallerletzt, um ihn zu verhindern, den nämlichen Einfluß auf seine übrigen Klassengenossen auszuüben. Wir können es aus dem jeden Einwand niedergeschlagenen Grunde nicht, weil wir unsere Anstalt vor den Verheerungen einer Selbstmordepidemie zu schützen haben, wie sie bereits an verschiedenen Gymnasien zum Ausbruch gelangt und bis heute allen Mitteln, den Gymnasiasten an seine durch seine Heranbildung zum Gebildeten gebildeten Existenzbedingungen zu fesseln, gespottet hat. Sollte einer der Herren noch etwas zu bemerken haben?
 

Im Weinberg

Ernst: Ich sehe mich manchmal schon als hochwürdiger Pfarrer – ein gemütvolles Hausmütterchen, eine reichhaltige Bibliothek und Ämter und Würden in allen Kreisen. Sechs Tage hat man, um nachzudenken, und am siebenten tut man den Mund auf. Beim Spazierengehen reichen einem Schüler und Schülerinnen die Hand, und wenn man nach Hause kommt, dampft der Kaffee, der Topfkuchen wird aufgetragen, und durch die Gartentür bringen die Mädchen Äpfel herein. Kannst du dir etwas Schöneres denken?

Hänschen: Ich denke mir halbgeschlossene Wimpern, halbgeöffnete Lippen und türkische Draperien. Sieh, unsere Alten zeigen uns lange Gesichter, um ihre Dummheiten zu bemänteln. Denke dir die Zukunft als Milchsette mit Zucker und Zimt. Der eine wirft sie um und heult, der andere rührt alles durcheinander und schwitzt. Warum nicht abschöpfen? Oder glaubst du nicht, dass es sich lernen ließe.

Ernst: Schöpfen wir ab, Hänschen!

Hänschen: Die Tugend kleidet nicht schlecht, aber es gehören imposante Figuren hinein.

Ernst: Uns schlottern sie noch um die Glieder. Ich wäre nicht ruhig geworden, wenn ich dich nicht getroffen hätte. Ich liebe dich, Hänschen, wie ich nie eine Seele geliebt habe.

Der vermummte Herr

Vermummter Herr: Ich mache dir den Vorschlag, dich mir anzuvertrauen. Ich würde fürs erste für dein Fortkommen sorgen. Ich erschließe dir die Welt. Ich führe dich unter Menschen. Ich gebe dir Gelegenheit, deinen Horizont in der fabelhaftesten Weise zu erweitern. Ich mache dich ausnahmslos mit allem bekannt, was die Welt Interessantes bietet. Du lernst mich nicht kennen, ohne dich mir anzuvertrauen.

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