Seiten, die auf Familienbande verweisen

Regie
Hansjörg Betschart
Ausstattung
Andrea Spanier
Musik
Toni Matheis
1. Es spielen
Dirk Laasch, Peter Ender
2. Es spielen
Silke Nikowski
Andrea Sawatzki
Corinna Beilharz
Karl Achleitner

Familienbande

Spielort

Großer Saal

Dauer

80 Minuten

Alter

Ab 9 Jahren

Premiere

02. Juli 1991

Eine mobile Produktion fürs Klassenzimmer

1. Auflösung
von Ad de Bont
Deutsch von Wilfrid Grote
2. Monolog für ein totes Mädchen
von Heleen Verburg
Deutsch von George Podt und Dagmar Schmidt

Nächste Termine

Familienbande

Familienbande ist eine Vorstellung, die sich aus zwei Stücken zusammensetzt: "Auflösung" von Ad de Bont und "Monolog für ein totes Mädchen" von Heleen Verburg.
Mit dem Wort FAMILIENBANDE ist Verschiedenes assoziierbar. Zum einen kann man an das Aneinander-Gebunden-Sein

innerhalb einer Familie denken, an das Zusammenhalten und die gegenseitige Abhängigkeit verschiedener Generationen, oft vereint unter einem Dach. Man hält zusammen in Freud und Leid, gleichzeitig werden Loslösungs-Bestrebungen aus diesem Verband stark erschwert.
 

„Auflösung“ von Ad de Bont

Erzählt wird die Beziehung zwischen einem sehr alten Vater – aus dem Stück erfährt man, dass er morgen 90 Jahre wird – und dessen Sohn.
Trotz ihres Alters haben sich die beiden bis heute nicht von einander lösen können. Der Vater wollte immer, dass der Sohn in seine Fußstapfen trete und das Geschäft übernimmt.
Der Sohn hingegen hatte völlig andere Pläne. „Ich wollte das Nordlicht sehen. Ich wollte auf einem Straußenvogel reiten. Ich wollte Seehundfleisch essen und Malaiisch lernen“, sagt er an einer Stelle. Der Konflikt ist vorprogrammiert und nicht ungewöhnlich. Wenn der Sohn die Erwartungen des Vaters nicht erfüllt, ist Kampf angesagt.
Sein ganzes Leben lang hat der Sohn Ohrfeigen gesammelt,

körperliche und seelische, ausgeteilt vom eigenen Vater. Aber dieser Vater ist kein böser. Im Gegenteil, vielleicht war er immer ein bisschen streng, aber er wollte stets nur das Beste für seinen Sohn.
Die Erlösung für den Sohn wäre gewesen, wenn er seine Träume verwirklicht hätte, wenn er weggegangen wäre von zuhause, um auf dem Straußenvogel zu reiten und Seehundfleisch zu essen. Aber diesen Schritt zur Selbständigkeit und Befreiung hat er verpasst. Er hat es verinnerlicht, der Versager zu sein. Er kommt sich wertlos vor und ist dadurch unentschlossen. Die normale Neugierde eines jungen Menschen auf Neues, Unbekanntes hat er verlernt. Er ist ängstlich und ohne jegliches Selbstvertrauen. Er fühlt, dass er im Schatten des Vaters verfault.

„Monolog für ein totes Mädchen“ von Heleen Verburg

Mit aller Kraft kämpft dieses Mädchen um die Aufmerksamkeit ihrer überforderten Mutter. Sie geht sogar soweit, sich tot zu stellen und hofft, dadurch wahrgenommen zu werden. „Ob sie mich jemals geliebt hat, auch nur ein kleines Bisschen? Ich glaube nicht. Ich glaube, dass ich zu wild, zu ausgelassen in meiner Art war.“

Die Mutter ist so krank, emotional blind, mit sich selber beschäftigt und am Leben überfordert, dass sie das Kind neben sich nur aushalten kann, indem sie alles Lebendige, Kreative, Emotionale der Tochter unterdrückt.

„Sie ist viel schöner, wenn sie keine Geräusche macht. Die Menschen sind am schönsten, wenn sie nichts tun und nichts sagen. Deine Mutter weiß schon, was das Beste für dich ist.“

Sie versucht, die Mutter-Kind-Beziehung auf Pflichtbewusstsein zu reduzieren. Pflichtbewusstsein ist aber kein fruchtbarer Boden für die Liebe, nach der das Kind verlangt, sondern eher für gegenseitige Schuldgefühle.

„Aber ja, jemand muss für uns sorgen. Jemand muss den Brei holen. Und ihr Vater macht es nicht mehr. Ich bin hier dauernd die einzige, die etwas tut.“
Aber die Tochter lässt sich nicht unterkriegen. In ihrer Phantasie hat sie sich eine Freundin geschaffen, mit der sie die Situation teilt, von der sie verstanden wird und mit der sie Ideen ausheckt, wie man die Liebe der Mutter gewinnen kann.

...und immer wieder kommt ein Passant vorbei. Bringt er Hilfe?

Auszüge aus Kafkas „Die Brücke“

„Ich war steif und kalt, ich war eine Brücke, über einem Abgrund lag ich. Diesseits waren die Fußspitzen, jenseits die Hände eingebohrt, in bröckelndem Lehm habe ich mich festgebissen. Die Schöße meines Rocks wehten zu meinen Seiten. In der Tiefe lärmte der eisige Forellenbach. Kein Tourist verirrte sich zu dieser unwegsamen Höhe, die Brücke war in den Karten noch nicht eingezeichnet. – So lag ich und wartete; ich musste warten. Ohne einzustürzen kann keine einmal errichtete Brücke aufhören, Brücke zu sein.
Einmal gegen Abend war es – war es der erste, war es der tausendste, ich weiß nicht, - meine Gedanken gingen immer in einem Wirrwarr und immer in der Runde. Gegen Abend im Sommer, dunkler rauschte der Bach, da hörte ich einen Mannesschritt! Zu mir, zu mir. – Strecke dich, rücke, setze dich in Stand, geländeloser Balken, halte den dir Anvertrauten. Die Unsicherheit seines Schrittes gleiche unmerklich aus, schwankt er aber,

dann gib dich zu erkennen und wie ein Bergott schleudere ihn ans Land.
Er kam, mit der Eisenspitze seines Stockes beklopfte er mich, dann hob er mit ihr meine Rockschöße und ordnete sie auf mir. In mein buschiges Haar fuhr er mit der Spitze und ließ sie, wahrscheinlich wild umherblickend, lange drin liegen. Dann aber – gerade träumte ich ihm nach über Berg und Tal – sprang er mit beiden Füßen mir mitten auf den Leib.
Ich erschauerte in wildem Schmerz, gänzlich unwissend. Wer war es? Ein Kind? Ein Traum? Ein Wegelagerer? Ein Selbstmörder? Ein Versucher? Und ich drehte mich um, ihn zu sehen. – Brücke dreht sich um! Ich war noch nicht umgedreht, da stürzte ich schon, ich stürzte, und schon war ich zerrissen und aufgespießt von den zugespitzten Kieseln, die mich immer so friedlich aus dem rasenden Wasser angestarrt hatten.“

Familienleben

Nach wie vor ist die Familie die soziale Gruppe, in der fast alle Menschen ihre ersten sozialen Erfahrungen machen. Fast alle Menschen kommen in einer Familie zur Welt, erleben hier ihre Kindheit. Hier wird ihr Charakter geprägt, ihre emotionale Grundstruktur, ihr soziales Verhalten. Deshalb sind die Familienverhältnisse, in die ein Kind hineinwächst, ein so wichtiger Faktor für seine Entwicklung.

Sehr oft wird die Familie als die natürliche Zelle von Gesellschaft und Staat gesehen, die nicht angezweifelt werden darf. Wer sich aber seinen Blick auf die Realität durch Wunschvorstellungen jeglicher Art nicht verwässern lässt weiß, dass viele Familienbeziehungen dem Idealbild einer glücklichen Familie leider nicht entsprechen.

Der Druck, den Väter am Arbeitsplatz ausgesetzt sind, wird allzu leicht zu Hause abreagiert. Die Mutter fühlt sich vielleicht als Nestwärmerin unausgelastet und reagiert übernervös oder mit Krankheit. Jede dritte Ehe wird geschieden, die Kinder merken schon lange vor dem endgültigen Termin beim Anwalt, dass nichts mehr stimmt. Arbeitslosigkeit kann die Familie stigmatisieren, Karrierestreben der Eltern zu Wohlstandsverwahrlosung der Kinder führen.

All diese Faktoren haben Auswirkungen auf die seelische Entwicklung der Kinder. Einsamkeit im elterlichen Haus führt später zu Isolierung in sich selbst und dadurch zu großen sozialen Problemen.

Auszüge aus Christiane F’ „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“

„Ich wäre ganz glücklich mit meinen Tieren gewesen, wenn es mit meinem Vater nicht immer schlimmer geworden wäre. Während meine Mutter arbeitete, saß er zu Hause. Mit der Ehevermittlung war es ja nichts geworden. Nun wartete mein Vater auf einen anderen Job, der ihm gefiel. Er saß auf dem abgeschabten Sofa und wartete. Und seine irrsinnigen Wutausbrüche wurden immer häufiger.
Schularbeiten machte meine Mutter mit mir, wenn sie von der Arbeit kam. Ich hatte eine Zeitlang Schwierigkeiten, die Buchstaben H und K auseinander zuhalten. Meine Mutter erklärte mir das

eines Abends mit einer Affengeduld. Ich konnte aber kaum zuhören, weil ich merkte, wie mein Vater immer wütender wurde. Ich wußte immer, wann es gleich passierte: Er holte den Handfeger aus der Küche und drosch auf mir rum. Dann sollte ich ihm den Unterschied von H und K erklären. Ich schnallte natürlich überhaupt nichts mehr, bekam noch einmal den Arsch voll und mußte ins Bett.
Das war seine Art, mit mir Schularbeiten zu machen. Er wollte, daß ich tüchtig bin und was Besseres werde. (...)“

Schlussbetrachtung

Wir glauben nicht, dass wir mit einer Theatervorstellung Lösungen für derartige Probleme anbieten können.
Aber wir können gerade für Kinder, die davon betroffen sind, eine Hilfe sein, weil wir diese Konflikte veröffentlichen, ihnen eine Allgemeingültigkeit geben.
Die Tatsache, dass Schauspieler/innen von Menschen erzählen,

die gleiche oder ähnliche Probleme haben wie das Kind selbst, können ihm dabei helfen, seine Schwierigkeiten zuhause nicht als Einzelschicksal zu sehen, sondern als Aufgabe, die sehr viele andere Kinder auch haben und die vor allem lösbar ist. Dieses Gefühl kann ein großer Trost sein und die nötige Kraft geben.