Haupt-Reiter
Die Verwandlung
Regie
Beat Fäh
Fassung und Bühnenidee
Beat Fäh
Musik
Toni Matheis
Bühnenrealisation und artistische Beratung
Siegfried Fleischer
Kostüme
Katja Salzbrenner
Es spielen
Ilona Grandke, Berit Menze, Martin Schurr, Florian Stadler, Peter Wolter
Dauer
80 MinutenAlter
Ab 14 JahrenPremiere
19. Februar 2002"Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheuren Ungeziefer verwandelt." So beängstigend wie lapidar beginnt Franz Kafkas berühmte Erzählung. Und sie entfaltet im Folgenden ein Panorama nach außen gestülpter Ängste, die sich nach beharrlicher Verdrängung massiv entladen. Wie viele Geschichten Kafkas beginnt auch diese in der Familie, erzählt von der Liebe, die sie lehrt, vom Hass, den sie erzeugt, und vom Versuch einer Befreiung aus einer fremdbestimmten Lebenswelt.
Nächste Termine
Kurt Tucholsky über Franz Kafka
"Franz Kafka wird in den Jahren, die nun seinem Tod folgen, wachsen. Man braucht niemand zu ihm zu überreden: er zwingt. Wände beleben sich, die Schränke und Kommoden fangen an zu flüstern, die Menschen erstarren, Gruppen lösen sich auf und bleiben wieder wie angebleit stehen, nur der Wille zittert noch leise in ihnen. Man sagt von Tamerlan, er habe einmal seine Gefangenen mit Mörtel zu einer Mauer zusammenmauern lassen, zu einer brüllenden Mauer, die langsam verzuckte. So etwas ist es. Ein Gott formt eine Welt um, setzt sie neu zusammen, ein Herz steht am Himmel und scheint nicht, sondern klopft; ein Fetisch wandelt, eine Apparatur wird lebendig, nur, weil sie da ist. Die Frage Warum? ist so töricht, beinah so töricht wie in der realen Welt. Deren Teile sind da - aber sie sind so gesehen, wie der Patient kurz vor der Operation die Instrumente des Arztes sieht: ganz scharf, überdeutlich, durchaus materiell - aber hinter den blitzenden Stücken ist noch etwas anderes, die Angst brüllt der Materie in alle Poren, erbarmungslos steht das Operationsbett, hab doch Mitleid! sagt der Kranke, auch du! Das Bett ist so fremd, aber es ist doch im Bunde.
Ein solcher Wille begründet Sekten und Religionen - Kafka hat Bücher geschrieben, einige wenige, unerreichbare, niemals auszulesende Bücher. Hätte sich der Schöpfer anders besonnen, und wäre dieser in Asien geboren: Millionen klammerten sich an seine Worte und grübelten über sie, ihr Leben lang. Wir dürfen lesen, staunen, danken."
Diesen Sätzen Kurt Tucholskys ist eigentlich nichts mehr hinzuzufügen.
"Die Verwandlung" gehört zu den meistgelesenen Kafka-Texten. Unzählige Generationen von Lesern und Interpreten haben sich über die komplexe, oft paradoxe und verrätselte Erzählung gebeugt. Dennoch besteht noch immer das verbreitete Vorurteil, "Die Verwandlung" sei eine düstere, Depressionen hervorrufende Geschichte. Dabei wird vergessen, dass Kafka die grotesken Übertreibungen des Stummfilms ebenso liebte wie die satirische Komik des jiddischen Theaters und sich in seiner Erzählung davon inspirieren ließ.
Inszenatorische Vorbetrachtungen
Die Deutungen zu "Die Verwandlung" sind zahlreich, vielfältig und widersprüchlich. Man wird garantiert scheitern bei dem Versuch, die Käfermetapher auf eine bestimmte Bedeutung festzulegen. "Die Verwandlung" bietet zahllose Sinnangebote, die sich bei kreativem Lesen schnell als vorläufig und relativ erweisen.Daher stand für Beat Fäh von Beginn an fest, dass er in seiner Arbeit jede vergröbernde oder einseitig auf unser junges Publikum schielende Lesart konsequent vermeiden wollte. Beim Lesen ebenso wie auf der Bühne muss der Text als ästhetische Leistung wahrgenommen werden. Vielleicht könnte man sagen, dass am Beginn der Arbeit zu diesem Projekt folgende Prämissen standen: Der Text muss als der von Kafka verfasste erhalten bleiben. Kürzungen sind erforderlich, um eine Vorstellungsdauer von ca. 90 Minuten nicht zu überschreiten; dabei muss allen Versuchungen einer Schwerpunktsetzung oder Themenhervorhebung widerstanden werden. Allerdings sollte das Groteske, Skurrile und Komische des Textes in der Vorstellung viel Raum haben. Dazu ermunterte uns Joachim Pfeiffer, der in seinen bei 'Oldenbourg' erschienenen Interpretationen rät: "Die komische und satirische Qualität, die auch 'Die Verwandlung' auszeichnet, sollte stärker in den Unterricht integriert werden. Für die Schule ist der Komiker Kafka erst noch zu entdecken."
Beat Fäh, der zuletzt an der Schauburg die überaus erfolgreiche Horrorvision von Jeremias Gotthelfs "Schwarzer Spinne" als sprachgewaltiges Erzähltheater in Szene gesetzt hat, wird die Geschichte innerhalb und außerhalb eines großen Artistennetzes mit vier Schauspielern und einem Tänzer erzählen. Bilder eines monströsen Riesenkäfers wird es nicht zu sehen geben. Im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen vielmehr die allmähliche Zerrüttung des Körpergefühls und die irritierende "Verwandlung" der Bewegungsmuster.
Kafkas Erzählung und die Umsetzung auf dem Theater
"Die Verwandlung" ist eine Erzählung, in der einer zu Bett geht, um als Ungeziefer am nächsten Morgen aufzuwachen. Und schon stellt sich die erste Frage: Wer erzählt eigentlich die Geschichte? Handelt es sich um einen inneren Monolog Gregor Samsas? Wird die Geschichte vom Bewusstsein, von der Wahrnehmung des Helden her erzählt? Unmerkliche Perspektivwechsel verhindern eine eindeutige Antwort schon dieser einfachen Fragen. Und somit wird schnell klar: Wenn der Charakter des Textes beibehalten werden soll, dann kann man nicht auf eine "klassische" Darstellungsform des Theaters zurückgreifen.
In der immer noch herkömmlichen Vorstellung von Schauspiel verkörpert der Schauspieler eine Rolle, in der er vorgibt, ein Anderer zu sein. Heutzutage wird diese Annahme vor allem durch die Sehgewohnheiten, die das Fernsehen trainiert, bestätigt. Man sieht Schauspieler, die so tun, als ob sie wirklich diejenigen seien, die sie darstellen, in einer Umgebung, die ebenfalls "ganz echt" zu sein scheint. Aber auch im Theater gilt noch immer diese Annahme: Der Vorhang geht auf, ein Bühnenbild wird sichtbar, eine eigene Welt entsteht, in der Schauspieler in der Gegenwart agieren.
Somit wird deutlich, dass man mit dieser Art Schauspiel-Technik im Falle "Die Verwandlung" nicht weit kommt. Wie würde ein Schauspieler am Morgen als Käfer erwachen? In einem Biedermeier-Bett liegend und in einen Hartplastik-Panzer eingesperrt? Und wie erwacht ein Käfer? Oder erwacht ein Mensch, der als Käfer verkleidet ist? Aber er ist nicht verkleidet! Er ist Käfer! Und wie würde es weitergehen? Müsste der Text umgeschrieben werden in direkte Rede? Und welche Teile des Textes? Hätte man mit dieser Form überhaupt eine Chance, bei der Darstellung auf der Bühne alltagsrealistische Familiensituationen zu vermeiden? Man sieht sofort, dass das ein Weg ins Scheitern wäre, denn Kafkas Modellwelt imitiert nicht Wirklichkeit, sie treibt Wirklichkeit auf die Spitze. Diesem Autor geht es nicht um das Bezeichnen oder wieder erkennen bestimmter Situationen, sondern um das schockhafte Darstellen von Widersprüchen.
Dafür sind andere Erzählmittel auf der Bühne erforderlich als die herkömmlichen: Das narrative Theater. Das heißt, der Schauspieler ist nicht in seiner Rolle auf der Bühne, sondern immer als er selbst anwesend, um aus seiner Anwesenheit heraus seine Rolle(n) zu spielen. Im narrativen Theater ist der Schauspieler der Erzähler seiner Rollen. Nicht das Gespielte ist die Realität, sondern das Spielen selbst. Ganz praktisch bedeutet das, dass der Schauspieler Texte auch beschreibend, in der dritten Person, sprechen kann. Der Kafka-Text bleibt erhalten. Und wenn der Schauspieler will, kann er ins "andere Fach" hinüberwechseln und ausgewählte Passagen dennoch darstellen, also wirklich eintauchen in die Rolle und den Zuschauer mitnehmen in eine behauptete Gegenwart. Der große Vorteil dieser Theaterform ist nicht nur, dass Kafkas Sprache unbeschädigt bleiben kann, sondern auch, dass den Spielern viel mehr Möglichkeiten zu einer Kommunikation mit dem Zuschauer ermöglicht werden.