Der Ruf der Wildnis

in der Übersetzung von Lutz-W. Wolff
Bearbeitung Beat Fäh
 
Regie
Beat Fäh
Bühne und Kostüme
Dagmar Morell
Musik und Sounddesign
Taison Heiß
Es spielen
Ruth Oswalt

Spielort

Großer Saal

Dauer

90 Minuten

Alter

Ab 13 Jahren

Premiere

24. Juni 2014

Das Leben der Menschen in Alaska zu Beginn des 20. Jahrhunderts ist hart. Der Goldrausch hat Alle und Alles fest im Griff. Auch die Schlittenhunde bekommen das zu spüren. Jack London beschreibt in seinem Roman von 1903 aus der Perspektive eines dieser Hunde die komplizierte Natur des Menschen. Eine spannende, tief bewegende Lebensgeschichte und der Suche nach dem, was dem Menschen zum Menschen macht: Humanismus.

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Hinab ins Primitive

Was passiert, wenn man von einer Minute auf die nächste aus seinem bisherigen Leben katapultiert wird? Wie findet man Orientierung, wenn man nicht versteht, was einem zugestoßen ist, wenn alles Vertraute und alle Sicherheiten ersetzt werden durch Grausamkeit, Härte, Gnadenlosigkeit und Gewalt? Wie überlebt man einen solchen Schicksalsschlag? Wie schnell kann man sich an neue Bedingungen anpassen? Sind Hunger, Kälte und Schmerz die größten Gefahren oder bringen Verzweiflung, Einsamkeit, Ausgeliefertsein und Hoffnungslosigkeit schneller um? Wie viele Talente sind nötig, um nicht zu zerbrechen? Gibt es Verbündete oder gar einen Freund in großer Not? Gibt es jemals wieder
Glück? Mit diesen existentiellen Fragen sieht sich Buck in dem spannenden Abenteuerroman "Ruf der Wildnis" konfrontiert. Buck ist ein Hund, eine Mischung aus Bernhardiner und Schäferhund. Der Roman "Ruf der Wildnis" erzählt seine Geschichte, die Geschichte eines verwöhnten Haushundes aus dem sonnigen Kalifornien, der unfreiwillig als Schlittenhund in Alaska arbeiten muss und schließlich zum Anführer eines Wolfsrudels wird. Sofort nach Erscheinen des Romans im Jahr 1903 wurde er zu einem Sensationserfolg und zählt heute zu den großen Abenteuerklassikern der Weltliteratur.

Das Gesetz von Knüppel und Reißzahn

„Buck las die Zeitungen nicht, sonst hätte er gewusst, dass sich etwas zusammenbraute an der Küste von San Diego bis Puget Sound, nicht nur für ihn, sondern auch für alle anderen Hunde mit starken Muskeln und langhaarigem warmen Fell. Weil einige Männer beim Wühlen in arktischer Finsternis ein gelbes Metall entdeckt hatten und die Dampfschiff- und Verkehrsgesellschaften diesen Fund gewaltig aufblähten, strömten Tausende von Männern ins Nordland. Diese Männer brauchten Hunde, sie brauchten schwere Hunde mit starken Muskeln, die arbeiten konnten, und dichten Fellen, die sie vor dem Frost schützten.“
So beginnt Jack London seinen Roman über die Erfahrungen des Hundes Buck, als der Goldrausch am Klondike in Alaska Männer und Hunde aus aller Welt in den kalten Norden trieb.
Seine ersten Jahre verbringt Buck glücklich und ziemlich verwöhnt im sonnigen Kalifornien auf der Farm von Richter Miller, bis eines Tages der Gärtnergehilfe ihn heimlich an einen Hundefänger verkauft. Der Strick um seinen Hals zieht sich zu und schneidet ihm die Luft ab. Buck wehrt sich so heftig, bis ihm die Zunge aus dem Hals hängt und seine Augen glasig werden. Aber das ist erst der Anfang. Wie Stückgut wird er zwei Tage und Nächte ohne Wasser und Futter in einem Güterzug nach Norden verfrachtet, wo die Nachfrage nach Schlittenhunden grenzenlos ist.
Als die Transportkiste sich in einem schäbigen Hinterhof öffnet, ist Buck durch Demütigungen und Entbehrungen zu einem rotäugigen Teufel mutiert. Mit Schaum vor dem Maul und blutunterlaufenen Augen springt er den Mann im roten Pullover an. Aber mitten in der Luft bekommt er dessen Knüppel zu spüren, wie er es noch nie in seinem Leben getan hat. Buck gibt nicht nach. Aber am Ende verliert er diesen Kampf. „Er war geschlagen, das wusste er; aber er war nicht gebrochen. Er begriff ein für alle Mal, dass er gegen einen Mann mit einem Knüppel keine Chance hatte.“ Obwohl er sofort weiter verkauft wird, vergisst er die Lektion, die
ihm der Mann im roten Pullover erteilt hat, nie mehr.
Die neuen Besitzer Perrault und Francois verstehen viel von Hunden und erkennen Bucks Qualitäten. Sie werden zu strengen, aber gerechten Lehrmeistern. Und Buck lernt schnell sich anzupassen an das unwirtliche Klima, an die Niedertracht der verschiedenen Hundeführer, und er versteht, dass er die Hackordnung unter den Hunden akzeptieren muss. Er lernt Selbstbeherrschung und Haltung und nimmt den Kampf ums Überleben an. Schnell begreift er, dass nicht der Stärkere überlebt, sondern derjenige, der am besten zurecht kommt unter den gnadenlosen klimatischen Bedingungen. Zunehmend vertraut er seinen Instinkten, die tief in seinem Inneren verschüttet waren und nun geweckt werden. Die Wildnis ruft.
Schnell muss er erkennen, dass die Menschen, für die er arbeitet, nur ein Ziel haben: Sie suchen Gold und Reichtum, und dafür gehen sie im wörtlichen Sinn über Leichen. Ohne Rast müssen die Hunde schwerste Lasten bei wenig Futter ziehen, und bei Erschöpfung werden sie einfach getötet. Solidarität unter den Hunden, die zu Widerstand führen könnte, entwickelt sich nicht. Stattdessen ziehen sie bis zum Umfallen oder kämpfen im Geschirr um die Spitzenposition. Davon profitieren die Schlittenführer. Deren mitmenschlicher Umgang ist geprägt von Rivalität, Grausamkeit und Dummheit, basierend auf Gier, Verachtung und Neid.
Nur einem einzigen Menschen begegnet Buck, der ihm das Leben rettet, ihn versteht und gut behandelt. Das ist Thornton. Mit ihm beginnt ein neues Leben. „Andere Menschen sorgten sich aus Pflichtgefühl oder geschäftsmäßigem Nützlichkeitsdenken um das Wohlergehen ihrer Hunde, er kümmerte sich, als ob es seine eigenen Kinder wären.“ Als Thornton ermordet wird, folgt Buck dem Ruf der Wildnis; er flieht in die Freiheit der endlosen Natur und wird Anführer eines Wolfsrudels.

Der schmale Grat

Der Schluss des Romans hat immer wieder Fragen aufgeworfen. Handelt es sich um den naiven Aufruf, sein Glück in den Wäldern zu suchen oder geht es um Verherrlichung von Gewalt. In der wunderbaren Neuübersetzung von Lutz-W. Wolff (erschienen bei dtv) haben wir einen Roman gefunden, der zeitlos aktuelle Einblicke in gesellschaftliche Probleme und philosophische Fragen vermittelt. „Buck geht ja nicht aus Übermut und Abenteuerlust in die Wälder, sondern wird durch brutalen Zwang, durch Not, Hunger und Mord auf diesen Weg getrieben. Am Ende scheint das Wolfsrudel friedlicher, oder zumindest besser geordnet als die widersprüchliche, grausame menschliche Welt.“ (aus dem Nachwort des Übersetzers).
Der Roman kann als großartige Metapher auf die Lebensumstände der Menschen zur Zeit des Goldrausches genauso wie auf die von
heute interpretiert werden: Es gab und gibt Angepasste, die sich ins Geschirr spannen lassen und Lasten ziehen bis zum Umfallen, und die Eigensinnigen, die nicht einfach ausführen, was angeordnet wird. Es gibt kluge Leittiere, die ihre Untergebenen zum gemeinsamen Projekt motivieren ebenso wie unfähige und grausame, die Widerstand und Rebellion provozieren. Das richtige Zusammentreffen unterschiedlicher Eigenschaften entscheidet, ob ein gemeinsames Ziel erreicht wird.
Dieser Roman erzählt, wie nah bedingungslose Liebe und abgrundtiefer Hass beieinander liegen können, wie zäh und zugleich grausam der Überlebenswille sein kann, wie schmal der Grat zwischen Zivilisation und Apokalypse, wie dünn die Firnis von Moral und Kultur sind.

Vom Roman zum Theater

In der Inszenierung geht es darum, diese schmale Gratwanderung zu zeigen. Die Erzählung bewegt sich dabei immer auf des Messers Schneide: Zwischen Moral und Unmoral, zwischen Richtig und Falsch, Gut und Schlecht, Höchstleistung und Zerstörung, Einzel- und Teamleistung, Segen und Fluch. Dies gilt bis zum Schluss. Die Ambivalenz am Ende kann nicht als Ratschlag interpretiert werden, die Entscheidung liegt beim Zuschauer. Fest steht nur: Der Wolf im Tier hat ein anderes Sehnsuchtspotential als der Schoßhund zu Beginn des Stücks. Um dieser großen Entwicklung gerecht zu werden, ist die Rolle des Hundes auf drei Spieler verteilt, die vierte Darstellerin ist zugleich Erzählerin. Sie reflektiert die Handlung. Sie weiß bereits, was Buck noch nicht wissen kann, denn sie ist viel älter und hat viel durchleben
müssen. Ihr Wissen ist nicht herablassend, vielmehr schaut sie voller Empathie auf diesen Hund, der so schutzlos nichtwissend in seine Geschichte gerät.
Das Bühnenbild ist ohne Zeit- oder Lokalkolorit, es zeigt einen aus Objekten bestehenden Kunstraum, der durch veränderte Anordnung der Gegenstände immer neue Lokalitäten entstehen lässt.
Ganz im Sinne von Jack London, der jede Vermenschlichung seiner Tiergestalten vermeiden wollte, obwohl er durchaus Parallelen zwischen Mensch und Tier wahrgenommen hat, tragen die Schauspieler Menschenkostüme, die eine Brücke schlagen zwischen den Lebensbedingungen während des Goldrausches Ende des 19. Jahrhunderts und unserem heutigen Geld-Rausch.

Mensch und Hund

In seinem Aufsatz „The Other Animals“ schreibt London: „Immer wieder habe ich über meine Hundehelden gesagt: ‚Er dachte diese Dinge nicht, er tat sie einfach.’ (...) Ich wollte dem normalen Leser einhämmern, dass meine Hundehelden nicht durch abstraktes Denken, sondern durch Instinkte, Empfindungen, Gefühle und einfache Überlegungen geleitet werden. Ich habe mich bemüht, meine Geschichten den Fakten der Evolution anzupassen; ich
habe sie nach dem Maßstab der wissenschaftlichen Forschung gemeißelt.“
Allerdings stand die wissenschaftliche Beobachtung von Wildtieren zu Lebzeiten von Jack London erst ganz am Anfang und eine systematische Verhaltensforschung gab es noch gar nicht. Seine Erkenntnisse beruhten im Wesentlichen auf seinem eigenen lebenslangen Umgang mit Hunden.

Das Team

Beat Fäh ist 1952 in Zürich geboren und besuchte ab 1965 die Klosterschule Maria Einsiedeln. Fast ein halbes Jahrhundert später durfte er 2013 das berühmte Welttheater Einsiedeln vor der gigantischen Klosterkirche inszenieren.
An der Schauburg arbeitet er seit vielen Jahren. Der Sturm, Der Schimmelreiter, Paranoid Park, und Frühlings Erwachen! (LIVE FAST - DIE YOUNG) sind nur einige seiner renommierten und preisgekrönten Arbeiten.
 
Christian Taison Heiß ist 1976 in München geboren. Schon als Schüler kam er durch Punk zum Selbst-Musik-Machen. Inzwischen oszilliert er zwischen Avantgarde-Musiker bei Portemanteau und Mitglied der Pop-Band Lali Puna. An der Schauburg war
er u.a. zu hören und zu sehen in Eine Odyssee, Prinz Eisenherz, Paranoid Park, Zoff in Chioggia.
 
Dagmar Morell studierte Theatre Design an der Central School of Speech & Drama in London. 2003 entwarf sie die Kostüme zur preisgekrönten Produktion „Die 12 Geschworenen“ (Edinburgh Festival/Theaterfestivals Perth, Adelaide, Wellington) und 2004 für „Einer flog übers Kuckucksnest“ im Londoner Westend. Nach Assistenzen u.a. am Bayerischen Staatsschauspiel, der Staatsoper Stuttgart und dem Theater an der Wien folgten ab 2008 eigene Arbeiten in Bochum, KKL Luzern, Theater Freiburg und in Antwerpen. Ihre erste Ausstattung an der Schauburg war für Jenseits von Eden.

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