Fahrenheit 451

 

Nach dem Roman von Ray Bradbury | Deutsch Ulrich Fischer
 
Inszenierung
Gil Mehmert
Musik

 

Spielort

Großer Saal

Dauer

100 Minuten

Alter

Ab 15 Jahren

Premiere

16. Oktober 2010

 

Die nächsten Vorstellungen finden Ende Mai/Anfang Juni statt.
Zum 100. (und letzten) Mal zeigen wir Fahrenheit 451 dann innerhalb von SCHLUSSAKKORDE Ende Juni.

 

Nächste Termine

 

Bücherverbrennung und Vergnügungsterror

 

Bei der Erstveröffentlichung des Romans Fahrenheit 451 im Jahr 1953 beschrieb Ray Bradbury Zukunft. Wenn wir das Buch zu Beginn des 21. Jahrhunderts lesen, konstatieren wir, dass sich viele der technischen Voraussagen erfüllt haben und Alltag geworden sind: Flachbildschirme, Kopfhörer, Medizintechnik, elektronische Tiere (in Spielzeug-Variante). Diese Dinge gebrauchen wir heute ganz selbstverständlich, von Science Fiction keine Spur. Das einstige Kultbuch hat inzwischen eine dicke Schicht Vergangenheit angesetzt, was möglicherweise kaum auffällt, weil immer seltener gelesen wird.
In dem beschriebenen Staat sind Bücher verboten. Es herrscht eine verkehrte Welt, in der die Feuerwehr nicht eingesetzt wird, um Brände zu löschen. Vielmehr hat sie das Vernichten von Büchern übernommen. Jedes Buch ist verdächtig. Jeder Leser wird als gefährliches, weil subversives Element angesehen in einer normierten Gesellschaft. Selbst der Besitz von Büchern ist strafbar. Denken und Handeln der Menschen sollen vollständig kontrolliert werden. Bücherlesen gilt als unkalkulierbares Sicherheitsrisiko.
Feuerwehrhauptmann Beatty erklärt es folgendermaßen: „Wir müssen alle gleich sein. Nicht frei und gleich geboren, wie es in
der Verfassung heißt, sondern gleich gemacht. Jeder ein Abklatsch des andern, dann sind alle glücklich, dann gibt es nichts Überragendes mehr, vor dem man den Kopf einziehen müsste, nichts, an dem man sich messen müsste! Ein Buch im Haus nebenan ist wie eine scharf geladene Waffe.“
Zwar stellt die Feuerwehr in diesem Staatsgefüge eine allmächtige Instanz dar, dennoch fehlen totalitäre Machtstrukturen, die das Leben der Menschen bestimmen und beschneiden. Es ist nicht der Staat, der „von oben“ die Gleichschaltung lenkt. Paradoxerweise führt der freiwillige Rückzug ins Private dazu, dass jede Individualität und private Freiheit verschwinden. Fahrenheit 451 beschreibt nicht nur den Schrecken der Bücherverbrennung, sondern auch den Terror von totalem Entertainment und Dauerbespaßung.
Der Autor setzt das Genre ein zur Gesellschaftskritik. Er handelt sich also nicht um technologisch orientierte Science Fiction. In faszinierenden und merkwürdigen Episoden entsteht eine sarkastische Satire zwischen Idylle und Alptraum, die die Verlorenheit des Individuums in einer technisch perfektionierten Welt beschreibt.

 

Die Geschichte

 

 

Im Mittelpunkt steht der Feuerwehrmann Guy Montag. Pflichtbewusstsein und Leidenschaft prägen ihn, bis mehrere Ereignisse sein Weltbild ins Wanken bringen. Da ist zunächst die Begegnung mit dem Mädchen Clarisse, die ihm die Schönheit der Natur zeigt, die eigene Gedanken und Gefühle hat und ihn darauf hinweist, dass er nicht glücklich sei. Seine Frau Mildred ist eine typische Vertreterin ihrer Zeit. Der Drang nach Betäubung, Berieselung, Bespaßung führen bei ihr zu Übersättigung und Überdruss, weshalb sie einen Selbstmordversuch unternimmt. Ein professionelles Sanitätsteam kann sie zwar retten, aber der technisch perfekte Abpumpvorgang erschreckt Guy Montag zutiefst.
Das Rettungsteam behandelt seine Frau wie einen Gegenstand und nicht wie einen Menschen. Er sucht das Gespräch mit ihr. Umsonst. Mildred will weitermachen wie zuvor.
Bei einem Feuerwehreinsatz trifft er auf eine alte Frau, die lieber mit ihren Büchern verbrannt werden will als sich in Sicherheit zu bringen. Nach diesem verstörenden Erlebnis gerät Montags Welt endgültig ins Wanken. Auf der Suche nach Orientierung beginnt er zu lesen und sucht Kontakt zu Faber, einem ehemaligen Literaturprofessor. Mit ihm gemeinsam will er nicht nur die existierenden Bücher retten, sondern neue drucken. Feuerwehrmännern
sollen Bücher untergeschoben werden, damit sie, als Leser denunziert, Opfer ihres eigenen Systems werden.
Montags Kollegen schöpfen Verdacht, er gerät ins Visier des Hauptmanns, der längst Bescheid weiß, da er selbst eine Menge Bücher gelesen hat und seine Linientreue nur heuchelt. Der Mechanische Überwachungshund nimmt Witterung auf. Mildred denunziert ihren Mann. Bei seinem letzten Einsatz muss er das eigene Haus abfackeln, Mildred flieht. Montag wird zum Gejagten.
Seine Verfolgung aus der Luft und durch den Mechanischen Hund kann live in jedem Haus per Bildschirm gesehen werden. Montag findet Unterschlupf bei einer Gruppe von Aussteigern, auf die ihn Faber hingewiesen hatte. Diese Männer haben ein Geheimnis: Sie können ganze Bücher aus dem Gedächtnis abrufen, um sie in die Zukunft zu retten.
Der große Krieg, der sich schon geraume Zeit mit Getöse angekündigt hat, bricht aus und ist sofort beendet. Die Stadt, aus der Montag kurz zuvor geflohen war, liegt im Staub. Können die im Kopf gespeicherten Bücher jetzt eine Hilfe sein? Wie konnte es zu dieser Entwicklung kommen? Ist die Welt der Bücher eine Gegenwelt, eine Hoffnung? Kann man jemanden zur Verantwortung ziehen? Der Autor verweigert die Antwort.
 

 

Kultur- und Medienkritik

 

 

Fahrenheit 451 ist eine Chiffre für Kulturkritik und zivilisatorische Alpträume. Ein tiefschwarzer Blick in die Zukunft wird vorgeführt. Aber diese Zukunft ist unser Heute. Wie können wir den 50 Jahre alten Blick eines puritanischen Moralisten aktuell lesen?
Kultur- und Medienkritik sind komplizierte Fächer, weil sie manchmal als rückwärts gewandt, als fortschrittsverweigernd, als altmodisch, pessimistisch oder spielverderberisch gelten. Schon Sokrates verteidigte die Kultur des Mündlichen gegen die aufkommende Kultur des Schreibens. Er glaubte, dass der direkte Austausch das Hirn besser trainiere als das einsame Niederschreiben eigener Gedanken. Die Schrift, der Buchdruck oder das Fernsehen erweiterten unsere Möglichkeiten. Und gleichzeitig beeinflussen sie unsere geistigen Kräfte immens.
Die zentrale These dazu hat Marshall McLuhan 1964 aufgestellt. Er sagte, dass ein neues Medium sich nicht in die bestehende Welt einordne, vielmehr beeinflusse das neue Medium unmerklich, wie wir denken und handeln. Dies galt schon für die Gutenbergsche Druckerpresse. Und jedes neue Medium setzt sich nur durch, wenn es Schnelligkeit verspricht: Radio, Fernsehen und nun das Internet. Auf diese Weise bestimmt jedes neue Medium die Welt neu. Diesen Konflikt zeigt Fahrenheit 451 als Parabel. Der Autor entwirft zwei Modell-Welten: Einer Welt der Bücher, in der Geist, Gefühl, Glück, Kommunikation, Langsamkeit und Menschlichkeit walten, stellt er eine Welt der Technik, Gewalt, Unmenschlichkeit, Entfremdung, Raserei und Zerstörung gegenüber. Dieses
Szenario muss als Metapher gelesen und gedeutet werden, sonst wird es unsinnig. Wenn es gelingt, geeignete Übersetzungen herzustellen, wodurch neue Fragen an das eigene Leben aufgeworfen werden, dann wird das Entschlüsseln zur interessanten Erfahrung.
Im Vorwort zur Graphic-Novel-Ausgabe von Fahrenheit 451 (von Tim Hamilton) schrieb der fast neunzigjährige Bradbury: „Ich bin der Held, Montag, und ein guter Teil von mir ist auch Clarisse McClellan. Eine dunklere Seite meiner selbst ist der Feuerwehrmann Beatty, und meine philosophischen Neigungen werden von Faber verkörpert.“ Das heißt: Es gibt kein Richtig oder Falsch. Kein Gut oder Böse.
Dies gilt auch für Kultur- und Medienkritik. Wenn die Thesen zu einfach werden, gehen sie höchstwahrscheinlich an der Realität vorbei (siehe Sokrates). Slogans wie „Lesen heißt Denken“ werden ebenso wenig dazu beitragen, dass Nichtleser zum Buch greifen wie die permanente Verteufelung von Internet und Computer.
Ray Bradbury wusste noch gar nichts vom Internet, als er seinen Roman Fahrenheit 451 schrieb. Wenn man sich mit dem „alten“ Stoff heute beschäftigt, tauchen sofort Fragen zum Heute auf. Macht das Internet dümmer oder klüger? Wird das Sozialleben ärmer oder reicher? Befreit und demokratisiert es die Gesellschaft oder führt es zur Aushöhlung? Diese Fragen sind interessant. Kulturpessimistische Antworten wären es nicht.

 

 

Die Inszenierung

 

Wie sehr man durch die Beschäftigung mit dem Stoff von Fahrenheit 451 in Widersprüche und Verwicklungen geraten kann, haben wir selbst bei den Vorbereitungen und während der Proben erfahren. Zunächst erschien der Stoff wenig bühnentauglich. Flammeninferno, Bücherverbrennungen, die Allgegenwart von Überwachungsmedien oder die Kontrolle durch einen Mechanischen Hund sind Motive, die im Kino überzeugender realisiert werden können als im Theater. Dachten wir, bis wir eine Möglichkeit sahen, die uns überzeugte. Aber die Lösung fanden wir nicht in alten Folianten, sondern in den von Bradbury kritisierten Medien.
Schon seinem Buch wurde häufig vorgeworfen, dass er selber mit den Mitteln arbeite, die er in seinem Buch kritisiere: Sein Roman sei zu reißerisch, zu anbiedernd. Wir sind noch einen „Blockbuster“-Schritt weiter gegangen. Während des gesamten Probenprozesses haben die Musiker der Bananafishbones parallel zur Regie von Gil Mehmert die Musik passgenau für jede Szene geschrieben.
Sobald der Prozess skizziert war, wurde er filmisch aufgezeichnet, mit Kommentaren versehen und an den Illustrator und Comic-Zeichner Fufu Frauenwahl geschickt. So konnte er seine Bilder direkt in die noch unfertige Inszenierung zeichnen. Zum Teil sind es Räume oder Bewegungen, aber auch Menschen oder gefährliche Wesen. War eine Episode fertig, wurde sie digital ans Theater geschickt und weiter in die Inszenierung eingebaut.
Das Stück, die Musik, die Comics und Trickfilme, die Spieler – alle wurden zu gleichberechtigten Partnern. Während des gesamten Probenprozesses kreierten wir unser eigenes Netz: Worte, Bilder, Szenen, Musik wurden jederzeit gleichzeitig zu allen Beteiligten geschickt, damit jeder seinen Anteil an der Arbeit ergänzen konnte. Dabei war kein einziges Buch im Spiel.
Wie gelungen die Inszenierung geworden ist, ob sie der Vorlage gerecht wird, welchen Erkenntniswert der Zuschauer daraus zieht, ob Literatur doch mehr Wert besitzt als Theater, Comic und Rockmusik, das alles entscheidet jeder einzelne Zuschauer.

 

 

Ray Bradbury

 

Geboren 1920. Er gilt als einer der wichtigsten amerikanischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts und einer der größten Innovatoren der Science-Fiction-Literatur. Etliche seiner Romane wurden verfilmt. Er ist Träger des „Ordre des Arts et des Lettre“.
2007 wurde er im Rahmen der Pulitzer-Preis-Verleihung für sein Lebenswerk ausgezeichnet. Bradbury lebt in Los Angeles. Er ist ein großer Comic-Fan.

 

 

Gil Mehmert

 

Er studierte Musik in Köln und absolvierte anschließend die Regieausbildung bei August Everding an der Musikhochschule in München. Inzwischen hat er fast 100 Inszenierungen gemacht: Oper und Musical ebenso wie Komödie und Drama. Seit 2003 lehrt er als Professor im Bereich Musical an der Folkwang-Hochschule in Essen.
Gil Mehmert hat schon an fast allen großen Häusern im deutschsprachigen Raum gearbeitet. Derzeit ist er sehr gefragt bei Großprojekten wie der Eröffnungsshow der RUHR.2010/Kulturhauptstadt Europa. Nach der inspirierenden Zusammenarbeit mit den BANANAFISHBONES bei Scuderi folgt nun Fahrenheit 451.

 

 

BANANAFISHBONES

 

Die BANANAFISHBONES sind Sebastian Horn (Gesang, Bass), Peter Horn (Gitarre) und Florian Rein (Schlagzeug). Der Bandname ist inspiriert durch den Titel „Bananafishbones“ von The Cure, der sich auf die Kurzgeschichte „A Perfect Day for Bananafish“ von J.D. Salinger bezieht.
In der aktuellen Besetzung spielen die drei seit 1991 zusammen.
Seit dieser Zeit haben sie etliche Hits produziert („Come to Sin“, „Easy Day“, „When you Pass by“ etc.). Außerdem schreiben sie Songs für Film-Soundtracks („Wer früher stirbt, ist länger tot“, „Die Wilden Kerle“ etc.). Seit 2001 veranstalten sie jährlich das Hillside Festival in Bad Tölz.

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