Haupt-Reiter
Biedermann und die Brandstifter
Ein Lehrstück ohne Lehre
Regie:
Maria Knilli
Bühne und Kostüme:
Lena Knilli
Musik:
Toni Matheis
Es spielen:
René Dumont, Lisa Huber, Marion Niederländer, Michael Vogtmann, Peter Wolter, Dirk Laasch
Dauer
70 MinutenAlter
Ab 14 JahrenPremiere
15. Januar 1998Nächste Termine
1.
Herr Biedermann ist ein erfolgreicher Haarwasserfabrikant. Die Gesetze des Marktes sind hart und verlangen konsequentes Agieren. Herr Biedermann weiß das. Larmoyanz kann er sich nicht leisten. Wenn die Bilanz es erfordert, darf es keine Tabus geben. Auch nicht in Sachen Personalabbau. Knechtling zum Beispiel. Die Frage von Frau Biedermann, warum Herr Knechtling entlassen wurde, beantwortet ihr Mann lapidar: „Weil ich ihn nicht mehr brauche.“ Als der langjährige Mitarbeiter Knechtling eine finanzielle Beteiligung an seiner Erfindung fordert, wird er kurzerhand entlassen.
Gleichzeitig möchte Herr Biedermann als guter Mensch gelten. Und er glaubt von sich auch, dass er das sei. Warum lässt er diesen dubiosen Schmitz an seinen Tisch? Um sich als ein gütiger Mensch zu fühlen – nach Feierabend, während er sich im Geschäft ziemlich unmenschlich verhalten hat. Herr Biedermann sitzt zu Hause und möchte seinen Abend genießen; bei einem Glas Rotwein, einer Zigarre und den neuesten Nachrichten aus der Zeitung. Herr Biedermann ist gut informiert: über globale Arbeitsmarktzahlen und Konjunkturausblicke ebenso wie über lokale Vorkommnisse. Und was er da in letzter Zeit lesen muß, stimmt ihn ziemlich unfreundlich. Es geschieht immer nach dem gleichen Muster: Erst nistet sich ein Haustier auf dem Dachboden ein.
Und dann brennt es. Eine ungemütliche Vorstellung. Wenn es nach ihm ginge, dann wüsste Herr Biedermann schon, was zu tun wäre. Erst gestern Abend hat er es am Stammtische klar und deutlich gesagt: „Aufhängen sollte man diese Kerle.“ Und das ganze Lokal hat zugestimmt. Wie er noch über Zigarren, Zeitung, Zeiten sinniert, steht ein Kerl im Zimmer und behauptet, er komme speziell zu Biedermann, weil er Menschlichkeit suche. Das läuft runter wie Öl. Die Falle schnappt zu. Der Feuerwehrmann warnt.
2.
Obwohl das Dienstmädchen ihn zuvor schon als Haustier tituliert hat, der sich nicht abwimmeln ließe, fühlt sich der Hausherr so geschmeichelt durch die Reden dieses armseligen Kerls, dass er ihm einen Platz an seinem Tisch anbietet. Er kenne Herrn Biedermann nur von seiner besten Seite, er habe seine Reden gestern Abend im Wirtshaus gehört. „Männer wie Sie, das ist 's, was wir brauchen. Sie haben noch ein Gewissen.“ Dieser Mensch mit Namen Schmitz und nach eigenen Angaben ehemaliger Ringer, gibt Herrn Biedermann das, wonach dieser verlangt: Das Gefühl, ein guter und anständiger Mensch zu sein.
Die Warnungen des Dienstmädchens bleiben bei Herrn Biedermann deshalb ungehört. Das Räderwerk des Verhängnisses, an dessen Ende die Katastrophe steht, läuft an. Der Feuerwehrmann warnt.
3.
Frau Biedermann kommt nach Hause. Der Ehemann muß den ungebetenen Gast verstecken – auf dem Dachboden. Die Gattin jedoch entdeckt ihn. Sie traut sich zu, diesen Kerl am nächsten Morgen freundlich aber bestimmt nach einem Frühstück hinauszukomplimentieren. Der Versuch misslingt kläglich, weil Herr Schmitz sie mit der Wahrheit überrumpelt. Er weiß, dass sie ihn für einen Brandstifter hält und sagt ihm das geradeaus ins Gesicht.
Nun verpasst sie die Chance, hat nicht den Mut, die Wahrheit zu sagen, sondern verschwindet hinter bürgerlichen Höflichkeitsfloskeln. Statt einen Brandstifter loszuwerden, nistet sich ein zweiter auf ihrem Dachboden ein. Und der Feuerwehrmann meldet sich wieder – ungehört.
4.
Dieser Zweite, Wilhelm-Maria Eisenring, ist der Kopf des Gespanns. Er weiß: „Jeder Bürger ist strafbar, genaugenommen, von einem gewissen Einkommen an.“Und das dieser Satz auf Herrn Biedermann zutrifft, kann Schmitz nur bestätigen. Er hat dessen zynischen Empfehlungen an Herrn Knechtling mitgehört, dem er rät, sich doch einen Rechtsanwalt zu nehmen oder sich unter den Gasherd zu legen. Seelenruhig deponieren die beiden Brandstifter Benzinkanister auf dem Estrich, als ein Polizist auftritt, um Herrn Biedermann mitzuteilen, dass Herr Knechtling sich umgebracht habe. Das Netz ist über Herrn Biedermann geworfen, und mit jeder Bewegung verheddert er sich mehr darin. Auf die Frage des Polizisten, was in den Kanistern sei, findet Biedermann gemeinsam mit den beiden Brandstiftern eine Ausrede. Der Mann hat sich schon längst um Kopf und Kragen geredet.
Herr Biedermann glaubt, er könne Herr über die Gewalt auf seinem Dachboden werden, wenn er sich die beiden Kerle zu Freunden macht. Er will sich gut mit ihnen stellen, lädt sie zu einem Gans-Essen ein und schließt die Augen vor dem, was sich unübersehbar entwickelt. Eisenring sagt ihm unverblümt ins Gesicht, wieso das so ist: „Scherz ist die drittbeste Tarnung. Die zweitbeste: Sentimentalität. Aber die beste und sicherste Tarnung ist immer noch die blanke und nackte Wahrheit. Komischerweise. Die glaubt niemand.“ Damit hat er recht.
5.
Und so kommt, was unausweichlich kommen muß. Die Gans ist serviert, die Brandstifter bitten um Streichhölzer, Herr Biedermann gibt sie ihnen, und schon hört man Sturmglocken, Schreie, Sirenen in der Ferne, das Prasseln von Feuer in der Nähe. Herr Biedermann wehrt die Vorwürfe seiner Frau ab.
Er habe keinen Fehler gemacht, als er den beiden die Streichhölzer gab, denn „wenn die wirkliche Brandstifter wären, du meinst, die hätten keine Streichhölzer?“ Diese letzte Zurechtrückung der Dinge endet für das Ehepaar Biedermann in der Hölle. Der Feuerwehrmann hat seine Aufgabe.
Wer sind die Brandstifter?
„Wer denn eigentlich mit den beiden Brandstiftern gemeint sei, die Frage ist mir in zwanzig Jahren mindestens von tausend Schülern gestellt worden. Gottlieb Biedermann ist ein Bourgeois, das ist offenbar. Aber zu welcher Partei gehören die beiden Brandstifter? – kein Satz, den sie sagen, weist darauf hin, dass sie die Gesellschaft verändern wollen. Keine Revolution also, keine Weltverbesserer. Wenn sie Brand stiften, so aus purer Lust. Es gibt Pyromanen. Ihre Tätigkeit ist apolitisch. ...
Ich meine, die beiden gehören in die Familie der Dämonen. Sie sind geboren aus Gottlieb Biedermann selbst: aus seiner Angst, die sich ergibt, aus seiner Unwahrhaftigkeit. Natürlich gilt das nicht nur für den Bourgeois: aus der permanenten Diskrepanz zwischen Phraseologie (welcher auch immer) und Realität wächst das Unheil langsam, aber sicher. Warum unaufhaltsam? Da ist immer ein kleiner Spalt, wo die Dämonen, wenn Gottlieb redet, ihren Fuß hineinstellen können, grinsend: Der geht lieber zugrunde, als dass er seine kleinen feigen Falschheiten auch nur sich selbst zugibt.“ Max Frisch - April 1978
Ein Lehrstück ohne Lehre – dreißig Jahre später
Das Stück stammt aus den Fünfzigerjahren. Das ist für junge Menschen medienästhetisches Paläolithikum: Das Fernsehen steckt in den Kinderschuhen und sendet wenige Stunden pro Tag in schwarz-weiß. Die Technik zur Herstellung von Stereo-Schallplatten ist gerade entwickelt. Es ist die Blütezeit des Radios. In den dreißiger Jahren verändern sich die Erzählformen der Medien, ausgelöst durch die rasanten technischen Entwicklungen, einschneidend. Am anschaulichsten kann man das vielleicht an einem Beispiel aus dem Sport beschreiben: Fußball wird heute wie in den Fünfzigerjahren mit fast unveränderten Regeln gespielt. Wenn man sich aber vergegenwärtigt, wie ein Fußball Reporter damals im Radio den Verlauf eines Spiels an die Zuhörer weitergegeben hat und das vergleicht mit einer Reportage auf SAT 1, dann hat man einen ziemlich klaren Eindruck von den Veränderungen. Dasselbe gilt auch für das Theater. Wenn man eine Aufführung nicht als theatermuseale Rekonstruktion aus vergangener Zeit versteht, sondern die lebhafte Konfrontation mit Problemen der Gegenwart anhand eines älteren Stückes sucht, dann kann das Stück nicht „werktreu“ oder „vom Blatt“ gespielt werden.
Der Autor selbst sagte über das Stück: „Es handelt sich um eine Parabel, also nicht um eine Geschichte, die den Anspruch erhebt, dass man sie glaube; sondern um ein Spiel, ein Bei-Spiel.“ Das bedeutet, der Zuschauer nimmt teil an einem Gedanken-Experiment, bei dem der Mensch in Modell-Situationen vorgeführt wird. Diese Modellhaftigkeit der Geschichte haben wir in unserer Inszenierung „herausgeschält“. Damit tragen wir auch den Rezeptionsfähigkeiten der jungen Rechnung, die, trainiert durch die Medien, anders zuschauen als ein Publikum vor dreißig Jahren.
Der erste 1948 veröffentlichte Entwurf für BIEDERMANN UND DIE BRANDSTIFTER trug den Titel „Burleske“, ein Wort, das sich vom italienischen burlesco = scherzhaft herleitet. Dieser Wink des Autors führte uns auf die Fährte des absurden Theaters. Den ersten konkreten Hinweis im Stück auf eine solche Lesart fanden wir im Chor der Feuerwehrleute. Der Feuerwehrmann ist eine Figur, die häufig in „klassischen“ Stücken des absurden Repertoires auftritt. Man denke nur an „Die kahle Sängerin“ von Ionesco oder viele Stücke von Daniil Charms.
„Im absurden Theater kann man eine Geisteshaltung erkennen, die wahrhaft repräsentativ für unsere Zeit ist. Das Hauptmerkmal dieser Geisteshaltung ist die Erkenntnis, dass die Gewissheiten und die unerschütterlichen Glaubenssätze früherer Zeiten hinweggefegt sind; sie wurden gewogen und für zu leicht befunden und sind nun als billige und etwas kindische Illusionen in Verruf geraten. ‚Absurd ist etwas, das ohne Ziel ist’ (Ionesco). Das Theater des Absurden verzichtet darauf, über die Absurdität der menschlichen Existenz zu diskutieren; es stellt sie einfach dar als konkrete Gegebenheit – das heißt: in greifbaren, szenischen Bildern. Frisch verwendet dafür den begriff ’ein Lehrstück ohne Lehre’.
Das absurde Theater strebt nach einer radikalen Abwertung der Sprache, nach einer Dichtung, die unmittelbar aus den auf der Bühne sichtbar und gegenständlich gewordenen Bildern hervorgehen soll. Die Sprache spielt zwar dabei immer noch eine wichtige Rolle, aber das, was auf der Bühne geschieht, sagt mehr aus als Worte, die von den Figuren gesprochen werden, ja, es widerspricht diesen sogar oft.“ (Martin Esslin)
Und das ist wohl wahr. Herr Biedermann sagt, was er denkt, ohne zu tun, was er sagt. Das Stück ist gespickt mit leeren Phrasen der Biedermanns, zielsicher vereiteln die gesellschaftlichen Floskeln die guten Absichten der Biedermanns. Ihnen geht es um die Form, nicht um den Inhalt dessen, was sie sagen. Kommunikation ist häufig eine Art von Selbstdarstellung anstelle eines zweiseitigen Prozesses. Die Sprache hat ihre Verlässlichkeit eingebüßt. Wie sagt noch Eisenring: „Aber die beste und sicherste Tarnung ist immer noch die blanke und nackte Wahrheit. Komischerweise. Die glaubt niemand.“ Absurd und wahr, dass das wahr ist.
Max Frisch
1940 hat der Direktor des Züricher Schauspielhauses Kurt Hirschfeld in der „Neuen Züricher Zeitung“ Max Tagebuch eines Kanoniers „Blätter aus dem Brotsack“ gelesen und ihn daraufhin zum Stückschreiben ermutigt. Der am 15. Mai 1911 in Zürich als Sohn eines Architekten geborene Frisch war damals im Hauptberuf selber Architekt. 1942 gewann er den ersten Preis in einem Wettbewerb um eine Freibadanlage und veröffentlichte zugleich seinen ersten Roman „Die Schwierigen“. Zwei Jahre später schrieb er sein erstes Theaterstück „Santa Cruz“. Max Frisch wurde als Romancier („Stiller“ 1954, „Homo Faber“ 1957, „Mein Name sei Gantenbein“ 1964) genauso wie als Dramatiker („Graf Oederland“ 1951, „Biedermann und die Brandstifter“ 1957/58, „Andorra“ 1958-61) ein in vielen Ländern publizierter Autor.
Maria Knilli
Geboren 1959 in Graz, Österreich. Mutter aus Ptuj, Slowenien, Vater aus Fehring, Oststeiermark. Zwei Schwestern. Aufgewachsen in Berlin (West).
1977-79 Reporterin in Graz bei der Tageszeitung „Neue Zeit“.
1979-83 Studium an der Hochschule für Fernsehen und Film in München.
Seit 1980 freischaffende Filmregisseurin, Autorin, Cutterin, Moderatorin in der TV Sendung „Da schau her“ (ARD 1983-86) und „Kino Kino“ (BR 1985-87).
Für ihren Spielfilm „Lieber Karl“ von 1984 erhielt sie u.a. den Bundesfilmpreis für Regie und den Filmpreis München. Der von ihr inszenierte TATORT „Die chinesische Methode“ von 1990 erhielt viel lobende Aufmerksamkeit. Im Sommer 97 zeichnete sie die Aufführung der Münchner Kammerspiele „Prinz Friedrich von Homburg“ fürs Fernsehen auf.
1993 erste Arbeiten fürs Theater („Fälle, groteskes Spektakel nach Daniil Charms“, Erlangen). In der vergangenen Spielzeit inszenierte sie „Der Vater eines Mörders“ von Alfred Andersch an der SCHAUBURG. Maria Knilli lebt in München.
Lena Knilli
Geboren 1961 in Graz, wie ihre Schwester aufgewachsen in Berlin.
1981-85 Studium der Malerei an der HdK, Berlin (Meisterklasse H.J. Diehl)
1985-87 Fortsetzung und Abschluß des Studiums an der Hochschule für angewandte Kunst, Wien (Meisterklasse M. Lassnig).
Lena Knilli lebt als freischaffende Malerin und Grafikerin (Filmplakate, Animation) in Berlin und Prag. Seit 1991 arbeitet sie auch als Bühnen- und Kostümbildnerin. Auch sie hat bereits bei „Der Vater eines Mörders“ an der SCHAUBURG gearbeitet. Im November 1997 wurde ihre Tochter Lucie Jo geboren.