Der Aufsatz

von Antonio Skármeta
Uraufführung

Regie und Ausstattung
George Podt
Illustrationen
Jacky Gleich
Instrumentalisten
Taison Heiß
Greulix Schrank
Bilderwerfer
Moritz Schleissing
Es spielen
Peter Wolter
sowie
Taison Heiß
Moritz Schleissing
Greulix Schrank

Spielort

Großer Saal

Dauer

ca. 55 Minuten

Alter

Ab 9 Jahren

Premiere

12. November 2016

„Als ich aus Deutschland zurückkam, war alles Schöne aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwunden: Gute Filme, das Theater, die Literatur spielten in den Medien keine Rolle, überall war Banales, Hässliches, Dummes, es ging nur um Konsum. Nach der Diktatur hatten die Menschen Angst vor allem, was sie nicht verstanden. Da war es meine Form der politischen Arbeit: eine Sendung aufzubauen, die nach den Gesetzen der Medien gar nicht funktionieren durfte - doch dann lief sie zehn Jahre lang mit großem Erfolg.“

 

Aus einem Interview der Süddeutschen Zeitung mit Antonio Skármeta über die Zeit seiner Rückkehr nach Chile 1989 und dem Aufbau einer Literatursendung im chilenischen Fernsehen

Nächste Termine

Liebes Publikum,

noch immer gibt es Erwachsene, die Kindern viel zu wenig zutrauen, weil sie glauben, Kinder seien zu jung, um die Vorgänge in der Welt zu verstehen. Die Aufführung Der Aufsatz erzählt davon, wie groß dieser Irrtum ist und dass man Kinder auf keinen Fall unterschätzen sollte. Sie sind nicht nur wachsame Beobachter aller Geschehnisse in ihrem Umfeld, sondern auch immer bemüht, das Wahrgenommene zu verstehen. Dabei sind sie häufig aufmerksamer und schlauer als Erwachsene. Daran sollten sich diese hin und wieder erinnern. Im Mittelpunkt dieser Theaterarbeit steht ein Mann, der eben das tut.
Er erinnert sich an einen neunjährigen Jungen mit Namen Pedro. Weil er der Kleinste ist, nennen ihn alle Chico, der Kleine. Er lebt in Südamerika, hat Freunde, mag Fußball und seine Eltern. Eine glückliche Kindheit – bis zu einem bestimmten Moment. Seit die Straßen voller Soldaten sind, setzt sich der Vater abends immer vors Radio und hört heimlich Nachrichten. Manchmal kommen andere Erwachsene dazu. Das alles bemerkt Pedro, ohne sich große Fragen zu stellen. Doch als er während eines Fußballspiel auf der Straße sieht, wie der Vater seines besten Freundes von zwei Soldaten mit Maschinenpistolen abgeholt wird, beginnt er zu grübeln und Fragen zu stellen. Der Freund erklärt ihm, dass sein Vater gegen die Diktatur sei und deshalb verhaftet wurde. Dieses Wort „Diktatur“ hat er schon häufig aus dem Radio gehört. Wen könnte man fragen? Seine Eltern finden, wie die meisten Erwachsenen, dass man Kinder vor harten Wahrheiten schützen müsse und weichen aus. Als aber Pedro seinen Vater direkt fragt, ob er auch gegen die Diktatur sei, muss dieser die Wahrheit sagen: Ja, auch er ist gegen die Diktatur. Pedro versteht. Gleichzeitig geht sein normales Kinderleben mit Fußball, Eltern, Freunden weiter.
Bis eines Tages ein uniformierter Hauptmann in der Schule auftaucht und die Kinder auffordert, einen Aufsatz zu schreiben zum Thema „Bei uns Zuhause“. Für den schönsten Aufsatz verspricht er eine anständige Belohnung, und Pedro träumt sofort von einem richtigen Leder-Fußball. Was soll er schreiben?
Als Pedro seinen Aufsatz einige Wochen später zurückbekommt, erzählt er seinen Eltern davon. Leichenblass überfällt die beiden eine stumme, fiebrige Angst. Er liest ihnen seinen Aufsatz vor, einen Aufsatz, der vor dem Hintergrund einer glücklichen Kindheit in einer sich bedrohlich verändernden Gesellschaft völlig anders lautet, als man das von einem neunjährigen Jungen erwartet. Pedro hat verstanden, was der Hauptmann wollte und ist ihm nicht in die Falle gegangen. Er ist zwar Chico, der Kleine, aber auf den Kopf gefallen ist er nicht.

Man muss nicht betonen, dass es furchtbar ist, wenn Kinder in einer Welt von Gewalt, Druck und Willkür heranwachsen müssen. Aber weil es immer noch und immer wieder geschieht, ist es wichtig, davon zu erzählen, von Helden wie Pedro. Und weil alle Kinder ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden haben, können auch behütete Kinder ein solches Schicksal verstehen und Mitgefühl entwickeln. Denn wie Pedro können alle Kinder genau hinsehen und hinhören, kluge Fragen stellen, die richtigen Schlussfolgerungen ziehen und entsprechend reagieren, zum Beispiel, indem man das neue Kind in der Klasse einmal fragt, wo es herkommt, ob es freiwillig sein Land verlassen musste oder ob es womöglich ohne seine Eltern hier in Deutschland oder München gelandet ist.

Solch einen Heldenjungen von einem erwachsenen Darsteller spielen zu lassen, wäre in unseren Augen nicht die angemessene Theaterform gewesen. Da wir die Geschichte als Erinnerung eines Erwachsenen erzählen, eines erwachsenen Mannes, der damals dabei war und sich daran erinnert, fiel uns die Entscheidung für die adäquate ästhetische Sprache, mit der wir die Geschichte erzählen wollen, nicht schwer.
Erinnerungen sind immateriell, sie leben im eigenen Kopf, sind nicht aus Fleisch und Blut, tauchen auf und verschwinden wieder, sind nicht an Zeit und Raum gebunden, sie sind unsichtbar und doch sehr konkret. Genau das haben wir gesucht und gefunden in drei Mitspielern, die nicht mit Sprache arbeiten: Zwei Musiker und ein Filmemacher, dessen Funktion wir als „Bilderwerfer“ bezeichnet haben. Diese drei Kollegen lösen die Gedanken des Erzählers aus, fordern ihn durch optische oder akustische Impulse auf, sich zu erinnern, nichts auszulassen, den Gefühlen von familiärer Geborgenheit ebenso nachzuspüren wie der Angst vor dem Unbekannten und dem Undurchschaubaren. Durch das Zusammenspiel von Sprache, Geräuschen, Musik, Bildern und Licht wird ganz unmerklich der eigene Film im Kopf eines jeden Zuschauers angeknipst, und man ist beteiligt an Geschehnissen, die niemanden unberührt lassen.

Als Vorlage für unsere Theaterfassung diente ein Buch gleichen Titels, das der berühmte chilenische Autor Antonio Skármeta verfasst hat. Skármeta ist einer der wichtigsten Autoren Südamerikas und kennt die Konflikte, in die sein Held Pedro gerät, sehr genau. Skármeta musste als Anhänger Salvador Allendes nach dem Militärputsch das Land verlassen. Danach lebte er viele Jahre in Deutschland im Exil und war nach dem Ende der Diktatur einige Jahre chilenischer Botschafter in Deutschland. Sein Buch Der Aufsatz wurde mit dem "UNESCO-Preis für Kinderliteratur im Dienst der Toleranz" ausgezeichnet.
Eine kongeniale Partnerin für die Buchausgabe war die renommierte Illustratorin, Malerin und Trickfilmregisseurin Jacky Gleich. Sie begnügte sich nicht mit dem Bebildern des Geschehens. Sie fängt vor allem jene Momente ein, die die inneren Zustände der Handelnden beschreiben. Häufig beschränkt sie sich darauf, die Augen der Beteiligten zu zeigen: Wach-forschende Augen von Pedro, schreckstarre Augen des Vaters oder eiskalt-unbarmherzige Augen des Hauptmanns, es gibt aber auch verspielte Kindheits-Bilder eines ganz normalen neunjährigen Jungen. Diese Original-Illustrationen aus dem Buch wirken in unserer Inszenierung wie gleichberechtigte Partner des Schauspielers. Sie werden von einem Filmemacher, der sichtbar auf der Bühne agiert, eingespielt, um die dichten Wechselspiele von Kindheitsglück, grausamer Politik, die in das Leben der Menschen eindringt, Ängsten und gewitztem Widerstandsgeist nachzuzeichnen.
In gleicher Weise wirken die beiden Musiker, Percussionisten, Soundentwickler und Geräuschemacher. Sie agieren ebenfalls auf der Bühne sichtbar hinter dem Erzähler. Sie machen ihm Druck, fordern ihn heraus, treiben an, all das nicht mit Sprache, sondern mit Sounds; und oft fragt man sich, ob die drei Mitspieler des Erzählers seine bösen Geister sind oder die guten ihn verlassen haben. Die Antworten darauf darf jeder Zuschauer für sich selbst finden.
Fast unmerklich identifiziert man sich mit dem Jungen und seinem unverstellten Blick auf eine sich bedrohlich verändernde Gesellschaft, die jegliche Menschenliebe verliert. Wie Pedros Welt sich verändert, verstehen Kinder wie Erwachsene. Aber Kinder können leichter die wesentlichen Fragen stellen: Warum ist das so? Muss es immer wieder geschehen? Was muss passieren, damit Gewalt und Unmenschlichkeit gestoppt werden? Ich freue mich, wenn Sie Ihren Kindern die Möglichkeit geben, viele Fragen zu Menschlichkeit, Recht und Unrecht, Macht und Machtmissbrauch zu stellen und freue mich auf Ihren Besuch

Ihr George Podt
(Regisseur und Intendant)

P.S. Vielleicht fragen Sie sich, warum Sie dieses Mal einen persönlichen Brief erhalten. Die Antwort erfahren Sie beim Besuch.

SP::PRODIMAGES::BLOCK::TITLE