Elektras Krieg

Regie und Ausstattung
Peer Boysen
Musik
Wanja Belaga
Es spielen
Corinna Beilharz, Julia MeierRegina SpeisederLucca Züchner, Leonard Hohm, Thorsten Krohn
Pianist
Wanja Belaga

Elektras Krieg

Dauer

100 Minuten

Alter

Ab 14 Jahren

Premiere

12. Oktober 2013

Siebzehn Jahre ist sie alt und voller Hass. Hass gegen die eigene Mutter und ihren Stiefvater, die sie für den Tod ihres geliebten Vaters Agamemnon verantwortlich macht. Dafür will sie Rache. Die soll ihr Bruder Orest vollziehen, der noch nicht aus dem Krieg zurückgekehrt ist. Doch als dieser dann endlich heimkehrt, ist Nichts so, wie sie es sich die ganze Zeit erträumte. Ganz der homerschen Vorlage verpflichtet, befragt die Autorin im Lichte heutiger Weltzusammenhänge die Figuren nach ihren Handlungsmotiven und fördert dabei erstaunlich Aktuelles zutage.

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Die Vorgeschichte

Elektra ist die Tochter des griechischen Königs Agamemnon und seiner Gattin Klytaimnestra. Agamemnon, der das griechische Heer gegen Troja führte, kam schwer verwundet aus diesem Krieg zurück. In der Zeit seiner Abwesenheit hatte sich Klytaimnestra einen anderen Mann genommen, Aygisthos, was zu ersten schweren Zerwürfnissen mit ihrer Tochter führte. Noch in der ersten Nacht nach der freudigen Wiederkehr des Vaters fand man Agamemnon tot in der Badewanne, ertrunken im eigenen Blut. Elektra und ihre Schwester Chrysothemis – im Stück wird sie Thea genannt – waren da noch Kinder. Sehr schnell glaubte Elektra den Mörder ihres Vaters ausgemacht zu haben: ihre Mutter. Der Grund lag für sie auf der Hand, die Untreue ihrer Mutter. Klytaimnestra bestreitet alle Vorwürfe der Tochter. Ohne Erfolg: Die Nacht, in der Agamemnon starb, war der Beginn von Elektras Krieg.

Wut

Wütend ist sie, dieses siebzehnjährige Mädchen, und hat genügend Gründe dafür: Der Verlust ihres geliebten Vaters im Augenblick des Wiedersehens, eine Mutter, die ihrem geliebten Vater nicht die Treue hielt und ihn, so glaubt sie, deshalb mordete, eine Schwester, die so ganz anders ist und die ihre hohen Lebensideale nicht teilt und einen verhassten Stiefvater und Waffenhändler, der sich den Platz ihres geliebten Vaters erschlichen hat. Doch die größten Kabalen bereiten ihr die im Raum stehende Behauptung, ihr Vater hätte sich, die grausamen Kriegserlebnisse nicht mehr loswerdend, selbst die Pulsadern aufgeschnitten. Mehr noch. Ihr Vater, der sie mit edlen moralischen Grundsätzen erzogen hatte, soll sich auch schwerer Kriegsverbrechen schuldig gemacht haben. Kurz nur zweifelt sie. Was aber, wenn es stimmt? Doch das Bild vom liebevollen Vater aus früher Kindheit ist stärker als jeder Zweifel. Unfähig zu hinterfragen und blind vor Rache radikalisiert sich ihr Krieg. Doch bleibt es immer ein Krieg der Worte. Nie wäre sie in der Lage, selbst konkrete Taten zu vollziehen. Einzig Orest, ihr geliebter Bruder, mit dem sie sich in frühen Kindertagen geschworen hatte, für eine bessere Welt zu kämpfen, kann ihr noch helfen. Er soll ihre Rache an der Mutter und am Stiefvater vollziehen. Auf ihn, der noch nicht aus dem Krieg heimgekehrt ist, wartet sie sehnsüchtig.

Eine Trojanerin

Mit Polyxena, eine trojanische Prinzessin und Schwester von Kassandra, führt die Autorin eine völlig neue Figur in die bekannte Personenkonstellation ein und gibt den Verlierern des Trojanischen Krieges nicht nur ein Gesicht, sondern eine gewaltige Stimme. Eine Stimme, die von den Gräueltaten der Griechen berichten kann. Eine Stimme, die von der Verrohung des Menschen im Krieg erzählt. Eine Stimme, die uns Auskunft darüber gibt, welch schändlichen Tod ihre Schwester Kassandra fand. Eine Stimme aus der Sicht der Kriegsverlierer und als solche immer ein Sinnbild des Fremden.
Als Kriegsgefangene wird Polyxena in einem Lazarett der Griechen eingesetzt. Dort lernt sie den schwer verwundeten Orest kennen, pflegt ihn gesund und sie verlieben sich ineinander. Mehr noch: Zusammen schmieden sie Zukunftspläne mit Haus und Weinberg. Kann man ihr trauen? Ihr, deren Familie die Griechen so viel Leid zugefügt hatten? Deren Schwester Kassandra von diesen Griechen brutal misshandelte wurde? Ausgerechnet sie verliebt sich in den Sohn des Mannes, der für all diese Schandtaten die Verantwortung hat? Mitnichten. Sie will primär Rache und dafür braucht sie Orest. Deswegen kommt sie nach Griechenland. Sie hat einen Plan. Sie will ihre Schwester rächen. Unbedingt und gnadenlos. Doch ihre Gefühle, die sie gegenüber Orest dann dennoch hat, gehorchen nicht immer der Vernunft...
So stehen sie sich gegenüber, eine griechische und trojanische Prinzessin. Zwei Racheengel, die den Tod der gleichen Personen wollen. Nur ihre Rachemotive sind verschieden. Elektra gründet ihre Rache auf bloße Vermutungen und frühkindliche Enttäuschungen. Wirklich etwas gesehen oder glaubhafte Beweise für die Anschuldigungen gegen ihre Mutter und ihren Stiefvater hat sie nicht. So schnell wie man ihren großen Reden glauben will, so schnell hat man auch Zweifel an der Richtigkeit der Zusammenhänge. Anders bei Polyxena. Ihre Rache gründet sich auf Miterlebtes – die Misshandlung ihrer Schwester durch die Griechen. Das zumindest ist ein klareres Motiv für Rache und verleiht ihr Glaubwürdigkeit.

Nino Haratischwili: Elektra und sie bilden für mich Gegenpole. Polyxena ist aus einer fremden Welt, Troja, die Elektras Welt, Mykene, ängstigt und ihr ein schlechtes Gewissen macht, da Mykene den Untergang Trojas verschuldet hat. Polyxena hat den Krieg und die Grausamkeiten, die ihrer Familie angetan wurden, miterlebt. Sie weiß genau, was sie will und glaubt an die Richtigkeit ihres Handelns. Elektra mutmaßt nur. Sie weiß, dass ihr alles um sich herum nicht gefällt. Aber sie weiß nicht, wie und was man ändern kann. Deshalb idealisiert sie alles Gewesene. Sobald ihre Wünsche jedoch Realität werden, bekommt sie es mit der Angst zu tun. Ich habe mir eine westliche Elektra im Jahre 2012 vorgestellt. Ich habe mich gefragt, was sie ändern würde, wenn sie könnte. Und da kam ich zu dem Schluss, dass nichts passieren würde, dass sie noch jahrelang klagen würde. Wenn ich mir aber eine Gleichaltrige aus Tschetschenien vorstelle, die den Krieg miterlebt hat, dann denke ich, dass diese Figur weniger Angst hätte zu handeln, auch wenn dieses Handeln nicht unbedingt wünschenswert ist. Deshalb habe ich Polyxena ins Spiel gebracht.“ *
 

Krieg

Dann kehrt Orest aus dem Krieg zurück. Elektra glaubt, dass ihr Rachedurst nun gestillt werden wird und sich die gesellschaftlichen Utopien aus gemeinsamen Kindertagen erfüllen werden. Doch es kommt anders. Müde und gebrochen ist Orest. Gebrochen von einem Krieg, von dem alle glaubten, er wäre gut, und von dem erjetzt weiß, dass er es nicht war. Traumatisiert von Kriegserlebnissen, die er nicht mehr aus seinem Kopf bekommt, hofft er, dass eine Hochzeit mit Polyxena die Wunden aus der Vergangenheit heilen kann und endlich Frieden zwischen den Völkern herrscht. Das ist die Hoffnung, wenigstens.

Nino Haratischwili: „Wir bekommen hier im Westen wenig von den Kriegen andernorts mit, aber es herrscht auf der Welt immer Krieg. Immer sterben Menschen, immer fahren irgendwo Panzer, immer sind irgendwelche Konflikte um Grenzen, Öl, Geld, Macht ungelöst. Ich finde es unfassbar, dass die Menschheit das bislang nicht hat lösen können. Ich komme aus einem Land, das seit meiner Einschulung bereits drei Kriege geführt hat. Letztlich ist die ganze Rachespirale in 'Elektra' ins Rollen gekommen, weil Agamemnon in den Krieg zog. Im Krieg und in seinen Folgen liegen die meisten Gründe für das Handeln der Figuren im Stück. Auch viele unserer gesellschaftlichen Probleme beruhen auf Kriegen, von denen wir vielleicht nicht viel mitbekommen, die aber dennoch (zum Teil auch von uns) geführt werden. Nichts in der Welt geschieht ohne einen Zusammenhang.“ *

Die Bombe

Verärgert über den Sinneswandel des Bruders, erinnert Elektra den Bruder an die alten Versprechen von einer neuen, besseren Welt. Sie erzählt ihm auch vom vermeintlichen Mord der Mutter an ihren Vater. Doch das alles interessiert Orest nicht mehr. Er will ausbrechen aus der Logik des Tötens und der Rache „im Namen dieser verdammten Gerechtigkeit.“ Deshalb will er heiraten. Denn seine Liebe zu Polyxena ist echt und seine einzige Hoffnung in dieser kaputten Welt. Unfähig die Erlebnisse und Wandlung ihres Bruders zu verstehen, fühlt sich Elektra von ihm verraten. „Wer bin ich, wenn ich nicht mehr an die Idee der Rache und Wiedergutmachung glauben kann?“ Das führt sie zu Polyxena, die bereits eine Bombe gebaut hat, mit der sie ihrer Rache Taten folgen lassen will. Beide begreifen, dass sie aus unterschiedlichen Gründen dieselben Ziele verfolgen. Sie schließen einen Packt: Polyxena soll die Bombe erst zünden, wenn Elektra es ihr sagt. Doch dann findet Orest die Bombe und stellt Polyxena zurede. Entmutigend stellt er fest, dass Polyxena seine Liebe zu ihr für ihre Rachepläne ausgenutzt hat. Mehr noch: Um ihre Rache zu vollenden, macht sie gemeinsame Sache mit Elektra – die Trojanerin und die Griechin vereint in ihrer Rache. Die letzte Hoffnung, doch noch aus dem ewigen Kreislauf der Gewalt auszubrechen zu können, ist ihm damit verlorengegangen. Und so beschließt er, dem Ganzen ein endgültiges Ende zu bereiten.
Da stehen sie nun, drei verirrte junge Menschen und rollen auf eine Katastrohe zu. Eine Katastrophe verursacht durch einen grausamen Krieg ihrer Eltern und einem nicht aufgeklärten vermeintlichen Mord. Beides führt zu grausamen Racheplänen der Kinder, deren Dynamik am Schluss außer Kontrolle zu geraten droht. Krieg oder Frieden, Versöhnung oder Rache, Liebe oder Tod? Wie den richtigen Weg finden?

Gedanken zur Stückfassung

Elektra ist neben Medea, Iphigenie und Antigone eine der bekanntesten Frauengestalten der griechischen Mythologie. Fest verankert im antiken Epos über die Geschehnisse des Trojanischen Krieges von Homer, der „Ilias“ und der „Odyssee“, ist sie seit jeher nicht mehr aus der europäischen Dichtung wegzudenken. Bei Homer noch eingebunden in eine große epische Vorkriegs, Kriegs- und Nachkriegserzählung, gerät der Elektra-Stoff frühzeitig in den Fokus diverser griechischer Tragödiendichter. So waren es Sophokles, Aischylos und Euripides, die mit ihren Elektra-Tragödien für eine große Verbreitung und Bekanntheit dieses Stoffes sorgten. Über die Jahrhunderte hinweg bis in die jüngste Vergangenheit hinein erfreut sich der Stoff weiterer Bearbeitungen. Die bekanntesten stammen dabei von Hugo von Hofmannsthal, Gerhart Hauptmann, Jean-Paul Sartre, Eugene O'Neill u.v.m.
Als wir den Gedanken fassten, den Elektra-Stoff für Sie auf die Bühne zu bringen, suchten wir nach einer Bearbeitung der homerischen Vorlage, die vor allem mit Sprache und äußerer Form direkt auf die Weltwahrnehmung der Menschen von heute zugreift. Einerseits. Andererseits sollte es keine Fassung sein, die sich bloß an tagespolitischen Ereignissen weidet und sprachlich soweit in die Knie geht, dass die Sprengkraft, die dieser Tragödie innewohnt, in der Banalität einer Alltagssprache verloren geht.
Als Theater geht es uns um einen direkten und unmissverständlichen Zugriff auf einen dramatischen Stoff, zumal dieser Größenordnung. Denn was wir uns dabei mit einer heutigen, zeitgemäßeren Stückfassung des Elektra-Stoffs und einer entsprechend-packenden Inszenierung wünschen, ist eine Theater-Brücke für unsere Zuschauer zu bauen, hin zu einer womöglich leichteren und verständnisvolleren Auseinandersetzung mit den Klassikern der Antike.
Fündig wurden wir bei der jungen Hamburger – in Georgien geborenen – Autorin Nino Haratischwili. Ihr ist mit „Elektras Krieg“ ein dramatischer Text gelungen, bei der die Sprache keine eigene Kunstform sein will und so auch keine zusätzliche Hürde darstellt. Ihre Sprache ist erfrischend klar und dient primär der Zuspitzung einer Szene sowie der Figurencharakterisierung. Sehr geschickt schneidet sie die Szenen so aneinander, dass die dabei entstehende Spannung kaum auszuhalten ist. Darüber hinaus gelingt es der Autorin, die ursächlichen Fragen des Stoffs von Schuld, Rache und Gerechtigkeit mit einem atemberaubenden „Kriminalfall“ zu verweben. Denn wer wann wen umgebracht hat oder umbringen wird, liegt bei ihr im Auge des Zuschauers. Das erzeugt Suspense.
Erwähnenswert ist auch, dass sie der Mode widerstand, klassische Stoffe rein äußerlich modernisieren zu müssen. Ganz der klassischen Vorlage verpflichtet, befragt sie im Lichte heutiger Weltzusammenhänge die Figuren nach ihren Handlungsmotiven und fördert dabei erstaunlich Aktuelles zutage. 
Gefärbt ist das Stück auch durch die Erfahrungswelt einer jungen Frau und Autorin, die als Kind den Krieg in Georgien erlebt hat und in Hamburg ihre zweite Heimat fand. Dieses Zurechtfinden müssen in zwei unterschiedlichen Welten und die damit einhergehende Zerrissenheit gibt nicht zuletzt den handelnden Figuren ihres Stücks das nötige Verständnis und Tiefe. Kurzum: Eine außergewöhnliche Textvorlage für ein Theater.

Nino Haratischwili: „Ich wollte Elektra ins Heute versetzen, ohne mich in Tagesaktualitäten zu verlieren. Elektra ist eine Privilegierte, die alles haben kann, sich aber zunehmend verliert. Ich wollte die Spaltung meiner Welt, wie ich sie empfinde, darstellen: in Ost und West, Christentum und Islam; das Fremde, das einen ängstigt und überfordert thematisieren. Ich wollte Elektras Zerrissenheit und innere Getriebenheit auch auf die anderen Figuren ausweiten. Ich habe viele Inszenierungen gesehen, die sie nur als Opfer darstellen, das Gerechtigkeit wieder erlangen möchte. So sehe ich sie einfach nicht.“ *
 

Die Autorin Nino Haratischwili

Die Autorin bei „wikipedia“

Der Pianist Wanja Belaga

1969 in Moskau geboren bekam Wanja Belaga mit fünf Jahren den ersten Klavierunterricht und gehörte kurzzeitig der Kinderabteilung des Moskauer Konservatoriums an.
1978 siedelte er mit seinen Eltern nach Wien und später München über. In München erhielt er bis zum 14. Lebensjahr privaten Klavierunterricht bei Alla von Buch und Vadim Suchanov vom Richard-Strauss-Konservatorium. Nach mehreren Handbrüchen gab er das Klavierspiel zunächst auf und studierte nach dem Abitur Malerei und Slawistik.
Vor einigen Jahren intensivierte er sein Klavierspiel wieder und wurde aufgrund seiner ersten Konzerte im Münchner Gasteig als „(...) das Genie, das aus der Kälte kam“ (Süddeutsche Zeitung) bekannt. Seine Spezialität ist die Spontankomposition„Im Hier und Jetzt entstehen Improvisationen, die schier den ganzen Kosmos der Musikgeschichte in sich tragen“ - befanden mehrere deutsche Zeitungen. Eine Osnabrücker Zeitung fragte launig, „Ist er nun ein Genie, oder ein Scharlatan?“ - er selbst bezeichnet sich als einen Illusionisten.
Über seine musikalischen Aktivitäten hinaus betreibt Wanja Belaga seit dieser Spielzeit das Café der Schauburg - „Onkel Wanja – Theaterklause“. Außerdem ist er Mitbetreiber des „Salon Irkutsk“ und der Kunstbar „Provisorium“.
 

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