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nach dem gleichnamigen Buch von Jutta Richter
Regie
Antonia Brix
Bühne
Jonas von Ostrowski
Video
Dennis Zyche
Kostüme
Bettina Kirmair
Musik
Simon Hostettler
Es spielen
Julia Meier, Lucca Züchner, David Johnston
Dauer
70 MinutenAlter
Ab 8 JahrenPremiere
04. Juni 2013nach dem gleichnamigen Buch von Jutta RichterDas Stück erzählt von der Suche nach Anerkennung und der Scham, wenn man sie verliert. Es beschreibt in einem humorvollen Hindernisparcours, wie es ist, wenn man sich fehl am Platz fühlt und dass nicht zwangsläufig der am glücklichsten ist, der den meisten Raum beansprucht. Außerdem macht es Mut, seine Vergangenheit mit in die Zukunft zu nehmen, auch wenn sie nicht leicht war.
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Wie wird das Leben schön?
„Ich bin hier bloß der Hund“ – Der titelgebende Satz ist mehrdeutig und kann unterschiedlich übersetzt werden. „Man behandelt mich wie ein Depp.“ oder „Ich bin nicht verantwortlich.“ oder „Ich habe hier nichts zu sagen“. Wie man es auch dreht und wendet, es wird kein Ausdruck von Zufriedenheit oder gar Glück daraus.
Erzählt wird die Geschichte von Brendon, dem ungarischen Hütehund, der von seiner Familie umgetauft wurde und nun Anton heißt, weil sich „Anton“ besser rufen lässt. Allein dieser Vorgang beschreibt eine verletzende Fremdbestimmtheit, der im Laufe der Geschichte weitere folgen werden.
Anton erzählt in diesem Stück von seinem Leben und seinen Erfahrungen. Er lebt mit seinen Herrschaften Friedbert und Emily auf einem Wasserschloss, zusammen mit dem (namenlosen) Kind und der Katze Mizzi. Eigentlich könnte sein Leben sehr schön sein. Wenn nicht, ... ja wenn er nicht dauernd in Situationen geriete, die er falsch interpretiert und daher nicht bewältigen kann.
Hilft, was man gelernt hat?
Eigentlich ist Anton ein wohlerzogener Hund. Aufgewachsen ist er in Ungarn und hat seine Ausbildung bei seinem Onkel Ferenc bekommen. Immer hat er die Ohren gespitzt und alles gelernt, was dieser ihm beibringen wollte. Sie hatten Herden, die waren so groß, dass man sechs Hütehunde für die Bewachung brauchte. Zackelschafe mit wundervollen Korkenzieherhörnern, Graurinder und Wollschweine mussten geschützt werden vor gefräßigen Goldschakalen und den gefährlichen Wildkatzen. Vor denen hat Onkel Ferenc am heftigsten gewarnt und Anton hat sich das gemerkt.
Deshalb ist sein Frieden dahin, als in seinem jetzigen Zuhause auf dem Wasserschloss die Katze Mizzi aufgenommen wird. Seit sie da ist, herrscht Krieg. Sagt das (namenlose) Kind. Das kann nur daran liegen, dass Mizzi von der schlimmen Wildkatze abstammt. Denkt der Hund. Zur Begrüßung wollte Anton sie freundlich beschnüffeln und lecken. Wie Hunde das so machen. Sie aber fand das eklig und reagierte mit Fauchen und Spucken. Anton war wie vor den Kopf gestoßen.
Verstehen Erwachsene nie?
Friedbert ist eigentlich nett. In Antons Augen ist er der Rudelführer. Lange Waldwanderungen mit ihm sind wundervoll. Nur die Hundepfeife versaut den Genuss. Wenn Anton – in Ermangelung von Graurindern und Zackelschafen – versucht, die Enten und Hasen zusammen zu treiben, wie er es gelernt hat, dann ruft ihn Friedbert mit der scheußlichen Pfeife zurück und er muss wieder bei Fuß gehen.
Während eines Unwetters gerät Anton in eine grässliche Situation, als er glaubt, seine Hütehund-Verantwortung wahrnehmen zu müssen. Friedbert sperrt ihn im Zimmer ein, bei seinem Befreiungsversuch reißt er Geschirr samt Teekanne und Tischdecke runter. Als Emily eintritt und wegen seines panischen Fluchtversuchs stürzt, ist die Stimmung auf dem Nullpunkt. Am schlimmsten ist, dass er gar nicht begreift, was er falsch gemacht hat. Ein Hütehund kann doch beim Unwetter nicht in der Stube sitzen!
Die Missverständnisse mehren sich und so beschließt Friedbert, dass Anton in eine Hundeschule geschickt werden muss. Das ist die Höchststrafe. In diesem Moment hat sogar Mizzi Mitleid mit ihm. Dort hört er von der Hundetrainerin zum ersten Mal den Satz „Du bist hier bloß der Hund.“ So begrüßt sie ihn und meint, dass ab sofort nur sie das Sagen hat. Er muss gehorchen. Ihre Regeln sind dumm, monoton, anstrengend, demütigend. Aber er steht es durch.
Woran erkennt man einen Freund?
Sein Augenstern ist die Kleine. Sie weiß als einzige, wie man ihn richtig krault. Die beiden gehen gemeinsam durch Dick und Dünn und passen gut auf einander auf. Wie gut, das zeigt sich, als sie alle gemeinsam einen wunderbaren Wintersonntagnachmittagspaziergang machen. Mit Stöckchen suchen, Spuren schnüffeln, Wettlauf machen. Friedbert und Emily sind gerade ins Gespräch vertieft, als das Kind den zugefrorenen Ententeich betritt und mit schnellen Schritten über das dünne Eis rennt. Das Eis ist glatt, es knackst und knirscht bei jedem Schritt. In diesem Augenblick kann Anton seine Hütehund-Qualitäten zeigen. Er bekommt das Kind zu fassen und zieht es vorsichtig ans Ufer. Jetzt ist er ein Heldenhund.
Aber diese Geschichte wäre nicht von Jutta Richter, wenn hier schon das Happy End käme. Plötzlich ist es anstrengend, ein Held zu sein. Natürlich ist Mizzi eifersüchtig, weil Anton aus Dankbarkeit so viele Privilegien bekommt. Das Glück ist dann auch schnell vorbei, als die Weihnachtsgans in die falschen Hände oder besser gesagt Mäuler gerät. Die Situation eskaliert.
Man weiß nicht, warum das Kind plötzlich den entscheidenden Satz in den Raum stellt, der dazu führt, dass alle zur Ruhe kommen, einander zuhören, und die Wahrheit ans Licht kommt. Wahrscheinlich ist es die Intuition des Kindes, die es die Frage stellen lässt. „Können Hunde weinen?“
Diese einfache Erkundigung führt dazu, dass alle ernsthaft nachdenken. Wie sieht jemand aus, der weinen möchte? Plötzlich nehmen sich alle gegenseitig wahr. Dadurch kann auch die Wahrheit ans Licht kommen: Ungarn ist Antons Lebenslüge. Er war nie dort. Er wurde in einem Karton vor dem Tierasyl abgeliefert. In einem Käfig für Waisenhunde traf er einen alten blinden Hütehund, den alle Onkel Ferenc nannten.
Und als er zu Friedbert und Emily kam, war er nur ein Häufchen Elend, das sich vor jedem Schatten an der Wand fürchtete und jede Nacht wimmerte und weinte. Anton brauchte diese Lüge für sein Selbstwertgefühl. Er brauchte diese Helden-Behauptung, um sich nicht als Totalversager zu fühlen. Jetzt tut es gut, mit der Lüge aufzuräumen. Das spürt nicht nur Anton, auch Mizzi und das Kind sind erleichtert.
Anerkennung und Freunde
„Ich bin hier bloß der Hund“ ist eine Geschichte über die Suche nach dem eigenen Platz. Jeder will den besten Platz im Leben. Die Frage ist, ob es nur einen besten Platz gibt, der für alle der beste ist. Ist das Leben wie „Die Reise nach Jerusalem“, wo man immer rennen, lauern, drängeln muss, um einen Stuhl zu erwischen? Ist nicht gerade diese Haltung dafür verantwortlich, dass man sich so oft fehl am Platz fühlt und deshalb posen, angeben, lügen muss.
Wird das Labyrinth des Lebens nicht viel leichter, wenn man seine Vergangenheit mitnimmt, auch wenn sie schmerzhaft ist? In dieser Inszenierung geht es um die Suche nach Anerkennung und um Scham, wenn man diese verloren hat. Und darum, dass man mit Freunden dies alles überwinden kann. Und darum, dass es manchmal kompliziert ist, einen Freund zu erkennen. Aber wenn man ihn gefunden hat, kann der Horizont groß und weit werden. Eine Trostgeschichte für alle, die nicht immer vor Selbstbewusstsein strotzen, egal wie alt man ist.
Weltwahrnehmung und Poesie
Jutta Richter ist seit vielen Jahren eine der renommiertesten Kinder- und Jugendbuchautorinnen. Ein ganz wichtiges Merkmal ihrer Büchern ist einerseits, dass sie sehr genau das Lebensgefühl junger Menschen trifft und dieses andererseits auf hohem literarischen Niveau formuliert. Deshalb sind ihre Geschichten auch für Erwachsene ein Genuss. „Ich habe ein ziemlich gutes Gedächtnis. Ich vergesse nichts, was ich als Kind gefühlt habe und ich denke, Kinder fühlen nicht anders als Erwachsene. Dieses Kind, das ich bin und das ich hoffentlich auch bleiben werde, das ist eigentlich die zentrale Person, für die ich schreibe. Ich schreibe nicht für eine Zielgruppe, sondern ich versuche, poetisch zu denken und zu formulieren.“
Ihre Sympathie haben immer die Außenseiter. In all ihren Geschichten sind sie die Protagonisten. Aber sie vermeidet konsequent die gespiegelte Abbildung von Realität, wenn sie über Probleme aus der Erfahrungswelt von Kindern schreibt. Mobbing, Integrationsprobleme oder soziale Verfehlungen jeglicher Art kommen in ihren Geschichten in literarischer Verdichtung vor, die die Fantasie des Lesers oder Zuschauers wachkitzelt. Das gilt auch für „Ich bin hier bloß der Hund“. Sie gaukelt keine niedliche Hundegeschichte in einer heilen Welt vor. Sie beschreibt die Welt so hart und schonungslos, wie sie nun einmal ist, mit einer Mutmach-Botschaft am Ende: Man kann Vertrauen haben zum Leben, trotz aller Schwierigkeiten gibt es Netze, die einen auffangen und Kräfte, die einen tragen und das Glück finden lassen.
Aufführungsästhetik
Wie im Buch ist auch in der Theaterbearbeitung der Hund Erzähler der Geschichte. Die Zuschauer verfolgen den Verlauf der Erlebnisse aus seiner Perspektive. Dazu verhält sich die Katze, wie sich eine Katze einem Hund gegenüber verhält. Dazwischen steht das Kind, das alle Konflikte, Streitereien und Missverständnisse wahrnimmt. Weil es das Kind ist, versteht es eher intuitiv, „mit dem Bauch“ als über Sprache. Selten reagiert es mit Sprache und begreift dennoch alle Nöte des Hundes. Aber wenn es etwas sagt, dann ist es etwas Wesentliches.
Nach all den Beschreibungen ist sicher klar, dass in dieser Inszenierung die Schauspieler keine Ganzkörper-Flausch-Kostüme tragen und das Bühnenbild weder Wasserschloss, noch Sonnenbank oder Winterlandschaft abbildet. Der Bühnenbildner Jonas von Ostrowski hat einen Hindernis-Parcours gebaut, in dem unklar ist, wie man sich „richtig“ bewegt und wo der beste Platz ist.
Team
Antonia Brix arbeitet seit 1991 als Theaterregisseurin. Neben bestehenden Stücken bearbeitet sie gerne – wie im Fall von „Ich bin hier bloß der Hund“ Geschichten und Romane für die Bühne. Sie hat u.a. in Basel, Mannheim, Braunschweig, Linz, Zürich, Nürnberg, Freiburg gearbeitet und eigentlich schon alle Genres durchlaufen: Kinderstück, Erwachsenen-, Figuren- und Musiktheater.
Jonas von Ostrowski studierte an der Hochschule für Bildende Künste Hamburg und an der Ecole Nationale Supérieure des Arts Visuels de la Cambre in Brüssel. An der SCHAUBURG war er für den Bühnenraum von ENDLICH verantwortlich.
Dennis Zyche ist Videokünstler und hat häufig für die Tanzszene in München gearbeitet: Dance-Festival, das Bayerische Staatsballett, Access to Dance waren ebenso Auftraggeber wie der Choreograph Richard Siegal. Außerdem arbeitet er für freie Projekte vorwiegend in Berlin. An der SCHAUBURG war er beteiligt bei NESTBESCHMUTZUNG und ENDLICH.
Bettina Kirmair studiert Bühnenbild und Kostüm an der Akademie der Bildenden Künste in München. Für die Produktion ENDLICH war sie für die Kostüme verantwortlich.
Simon Hostettler (Künstlername Simon Ho) ist Schweizer, Pianist und Komponist. Er studierte bei Pierre Boulez. Er ist ein Multitalent und in verschiedenen Musikstilen zuhause. Er hat Kinderopern geschrieben, Kompositionen für Avantgarde-Jazz, Arrangements für klassische Formationen. In New York gründete er das Duo „Sounds“ mit der Sängerin Shelley Hirsch. Er hat für Georgette Dee geschrieben, war am Staatstheater Stuttgart engagiert und arbeitet inzwischen rund um den Globus.