Seiten, die auf Mirad - ein Junge aus Bosnien verweisen

Deutsch von Jochen Neuhaus
Eine mobile Produktion für das Klassenzimmer

Team 1
Spielleitung
Peter Ender
Ausstattung
Andrea Spanier
Es spielen
Katarina Klaffs, Christoph Wettstein
 

Team 2
Spielleitung
Michael Vogtmann
Ausstattung
Andrea Spanier
Es spielen
Helena Lustinger, Robert Spitz

Mirad - ein Junge aus Bosnien

Dauer

90 Minuten

Alter

Ab 10 Jahren

Premiere

03. Dezember 1993
Eine Kurzbeschreibung für Mirad - ein Junge aus Bosnien liegt leider noch nicht vor. Bitte wenden Sie sich direkt an die Schauburg um weitere Informationen zu erhalten.

Nächste Termine

Balkankrieg

"Und wenn es nur ist
daß hier nicht passiert
was bei uns passiert ist"*

 

Der Staat Bosnien-Herzegowina versucht, sich sowohl gegen Kroatien, gegen Serbien, als auch gegen Moslems zu behaupten. Die ethnischen Säuberungen wurden in dieser Zeit zum Inbegriff des Schreckens eines Krieges, der keinen festen Regeln mehr folgt, sondern nur noch die Vernichtung anderer Menschen mit allen Mitteln sucht.

In Bosnien Herzegowina wurden bisher drei Millionen Menschen vertrieben – das sind 2 von drei Bewohnern -, ihre Dörfer weitgehend zerstört. Es scheint kein Zurück mehr für diese Menschen zu geben, da der Gegner bestrebt ist, die verlassenen Städte mit seinen eigenen Menschen zu besiedeln. Innerhalb von nur zwei Jahren kamen über 200.000 Menschen ums Leben – das heißt jeder Zwanzigste. Unzählige wurden gefoltert, vergewaltigt oder gequält.

In Kroatien ist jeder Sechste ein Flüchtling, der entweder aus den umkämpften Gebieten des eigenen Landes oder aus Bosnien-Herzegowina floh. Auch hier sind es die Schwächsten, die es am härtesten trifft, jene, die sich nicht wehren können.

Ein Auslöser für das Morden in Jugoslawien sind die gewachsenen Gegensätze zwischen den katholischen Kroaten und den orthodoxen Serben. Dort haben auch die Gräueltaten ihre Wurzeln, die die jugoslawischen Völker sich gegenseitig im Zweiten Weltkrieg antaten. Aber Jugoslawien ist nur ein Land unter vielen, in dem Menschen Menschen vertreiben, quälen und töten, um ihren Anspruch von einer vermeintlich besseren Welt zu verwirklichen. Einer Welt, die nur jenen gehören soll, die aufgrund ihrer Religion, ihrer Sprache oder Gesinnung dafür auserwählt sind.

Jugoslawien war immer ein Vielvölkerstaat, der nach dem Ersten Weltkrieg aus Ländern des ehemals osmanischen und des habsburgischen Reiches 1918 unter dem Schutz der Siegermächte gebildet wurde. Zunächst war es ein Königreich, doch rasch zerfiel die erzwungene Einheit unter den verschiedenen Völkern und Religionen. Als die Deutschen das heillos zerstrittene Land 1941 besetzten, war es nicht mehr fähig, dagegen Widerstand zu leisten. 1,7 Millionen Jugoslawen starben im Zweiten Weltkrieg. Nach dem Tod Titos zerbrach das Land 1991 abermals. Da sich die einzelnen Völker nicht gleichmäßig über die Nachfolgestaaten verteilen, kam es zu einem Krieg, dessen Bilder uns seither täglich begleiten.

* Aus: MIRAD – EIN JUNGE AUS BOSNIEN
von Ad de Bont

Inhalt

"Warum ein langsamer Tod in einem fremden Land, wenn man auf der Schwelle des eigenen Hauses auch sterben kann?"*

Mirad ist 13 Jahre alt. Er hat mitangesehen, wie sein Vater hingerichtet und seine Schwester von einer Granate tödlich getroffen wurde. Ob seine Mutter noch lebt, weiß er nicht. Seit 2 Jahren ein alltägliches Kinderschicksal in Bosnien.
Neunzig Kilometer ist er von seiner Heimatstadt Foca zu Onkel und Tante Balic nach Sarajevo gelaufen. Durch Zufall und mit sehr viel Glück konnte Mirad auch dieser zweiten Hölle entfliehen und Aufnahme in Deutschland finden. Eine Chance für die Allerwenigsten.

Das Stück erzählt vom Schicksal dieses Jungen. Der Autor Ad de Bont vermeidet jede Larmoyanz oder falsche Betroffenheit, indem er den Jungen nicht selber auftreten lässt. Seine Geschichte erfährt das Publikum vielmehr aus dem Mund von Tante und Onkel Balic. Sie lesen aus seinem Tagebuch und Briefen vor, sie erzählen von der Zeit der Unmenschlichkeit, Folter, Angst, Hunger, Kälte in Sarajevo. Und immer wieder stellen sie die wichtige Frage: Wie kann Mirad jemals wieder in Frieden mit Menschen zusammenleben, die ihm so was angetan haben? Wie kann es nach diesen Erlebnissen einen Neuanfang geben?
 

Form

"Das einzige was wir haben, ist eine Geschichte, eine ekelhafte Geschichte obendrein"*

Die Vorstellung findet im Klassenzimmer für nur eine Klasse statt. Sie dauert eine Schulstunde. Wir bitten die Lehrerinnen dringend, alle organisatorischen Maßnahmen zu treffen um pünktlich beginnen zu können, damit der Pausengong mit den entsprechenden Pawlowschen Schülerreflexen nicht mitten in die Vorstellung platzt. Die Vorstellung kann in jedem Klassenzimmer gezeigt werden. Besondere Vorkehrungen wie Verdunkelungsmöglichkeit etc. sind nicht erforderlich.

Die zweite Stunde sollte immer zur Nachbereitung zur Verfügung gestellt werden. Dieses Gespräch leiten die Schauspieler. Damit ein intensiver Dialog entstehen kann, ist es wichtig, daß die Klassengemeinschaft "unter sich bleibt".

Ausgangspunkt des Gesprächs ist die gesehene Vorstellung; bestimmte Vorkenntnisse, wie zum Beispiel über die Geschichte Jugoslawiens, über den Verlauf dieses "dümmsten aller Kriege" (Spiegel), werden nicht vorrausgesetzt. Die Gesprächsführung ist nicht festgelegt oder ergebnisorientiert. Alles, was den Schülern zum Thema unter den Nägeln brennt, kann besprochen werden. Nach unseren bisherigen Erfahrungen reicht das vom politischen Disput über Asylanten und Flüchtlinge bis zum Gespräch über einen klasseninternen Kampf, der zwei Stunden zuvor während des Turnunterrichts ausgebrochen war. Die Form dieses Gesprächs ist stark abhängig von Schüleralter, Schultyp und Klassenstruktur, auf die die Schauspieler aber einzugehen verstehen.

Enstehung

"Wie kann das jemals wieder in Ordnung kommen?"*

Im Sommer 1993 schrieb der holländische Autor Ad de Bont (Seine Stücke "Der Sohn des Chao" und "Auflösung" wurden an der Schauburg gezeigt) Mirad – ein Junge aus Bosnien als Theater fürs Klassenzimmer. Anlaß war die Erfahrung, daß viele Kinder in Holland an dem Problem "Jugoslawien" sehr interessiert waren. Den alltäglichen Fernsehbildern entkommen Kinder nicht, jugoslawische Mitschüler sitzen in vielen Klassen und manchmal auch Kinder, denen die Flucht aus der Kriegshölle gelungen ist. All das wirft Fragen auf.

Als wir nach der Sommerpause das Stück mit unserem Ensemble lasen, entstand spontan der Wunsch, Mirad so schnell wie möglich zu realisieren. Das Interesse war so groß, dass sich zwei Teams bildeten. Völlig ohne Vorbereitungszeit hat sich das Ensemble an die Arbeit gemacht, so dass innerhalb von drei Wochen zwei unabhängige Aufführungen entstanden sind. In beiden Fällen hatten Kollegen die Spielleitung.

Sowohl in Holland wie auch in der Bundesrepublik wird das Stück nun von sehr vielen Theatern kurzfristig in den Spielplan genommen. In den Niederlanden sind außerdem eine Radio- und eine Fernsehfassung entstanden. Alle daraus anfallenden Tantiemen stiftet der Autor einem holländischen Heim, in dem bosnische Kinder aufgenommen werden.

Öffentlichkeit

"Wüßte jemand nur Warum?"*

In Bosnien wird ein planmäßiger Völkermord von der internationalen Presse dokumentiert, während er passiert. Nachrichten-Bilder, die von all dieser Greuel berichten, sind bekannt und alltäglich. Die Resonanz ist inzwischen Überdruß, Resignation, Gleichgültigkeit, Abstumpfung. "Schrecklich", "Sollen sie sich doch die Köpfe einschlagen" oder "Da blickt doch sowieso keiner mehr durch".

Wer etwas verstehen wollte von dieser Apokalypse Now, aber keine Erklärungen finden konnte, der hat sich hilflos abgewandt. Inzwischen sind das die meisten. Die Empörung der Welt weicht zunehmend der Ermüdung. Wieder ein niedergebranntes Dorf, verstümmelte Leichen, wieder ermordete Kinder. Mitleid ist ein vergängliches Gefühl.

Alles ist gesagt, alle Bilder wurden gezeigt, alle Kommentare sind gesprochen. Wenn den Politikern nichts mehr einfällt, warum soll man Schüler mit diesem Problem belasten? Weil es darum gehen muß, dem Abstumpfen oder der Gewöhnung entgegenzuarbeiten. Die Auswirkungen dieses Krieges werden nicht folgenlos bleiben. Denn die Tatsache, dass am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts mitten in Europa Kriege, Genozid und Vertreibung stattfinden können, wird für die Moral, das Bewusstsein und deshalb für die Zukunft der europäischen Völker Folgen haben. Junge Menschen dafür sensibel zu machen, dazu kann dieses Stück einen Beitrag leisten.

Nationalitätenkonflikt - Kurdistan

Die Kurden bilden mit über 25 Millionen Menschen eines der größten und ältesten Völker im Nahen Osten. Dennoch haben sie keinen eigenen Staat. 12 bis 15 Millionen Kurden leben in der Türkei, 4 bis 5 Millionen im Irak, 7 bis 8 im Iran. In all diesen Ländern werden sie nur geduldet, wenn nicht verfolgt. Immer wieder kommt es zu heftigen Auseinandersetzungen mit der jeweiligen Zentralregierung. Im Irak wurden ganze Dörfer mit Giftgas (u.a. aus Deutschland geliefert) ausgerottet, und überall wurden immer dann, wenn der Ruf nach Unabhängigkeit zu laut wurde, militärische Maßnahmen eingeleitet. Wie immer leidet auch hier vor allem das Volk und nicht seine Kämpfer. Seit Anfang der Achtziger Jahre starben weit über 20.000 Kurden, wurden Hunderte von Dörfern dem Erdboden gleichgemacht, mussten Hunderttausende ihre Heimat verlassen.

Nationalitätenkonflikt - Nagornyj-Karabach

Mit der Auflösung der Sowjetunion versuchen immer mehr Völker in der GUS, sich von fremder Herrschaft freizumachen und ihren eigenen nationalen Weg zu gehen. So auch in der Enklave Nagoryj-Karabach. Dieses Land liegt in Aserbaidschan, wird aber mehrheitlich von Armeniern bewohnt (85%). Stalin gab in den Dreißigerjahren den Befehl, es an Aserbaidschan anzugliedern. Viele Bewohner dieses Gebietes wollen nun zu Armenien zurück. Seit 1988 herrscht in diesem Gebiet Krieg, dem schon mehrere Tausend Menschen zum Opfer fielen, der Zehntausende aus ihrer Heimat vertrieb.

Nationalitätenkonflikt - Nordkaukasus

Nur schwer auf einer Landkarte zu finden ist das kleine Gebiet Prigorodnij, ein kleiner Teil auf dem Gebiet Ossetiens im Norden des Kaukasus. Die alten Bewohner, die Inguschen, wurden von Stalin nach Sibirien zwangsumgesiedelt und beanspruchen ihr Land heute wieder für sich. Der Krieg, der um dieses Gebiet geführt wird, dauert erst ein Jahr, doch fielen ihm bereits über 1.000 Menschen zum Opfer, wurden über 50.000 Menschen vertrieben.

Nationalitätenkonflikt - Abchasien

Bildet den nördlichen Teil Georgiens, der sich von Georgien lossagen will, um jene Unabhängigkeit wiederzuerlangen, die er bereits Anfang der Zwanzigerjahre besaß. Hierauf entbrannten heftige Kämpfe um dieses Gebiet, denen mittlerweile mehrere Tausend zum Opfer fielen. Über hunderttausend Menschen wurden vertrieben.

Nationalitätenkonflikt - Libanon

Es fällt uns heute schwer zu begreifen, dass dieses Land noch vor zwanzig Jahren als die Schweiz des Nahen Ostens angepriesen wurde, da es das reichste, friedlichste und wohlhabendste Land der Region war. 1975 kam es zum Ausbruch des Bürgerkrieges. Schiiten, Sunniten, Drusen und Maroniten bekämpften sich für lange Zeit in wechselnden Bündnissen. Ein Drittel der knapp drei Millionen Einwohner sind Flüchtlinge. Vornehmlich palästinensisch-arabischer Herkunft. Im Moment ist es relativ friedlich im Land, doch die alten Probleme, die den Krieg schürten und das Misstrauen gegeneinander, das durch ihn erwuchs, sind noch nicht beseitigt.

Nationalitätenkonflikt - Nordirland

1022 wurde Irland von Großbritannien in die Unabhängigkeit entlassen. Die, im Gegensatz zum Süden vorwiegend von Protestanten bewohnte Provinz Nordirland, mochte sich dem nicht anschließen und zog es vor, weiterhin im Vereinten Königreich als autonome Provinz zu verbleiben. Ende der Sechzigerjahre begannen bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen, da Teile der katholischen Minderheit des Landes mit Gewalt nach einer größeren Beteiligung an der Macht strebten. Terror militanter Katholiken und Gegenterror militanter Protestanten haben seitdem über 2000 Tote gefordert und das Land weitgehend gespalten. In Belfast sind die einzelnen Stadtteile heute entweder von Katholiken oder von Protestanten bewohnt. Ein friedliches Zusammenleben ist nur noch schwer vorstellbar geworden.

Nationalitätenkonflikt - Israel

Im Sechstagekrieg von 1967 eroberte Israel weite Teile der umliegenden Gebiete. Verschärfte Konflikte ergaben sich in den letzten Jahren durch die Ankunft israelischer Siedler in den besetzten, vorwiegend von Palästinensern bewohnten Gebiete. 1988 riefen die Palästinenser zum Aufstand (Intifada) gegen die Besetzung auf.
Doch der Ursprung der Auseinandersetzungen ist so alt wie die Bibel. Nach der Zerstörung des jüdischen Reiches unter den Römern wurden die Juden in alle Welt zerstreut, doch betrachteten sie Israel nach wie vor als gelobtes, ihnen von Gott geschenktes Land. Nach der Ermordung von sechs Millionen Juden durch Deutsche in der Zeit des Dritten Reiches schufen sich die Überlebenden des Holocaust ihren eigenen Staat auf dem damals vorwiegend von Palästinensern bewohnten Gebiet. Die palästinensischen Flüchtlinge gaben ihren Anspruch auf einen eigenen Staat jedoch niemals auf. Mit der Anerkennung des grundsätzlichen Existenzrechts Israels durch die PLO scheint seit Dezember 1993 der Weg zu einer grundsätzlichen Verständigung frei. Es gibt Hoffnung, dass dieser Konflikt, dem Tausende von Menschen zum Opfer fielen, nun doch beigelegt werden kann.

Nationalitätenkonflikt - Mexico

Ein ganz neuer Brandherd ist seit Beginn dieses Jahres in Südamerika aufgebrochen. In der mexikanischen Provinz Chiapas wehren sich die Indianer gegen die Repression der Regierung.

Nationalitätenkonflikt - Bayern

Bayern und die Preußen – diese Beziehung ist historisch Konfliktbeladen. Daß es so bleiben soll, dafür will eine große Volkspartei sorgen. Mit ihrem neuen Landesentwicklungsprogramm will die Regierung den Zuzug aus anderen Bundesländern eindämmen... Welche Folgen könnte das in 15 oder 20 Jahren haben? Welche Schüler der Klasse würden dann ausgewiesen werden? Wie könnten im schlimmsten Fall Streitigkeiten zwischen Bayern und Zugereisten stattfinden?

Literatur

Eine weitere Möglichkeit, sich mit den Folgen des Krieges auf dem Balkan auseinanderzusetzen, sind Bücher. Das Angebot ist riesengroß. Wir möchten deshalb nur zwei Bücher speziell empfehlen.
- In spannenden Reportagen zeichnet der englische Journalist Misha Glenny die Geschichte dieses Krieges mitten in Europa nach, zeigt Hintergründe auf und kann als Zeuge von den bedeutendsten politischen Ereignissen berichten. Misha Glenny, "Jugoslawien – Der Krieg, der nach Europa kam", Knaur Taschenbuch.
- Aus ganz anderer Perspektive berichtet Zlata Filipovic über das Leben in Sarajevo. Sie ist ein dreizehnjähriges Mädchen, die erst vor ein paar Wochen ihre Heimatstadt verlassen konnte. Ihr Tagebuch ist unter dem Titel "Ich bin ein Mädchen aus Sarajevo" im Gustav Lübbe Verlag erschienen.

Wir danken Jens Schneider von der Süddeutschen Zeitung für seine Beratung und Bernhard Keim für die Zusammenstellung der obigen Fakten.