Seiten, die auf Der Schimmelreiter verweisen

Fassung Beat Fäh
Im Mai 2009 eingeladen zum 10. Deutschen Kinder- und Jugendtheater-Treffen "Augenblick mal!" in Berlin!
Bildmotiv: Nach einer Illustrationen von Jens Rusch
Regie
Beat Fäh
Bühne und Kostüme
Mandy Hanke
Musikalische Leitung
Toni Matheis
Es spielen
Marie Ruback, Tim Kalhammer-Loew, Giorgio Spiegelfeld, Ullrich WittemannPeter Wolter

Dauer

90 Minuten

Alter

Ab 12 Jahren

Premiere

09. Januar 2008

Als Sohn eines armen Kleinbauern muss sich der technisch hoch begabte Hauke Haien sein Wissen als Autodidakt erarbeiten. Vor allem ist er von der Kunst des Deichbaus fasziniert. Oft sitzt er bis in die tiefe Nacht auf dem Damm und beobachtet die Wellen. Als Erwachsener tritt er schließlich in den Dienst des alten Deichgrafen. Fachkenntnisse, Ehrgeiz und Fleiß prädestinieren ihn trotz niederer Herkunft als dessen Nachfolger. Der alte Deichgraf stirbt, Hauke Haien heiratet dessen Tochter und erbt Besitz und Amtswürde. Aber Frieden findet er nicht.

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Die Novelle

"Der Schimmelreiter" ist nicht nur Theodor Storms bekannteste Dichtung, sondern die meistgelesene deutsche Novelle. Und sie ist zugleich die Geschichte einer Landschaft. Verfasst wurde sie Ende des 19. Jahrhunderts; angesiedelt ist sie in der Mitte des 18. Jahrhunderts in einer dörflichen Gegend an der Nordsee. Für uns heute ist interessant, dass der Autor eine eindrucksvolle Auseinandersetzung mit Problemen beschreibt, die Bedeutung haben über die damalige Zeit hinaus.
Erzählt wird das Schicksal eines begabten und zugleich unbegabten Menschen. Die Novelle beschreibt den friesischen Kleinbauernsohn und späteren Deichgrafen Hauke Haien, der im Deichbau seiner Heimat die entscheidende Neuerung des abgeflachten Deichprofils durchsetzt.

 
„Acht Fuß ragte der Deich aus der Fläche hervor; nur wo westwärts gegen das Wasser hin die Schleuse gelegt werden sollte, hatte man eine Lücke gelassen; auch oben vor dem alten Deiche war der Priel noch unberührt. So konnte die Flut, wie in den letzten dreißig Jahren, in den Koog hineindringen, ohne dort oder an dem neuen Deiche großen Schaden anzurichten. Und so überließ man dem großen Gott das Werk der Menschenhände und stellte es in seinen Schutz, bis die Frühlingssonne die Vollenden würde möglich machen.“

Aber er scheitert daran, sein großartiges Projekt richtig in der Dorfgemeinschaft zu kommunizieren. Dieses Manko führt zum Untergang. Eine solche Geschichte hat nie stattgefunden, und einen Hauke Haien hat es nie gegeben. Dennoch spiegelt sich hier in poetischer Konzentration und bei aller Freiheit im Umgang mit historischen Details eine Landschaft mitsamt ihren Hoffnungen und Ängsten ihrer Menschen mit einer so lupenreinen Genauigkeit, wie sie einzigartig sein dürfte.

Die Vorstellung

Storm hat seine Erzählung in einer verschachtelten Rahmen-Technik geschrieben, die drei Erzähler, drei Zeitebenen und zwei Rahmen hat. Wir haben uns in unserer Bühnenbearbeitung konzentriert auf die Binnenerzählung, in der die Lebensgeschichte Hauke Haiens gezeichnet wird. Anstelle der Rahmenhandlung haben wir 5 Darsteller als Erzähler der Geschichte. Sie kennen den Verlauf der Stormschen Geschichte. Manchmal jedoch werden die Schauspieler zu Figuren, die die Wendungen ihres Schicksals nicht kennen. Daraus entsteht die Spannung der Aufführung. 
Jeder Schauspieler hat, wenn er zur dramatischen Figur wird, einen spezifischen Charakter. So ist der junge Hauke eine Figur voll jugendlichem Überschwang und voller Theorien, während der reife Hauke Haien sich zum harten, beinahe fundamentalistischen Deichbauer entwickelt hat. Ole Peters, der lebenslange Gegenspieler, ist eher ein Praktiker. Wenn der erwachsene Hauke ihm das Gefühl geben könnte, eingeladen zu sein, beim großen Plan mitwirken zu können, dann würde die Geschichte keinen verhängnisvollen Verlauf nehmen.

Die „Lichtgestalt“ ist Elke Volkerts. Zwar ist sie in ihrem Rollenverständnis total eingebunden in ihre Zeit, aber ihre absolute Liebe zu Hauke ist ein wichtiger Beitrag zu dessen Höhenflügen.  
Die Prosatexte sind nicht einfach gleichmäßig und gerecht auf die Schauspieler verteilt. Das, was beschrieben wird an Arbeit, Mühsal, Landschaft, Wetter, Dorftratsch, Aberglauben, Hoffnung, all das hängt immer mit der Grundstimmung und den Emotionen zusammen, die den einzelnen Schauspielern als Figur zugeordnet sind. Und diese müssen mit seiner Erzähler-Rolle in Einklang sein. 
Selbstverständlich haben wir die Sprache von Theodor Storm nicht vereinfacht, denn gerade die komplexen, kraftvollen Sprachzusammenhänge ermöglichen es dem konzentrierten Zuschauer, die Vorstellungsbilder im eigenen Kopf entstehen zu lassen.

Deichbau

Die Arbeitsweise von Storm ist bekannt. „Jetzt aber rührt sich ein mächtiger alter Deichsagenstoff in mir, und da werde ich die Augen offen halten; aber es gilt vorher noch viele Studien zu machen...“ schreibt Storm 1885 an einen Freund. Dabei hatte er zu diesem Zeitpunkt bereits mit den Studien begonnen und bittet bald darauf einen bekannten Bauinspektor, der ein Standardwerk über den Deichbau und seine Geschichte verfasst hatte: „Zu einer neuen Arbeit, die sich in meinem Kopf festsetzen will, möchte ich gern eine kleine, nur ganz flüchtige Skizze der Landtheile von Nordstrand, Husum, Simonsberg haben, wie es eben vor der großen Fluth von ann. 1634 war. ...“
Bei seinen Recherchen hat Storm ungefähr drei Jahrhunderte nordfriesischer Deichbaugeschichte studiert und sich von wenigstens vier verschiedenen Persönlichkeiten aus verschiedenen Zeiten inspirieren lassen für die Gestalt des Hauke Haien. 

Auch wir mussten uns in der Vorbereitung ausführlich mit dem Thema Deichbau beschäftigen, um die Besessenheit des Hauke Haien konkret nachvollziehen zu können. Beim Betrachten der Landkarten in 'Szenenfotos' wird schnell klar, wie unvorstellbar groß diese Aufgabe war. Wenn man sich vergegenwärtigt, wie viel Land das Meer seit der großen Flut von 1634 trotz immer besserer technischer Möglichkeiten „gefressen“ hat, dann entsteht eine Vorstellung des Kampfes, den Hauke Haien gegen das Meer aufgenommen hat.

Der Außenseiter und Der Aberglauben

Haukes Begeisterung für die Mathematik ist Ausdruck seines an der Vernunft orientierten Weltverständnisses. Seine Leidenschaft für Deichberechnungen und – profile ist derart besessen, dass er schon als Schulkind keine Freunde unter den Altersgenossen hat. Sogar die Landwirtschaft des Vaters interessiert ihn nicht. 
Das feindliche Meer beherrschen und besiegen zu können, ist sein Motor. Schon als junger Mensch fühlt er sich, obwohl Sohn armer Leute, zum Deichgrafen berufen.  
Durchsetzungsvermögen, Rücksichtslosigkeit und Zielstrebigkeit tragen zu seinem gesellschaftlichen Aufstieg bei.

Aber etwas Wesentliches vergisst er. Ohne soziale Kompetenz nützt alles Ellenbogengebaren nichts. Schnell wird im Dorf unterstellt, dass sein Interesse am Deichbau nicht dem Allgemeinwohl dienen soll, sondern nur der eigenen Selbstprofilierung. Dabei blendet er die Tatsache aus, dass ein Deich aber nur in großer gemeinschaftlicher Anstrengung gebaut werden kann. Auch seine Frau Elke, die die Stimmung im Dorf viel besser erkennt, kann nicht vermitteln.

Mathematische Berechnungen sind das Eine, das Andere aber ist der kollektive Beitrag zur Realisierung der mathematischen Berechnungen. Haukes Antwort auf die Herausforderung durch die Naturgewalten ist die auf wissenschaftlichen Kriterien begründete Tat, der Deichbau. Die Antwort der Dorfbewohner darauf ist ihr Aberglaube, der gegründet ist in Rückständigkeit, mangelnder Bildung und gottesfürchtiger Schicksalsergebenheit. Eine verhängnisvolle Melange. 

„Schon war er unten von der Süd-Ostecke aus auf dem neuen Deich herumgeritten, und es war Alles wohl erhalten; als er aber an die Nord-Ostecke gekommen war, dort wo der neue Deich auf den alten stößt, war zwar der erstere unversehrt, aber wo früher der Priel den alten erreicht hatte und an ihm entlang war, sah er in großer Breite die Grasnarbe zerstört und fortgerissen und in dem Körper des Deiches eine von der Flut gewühlte Hohlung, durch welche überdies ein Gewirr von Mäusegängen bloßgelegt war.“