Benzin

nach einem Konzept von Andreas Denk

Regie & Bühne:
Andreas Denk
Kostüme:
Giesela Höfer
Musikalische Einstudierung:
Toni Matheis
Mitarbeit:
Panos Mylonas
Es spielen:
Tamara Hoerschelmmann, Sebastian HofmüllerTim Kalhammer-LoewHussam NimrYogo Pausch

Dauer

75 Minuten

Alter

Ab 14 Jahren

Premiere

15. Oktober 2005

Reifen. Felgen. Autotüren. Auspuffrohre, die sich wie Schlangen durch die Werkstatt winden. Spuckendes Dröhnen der Maschinen. Kanister mit Benzin und mittendrin Menschen: Vier Männer und eine Frau, die ihre Arbeit beherrschen. Diese Autowerkstatt ist ein lebendiges Biotop aus Arbeit, Routine und menschlichem Miteinander. Die Tage haben eine feste Struktur. Alles hat seinen Platz. Jeder weiß, was er zu tun hat. Doch plötzlich gerät alles aus den Fugen… Mit Rhythmus, Bewegung und wird das wohl derzeit am stärksten polarisierende Thema im Land auf die Theaterbretter geholt: ARBEIT!

Nächste Termine

In der Werkstatt

Stapel von Reifen. Autoreifen, Motorradreifen. Felgen – verrostet oder neuwertig. Reihen von Autotüren, Motorhauben – gebraucht, aber noch brauchbar. Auspuffrohre, die sich wie Schlangen durch die Werkstatt winden. Werkzeugkästen, Scheibenwischer, Umkleidespind, spuckendes Dröhnen der Maschinen, Kanister mit Benzin und mittendrin Menschen: Männer, die ihre Arbeit beherrschen, einer, der vor Jahren hier einfach hängen geblieben ist. Eine Frau, die ihren Traumjob gefunden hat; ein Junge, voller Elan, Optimismus und Neugier. Kurz: ein sehr lebendiges Biotop aus Arbeit, Routine, menschlichem Miteinander und Erfahrung.

Ich könnte eine lustige Geschichte erzählen, wie ich zum ersten Mal an der Flex gearbeitet habe. Und wie alle Männer in der Werkstatt gehofft haben, dass ich mich blamier. Ihre Blicke hab ich im Rücken gespürt. Das hat Spaß gemacht, damals. Ich könnte noch viel mehr erzählen.

Der Besitzer dieser Werkstatt lässt sich nicht sehen. Dennoch ist er anwesend. Indirekt, aber direkt spürbar. Die täglichen Arbeitsaufträge an seine Mitarbeiter fließen aus seinem Chef-Büro direkt und wortlos in die Werkstatt. Jeden Tag zur gleichen Zeit. Manchmal bleibt das Fenster offen. Dann kann man unten hören, was oben gesprochen wird. Unten in der Werkstatt interessiert das nicht.

Ich werd mir nie ein Auto kaufen. Ich weiß, wie es gemacht wurde. Blut, Schweiß und Tränen stecken drin.
Die Arbeitstage haben eine feste Struktur. Alles hat seinen Platz. Jeder weiß, was er zu tun hat. Einerseits stimmt das. Andererseits bringt jeder jeden Morgen seine Individualität mit in die Werkstatt, seine Begabung oder Schlitzohrigkeit, seine kleinen oder auch großen Macken. Seine Launen und seine ganz eigene Biographie. So wird jeder Tag zu einem besonderen Tag. Mit Überraschungen. Mit Unfällen. Mit Herausforderungen. Und dann kehrt wieder der Alltag ein. Die Routine. Die Mechanik. Wo man glaubt, selbst zur Maschine zu werden. Und die Uhr scheint festgefroren. Wann ist denn endlich Pause?

Das Leben ist so eine Sache. Morgens freust du dich auf die Mittagspause. Wenn die vorbei ist, freust du dich auf den Feierabend. Am Feierabend freust du dich auf den Jahresurlaub. Und im Jahresurlaub freust du dich auf die Rente. Und wenn du in Rente bist, weißt du, es hat sich alles nicht gelohnt. Aber du hast dich oft gefreut.

Diese Werkstatt ist mehr als eine Immobilie, eine Kapitalanlage. Viele Jahre Arbeit, Schweiß, Atem, Lärm, Ärger, Erfahrung, Stolz schwingen in dieser Halle. Wem gehört das alles? Solange gearbeitet wird, herrscht eine Wärme von Leben. Nachts ist alles kalt und leblos. Die Motoren, die Maschinen, die Werkzeuge. Die Menschen fehlen.

Hat einer von Euch schon mal über das Wort ‚Arbeitnehmer’ nachgedacht? Wieso bin ich ein Arbeitnehmer. Ich geb jeden Tag acht Stunden meine Arbeit für den Chef. Also bin ich der Arbeitgeber und nicht er. Hat einer von Euch für diesen Irrtum eine Erklärung? Ich schon: Etwas, das man gibt, kann man auch wieder nehmen. Das heißt, der Arbeitgeber, der Chef also, gibt dir gnädigerweise Arbeit. Aber er kann sie dir auch wieder nehmen. Was man gibt, kann man auch wieder nehmen. Und du bist dem einfach ausgeliefert.

Was tut denn eigentlich dieser kleine listige Kerl, der seit kurzem durch die Werkstatt gespenstert? Hat er einen Namen? Hat er was zu sagen? Taucht immer auf, wenn man nicht mit ihm rechnet. Was tut er den ganzen Tag mit seinem Zollstock? Was vermisst er? Ich glaube, der hat gar keine Ahnung von Autos. Also hat er hier auch nichts verloren!

Arbeit - Wozu?

Leben wir, um zu arbeiten oder arbeiten wir, um zu leben?

Man sagt, es gäbe ein Menschenrecht auf Arbeit und dieses sei eine der Grundlagen unserer Zivilisation. Diese Behauptung geht davon aus, dass jeder glauben soll, in der Gesellschaft gebe es einen Platz und eine Funktion für ihn. Niemand sei überflüssig. Arbeit stiftet Gesellschaft, Arbeit hält sie zusammen, Arbeit begründet Anrechte. Wird gesagt. Arbeit unterscheidet uns vom Tier, Arbeit macht uns gesellig. Wird gesagt. Arbeit ist der Halt von Seele und Geist. Wird gesagt. Aber ist es nicht zynisch, dem Massenarbeiter, der Bretter in eine Maschine schiebt, damit hinten Parkett rauskommt, oder der Kassiererin, die Strichcodes vors Rotlicht hält, eine Arbeitsidentität anzudichten?

Wir wissen, wir fühlen, wir begreifen, dass wir alle potentielle Arbeitslose sind, potentiell Unterbeschäftigte, Teilzeitarbeiter, Ein-Euro-Arbeiter. Warum soll ich mich überhaupt um Arbeit bemühen? Sie verschwindet immer schneller.
Früher hat man junge Menschen gefragt, was sie denn später werden wollen. Hinter dieser Frage stand nicht die Frage nach einem Job, sondern nach einer sinnstiftenden, Identität gebenden, lebenslangen Betätigung. Man kann annehmen, dass im Bewusstsein vieler junger Menschen heute die „Arbeit“ ihre zentrale Rolle im Denken und ihrer Vorstellungskraft verloren hat. Sie ahnen, dass der Markt es nicht mehr richten wird – mögen Politiker es noch so sehr fordern. Die Debatte darüber, welche Rolle die Arbeit im Selbstbild, in der möglichen Zukunft von jungen Menschen spielen kann, ist in der Gesellschaft noch gar nicht eröffnet.

Das unabdingbare Bedürfnis nach einem ausreichenden und sicheren Einkommen ist eine Sache. Das Bedürfnis zu gestalten, zu werken und zu wirken, zu handeln, sich mit anderen zu messen und von ihnen Anerkennung zu bekommen, eine andere. Eigentlich haben die beiden Dinge nichts miteinander zu tun, wenn nicht unser Gesellschaftssystem sie scheinbar unauflöslich aneinander gekoppelt hätte. Und zwar so radikal, dass der Arbeitsplatz inzwischen einen Wert an sich darstellt. Denn nur aus diesem Arbeitsplatz entstehen das Recht auf Bezahlung, auf soziale Absicherung und politische Organisation.

Zur Veranschaulichung: Wenn eine Frau ihre eigenen Kinder großzieht, hat sie keine Arbeit. Wenn sie die gleiche Arbeit in einem Kindergarten verrichtet, hat sie Arbeit. Der Unterschied liegt nur darin, dass sie im ersten Fall kein Gehalt bekommt, im zweiten schon; die Tätigkeit, die eigentliche Arbeit ist die gleiche. Die Frage, wie gesellschaftliches Leben aussehen könnte, wenn ein gesichertes Einkommen entkoppelt würde von den Tätigkeiten, die jedem Menschen den Sinn in seinem Leben geben, bergen so viel Zündstoff, dass Unternehmer, Gewerkschafter und Politiker gar nicht wagen, sie zu stellen, und weiterhin gegen besseres Wissen das Hohe Lied der „Arbeit für Alle“ anstimmen.

Wir müssen neu beginnen. Wir werden neu beginnen. Kein Problem. Bitterkeit wäre viel schlimmer. Es lohnt sich. Es lohnt sich, sich nicht aufzugeben.

"Benzin"

Arbeit im Sinn von herkömmlicher Lohnarbeit hat immer zu tun mit Reihung, Gleichförmigkeit, Ordnung, Durchbrechen der Ordnung, Wiederholung. Der „Rhythmus“ der Arbeit bedeutet, dass man lernt zu beschleunigen und zu verzögern, zu variieren, mit Material zu spielen und neue Verfahren zu entwickeln. All diese Begriffe klingen nach Bewegung, Musikalität, Tempowechsel und nicht so sehr nach Text und Sprache.

BENZIN kommt mit wenig Worten aus. Die Schauspieler bewegen sich im Arbeitstakt, fallen aus dem Takt, wie im Tanz zeigen sie ihr Scheitern, ihr Selbstbewusstsein, ihre Verzweiflung über die Monotonie, die Freude auf den Feierabend als Chor oder als Solo. Sie sind Herr/Frau über Maschinen und Werkzeuge und lassen das mit artistischem Stolz sehen, um übergangslos zu einem kleinen Rädchen in einer großen Maschinerie zu werden. Die sozialen Kontakte untereinander kommen ohne naturalistische Dialoge aus, sie erzählen sich durch theatralisch verdichtete Situationen und Bilder.

Naturalistisch in dieser Inszenierung sind die Arbeitsmaterialien, die den Spielern assistieren. Die Autoreifen sind echt, ebenso wie die Motorhauben, Kettenzüge, Sicherheitsschuhe und das Werkzeug. Die Maschinen laufen echt, die Funken sprühen wirklich. Aber die Spielweise in dieser Werkstatt ist verdichtet zu symbolischen Handlungen, zu Bewegungsbildern, die die Zuschauer entschlüsseln, mit der eigenen Lebenserfahrung anfüllen müssen. Das Handwerkszeug, das die Zuschauer dafür mitbringen müssen, sind Abstraktionsvermögen, Phantasie, Humor und Interesse an der eigenen Zukunft.

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