Die schwarze Spinne

Regie:
Beat Fäh
Bühne und Kostüme:
Franziska Kaiser
Musikalische Leitung:
Toni Matheis
Es Spielen:
Klaus Haderer, Björn Jung, Chris Nonnast, Florian StadlerSabine Zeininger

Die schwarze Spinne

Dauer

90 Minuten

Alter

Ab 14 Jahren

Premiere

16. März 2000
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Eine Horrorgeschichte

Wir kennen solche Anfänge: Eine idyllische Landschaft, Sonnenschein, fröhliches Kinderlachen, rege Tätigkeit im Felde und zu Hause, eine glückliche Familie - nichts deutet auf eine Trübung der Atmosphäre und doch wissen wir sofort: Etwas stimmt hier nicht. Ein sicheres Gefühl beschleicht uns, dass hier etwas verborgen wird, dass wir nur eine Oberfläche sehen, den Effekt eines effizienten Verdrängungsprozesses. Horrorfilme und Psychothriller fangen manchmal so an. „Shining“ zum Beispiel: Ein phantastisches Bergpanorama im Spätherbst, eine lange Kamerafahrt zeigt die malerische Landschaft; auf einer Bergstrasse schlängelt sich ein Wagen empor; das Bild fokussiert ein stattliches Gebäude, ein Hotel - und noch bevor wir erfahren, dass das Hotel leer steht, sogar noch bevor wir Jack Nicholson zum ersten Mal (am Steuer des Wagens) sehen, wissen wir: Da liegt etwas in der Luft – und nichts Erfreuliches. Furcht keimt beim Betrachten solcher Szenen auf. Es ist die Angst, gleich könnte etwas unerwartet Schreckliches geschehen. Aber es passiert nichts. Noch nicht. Es gehört zur Dramaturgie von guten Horrorgeschichten, uns dann mit dem Schrecken zu überraschen, wenn wir ihn am wenigsten erwarten. Und immer wieder gelingt diese Überraschung, obwohl wir doch längst wissen könnten wie sie funktioniert. Der Coup gelingt, weil er stets einen neuralgischen Punkt des Menschen berührt – die Angst vor dem Unvorhersehbaren, vor der Zukunft, vor dem Leben, vor den anderen, vor uns selbst. Vielleicht handeln ja fast alle Geschichten auf unterschiedliche Weise immer wieder von unserem Umgang, unseren Fluchten vor und unseren Auseinandersetzungen mit diesen Ängsten.

Auch „die schwarze Spinne“ von Jeremias Gotthelf beginnt wie ein Horrorfilm. Ein Bergtal, ein wunderschöner Tag, ein Fest, eine Kindstaufe, ein gutes Essen. Ein Blick fällt auf einen Fleck im Holz, "einen wüsten, schwarzen Bystel", der ins Auge sticht. Der Bystel evoziert eine Erinnerung, eine Erzählung kommt in Gang, und ergreift langsam aber sicher Besitz von den Erzählern. Das ist die Ausgangssituation der Schauburg-Inszenierung von Jeremias Gotthelfs berühmter Novelle. Die epische Breite von Gotthelfs Rahmenhandlung hat Beat Fäh auf ihre dramatische Essenz verknappt: die Wiederentdeckung eines verdrängten Schreckens inmitten von Wohlstand und Überfluss. In seiner Inszenierung entsteht eine Erzählung über den Umgang mit individueller und kollektiver Vergangenheit, eine Begegnung mit persönlichen Ängsten und ihrer gesellschaftlichen „Bewältigung“. Eine Erzählung von der Furcht einer Gemeinschaft ihrer Feigheit zu begegnen, eine Geschichte von der Unmöglichkeit vor sich selbst zu fliehen und von dem Mut, den Augenblick der Gefahr beherzt anzugehen.

"Die schwarze Spinne"

Vor vielen hundert Jahren lebte im Emmental der wüste Ritter Hans von Stoffeln. Der behandelte seine Bauern schlecht und zwang sie nicht nur, ein Schloss für ihn zu bauen, sondern ihm für selbiges auch noch binnen Monatsfrist einen Schattengang mit einhundert ausgewachsenen Buchen vom weit entlegenen Münneberg zu pflanzen. Ein unmögliches Unterfangen. Just als die Bauern verzweifeln, erscheint ein „Grüner“, ein Jägersmann, der ihnen einen Handel vorschlägt: Er schaffe die Buchen, wie gefordert in Monatsfrist hoch zum Schloss. Dafür wolle er im Gegenzug nichts weiter als ein ungetauftes Kind. Im allgemeinen Schrecken vor dem gottlosen Angebot ist nur eine, die nicht erschrickt. Die mutige Christine lässt sich auf den Pakt mit dem Teufel ein. Ein Kuss des „Grünen“ auf ihre Wange besiegelt das Bündnis. Christine hofft, den Teufel schon überlisten zu können, wenn nur die Buchen erst einmal oben beim Schloße seien. Zunächst scheint alles glatt zu gehen. Die Buchen sind rechtzeitig zur Stelle. Und als das erste Kind geboren wird, ist der Pfarrer bei der Geburt zugegen und tauft es sobald es das Licht erblickt, so dass der Teufel keinen Zugriff hat.

Da beginnt Christines Wange zu schmerzen und grässlich anzuschwellen. Schließlich wächst ihr im Gesicht eine übergroße Spinne heran, die sie schließlich unter Schmerzen gebiert und der noch zahllose weitere folgen. Tod und Schrecken bringt die Spinne, wer sie berührt, stirbt. Stets erscheint sie, wo man sie am wenigsten vermutet. Niemand kann ihr etwas anhaben. Die Spinne verbreitet den Schrecken der Pest. Man entschließt sich ein Kind zu opfern. Nur der tapfere Pfarrer entreißt das Neugeborene mit Todesmut der teuflischen Spinne. Er bezahlt die Tat mit dem Leben. Schließlich ist es eine mutige Mutter, die sich auf eine alte Geschichte besinnt, die davon erzählt wie man einst Geister einsperrte. Eines Nachts packt sie die Spinne, steckt sie in das präparierte Loch eines Holzbalkens und schlägt einen geweihten Zapfen darein. Auch sie muss sterben, aber die schreckliche Spinne ist fortan im Balken gefangen und kann kein Unheil mehr anrichten. Nur ein schwarzer Fleck (= Bystel) kündet von ihrer Präsenz und hält die Erinnerung an sie lebendig.
 

Erzählen als Schauspiel

Die atemberaubende Novelle Gotthelfs (erstmals erschienen 1842) wird in Beat Fähs Bühnenfassung gemeinsam von fünf Erzählern in Szene gesetzt. Es handelt sich dabei nicht um eine einfache Dramatisierung der Novelle, nicht um die szenische Illustration einer romantischen Schauerfantasie im entlegenen Schweizer Emmental des Mittelalters. Der zeitgenössische Angelpunkt unserer Inszenierung ist vielmehr die Frage nach der Angst und ihrer Überwindung. Eine Frage, der niemand zu entkommen vermag, eine Frage, die auch die Erzähler selbst unmittelbar betrifft.

"Sprich doch zu mir, ich fürchte mich," sagt ein kleiner Junge, der Angst im Dunkeln hat, zu einer geliebten Person. "Aber was hast Du davon? Du siehst mich ja nicht", antwortet die Angesprochene. Wenn jemand spricht, wird es heller", sagt das Kind. Sigmund Freud hat diese Geschichte erzählt – in Variation der sokratischen Formel "Rede, damit ich Dich sehe" – und deutet damit auch auf jenen Weg, den das Erzählen bietet, um die Angst begreifbar zu machen und so auch ihren Schrecken zu bannen.

Dementsprechend möchte die Inszenierung zugleich mit der Geschichte von der „schwarzen Spinne“ etwas über das Erzählen selbst erzählen. Beat Fäh hat dazu den Erzählduktus des Originals bewahrt; er hat den Text konzentriert und auf die fünf Erzähler verteilt. Jedem der Mitwirkenden ist eine Zentralfigur aus Gotthelfs Novelle zugeordnet, in die sich der jeweilige Erzähler bzw. die Erzählerin im Laufe der Inszenierung mehr und mehr verstrickt. Immer weiter begeben sie sich in Gotthelfs Novelle hinein. Es ist als folgten die Erzähler dem Sog ihrer eigenen Erzählung. Allmählich eignen sie sich dabei die Figuren an, von denen sie erzählen; sie spielen ihre Rollen und diese gewinnen Eigenleben. "Mit jeder klaren Rollendefinition der einzelnen Erzähler wird die Atmosphäre dieses Horrors dichter, unausweichlicher und gewalttätiger, bis am Ende die Teufelsaustreibung, die visionäre Gewalt Gotthelfs, die Spanne des Zeitunterschiedes und der Geisteshaltung überbrücken können.", so Beat Fäh in einem Vorwort zu seiner Bearbeitung. Allerdings distanziert sich das Erzählerensemble immer wieder von seinen Figuren; die Erzähler steigen aus dem Spiel aus: ironische Distanz erwächst aus der Tatsache, dass die Erzähler mehr wissen als ihre Figuren. So vermögen sie die alte Geschichte über die zeitgebundene christliche Mahnvision hinaus gegenwärtig zu machen, so bringen sie uns das Schreckensszenario nahe, so wird die Erzählung plastisch.

Entsprechend stellt der Raum und das Bühnenbild auch keine Schweizer Bergidylle aus; ein Kunstraum öffnet sich vor den Zuschauern, der sich zentralperspektivisch verengt; jede Figur hat darin ihren Ort, eine Art Garderobe, die mit eindeutigen Zeichen und Kleidungsstücken ausgestattet ist: ein Spiegel für Christine, ein Haufen Bücher für den Pfarrer, einige Mäntel für den Grünen; ein Fleckchen individuelle Heimat für Jeden der Mitwirkenden. Ein überdimensionaler Balken ragt quer durch den ganzen Raum, man sieht vereinzelte Stühle in verschiedenen Größen. Der Raum ist gleichsam als Instrumentarium des Erzählens konzipiert. Er ist zugleich Innenraum und Außenraum, bietet intimen Schutz in persönlichen Nischen, ist öffentlicher Versammlungsraum und Sturmumtoste Berglandschaft - ein Imaginationsraum.

So sind auch die Stühle in diesem wundersamen Erzählraum nicht nur einfache Sitzgelegenheiten: Ein Stuhl als Haus, wenn ein Kind geboren wird; ein kleiner Stuhl als Kind, das geraubt wird; ein ganz kleiner Stuhl, den keiner vom Fleck bewegen kann als visuelle Metapher für die ausgewachsenen Buchen, die die Bauern zum Schloss bringen müssen; ein Stuhl unter dem Christine fast zusammenbricht, nachdem der Grüne ihren Handel mit einem Kuss auf die Wange besiegelt hat als eindringliches Bild für die Seelenlast, die sie sich mit diesem Handel aufgebürdet hat. So durchlaufen die Dinge eine Sequenz von Metamorphosen, verändern Bedeutung und Gewicht und setzen einen Kosmos von Verunsicherungen ins Bild.

Nicht von ungefähr ist es denn auch wieder eine Erzählung, die den Schrecken schließlich bannt. Lange sinnt die tapfere Wöchnerin, wie der Spinne wohl beizukommen sei. Schließlich erinnert sie sich: "Sie hatte schon oft gehört, wie kundige Männer Geister eingesperrt hätten in ein Loch in Felsen oder Holz, welches sie mit einem Nagel zugeschlagen, und solange den Nagel niemand ausziehe, müsse der Geist gebannt im Loche sein." In der Doppelung von individuellem Mut der Wöchnerin und kollektivem Gedächtnis der Gemeinschaft durchdringen sich die erzählte Geschichte und die Praxis des Erzählens: Die Wöchnerin begreift, sie ergreift die Spinne und setzt dem Spuk entschlossen ein Ende.

Sprachgewalt

Die Begegnung mit der „Schwarzen Spinne“ ist auch die Begegnung mit einer ganz und gar eigentümlichen, fremdartigen Sprache. Immer wieder hat man die eindrucksvolle Sprachgewalt des Textes hervorgehoben, mit der Jeremias Gotthelf den Einbruch des Dämonischen in eine geordnete Welt schildert. Die gewalttätige Kraft dieser Sprache spielt auch in der Schauburg-Inszenierung eine wichtige Rolle, in der ausschließlich die Sprache Gotthelfs verwendet wird. Ganz bewusst haben wir die Sprache nicht „aktualisiert“, sie nicht geglättet, fremdartige Redewendungen und Worte nicht „bereinigt“. Denn genau darin schien uns die Herausforderung zu bestehen: In der archaischen Fremdheit von Gotthelfs Sprache die Gegenwärtigkeit seiner Fantasie zu suchen und nicht in der vordergründigen „Modernisierung“.

Gotthelfs Sprache ist reich an rhetorischen Stilmitteln. Alliterationen, eine Häufung von Vergleichen, Bibelzitate, eine Flut von Metaphern und Allegorisierungen stürzen auf den Zuschauer ein und sie zeugen auch von der Lust und Faszination des Erzählers Jeremias Gotthelf an seinem Tun. Nicht zuletzt gewinnt Gotthelfs Sprache ihren eigentümlichen Klang von der starken Färbung durch den Schweizer Dialekt.
Der dramatischen Umsetzung sehr entgegen kommt die Musikalität von Gotthelfs Sprachstil: Die Prosa der „Schwarzen Spinne“ ist durchsetzt von klanglich- rhythmischen Gestaltungselementen. Besonders auffällig ist, wie er immer wieder von der ungebundenen Form in die gebundene Sprache wechselt. Gotthelf liebt beispielsweise den Stabreim: (...) es war ihr, als zische Fleisch zwischen glühenden Zangen, heißt es einmal, als der Teufel Christines Hand fasst. Aber auch der unauffällige Übergang in ein rhythmisch spannungsgeladenes Oszillieren von zwei- und dreihebigen Takten ist häufig zu beobachten. So etwa, wenn der Teufel vom Weihwasser getroffen wird:

"Da fährt mit fürchterlichem Wehegeheul der Grüne von dannen,
wie ein glutroter Streifen zuckt er dahin,
bis die Erde ihn verschlingt;"

Diese sprachlichen Qualitäten erlangen ihre volle Sinnfälligkeit aber erst, wenn sie erklingen, wenn sie gesprochen werden, wenn man sie hören kann. Sie fallen dem Leser des Textes weniger ins Auge, als dem Zuschauer im Theater ins Ohr. Überdies erzeugt die starke Rhythmisierung der Sprache auch einen eigentümlichen Druck, der die zeitweilige epische Breite immer wieder dramatisch zuspitzt und zu Szenen von tragischer Ausweglosigkeit verdichtet.
Dabei fällt auf, dass Gotthelf seine ganze stilistische Virtuosität ins Feld führt, um eine Geschichte zu erzählen, deren großes Thema die Sprachlosigkeit ist: Die Bauern wagen nicht, dem Ritter zu widersprechen, und selbst untereinander waren "Hunger und Worte (...) den Männern ausgegangen, und keiner griff zum Löffel, und keiner hatte eine Antwort." Der Höhepunkt des Sprachversagens ist erreicht, als die Dorfgemeinschaft übereinkommt, dem Teufel endlich doch ein Kind zu opfern. Vor dem Hintergrund der Gotthelfschen Formulierungskraft hebt sich die folgende Szene umso prägnanter ab: "Und abgebrochen, wo keiner alles sagte, sondern jeder nur etwas, das wenig bedeuten sollte, kam man überein, das nächste Kind zu opfern. Verständigt mit und ohne Worte, ging man auseinander." In der Beobachtung solcher Kommunikationsstrukturen erweist sich Gotthelf als unser Zeitgenosse, freilich als einer der uns die Hoffnung auf ein Heilmittel lässt: Ihm war es der christliche Glauben und die Kultur des Erzählens. Mag auch ersterer heute seine allgemeine Verbindlichkeit verloren haben, so hält die Kultur des Erzählens in einer Gesellschaft doch stets die Hoffnung aufrecht, dass es zuweilen einen Sieg der Liebe gibt, die ihre Sprache findet, über die Angst.

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