Haupt-Reiter
Der Hund mit dem gelben Herzen
oder Die Geschichte vom Gegenteil
Nach dem Buch von Jutta Richter
Probenleitung:
Dagmar Schmidt
Bühne und Kostüme:
Hans Richter
Musik:
Toni Matheis
Es spielen:
Marion Niederländer, Björn Jung, Florian Stadler, Lisa Huber
Musiker:
Lisa Huber, Leo Gmelch, Andreas Arnold
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Die Geschichte vom Geschichten-Erfinden
Jutta Richters vielfach ausgezeichnete Erzählung ist eine Geschichte vom Ankommen und Weggehen, vom Suchen und Finden, vom Erfinden und vor allem vom Geschichten-Erfinden. DIE ZEIT schrieb in einer Rezension, das Buch sei „Ein Textgarten, ein kleiner Park mit vielen Wegen...“
Um für Sie die Handlung der Geschichte festhalten zu können, haben wir die kunstvoll verschachtelten Erzählstränge entflochten. Davor hatte uns Jutta Richter gewarnt.
„Wenn ich es nacherzählen soll, dann finde ich das Buch kompliziert. Aber ich habe das Buch ja nicht geschrieben, damit Kinder es nacherzählen sollen. Es sind die Bilder, die in die Seele reinfallen sollen und wirken. Ich kann doch auch eine Musik nicht nacherzählen. Oder ein Bild. Die einzige Kunstform, die man immer nacherzählen soll, ist die Sprache. Das finde ich dumm. Dann ist es nämlich keine Kunst mehr. Ich will gar nicht, dass alle Kinder die gleiche Geschichte gelesen (oder im Theater gesehen) haben und nacherzählen. Wenn man Kinder fragt, erzählt jedes Kind seine eigene Geschichte. Und das ist gut so.
Die Geschichte ist für mich ins Rollen gekommen mit dem Satz ‚Einmal, und das ist lange her, habe ich Gustav Ott getroffen.’. Weil ich damit die Tür aufgemacht habe, ins Paradies zu gehen, zu fabulieren. Die Tür für die Unmöglichkeit.
Das Alte Testament ist ein Stück Menschheitsgeschichte, die erste Poesie, eine Auseinandersetzung mit den Fragen ‚Woher komme ich?’, ‚Wer bin ich?’, ‚Warum bin ich nicht wie die anderen?’. Es gibt eigentlich gar keine anderen Geschichten als die, die im alten Testament stehen. Aber Geschichten können immer wieder neu erzählt werden. Die Sprache der Buber-Rosenzweig-Übersetzung hat mich einfach umgehauen. Die fängt an mit ‚Im Anfang war Irrsal und Wirrsal, Finsternis über Urwirbels Antlitz’. Das ist doch was anderes als ‚Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde’. Es geht doch um das Chaos, von dem die Menschen damals sehr genau wussten.
Jeder Mensch wird in chaotische Verhältnisse geboren, in eine Welt, die man als Kind nicht überschauen kann, die fremd ist, verwirrend, undurchsichtig, und selbst wenn Familie und Autoritäten eine gewisse Ordnung zu schaffen versuchen, dann bricht das zweite Chaos im Menschen spätestens in der Pubertät los. Und deshalb kennt jedes Kind die Geschichten vom Durcheinander.
Aber die Geschichte hat auch eine Moral. Und die heißt: ‚Geht nicht gibt’s nicht.’ Damit ist gemeint, dass man nicht zu sich selber in vorauseilendem Gehorsam sagt, das geht nicht. Dann kann nichts wachsen, dann wird man krank.“
Die Geschichte vom Hund mit dem gelben Herzen
Der Hund ist klein und schwarz und mager und sehr schmutzig. Er ist schon lange unterwegs und kann die zugigen Feldscheunen längst nicht mehr zählen, in denen er nachts hungrig eingeschlafen ist. Heute aber ist sein Glückstag. Denn er trifft Lotta und Prinz Neumann. Die beiden jagen ihn nicht weg, sondern füttern ihn mit seiner Lieblingsspeise: knusprig gebratener Hähnchenhaut. Als Prinz Neumann ihn zum ersten Mal streichelt, da weiß der Hund, dass er das große Los gezogen hat. Hier will er bleiben. Hier ist sein Zuhause. Hier hat er Freunde gefunden: Lotta und Prinz Neumann. Wenn nur die Nacht nicht käme! Ein leises Pfeifen, ein unangenehmer Geruch von Abwasserkanal und der Hund erkennt sofort: eine Ratte. Drohend fordert sie ihn auf, sofort zu verschwinden, ansonsten müsse er zahlen. Aber der Hund besitzt ja nichts! Und er möchte doch so gerne bleiben: Bei seinen Freunden. Bei Lotta und Prinz Neumann. Voller Verzweiflung vertröstet er sie auf die nächste Nacht und verspricht ihr seine Lieblingsspeise: Hähnchenhaut.
Am nächsten Morgen hat Prinz Neumann eine Überraschung für ihn: ein gelbes Herz, in dem ein Zettel ist mit Namen und Anschrift, damit er nie mehr verloren geht. Da leckt ihm der Hund die Hand, so wie es Hunde tun, wenn sie Freundschaft schließen. Und Prinz Neumann besorgt eine ganze Tüte Hähnchenhaut, damit der Hund seine Geschichte erzählt.
In der nächsten Nacht kommt die Ratte nicht allein. Zu fünft stürzen sie sich auf die Leckereien und fordern mehr. Fünf mal so viel! Das ist klar: Er steckt in der Klemme. Eine magere Katze hat von seiner Not gehört und schlägt ihm vor, gemeinsam die Ratten in die Flucht zu schlagen und die Hähnchenhaut zu teilen. Kann man ihr trauen? Wieso will eine Katze einem Hund helfen? Der Hund überlegt, doch eigentlich gibt es nichts zu überlegen. Wenn sie die Ratten besiegen, wird er nicht mehr vertrieben! Und besser eine magere Katze als mutterseelenallein.
Die nächste Nacht: fauliger Abwasserkanalgeruch – glitzernde Augen – leises rättisches Pfeifen. Der Hund spürt plötzlich einen wölfischen Zorn in sich. Jetzt wird er kämpfen. Die magere Katze streckt sich zum Sprung, ihre Krallen blitzen wie Messer. Der Hund erwischt die größte Ratte am Bein und verbeißt sich in ihr Fell. Die anderen Ratten rennen in panischer Angst die Wände hinauf. Und die Katze kämpft mit glühenden Augen und messerscharfen Krallen. Dann ist es still im Schuppen, und die beiden lecken ihre Wunden. Lange Zeit. Und der Hund will sagen: Bleib doch, Katze. Da ist sie schon ins Freie geschlüpft. Lotta und Prinz Neumann sollen aber nicht merken, dass er einen dicken Kloß im Hals hat. Deshalb erzählt er schnell seine wunderbare Geschichte zu Ende:
Die Geschichte, wie der Hund Gustav Ott traf
Einmal und das ist lange her, hatte der Hund Gustav Ott getroffen. Der Hund war schon Ewigkeiten gelaufen. Vor ihm der Sandweg, rechts eine meterhohe Hecke, links der dunkle Urwald. Müde war er. Hungrig war er. Niemandem war ihm begegnet. Nacht wurde es. Finster war’s. Da fand er ein Namensschild. G.Ott stand drauf. Er schlüpfte durch eine alte klapprige Gartenpforte. Und er glaubte zu träumen. Plötzlich war es hell, obwohl eben noch finstere Nacht war. Und alles sah aus wie gemalt: rote, weiße, blaue Blumen, die so bunt waren, dass es in den Augen wehtat. Und auf der Obstwiese standen Bäume, die blühten und trugen gleichzeitig Früchte. Da trat aus einer Gartenlaube ganz am Ende des Gartens der Besitzer all dieser Pracht: G. Ott. Er gab dem Hund zu essen und einen Namen: Hund. G. Ott hatte ein Buch, in dem er alles aufschrieb und –zeichnete. Und in diesem Buch gab es ein Bild vom Hund und darunter stand: „Hund“. So bekam der Hund den Namen Hund.
G. Ott war nämlich Erfinder. Und er war ein guter Erfinder. Das konnte man an seinem Garten sehen. Aber G. Ott hatte auch ein Problem. Er war sehr allein. Nur eine alte weiße Katze lag zusammengerollt auf dem Fensterbrett. Solange der Hund bei ihm war, kam niemals Besuch. Früher hatte er mal einen Freund gehabt: Lobkowitz. Und G. Ott erzählt dem Hund von Lobkowitz.
Gemeinsam waren sie Ewigkeiten auf dem Sandweg zwischen Urwald und Hecke gelaufen. Und auch damals war es finster gewesen. Da hatte Lobkowitz Gustav Ott aufgefordert, etwas zu erfinden: Ein Gegenteil. Das Gegenteil von Finsternis. Dann könnte man den Weg besser erkennen. Und so erfand G. Ott das Licht. Denn das Licht war das Gegenteil von Finsternis. Jeden Tag fiel ihm etwas Neues ein. Lobkowitz sprühte nur so vor Ideen. Lobkowitz hatte die Einfällte und G. Ott zeichnete alle genau in sein Buch. „Geht nicht gibt’s nicht“, hatte Lobkowitz immer gesagt.
Die Geschichte der weißen Katze, wie G.Ott den Freund verlor
Eines Tages hat die alte weiße Katze vom Fensterbrett es nicht mehrt ausgehalten und dem Hund die Geschichte erzählt, wie die Freundschaft zwischen G. Ott und Lobkowitz zerbrochen war, denn sie hatte alles miterlebt. Lobkowitz und G. Ott hatten festegestellt, dass etwas fehlte in ihrem Garten. Sie waren allein, und das war nicht gut. Gustav Ott wollte unbedingt Freunde. Freunde, mit denen man reden und lachen und singen kann. Deshalb wollte er sie erfinden. Sie sollten so sein wie Ott und Lobkowitz. Abbilder von den beiden. Uns so saß der große Erfinder vor seinem Buch und zeichnete und radierte und dachte und dachte. Nach vielen Jahrtausenden schließlich seufzte er und sagte zu Lobkowitz, dass er die Abbilder nicht erfinden könne. Denn sie müssten auf allen Wegen begleitet werden. Sie wären gefährlich. Und Lobkowitz und Ott müssten sie auf allen Wegen lenken und lehren. Weil das unmöglich sei, deshalb gehe das nicht mit den Abbildern. „Geht nicht gibt’s nicht“hat Lobkowitz gesagt. Es muss möglich sein, Freunde zu erfinden. Da hat er zum ersten Mal Gustav Ott die Hand geführt beim Zeichnen. Und seine Augen hatten gefunkelt. Lobkowitz malte einen letzten Strich und dann war es geschehen: Grässliche Kerle saßen am Tisch, die grässlich grölten und Gustav Ott vom Stuhl stießen, ihn schubsten und vor Vergnügen kreischten und ihn auslachten. Gustav Ott begann leise zu weinen. Da merkte auch Lobkowitz, dass er zu weit gegangen war. Er versuchte noch, seinen Freund zu schützen. Aber zu spät. Gustav Ott rappelte sich hoch und befahlt mit donnernder Stimme, dass alle sein Haus und den Garten verlassen sollten. Und Lobkowitz musste sie begleiten, um auf sie zu achten und sie zu lenken, zu leiten und zu lehren. Bis sie wissen, was Recht und Unrecht ist. Bis sie wirkliche Abbilder sind. Und dann hatte der große Erfinder das Tor hinter ihnen für immer geschlossen.
Als die Katze geendigt hatte, beschloss der Hund, das Haus und den Garten von G. Ott zu verlassen und Lobkowitz zu suchen und ihn zurückzubringen zu G. Ott. Er sehnte sich doch so nach seinem besten Freund.
Die Erinnerung des Hundes an die Begegnung mit Lobkowitz
Der Hund war bereits eine Ewigkeit unterwegs. Da traf er Lobkowitz draußen im Schlosspark unter der Blutbuche. Daran kann er sich gut erinnern. Wie Lobkowitz sich gerechtfertigt hatte. Nicht er hatte Freunde gewollt, sondern Gustav Ott. Und Lobkowitz war es gewesen, der gewarnt hatte. „Wenn sie so sind wie wir, dann werden sie all das wollen, was wir auch wollen. Sie werden jedes Geheimnis wissen wollen. Und jeder wird besser und klüger sein wollen.
Und sie werden streiten und kämpfen. Und aus und vorbei ist’s mit Frieden und Freude und Glück.“ Doch G. Ott hatte nicht darauf gehört und zu zeichnen begonnen. Und es war nicht gelungen. Erst als Gustav Ott aufgegeben und sich betrunken hatte, da hatte Lobkowitz geholfen. Ihm die Hand geführt beim Zeichnen. „Geht nicht gibt’s nicht.“ Er hatte doch nur versucht zu helfen. Er hatte es doch nur gut gemeint mit Gustav Ott. Und dafür wurde er von ihm so hart bestraft.
Wie all die Geschichten zu einem Schluss finden
Der Hund fand, dass Gustav Otts Strafe wirklich ungerecht war. Und außerdem hatte er sich selbst damit bestraft. Deshalb überzeugte er Lobkowitz, mit ihm gemeinsam zu Gustav Ott zurückzukehren. Sie kamen wieder den Sandweg entlang und der Hund war sich ganz sicher, dass er die Pforte zu Otts Garten sofort finden würde. Doch dann traute er seinen Augen nicht. An der Stelle, an der ganz sicher die Pforte gewesen war, wuchs die Hecke dicht und undurchdringlich.
Der Hund konnte Lobkowitz nicht mehr helfen und hätte am liebsten angefangen zu heulen. Und dann ist er losgelaufen und gelaufen und gelaufen, bis er Lotta und Prinz Neumann begegnet ist. Und weil Lotta, Prinz Neumann und die kleine magere Katze genauso wie der Hund glaubten, dass Lobkowitz und Gustav Ott wieder Freunde werden mussten, deshalb beschlossen sie, sich am nächsten Tag auf den Weg zu machen und gemeinsam die Pforte zu suchen...
Wie die Geschichte auf der Bühne erzählt wird
Zwei Schauspieler, eine Schauspielerin, eine Sängerin und zwei Musiker erzählen die Geschichte oder besser die vier verschiedenen Geschichten vom HUND MIT DEM GELBEN HERZEN gemeinsam. Sie erzählen mit Gesang, Musik, mit Sprache und Bewegung.
Die Bühne ist eine kreisrunde Scheibe mit sechs Menschen darauf: Schauspieler und Musiker. Nacheinander verlassen sie das Rund. Nur einer bleibt übrig. Eine Schauspielerin sagt: „Prinz Neumann langweilt sich.“ Und der Spieler schlüpft in die Rolle des Prinzen. Eine Schauspielerin kommt hinzu: Lotta. Sie bringt einen Kollegen mit: den Hund. Eine Szene entsteht.
Bis Prinz Neumann einen schwarzen Schlapphut aufsetzt und einen dunklen Mantel anzieht: In diesem Augenblick wird er zu Lobkowitz.
Diesem Spielprinzip folgend – in fliegendem Wechsel und mit nur kleinen Änderungen der Accessoires oder Kostümteile – übernehmen die drei Schauspieler und die Sängerin die verschiedenen Rollen der Geschichte. Unterstützt werden sie dabei von Musikern: Posaune und Klarinette versehen einzelne Situationen mit Leitmotiven, die an den entscheidenden Stellen der Geschichte wiederkehren. Z. B. gibt es eine „Hähnchenmusik“, die für Freude und Lust steht oder eine „Streichelmusik“ für Sehnsucht nach Geborgenheit oder eine „Angstmusik“. Die Musik ist so etwas wie ein roter Faden, der dem Zuschauer hilft, durch den paradiesischen Irrgarten der Erzählung hindurchzufinden.