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Seiten, die auf Iphigenie Königskind verweisen
Nach "Iphigenie in Aulis" - von Euripides
Deutsch von Monika The
Regie
Marcelo Diaz
Bühnenbild und Kostüme
Andrea Spanier
Musik
Toni Matheis
Es spielen
Sabine Zeininger, Katarina Klaffs, Christoph Wettstein, Helena Lustinger, Dirk Laasch, Peter Ender
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Handlung
Als Vorlage für Pauline Mols Stück diente Euripides’ Klassiker "Iphigenie in Aulis". Die Autorin hielt sich, was die vordergründige Handlung betrifft, weitgehend an den Verlauf der antiken Geschichte:
Die griechische Flotte unter Agamemnon ist auf dem Weg nach Troja, um die Entführung der schönen Helena, einer Schwägerin Agamemnons zu rächen. Menelaos, der Bruder Agamemnons und rechtmäßige Ehemann Helenas, will seine Frau zurück. Aber der Krieg kann nicht beginnen, denn die Griechen sitzen wegen anhaltender Windstille in Aulis fest. Als Pfand für die Weiterfahrt und die Eroberung Trojas soll Agamemnon seine Tochter Iphigenie auf dem Altar der Göttin Artemis opfern. Obwohl es dem Vater sehr schwer fällt, schickt er nach seiner Tochter. Unter dem Vorwand, daß Iphigenie Achilles heiraten soll, läßt er sie ins Lager kommen. Doch starke Zweifel plagen Agamemnon. Als er sich dafür entscheidet, seine Tochter nicht zu opfern, ist es schon zu spät: Iphigenie und ihre Mutter Klytemestra haben das Lager schon erreicht. Die Soldaten, in Erwartung, endlich in den Krieg ziehen zu können, vermuten längst, daß die Götter durch die Opferung Iphigenies gnädig gestimmt werden sollen. Iphigenie muß der Staatsraison geopfert werden. Menelaos will auf seine Frau Helena verzichten, Klytämestra fleht ihren Mann an und der mutige Achilles will Iphigenie gegen das ganze Heer verteidigen, doch: es ist zu spät, denn das Volk fordert ein Opfer.
Und erstaunlicherweise akzeptiert Iphigenie freiwillig ihren Opfertod. In der Euripides-Fassung will sie aus patriotischen Gründen in den Tod gehen: für Hellas als Befreierin Griechenlands vor der Bedrohung durch die Barbaren. Pauline Mol zeigt jedoch andere Gründe für die Opferbereitschaft Iphigenies: Iphigenie opfert sich für ihre Eltern. Sie meint, daß ihre Eltern immer das Beste für sie gewollt haben und nimmt diese gegen alle Vorwürfe in Schutz. Aus Liebe und Dankbarkeit will sie sich opfern. Sämtliche Zweifel, die aufkommen, schmettert sie nieder:
"Iphigenie: Und ich tue es doch!
Alle Probleme sind auf einen Schlag gelöst
weil meine Eltern dann gerettet sind
und stolz auf mich
und ich bin ihre starke Tochter
und das ist rührend...
mein Vater und meine Mutter
haben immer alles für mich getan."
Iphigenie wird, bevor sie begreift, was mit ihr geschieht, auf den Altar geführt. In diesem Moment hat die Göttin Artemis jedoch Erbarmen und läßt, unbemerkt von den Griechen, eine Hirschkuh anstelle von Iphigenie opfern.
Pauline Mol
Pauline Mol ist 1953 in den Niederlanden geboren, studierte Niederlandistik und Theaterwissenschaft und arbeitete viele Jahre zusammen mit dem damaligen Kollektiv Theater Teneeter im Bereich des Kinder- und Jugendtheaters. Inzwischen ist Pauline Mol nicht nur Mutter eines Sohnes, sondern vor allem künstlerische Leiterin der Jugendtheater-Gesellschaft Artemis (Nord-Brabant, Niederlande). Neben ihrer Tätigkeit als Dramaturgin und Theaterleiterin beschäftigt sie sich seit ca. 10 Jahren zunehmend mit dem Schreiben von Stücken. Eines der in Deutschland bekanntesten und schönsten Theaterstücke ist "Dag Monster" ("Tag Monster"), das sie 1986 geschrieben hat.
"Iphigenie Königskind" entstand 1989 und weist, wie fast alle Stücke Mols eine besondere Perspektive auf: Der Stoff wird aus der Sicht von Kindern erzählt. Pauline Mol schreibt für Kinder und ergreift vehement Partei für diese. Dabei erzählt sie davon, was sie selbst am meisten beschäftigt, was gleichzeitig heißt, daß sich die Frage nach einer Kunst für Kinder für die Autorin nicht stellt: "Ich mache nur dann etwas, wenn ich mich selbst zu hundert Prozent an der Geschichte beteiligt fühle und wenn ich sie Kindern wirklich vermitteln will. Man muß den Mut haben, in seinen Stoff einzudringen, ihn sich ganz zu Eigen machen. Gerade weil ich für Kinder arbeite... es ist ein unaufhörliches Suchen danach, das für ein Kind glaubhaft zu machen, was für einen selbst das Wichtigste ist."
Sprache und Form
"Sprache ist mehr als nur Form, sie ist zugleich der Inhalt und die Bedeutung. Sprache muß man schmecken, sie bewegt sich, und wenn sie gut ist, beginnt sie zu atmen. Es ist immer ein Suchen, nach den reinsten, einfachsten Worten.", so Pauline Mol selbst. In "Iphigenie Königskind" hat sie diesen Anspruch verwirklicht. Durch die Kombination von epischer Erzähltechnik und Spielszenen entsteht eine sehr einfache, sehr klare Sprache, die deshalb nie kindisch wirkt, weil sie so reduziert ist, dass nur noch das Wesentliche bleibt. Und noch ein Zitat von Pauline Mol: "In dem Augenblick, in dem ich mich an ein Werk wie die 'Iphigenie' von Euripides heranwage, weiß ich also, daß noch viel geschehen muß, wenn diese Sprache je bei Kindern ankommen soll. Bei mir zerfließt so ein Text allmählich in meiner eigenen Sprache und in dem, was ich in Inhalt und Form sagen will. Darin steckt auch das Kind, als das ich mich fühle."
Pauline Mol wagt sich an Euripides’ "Iphigenie" heran, hielt sich zwar, was die Handlung betrifft, eng an die Vorlage, erstellte jedoch ein völlig selbstständiges Werk. Im Prolog des Stückes ehrt sie den Dichter Euripides:
"Vor zweitausendvierhundert Jahren
gab es einen Mann
der lebte in Griechenland
er hieß Euripides
Euripides
und er war so alt, daß er Kinder liebte
er kannte eine große Geschichte, die alle
Menschen damals kannten
von Iphigenie, dem Königskind
und vom Tod
diese Geschichte machte ihn wütend und so
traurig
daß er sie aufgeschrieben hat als Theaterstück
aber nicht für Kinder."
Und genau das ist Pauline Mol gelungen. Der holländische Kritiker Loek Zonneveld schrieb über Mol’s "Iphigenie": "Diesen Text halte ich für exemplarisch, charakteristisch für die Qualität des holländischen Kindertheaters. Sie ist einfach. Und tief."
Der Umgang Pauline Mols mit Sprache bei "Iphigenie Königskind" ist sehr konkret: Wenn das Kind sich mit Iphigenie unterhält, geschieht das mit einer aufs Wesentliche reduzierten, klaren Sprache:
"Kind: Streichel mich mal.
Iphigenie: Wofür denn?
Kind: Streichel mich mal.
Iphigenie streichelt sie
Kind: Herrlich."
Wenn sich die Eltern Iphigenies hingegen streiten, findet ein Sprachwechsel statt, der sich so weit von der Sprache der Kinder entfernt, daß er in unverständlichen 'Ami-Slang' ausufert:
"Agamemnon: Shut up! I say it for the first and for the last time
Shut up!
Klytämestra: Ooohhh, if you want to talk on that way
you have to know, whatever you think about me...
Agamemnon: I want you to hold your tongue definitely
that's what I said.
Klytämestra: I am not interested at all
in whatever you say
and whatever you should say
...usw."
Ein weiteres Mittel, dessen Pauline Mol sich bedient, ist das Zitieren des Euripides-Textes (in einer Übersetzung). Originaltext findet man an den Stellen des Stücks, in denen es um die Schaffung einer bestimmten Atmosphäre geht, wie am Anfang des Prologs oder bei der Ankunft Iphigenies im Lager:
"Alter Mann: Seht Iphigenie,
die gebietende Tochter des Königs,
Und Klytämestra, Tyndareos’ Kind!
Wie herrlich von Herrlichen stammen die zwei
Und wandeln im Glanz weitstrahlenden Glücks!
Die Gewaltigen, wahrlich, sind Götter, verleihn
Unglücklichen Sterblichen Wohlstand. –"
Verwendung finden Zitate auch dann, wenn sich die Figuren an den vorgegebenen Verlauf der Geschichte halten müssen, d.h. wenn sie ihrem Schicksal nicht entgehen können: "Agamemnon: Doch ach! Des Schicksals unerbittlich Wort gebeut: Ich muß der Tochter blut'gen Mord vollziehn. – So lautet mein Text."
Erwachsene Leute haben immer Probleme
"Iphigenie: Du verstehst sie nicht.
Kind: und sie verstehen uns nicht
Iphigenie: und darum nennen sie uns Kinder."
Pauline Mol beschreibt, wie Eltern mit ihren Kindern umgehen und umgekehrt. Thematisiert wird der unlösbare Konflikt zwischen den Generationen. Die Eltern wollen das Beste für ihr Kind, aber oft ist das Beste aus der Sicht des Kindes nicht das, was die Eltern wollen. Es existieren unterschiedliche Bedürfnisse, die nicht gleichzeitig befriedigt werden können.
Agamemnon muß, auch wenn er in größte Gewissenskonflikte gerät und Seelenqualen aussteht, das Leben seiner Tochter für Staatsgeschäfte opfern. "Agamemnon: Wer kann schon verstehen, wie machtlos ein König ist...Das ganze Heer wird nach dem Opfer meiner Tochter schreien, die Masse hat mehr Macht als ich."
Ebenso die Mutter, die zwar mit aller Kraft um das Leben ihrer Tochter kämpft, aber genauso ihren Standpunkt einnehmen muß, um ihre Position zu wahren. "Klytämestra: Und wer bin ich dann noch? Ohne Tochter und ohne Mann." Ihr eigenes, persönliches Glück steht auf dem Spiel.
Auch Iphigenie fordert vom Vater, was dieser nicht einlösen kann. "Agamemnon: Ich arbeite, Kindchen. Ich bin der König und muß mich um die Geschäfte kümmern. Iphigenie: Aber ich bin da. Jetzt."
So entsteht ein Dilemma, aus dem es keinen Ausweg gibt. Das Theater kann keine Lösungen anbieten, schon gar keine, die Allgemeingültigkeit haben. Aber wir glauben – so wie die Autorin – daß es wichtig ist, diesen Konflikt für Kinder (und Erwachsene) zu veröffentlichen und dadurch zu erzählen, daß man nicht allein ist, sondern daß diese Probleme universell sind.
Dramaturgie
Pauline Mol wechselt gegenüber der Euripides-Vorlage den Blickwinkel: Die Geschichte wird nicht aus der Sicht der Erwachsenen erzählt, sondern aus der Perspektive des Kindes. Durch einen dramaturgischen Eingriff gelingt Pauline Mol dieser Blickwinkelwechsel: Sie spaltet die Figur der Iphigenie in Das Kind und Iphigenie auf.
Der Zuschauer sieht nicht nur eine Iphigenie, sondern zwei Figuren. Auf der Bühne selbst nimmt jedoch nur Iphigenie das Kind wahr, alle anderen Figuren können es nicht sehen.
Das Kind ist derjenige Teil Iphigenies, der sich nicht an die Erwachsenenwelt anpasst. Das Kind spiegelt die Gefühle, das Unbewusste, die Seele Iphigenies wieder.
Iphigenie ist der Teil der Figur, der sich an die elterlichen Erwartungen anpaßt, sich unterdrücken läßt, die Eltern in Schutz nimmt und sich letztendlich aus Liebe für sie opfert. Sie versucht im Verlauf des Stücks, sich immer weiter in die Welt der Erwachsenen hineinzuspielen.
Die Beziehung der beiden zueinander prägt den Spannungsbogen der meisten Szenen. Er zieht sich wie ein roter Faden durch das ganze Stück.
Beide verhalten sich manchmal wie Freundinnen, manchmal wie Schwestern. Sie sind sich anfangs sehr nah und gegen Ende sehr fern. Ihre Harmonie wird während des Verlaufs der Handlung immer mehr gefährdet. Denn das Kind stellt Fragen, die für Iphigenie unangenehm sind.
Die Zweifel des Kindes an Iphigenies Nachgeben der väterlichen Wünsche werden immer größer, doch sie ignoriert diese. Das Kind bleibt seinen Gefühlen treu, Iphigenie verliert sich selbst, sie geht in die Welt der Erwachsenen und läßt das Kind im Stich. Beide entfernen sich immer weiter voneinander und müßen am Ende Abschied nehmen. Dennoch bleibt der Schluß nicht ohne Hoffnung. Die beiden werden sich wiedersehen, für das Kind besteht kein Zweifel:
"und nun warte ich
und wenn es siebentausendsechsundachtzig hundert
Millionen und achtundneunzig zehn dauert
das macht nichts
ich warte einfach
ich sterbe ja doch nicht
und eines abends oder eines morgens
und dann findet sie mich wieder
ich weiß nicht woher ich das weiß
aber ich bin ganz sicher."
Inszenierung
"Iphigenie Königskind" ist die dritte SCHAUBURG-Inszenierung des Regisseurs Marcelo Diaz. Die Inszenierung geht Hand in Hand mit der Musik und den Bildern. Ähnlich wie die Texte Pauline Mols, die durch die Erhebung des Stoffes auf eine allgemeingültige Ebene einen Zugang erleichtern, verhält es sich mit der Bühne und der Musik. Das Bühnenbild von Andrea Spanier ist einfach und klar, reduziert auf das Wesentliche. Im Hintergrund der Bühne befindet sich eine Treppe – der Raum läßt an eine antike Arena denken. Das Bild wird geprägt von einer Schaukel und den Trommeln, die auf der Bühne als die einzigen Elemente positioniert sind. Durch die Wahl der Trommeln als einzige Musikinstrumente, wird das Prinzip der Reduktion fortgeführt. Toni Matheis komponierte die Musik, die, aus archaischem Trommeln und Gesang bestehend, den Text unterstützen wird.