Haupt-Reiter
Seiten, die auf Winterschlaf verweisen
Deutsch von George Podt und Dagmar Schmidt
Regie
Klaus Hemmerle
Ausstattung
Gerd Wiener
Musik
Guus Ponsioen
Musikalische Einrichtung
Toni Matheis
Es spielen
Dirk Laasch, Corinna Beilharz, Silke Nikowski, Karl Achleitner, Andrea Sawatzki
Nächste Termine
Eine Geschichte vom Höhlenkind
Eine junge Frau erinnert sich an ihre eigene Kindheit. Sie erzählt, wie sie den „Schritt ins Leben“ getan hat. Unterstützt wird sie dabei von einem Mann. Wie zwei Filmvorführer können die beiden die Geschichte von Jaap und ihren Eltern, die so gerne Winterschlaf halten, kommentieren, anhalten und sogar darin mitspielen.
„Es ist lange her, aber auch wieder nicht so lange, da lebte einmal ein Kind mit Namen Jaap. Es hatte alles, was du dir nie wünschen würdest und noch viel mehr. Die Eltern waren sehr glücklich mit Jaap, und Jaap war sehr glücklich mit seinen Eltern.
Sie lebten in einer guten Höhle. Jaap war hier geboren und kannte sie durch und durch. Aber Vater und Mutter sagten, dass von allen Seiten Gefahr drohe. Immer.“ So beginnen die beiden ihre Erzählung.
Die Höhlen-Idylle gerät in dem Augenblick aus den Fugen, als plötzlich eine Frau auftaucht. Man weiß nicht so recht, wer sie ist, wo sie herkommt, ob sie wirklich in der Höhle ist. Aber sie erzählt von Dingen, die Jaap überhaupt nicht kennt und auf die sie schrecklich neugierig ist.
Als eine männliche Erscheinung von seinen Geheimnissen berichtet, dass er die Sonne geklaut habe und anderen Merkwürdigkeiten, da bekommt Jaap unendliche Sehnsucht und versucht, nach draußen zu gelangen. Das kann erst gelingen, als die Eltern helfen und den Weg nach draußen nicht länger verheimlichen.
Vielschichtigkeit statt Mitteilungsdramatik
Mit dem Stück WINTERSCHLAF stellen wir Heleen Verburg in unserem Spielplan bereits zum zweiten Mal vor. Zuschauer, die unser Programm kontinuierlich verfolgen, haben sie in unserem zweiteiligen Programm FAMILIENBANDE mit dem Kurzstück MONOLOG FÜR EIN TOTES MÄDCHEN kennen gelernt.
Diese Häufung ist kein Zufall. Wir halten Heleen Verburg für ein ganz großes Talent als Autorin. Ihre Arbeitsweise ist im deutschen Kinder- und Jugendtheater sehr ungewöhnlich, und soll aus diesem Grund hier kurz vorgestellt werden:
Niemals sucht sie sich am Beginn der Arbeit ein Thema. Stattdessen nimmt sie die Rahmenbedingungen, die der Auftraggeber vorgibt, als Ausgangspunkt: Für wie viele Schauspieler/innen soll das zukünftige Stück sein? Für welche Art von Spielort (Klassenzimmer, Aula, große Bühne)? Mehr nicht.
Ihre Arbeit beginnt damit, dass sie Sätze aufs Papier schreibt. Den ganzen Tag. Bis auf wenige, von denen sie fühlt, dass sie „stimmen“, landen die meisten abends im Papierkorb. Im Laufe von mehreren Wochen kristallisieren sich aus den „stimmigen Sätzen“ Figuren und Geschichten heraus.
Mit dieser intuitiven Arbeitsweise entstehen hochtheatralische Dialoge, die den Figuren Vielschichtigkeit und Geheimnisse geben und jede absichtsvolle Linearität vermeiden, bei der die Figuren das aussprechen, was sie bewegt.
Die Texte sind nicht Mitteilungsdramatik, sondern Dialoge mit doppeltem Boden, die die Phantasie arbeiten lassen.
Heleen Verburg ist 1964 geboren, sie hat bereits während ihres Schauspiel-Studiums erste Schreibversuche unternommen. Inzwischen gehört sie in Holland zu den renommierten Autorinnen, die sowohl für das Kinder- wie für das Erwachsenentheater schreiben. In der Uraufführung von WINTERSCHLAF hat sie die Rolle der Jaap selber gespielt.
Inszenierender Schauspieler und Schauspielender Regisseur
Klaus Hemmerle besuchte zwischen 1979 und 82 die Schauspielakademie in Zürich und konnte danach seine Anfängerjahre am Züricher Schauspielhaus absolvieren. Anschließend wechselte er ans Theater der Stadt Heidelberg, wo er schnell zu einem der Protagonisten avancierte.
Den Wunsch, auch Regie zu führen, hegt er schon lange. In der Heidelberger Zeit inszenierte er im Bereich Kabarett und Revue, aber „nichts Großes“, denn während der Schauspielerei blieb wenig Zeit dafür.
Seit dieser Spielzeit ist Klaus Hemmerle freischaffend und lebt in München. Ein erstes Kennen lernen mit dem Ensemble der SCHAUBURG fand während eines vierwöchigen Workshops im Januar 91 statt. Das Ergebnis dieser gemeinsamen Arbeit wurde unter dem Titel „Hier kommt keiner Lebend raus“ veröffentlicht.
WINTERSCHLAF hat ihn sofort interessiert, da es sich mit einem Thema beschäftigt, das Kinder wie Erwachsene gleichermaßen betrifft: Ablösungsprozesse. Das für Klaus Hemmerle Herausfordernde an dem Stück ist, dass es nicht mit Schwarz-Weiß-Mustern à la „Böse Eltern, die das Kind an seiner Entwicklung hindern“ versus „Liebes Kind, das durch uneinsichtige Erwachsene behindert wird“ arbeitet.
Das Leben ist Kampf
Ausgangspunkt der gezeigten Familie ist die Annahme: „Das Leben ist Kampf, wir müssen ständig auf der Hut sein und zusammenhalten.“ Ein gemeinsamer Feind, die bedrohliche Außenwelt, trägt ungeheuer dazu bei, Stabilität in der Familie (wie in jeder Gruppe) zu erreichen. Allerdings zu einem hohen Preis. Solch eine Stabilität verhindert Entwicklung. Eine Familie aber ist in hohem Maße auf Entwicklung angelegt. Kinder wachsen heran, werden älter, verändern sich. Wenn Kinder sich nicht von ihren Eltern lösen können, kommt es zu Verhaltensstörungen. WINTERSCHLAF handelt von diesem Ringen der Eltern und des Kindes um das Loslassenkönnen.
Die Figuren des Stücks
Geschrieben ist das Stück für drei Schauspieler/innen. Das heißt, dieselben Akteure, die die Eltern spielen, sind auch die Darsteller der Figuren, die von außen kommen. Der Regisseur wollte aus dem oben beschriebenen Ansatz eine klarere Zuordnung. Daraus entstand der Wunsch, das Stück mit 5 Schauspieler/innen zu erarbeiten.
Die deutliche Trennung von Innenwelt – die Kleinfamilie Vater-Mutter-Kind in der Höhle – und Außenwelt die nicht-realen Figuren, die das Kind aus der Höhle locken – macht die theatralische Konfrontation härter, eine zweite Ebene wird deutlich herausgearbeitet. Die Außenwelt dringt in das geschlossene System ein, in dem die Eltern in erstickender Nähe mit dem Kind zusammenhocken.
Beckett oder die bürgerliche Komödie?
Seine Zuordnung des Textes beschreibt Klaus Hemmerle folgendermaßen: „Beim Lesen des Textes stößt man auf verschiedene literarische Traditionen. Zum einen erinnern die stark formalisierte, streng durchstrukturierte Sprache von Heleen Verburg und der Parabelcharakter des Textes an Becketts frühe Stücke. Die zeit- und ortlose Abgeschlossenheit der Personen, ihr ständiges 'Sich-um-einander-Drehen' lassen diese Assoziationen zu."
Allerdings hat WINTERSCHLAF nicht die Beckettsche Schwere. Weder Stück noch Inszenierung haben die für Beckett typische Ausweglosigkeit. Im Gegenteil: WINTERSCHLAF ist auch ein Mut-Mach-Stück. Es macht Mut, familiäre Ablösungsprozesse anzugehen.
Ein solcher Zugang wird ermöglicht durch die Spielweise, für die sich der Regisseur entschieden hat. Während der Probenarbeit ging es immer darum, die Farce, den Slapstick und die Komik herauszuarbeiten, die die Autorin intendiert hat.
Ähnlich wie in der bürgerlichen Komödie geht es in WINTERSCHLAF um groteske Alltagssituationen. Je mehr Druck auf einem Streit lastet, desto unfreiwillig komischer wird er, „grausig komisch“. Jeder kennt das Phänomen: man beginnt dann zu lachen, wenn die Situation besonders schrecklich ist.
Auffallend ist, dass der formale Charakter der Sprache im Gegensatz zum realistischen Stoff des Stücks steht. Dadurch ergeben sich spannende Reibungspunkte zwischen den beiden entgegengesetzten Polen.
Bühnenbild für Kinder oder Kinderbühnenbild oder Kindisches Bühnenbild
Gerd Wiener hat in Berlin Bühnenbild und Malerei studiert und anschließend zwei Jahre bei Peymann in Stuttgart gearbeitet. Seitdem ist er als freischaffender Bühnenbildner tätig, sowohl im Bereich Schauspiel als auch für die Oper. Mit WINTERSCHLAF entwirft er zum erstenmal eine Ausstattung für ein Kindertheaterstück.
Nach seiner Meinung schauen Kinder anders auf Theater als Erwachsene, da sie einen anderen Erfahrungshintergrund haben, ein anderes Kulturverständnis.
Erwachsene Theatergänger können Vergleiche anstellen, Bezüge zu bisher Gesehenem herstellen.
Kinder reagieren unmittelbar auf das, was ihnen gezeigt wird. Dieser Aspekt hat ihn bei seiner Arbeit für die SCHAUBURG interessiert.
Gleichzeitig ist er der Überzeugung, dass es kein spezielles Bühnenbild gibt. Ob er ein Bühnenbild für Kinder oder Erwachsene konzipiert, macht für ihn keinen Unterschied in Bezug auf die Intensität und die künstlerische Qualität. Es gibt keine spezielle kindliche Phantasie. Kinder sehen dieselbe Welt wie die Erwachsenen, sie reagieren nur anders: unmittelbarer, neugieriger, offener.