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Ein Stück über Giftgas, den Ersten Weltkrieg und danach
Mit Unterstützung des Kultrureferats der LH München
Regie
Tobias Ginsburg
Dramaturgie
Daphne Ebner
Bühne/Video
Jonas von Ostrowski, Dennis Zyche
Kostüme
Pascale Martin
Musik/Sounddesign
Taison Heiß
Es spielen
Regina Speiseder, Lucca Züchner, Dan Glazer, Taison Heiß, Thorsten Krohn, Peter Wolter
Dauer
100 MinutenAlter
Ab 15 JahrenPremiere
09. Januar 2014100 Jahre Erster Weltkrieg – ein Jubiläum, das man feiern sollte. Aber der Jubilar taucht nicht auf. Was ist passiert? Wo ist der Krieg hin? Sind wir im Zeitalter des andauernden Friedens angekommen oder ist der Krieg nur unsichtbar geworden? "Weltenbrand" - ein Stück über Giftgas, den Ersten Weltkrieg und danach.
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Weltenbrand
100 Jahre Erster Weltkrieg – ein Jubiläum, das man feiern sollte. Aber der Jubilar taucht nicht auf. Was ist passiert? Wo ist der Krieg hin? Sind wir im Zeitalter des andauernden Friedens angekommen oder ist der Krieg nur unsichtbar geworden? Mit dem Theaterstück WELTENBRAND begeben wir uns auf die Suche nach ihm.
Ausgangspunkt ist der 22. April 1915, der Tag, an dem die Deutschen mit dem Einsatz von Giftgas die erste Massenvernichtungswaffe in die Welt setzen. Den Krieg gewinnen die Deutschen damit zwar nicht, aber sie verändern für immer sein Antlitz.
Vom Ersten Weltkrieg aus folgen wir dem Krieg und seinem Waffenarsenal, folgen dem Giftgas auf seiner unheilvollen Reise rund um den Globus: Es trifft auf deutsche Genies und marokkanische Rebellen, selbstmörderische Hausfrauen und afrikanische Kaiser. Es legt sich sogar mit echten Westernhelden an. Und es hört nicht auf zu reisen. Von den Schützengräben zu den vergessenen Kolonial- und Vernichtungskriegen der 20er und 30er Jahre bis zu den jüngsten Verbrechen in Syrien: Deutschland bleibt Exportweltmeister.
WELTENBRAND erzählt von Massenvernichtungswaffen, von Giftgas, Bomben und Exporten, und von den Menschen dazwischen. Und es wirft Fragen auf: Kann es eine humane Waffe geben? Gibt es eine Waffe, die so mächtig ist, dass sie den Krieg ein für allemal beenden kann? Wenn die Waffen unsichtbar werden, verschwinden dann auch die Kriege, die Täter und die Opfer? Wo ist der Krieg hin?
Tobias Ginsburg, der mit seinem Aufsehen erregenden Projekt NESTBESCHMUTZUNG vor zwei Jahren eine zeitgemäße Form von Geschichtsbeschäftigung im Theater gefunden hat, zeigt in WELTENBRAND zusammen mit Daphne Ebner, warum Vergangenheit nicht Vergangenheit ist, sondern bis in die Gegenwart mitspielt.
Vor der Premiere – das Produktionsteam im Gespräch über das Stück
Im Dezember 2012 hatten das Team der Schauburg und der Regisseur Tobias Ginsburg zum ersten Mal die Idee, einen Theaterabend zum ersten Weltkrieg zu machen. Seitdem kamen Dramaturgen, Bühnen- und Kostümbildner, Videokünstler, Musiker und Schauspieler und mit ihnen ganz neue Ideen dazu. Herausgekommen ist ein Stück über das deutsche Giftgas und seine Erfinder. Ein Theaterabend, der die hundertjährige Geschichte dieser Waffe vom ersten Weltkrieg bis heute anhand von zwei Chemiker-Familien erzählt, die zur Entwicklung und Verbreitung des Giftgases rund um den Globus beigetragen haben. Man verfolgt fünf Figuren auf der Bühne, die gemeinsam deutsche Geschichte(n) erzählen und versuchen, diese in ihrer ganzen Abgründigkeit und skurrilen Komik lebendig werden zu lassen.
Ein Jahr seit den ersten Ideen und kurz vor der Premiere des Stücks erinnern sich die Beteiligten gemeinsam an die Entstehung von WELTENBRAND. An diesem Gespräch beteiligt sind:
Tobias Ginsburg (Jhrg. 1986) - Autor und Regisseur
Daphne Ebner (Jhrg. 1986) - Autorin und Dramaturgin
Jonas von Ostrowski - (Jhrg. 1981) Bühnenbildner
Dennis Zyche - (Jhrg. 1984) Bühnenbildner
Pascale Martin - (Jhrg. 1982) Kostümbildnerin
Taison Heiß - (Jhrg. 1976) Musiker
Dagmar Schmidt - (Jhrg. 1953) Dramaturgin der Schauburg
Die Idee: Der erste Weltkrieg im Theater
Dagmar: „Einhundert Jahre seit dem Ausbruch des ersten Weltkriegs. Das ist ja ein eher trostloses Jubiläum. Der Grund, warum wir zum ersten Mal ein historisches Jubiläum zum Anlass nehmen, hängt mit deinem Theaterstück „Nestbeschmutzung“ zusammen, das Du 2011 gemacht hast. Darin ist es Dir gelungen, eine Familiengeschichte aus dem Dritten Reich in Beziehung zum Heute und zu Deiner Generation zu setzen. Die Art, wie Du Dich als Regisseur im Theater mit Geschichte auseinandersetzt, hat den ersten Weltkrieg für uns als Thema überhaupt erst spannend gemacht.“
Tobias: „Dabei würde ich noch nicht mal sagen, dass ich ein besonderes geschichtliches Interesse habe. Ich habe ein Interesse für die Welt, in der wir leben und ein Interesse daran, sie zu verstehen und vielleicht auch anders oder neu zu verstehen. Und das schaffe ich nicht nur, wenn ich mir einen Querschnitt unserer heutigen Gesellschaft angucke, sondern über die Frage: Wo kommt das her? Zu wissen, dass 17 Millionen Menschen im ersten Weltkrieg gestorben sind, ist erst einmal eine Statistik, die mit mir nichts zu tun hat. Ich kann mir 17 Millionen Menschen auch gar nicht vorstellen. Das heißt, diese Zahl zu lernen, hat etwas mit Allgemeinwissen zu tun. Und das ist uninteressant. Spannend wird es, wenn du plötzlich auf ein Thema stößt, bei dem du eine ganz konkrete Parallele zu dir selbst findest oder merkst: Das ist ein unglaublich wichtiger Punkt, hier hat sich auf einmal die ganze Welt verändert und ich verstehe die Welt jetzt besser dadurch. Und das funktioniert meistens nicht über das Verstehen oder das Wissen einer bloßen Chronologie.“
Das Stück: Giftgas im ersten Weltkrieg und danach
Tobias: „Mitten in der Recherche zum ersten Weltkrieg stießen wir auf einen interessanten Fall: Clara Immerwahr, die Frau des deutschen Chemikers Fritz Haber. Fritz Haber gilt als Erfinder des modernen Gaskrieges, weil er das Giftgas nicht nur entwickelt, sondern auch die Einsätze an der Front geleitet hat. Eine Woche nach der ersten Giftgasattacke im April 1915 im belgischen Ypern, in derselben Nacht, in der Fritz Haber zum Hauptmann ernannt wird, erschießt sich seine Frau. Fritz Haber fährt wenige Stunden später wieder zurück an die Front. Wir finden eine ganze Reihe von Texten, in denen Clara Immerwahr entweder zur Heldin stilisiert oder als depressives Hausmütterchen abgetan wird. Plötzlich wird darüber diskutiert: Was bedeutet dieser Schuss ins Herz? Und nun bin ich interessiert. Unter diesen 17 Millionen ist 1 Selbstmord, der mehr bedeuten kann, als nur sein eigenes Leben nicht mehr zu ertragen. Diese Vorstellung fand ich wahnsinnig faszinierend. Und das ist dann auch der Startpunkt für unser Theaterstück.“
Daphne: „Dann war schnell klar, dass wir auf der Bühne die Geschichte des deutschen Giftgases weiterverfolgen wollen. Denn obwohl der Einsatz von Giftkampfstoffen nach dem ersten Weltkrieg durch den Versailler Friedensvertrag verboten wurde, verkaufen und exportieren die Deutschen weiter. Ungefähr als der erste Akt fertig geschrieben war, ereigneten sich am 21. August 2013 die Giftgasangriffe in Syrien, bei denen zwischen 300 und 1700 Menschen getötet wurden. Später stellte sich heraus, dass deutsche Firmen bis 2011 sogenannte Dual-Use-Chemikalien an Syrien geliefert hatten, aus denen sich, je nach Bedarf, Zahnpasta oder chemische Waffen herstellen lassen. Natürlich musste das in unser Stück mit einfließen.“
Die Figuren: Wut, Humor, Eskapismus
Daphne: „Obwohl das ein sehr komplexes Thema ist, braucht der Zuschauer kein Vorwissen, um den Theaterabend zu verstehen. Wir haben fünf sehr unterschiedliche Figuren im Text angelegt, die wir den Pazifisten, den Romantiker, den Pragmatiker, den Realisten und den Ästheten genannt haben. Die Frage, inwieweit Wissenschaftler wie Fritz Haber eine Verantwortung oder Schuld für Erfindungen tragen, wird offen auf der Bühne ausgetragen. Eine Figur, die Partei für Haber ergreift, argumentiert dann zum Beispiel, dass Wissenschaft nie gut oder schlecht, sondern immer nur wahr sei. Und dass Haber mit seinem Giftgas eigentlich nur den grausamen Stellungskrieg auflösen und ein schnelles, humanes Kriegsende für die Soldaten in den Schützengräben erreichen wollte.“
Taison: „Letztlich geht es darum, den Jugendlichen im Publikum keine fertige Meinung zu präsentieren, sondern einen Denkprozess anzuregen, der es ihnen ermöglicht, eine eigene Haltung zu beziehen.“
Tobias: „Wir zeigen einfach fünf Menschen mit verschiedenen politischen Haltungen, die versuchen, mit ihrem Wissen zu leben. Oder es auszublenden. Oder darüber Witze zu machen. Was nebenbei nicht ganz unwichtig ist. Kein Mensch, der sich ernsthaft mit einer Geschichte des Grauens beschäftigt, schafft es über eine längere Zeit, das mit einem betulichen und ernst dreinblickenden Tonfall zu machen. So funktionieren Menschen nicht.“
Dagmar: „Ich glaube ja, dass Humor und das Lachen helfen, den Kopf frei zu machen. Um zu denken. Um eine Haltung und eine Position für sich zu finden.“
Tobias: „Man braucht vielleicht zwei Dinge: Humor und Wut. Denn wenn du dich über etwas nicht mehr empören kannst, dann kann es dir auch egal sein. Man versteht ja Geschichte nicht nur mit dem Kopf, sondern auch mit dem Körper. Deshalb muss man diese natürlichen Reaktionen wie Wut, Humor, sogar Eskapismus, auch zulassen.“
Die Bühne: In Frieden und Sicherheit?
Jonas: „Wir haben auf der Bühne nicht die Schauplätze der Vergangenheit nachgebaut, über die im Stück gesprochen wird. Vielmehr haben wir versucht, eine Situation zu schaffen, die durch ihre Unzeitlichkeit als Vehikel für die Beschäftigung mit der Geschichte dient und gleichzeitig an sich präsent ist. Vor allem sollte die Bühne als Ort für eine möglichst intensive Auseinandersetzung der Figuren im Stück funktionieren. Ein in erster Linie abstrakter Ort, der durch seine Beschaffenheit die spezifische Kommunikation unter den Figuren unterstützt und unterstreicht. Wir haben dafür einen zentral organisierten Raum im Raum entworfen. Durch seine Ausgestaltung erinnert er an eine Art Bunker oder Schutzraum, einen Ort, aus dem man nicht heraus, in den aber auch nichts Neues hinein kommt. Ein Ort der absoluten Sicherheit, der die Figuren zwangsläufig dazu bringt, sich miteinander und mit den Relikten der Geschichte zu beschäftigen.“
Daphne: „Wie das automatisch geschieht, wenn man lange Zeit zusammen festsitzt. Da stellt sich logischerweise auch irgendwann die Frage: Wie sieht die Welt da draußen aus, jenseits der Sicherheit und des Friedens im heimeligen Bunker? Bleiben wir hier oder wagen wir einen Blick nach draußen?“
Tobias: „Interessant ist, dass der Zuschauer nicht vor der Bühne sitzt, wie das häufig im Theater der Fall ist, sondern sich zusammen mit den Schauspielern in einem gemeinsamen Raum befindet.“
Jonas: „Man kann sich also vorstellen, dass das ganze Geschehen verdammt nahe kommt, man ist Teil des Ganzen, Teil der gesamten Problematik, des sozialen Gefüges.“
Das Video: Unsichtbares sichtbar machen
Dennis: „Der Einsatz von Film und Video im Theater birgt die Gefahr, den Schauspieler in eine Konkurrenz-Situation zu bringen. Wir haben deshalb versucht, die bewegten Bilder aus dem Medium Film heraus in das Medium Theater zu transportieren. Dadurch konstruieren sie sich nicht über die klassischen Gestaltungsmittel im Film, sondern stellen sich über die Einbettung in die architektonischen Bedingungen des Raumes und über die4 Interaktion des Schauspielers her. Dazu haben wir eine Art Video-Gewehr entwickelt, gefüllt mit Licht- Bild- und Videofragmenten, das die Schauspieler selbst bedienen, so dass sie sich über das Material Situationen schaffen können. So wird auch der Einsatz des Mediums selbst zu einer Aktion. Das Ding ist natürlich außerdem eine Wahnsinnsmetapher. Bei der Recherche haben wir in Archiven in Frankreich, Deutschland und England zum Teil sehr unterhaltsame, skurrile Aufnahmen gefunden, die damals vermutlich den Zweck erfüllten, die Schrecken des Krieges abzumildern. Dazu kommen die medizinischen Aufnahmen, wie die der so genannten Kriegszitterer.“
Daphne: „Heute würden wir das Posttraumatische Belastungsstörung nennen. Dabei wirken die Bilder an sich vergleichsweise harmlos. Erst im Zusammenspiel mit der Erzählung der Schauspieler begreift man als Zuschauer die Situation dieser vom Krieg traumatisierten Soldaten.“
Dennis: „In diesem Fall erfüllt das Video auch den Zweck, Dinge wieder sichtbar zu machen, die zur Zeit des ersten Weltkriegs geheim gehalten und damit unsichtbar gemacht wurden. Weil man zu Recht befürchtet hat, dadurch den Kriegswillen in der Bevölkerung zu erschüttern.“
Die Kostüme: Erinnerung an Krieger, Chemiker und Helden
Pascale: „Auch mir war es gerade bei diesem Stück sehr wichtig, nicht einfach ein Kostüm zu entwerfen, das genauso aus dem ersten Weltkrieg stammen könnte. Es sollte vielmehr eine Mischung aus ganz vielen Kriegen sein. Neben einem Tarnanzug kann das genauso ein Teil einer Ritterrüstung sein, ein Wikingerhelm oder Boxhandschuhe, die ja auch ein Kampf-Mittel sein können. So entstehen Figuren, die zeitlich nicht mehr richtig zugeordnet werden können und trotzdem erinnern sie an Krieg, an Kampf, an Erfinder, an Chemiker, an Helden.“
Die Musik: Krieg als Eskalation menschlichen Handelns
Taison: „Krieg ist das bewusste Inkaufnehmen von Leid zur Durchsetzung der eigenen Ziele und damit die finale Eskalation menschlichen Handelns. Im Stück treibe ich die Auseinandersetzungen der Figuren auf der Bühne voran, indem ich die musikalischen Motive durch Wiederholungen, Abstraktionen und Verfremdungen eskalieren lasse.“
Wenn Geschichte nahe kommt
Pascale: „Ich fand Geschichte immer total interessant, konnte mir aber meistens die Jahreszahlen nicht merken.“
Tobias: „Bei mir war Geschichte in der Schule super, eine konstante zwei. Mit Spicken sogar manchmal eine eins, ich konnte mir nämlich auch keine Zahlen merken.“
Jonas: „Ich konnte nur etwas damit anfangen, wenn es je nach Thema eine Verbindung zu den Erzeugnissen der Unterhaltungsindustrie gab. Beispielsweise hatte ich Interesse am Unterricht über das alte Rom, wegen Asterix und Obelix. Grundsätzlich ist aber die Erinnerung an das „Heilige römische Reich deutscher Nation“ oder wie das heißt, stellvertretender. Massenhaft Kaiser, und man musste deren Namen lernen und von wann bis wann sie regiert haben. Völlig abstrakt, ich konnte überhaupt nicht damit anfangen.“
Dagmar: „Für meine Generation war das natürlich leichter. Geschichte wurde mit der Frage interessant: Was haben meine Eltern im Dritten Reich gemacht? Und worüber wollen sie nicht reden?“
Dennis: „Da unterscheidet sich unsere Generation glaube ich gar nicht von Eurer. Sobald man einen Bezug zu sich und zu aktuellen, politischen Ereignissen herstellt, wird Geschichte spannend und relevant.“
Jonas: „Was ich zum Beispiel total interessant fand und damals war ich noch ziemlich jung, war die Tatsache, dass Frauen bis Anfang der 60er kein eigenes Konto ohne die Zustimmung ihres Ehemanns eröffnen durften. Ich weiß noch, wie überrascht ich war und dachte, wow, das ist überhaupt nicht lange her. Und das ist ja auch Geschichte.“
Pascale: „Ich komme aus der Schweiz und hatte dort ein Fach, das 'Erlebte Geschichte' hieß. Da kamen Menschen zu uns in den Unterricht, die eine bestimmte Zeit oder ein Ereignis persönlich erlebt haben. Das hat mich immer extrem beeindruckt, weil das dann plötzlich so nah war.“
Dagmar: „Und genau das ist doch unser Wunsch an die Vorstellung WELTENBRAND. Die Zuschauer anzustoßen im Sinne von: Das könnte mehr mit euch zu tun haben, als ihr denkt.“