Haupt-Reiter
FlussPferde
Regie
Jule Ronstedt
Bühne
Tobias Euringer
Kostüme
Andrea Fisser
Musikalische Leitung
Toni Matheis
Es spielen
Tamara Hoerschelmann, Stefan Maaß
Musiker
Tobias Weber
Dauer
60 MinutenAlter
Ab 6 JahrenPremiere
20. August 2006FlussPferd sitzt am Ufer des Flusses, suhlt sich und genießt sein Leben. Es ist ein wunderschöner Nachmittag, ein richtiger FlussPferdnachmittag. So muss es sich anfühlen, wenn man glücklich ist. Mit großer Pose taucht Pferd auf. Ein Rassepferd. Ein Klassepferd. Aussehen, Auftreten, Ausstrahlung, alles phantastisch. Dann entsteht Streit. Die Frage, wer das richtige Pferd ist, lässt Sie mit dem jeweils anderen so intensiv beschäftigen, dass Flusspferd Pferd sein will und Pferd Flusspferd. Das kann nicht gut gehen. Wir wissen es. Aber bis die beiden es auch wissen, dauert es eine ganze Vorstellung!
Nächste Termine
Umgang miteinander
„Es kann der Frömmste nicht in Frieden bleiben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt.“ wusste schon Schiller. Man kann nicht behaupten, dass das Zusammenleben seit damals einfacher geworden sei. Im Gegenteil hat man den Eindruck, dass es immer schwieriger für Menschen wird, mit einander auszukommen. Streitereien, Auseinandersetzungen, Diffamierungen, Verleumdungen beginnen nicht erst im Erwachsenenalter.
Schon unter den Jüngsten wird versucht, andere klein zu machen oder Macht über sie zu erringen. Und manchmal geschieht es unabsichtlich, einfach aus Versehen. Dennoch hilft es in solchen Fällen dem Opfer meist nicht, „Das kleine Ich bin Ich“ zu beherrschen. Wenn einer selbstgefällig, stolz und protzig auftritt, dann bleibt dem anderen schnell kein Raum mehr – Selbstbewusst sein hin oder her – und er fühlt sich klein, armselig, mickerig. Auch wenn dies unabsichtlich geschieht, sind die Folgen für den Betroffenen hart
Wie bin ich?
Genau diese Situation erlebt Frau Flusspferd. Eben war die Welt noch in Ordnung. Es ist ihr Tag. Sie hat reife Früchte eingesammelt, die herrlich duften. Sie hat auf den Strom geschaut und darüber nachgedacht, dass das Leben doch so einfach und wunderbar sei. Sie ist mit sich zufrieden. Mit ihrem Aussehen, mit ihren kurzen stämmigen Beinen, mit denen sie so standhaft im Leben stehen kann, mit ihren Schwimmhäuten zwischen den Zehen, die so praktisch sind. Sie ist stolz auf ihre glatte Haut. Kurzum: Sie findet sich schön.
Da bricht Pferd in ihre Idylle ein. Mit einem phantastisch herrlichen, eleganten und aufregendem Tanz stellt er sich vor. Flusspferd ist irritiert. Wer ist das? Was will der? Sie ist beeindruckt und gekränkt gleichzeitig. Denn schließlich ist das hier ihr Terrain. Je stolzer er sein Können vorführt, desto stärker verliert sie ihr Selbstbewusstsein. Sie fühlt sich minderwertig und in die Ecke gedrängt.
Als er sich vorstellt und behauptet, ein Pferd zu sein, bekommt sie wieder Aufwind. Denn wie ein Pferd auszusehen hat, darüber weiß sie Bescheid. Schließlich ist sie ein Pferd: kurze stramme Beine, kugelrunder Bauch, eine glatte Haut, Schwimmhäute. Folglich kann er kein Pferd sein. Ein Pferd ist so, wie sie ist. Punktum. Das lässt Pferd nicht gelten. Ein Pferd ist so wie er: rassig, schnell, elegant.
Beide verstehen nicht und werden nicht verstanden. Als Flusspferd tapfer auf ihrer Meinung beharrt, provoziert Pferd: „Ein Pferd bist Du nur, wenn Du kannst, was ich kann!“ Das behauptet er und führt sogleich seine beeindruckendsten Kunststücke vor. Naiv und beherzt versucht sie, sein Können zu imitieren und macht sich mit ihrer Ungeschicklichkeit nur lächerlich. Hohn und Spott ergießen sich über sie. Ihr Selbstbewusstsein fällt auf Null. Verzweifelt wirft sie sich in den Fluss und taucht ab, um ihn nicht mehr hören zu müssen.
Jeder ist anders
Als sie lange nicht auftaucht, bekommt er einen großen Schreck. Ihr muss ein Unglück zugestoßen sein, sie muss sich in Lebensgefahr befinden. Auf die Idee, dass sie schwimmen kann, kommt er gar nicht – weil er es nicht kann. Deshalb sind seine Rettungsversuche nur angedeutet und wirken eher lächerlich statt heldenhaft. Diese Erkenntnis nagt an ihm.
Nun bekommt sie Oberwasser: Alle Pferde können schwimmen. Und deshalb müssen Pferde rund und dick sein, damit sie sich gut im Wasser bewegen können. Als sie ihm jegliche soziale Kompetenz abspricht, weil er keinen Rettungsversuch unternommen hat, ist es genug. Die Schmach, etwas nicht zu können, was sie kann, ist unerträglich. Pferd beschließt, schwimmen zu lernen, und träumt davon, sie bei der nächsten Gelegenheit heldenhaft aus den Fluten zu retten. Außerdem will er so aussehen wie Flusspferd und beginnt zu fressen und zu fressen und zu fressen...
Auch an ihr nagt etwas. Seine Eleganz, seine Grazie rauben ihr die Ruhe. Sie will werden wie er. So beginnt sie eine brutale Blätter-Diät verbunden mit einem unbarmherzigen Lippizaner-Training.
Bis die beiden sich wieder treffen, fließt viel Wasser den Fluss hinunter: Flusspferds Haut hängt in Falten, sie fühlt sich eher kraftlos statt elegant, und das Schwimmen ist ziemlich gefährlich für sie. Dennoch stürzt sie sich mutig in die Fluten und droht sofort zu ertrinken. Pferd wittert seine Helden-Chance. Rettung naht! Von wegen! Statt sie zu retten, entwickelt sich ein unbeholfenes Gerangel unter Wasser, und man muss um beider Leben fürchten. Schließlich werden beide glücklich ans Ufer geschleudert, wo sie erst mal wieder zu Kräften kommen müssen.
Gespräche mit Kindern
Beim Probenbesuch einer Schulklasse haben wir an dieser Stelle die Erzählung abgebrochen und die Kinder gefragt, wie es wohl weitergehen könnte. Fast alle waren der Meinung, dass die beiden sich am Schluss vertragen werden. Über die Frage, wie das geschehen könnte, gab es allerdings deutlich unterschiedliche Meinungen.
Ein Teil der Gruppe meinte, Pferd und Flusspferd könnten nur dann Freunde werden, wenn beide das Gleiche können. Eine andere Gruppe war sich sicher, dass Freundschaft prima funktioniert, wenn jeder das macht, was er selber am besten kann und dabei dem anderen auch mal hilft. Und eine kleine Minderheit schlug vor, dass es am schönsten wäre, wenn beide von einander lernen würden.
Fabel
„FlussPferde“ ist eine Theaterfabel, die anhand eines pointierten Beispiels veranschaulicht, dass Auseinandersetzungen über Normen und Werteorientierungen geführt werden müssen, um Missverständnisse zu vermeiden. Dies gelingt nur, wenn man genügend Empfindsamkeit dem anderen gegenüber hat und ihm ausreichend Achtung entgegen bringt. Der pflegliche Umgang mit sich und den anderen ist keine Selbstverständlichkeit. Rücksicht nehmen, sich einfügen, Auseinandersetzungen gewaltlos austragen: All das sind Kompetenzen, die Kinder gründlich lernen müssen, damit der Alltag für alle positiv wird.
Wie jede Fabel beschreibt „FlussPferde“ eine anerkannte Wahrheit anhand der Übertragung menschlicher Verhaltensweisen auf die Tierwelt. Dadurch erreicht man, dass die Geschichte und die „Lehre“ klar getrennt sind; Kinder werden stimuliert zum eigenen Mitdenken; spielerische Lerneffekte können bei den jungen Zuschauern erzielt werden.
Flusspferd: Ich mag dich viel, viel lieber, wenn du tanzt, als wenn du versuchst, mich zu retten!
Pferd: Darf ich mich ein bisschen an dich lehnen? Ich glaube, das tut jetzt gut. Ich glaube, ich werde wieder anfangen zu tanzen. Aber zuerst muss ich lange schlafen.
Flusspferd: (kaut genüsslich an seinem Blatt) Schlaf du ruhig. Ich hab nichts dagegen, wenn es ein bisschen dauert, bis du wieder tanzt.
Jule Ronstedt
Jule Ronstedt ist am Ammersee aufgewachsen und vielen Münchner Theatergängern durch ihr Engagement an den Münchner Kammerspielen zwischen 1996 und 2000 bekannt. Seitdem arbeitet sie als freie Schauspielerin und Regisseurin. 2001 erhält sie den Staatlichen Förderungspreis in der Sparte Darstellende Kunst. Unmittelbar nach ihrer Ausbildung macht sie sich einen Namen in der Vorabendserie „Aus heiterem Himmel“.
1997 erhält sie für ihre Rolle in dem Kinofilm „Bandagistenglück“ den Max-Ophüls-Preis als beste Nachwuchs-Schauspielerin. Sie arbeitet als Gastdozentin an der Bayerischen Theaterakademie August Everding und ist weiterhin häufig im Fernsehen zu sehen. Jule Ronstedt hat eine vierjährige Tochter.
Tobias Euringer
Tobias Euringer ist in Freiburg geboren, studierte in Stuttgart und Barcelona Architektur. Er arbeitete für die katalanische Theatergruppe „La Fura dels Baus“ und als Assistent Robert Wilsons bei Theaterproduktionen in Berlin, Barcelona, Salzburg und New York.
Nach einem Stipendium der Byrd Hoffman Watermill Foundation wurde er im Frühjahr 2002 Ausstattungsleiter des Ludwig-Musicals in Füssen. Zurzeit arbeitet er an einem Ausstellungsprojekt „Canossa 1077“ in Paderborn. Das Bühnenbild für „FlussPferde“ ist seine erste Arbeit an einem Münchner Theater.