Seiten, die auf Das Geschenk des weißen Pferdchens verweisen

Ein Auftragswerk der
SCHAUBURG
 
Regie
Mayra Capovilla
Bühne
Hans-Peter Boden
Kostüme
Claudia Jung
Pferdekopfgeige
Tumursaikhan Janlav
Es spielen
Berit Menze

Spielort

Großer Saal

Dauer

65 Minuten

Alter

Ab 6 Jahren

Premiere

09. November 2010

Ein tapferer Junge bekommt ein schwerverletztes Fohlen geschenkt, dessen Leid ihn so tief berührt, dass er liebevoll pflegt. Als es schließlich doch stirbt, geschehen unglaubliche Dinge, wie sie eben nur in alten Legenden geschehen können. Der alte mongolische Mythos über die Entstehung der Pferdekopfgeige - der Morin Khuur, als packendes und poetisches Theaterstück.

Nächste Termine

Die Geschichte

Es war einmal, irgendwo in der unendlichen Weite der Hochgebirgssteppe zwischen der Wüste Gobi und dem Altaigebirge, in einem Land, in dem man sich das Wissen über die Welt abends am Feuer in einer Jurte sitzend weitererzählt, in dem die Berge selten unter 4000 m hoch sind und in dem das Millionen Jahre alte Gletscherwasser als das Blut dieser Berge angesehen wird. Dort trug sich einmal eine unglaubliche Geschichte zu, die den Kindern in der Mongolei noch heute erzählt wird. Und die ging so:
Frühling. Krachend bricht das Eis im Fluss und kündigt so neues Leben an. Tasi, der zusammen mit seinem Großvater Ulan und seiner Großmutter Nuri in einer Jurte lebt, hat den ganzen Winter darauf gewartet. Endlich kann er mit seinem Opa zum Fluss reiten und dem brüllenden Bullen zuschauen, wie er die Eisschollen ans Ufer wirft um endlich wieder frei zu sein. Der Opa hat es versprochen. Aber die Großmutter hält ihn davon ab. „Tasi! Großvater ist alt.“ sagt sie, „Er verwandelt sich in einen Stein, das weißt du. (…) Er braucht seine Ruhe!“ Doch der Junge lässt nicht locker und akzeptiert nicht, dass der Großvater sich verwandeln will. „Er kann nicht einfach gehen und ein Stein werden und mich allein lassen! (…) wir müssen zum Fluss. Du darfst noch nicht weggehen. Du musst da bleiben!“ Ulan, sichtlich berührt vom kindlichen Drängen seines Enkels, beruhigt ihn: „Tasi, mein Junge. Selbst wenn ich gehe und ein Stein werde, so bin ich doch da. Wie du da bist. Und Nuri, mein Murmeltierchen. Und die Berge und die Weiden und die Schafe, die Pferde, das Kamel und der blaue Himmel über dem Land.!“ Und als der Junge seinen Großvater auch noch an das Versprechen erinnert, ihm beibringen zu wollen, wie man die Pferdekopfgeige spielt, erzählt der Großvater eine alte Geschichte: „Er hat ja recht. Ich glaub, wir müssen ihm eine Geschichte erzählen. (…) Die Geschichte von der Morin Khuur, der Pferdekopfgeige.“ Verständnisvoll gibt er dem Drängen seines Enkels nach und beginnt sie zu erzählen, diese alte berühmte Geschichte, die in der Mongolei jeder kennt, so wie hier zu Lande das Märchen
„Hänsel & Gretel“.
Es ist die Geschichte von einem tapferen Jungen, Suhe, der ein halbtotes Fohlen geschenkt bekommt, dessen Leid ihn so tief berührt, dass er es nicht sterben lassen will. Er pflegt es mit Kräutern und dem Blut der Berge, verteidigt es gegen Wölfe, Bären und Tiger. Immer weiter trägt Suhe bald das weinende Pferdchen nach Osten, ins Gebirge hinauf, „denn nach Osten musst du gehen, wenn du deinen Glücksstern suchst“, sagt er und hofft auf Rettung. Und dann passiert es. Im Moment des Todes, die Zeit steht bereits still, erwacht der Junge und sein weißes Pferdchen ist zu einem prächtigen Pferd herangewachsen. Er gibt ihm den Namen Saraana Qiqig, Lilienblume. Das Pferd beeindruckt nun selbst Prinzessin Baigu. Doch die Freude ist nicht von Dauer. Aus Eifersucht und Habgier wird das Pferd getötet. Wehklagend fällt der Junge in einen unruhigen Schlaf, in dem ihm sein geliebtes weißes Pferdchen erscheint: „Klage nicht, Suhe, mein Freund! Bau dir ein Instrument. Und wenn du es spielst, will ich bei dir sein und dich trösten. Aus meiner Haut und meinen Knochen und aus meinem Schweif sollst du es machen. Und du sollst es Morin Khuur nennen, Pferdekopfgeige.“ Tag und Nacht spielt der Junge die Pferdekopfgeige und nur allmählich vergeht seine Traurigkeit. Er spürt, das weiße Pferdchen ist bei ihm, in seinem Instrument und in seinen Liedern, jetzt und für immer. Und als Suhe auch noch Prinzessin Baigu heiratet, ist sein Glücksstern ganz aufgegangen.
Hier endet die Geschichte des Großvaters und Tasi will mit ihm nun endlich zum Fluss reiten, um den Bullen anzuschauen, wie er röhrt und brüllt, weil der Frühling kommt. Doch sein Opa ist vom Erzählen der Geschichte so geschwächt, dass er ihn nur auf Später vertrösten kann: „Ich werd mich jetzt ein bisschen ausruhen, aber dann reiten wir zum Fluss. (...)“ Und als Tasis Drängen endlich nachlässt, legt sich der Großvater aufs Sofa, dreht sich um und schläft ein.

Die Inszenierung

In der Schauburg-Inszenierung wird man von zwei Seiten in eine offene Jurte hineinschauen können, so dass der Eindruck entsteht, man säße tatsächlich in einer Jurte. Einer mongolischen Jurte, in der es an nichts fehlt. Die drei Schauspieler erzählen uns als Großvater ULAN, Großmutter NURI und Enkel TASI die Geschichte von der Pferdekopfgeige. Nicht als durchgehend erzählte Geschichte an das Publikum, sondern sie steigen, wann immer es die Situation der Erzählung zulässt, in die Figuren des Mythos ein, und verleihen diesem dadurch eine emphatische Lebendigkeit, deren Sog man sich nicht entziehen kann. Wenn dann Tumursaikhan Janlav, unser Pferdekopfgeigenspieler, der auf einem Podest vor der Jurte thront, hinabsteigt und die Jurte betritt, um die Morin Khuur zu spielen und um einen mythischen Obertongesang anzustimmen, dann geht ein Engel durch den Raum und es bleibt kein Auge mehr trocken. So unendlich weit und tief ist der Moment. Der Moment, als dem Jungen in einem unruhigen Schlaf
sein geliebtes totes Pferdchen erscheint, das ihn bittet, nicht mehr über dessen Tod zu klagen. Es fordert ihn auf, aus seiner Haut, seinen Knochen und seinem Schweif ein Instrument zu bauen – die Pferdekopfgeige Morin Khuur, die er spielen soll, damit ihm mit der Musik das Pferdchen erscheint und so über den schmerzhaften Verlust hinweghilft. Wahrhaftigkeit erfasst dabei den Zuschauer. Wahrhaftigkeit, die deutlich macht, wie Momente größten Glücks mit Momenten tief empfundenen Unglücks untrennbar verbunden sein können.
Und wenn sich dann am Ende der Inszenierung der Großvater im Schein des flackernden Feuers an seinen Enkel wendet und sagt „(...) hör zu: am Grunde der Schönheit ist oft Traurigkeit, verstehst du...“, dann fühlt jeder im Raum Trost. Und einen Augenblick später erkennt man, was nach dem Unglück kommt und bleibt: die Schönheit des Lebens – greifbar im Raum durch den Klang der Morin Khuur – und zwar für jetzt und für immer!

Die Pferdekopfgeige - Morin Khuur

Die Mongolische Pferdekopfgeige ist ein zweisaitiges Streichinstrument, welches am oberen Halsende von einem hölzernen Pferdekopf geziert wird. Sie ist das wichtigste Musikinstrument der Mongolen, und gilt als Nationalsymbol. Neben dem Reiten auf Pferden, dem Ringkampf und dem Bogenschießen verkörpert die Morin Khuur die nationale Identität der Mongolen.
Die Saiten bestehen aus Schweifhaaren von mongolischen Pferden, ebenso wie die Bespannung des Bogens. Die Haare der Saiten haben keinen Zusammenhalt, sind weder miteinander versponnen noch umwickelt. Die tiefere ("männliche") Saite enthält ca. 130 Haare, die höhere ("weibliche") Saite ca. 100 Haare.
Die Inspiration des Spiels der Morin Khuur gründet in der Natur
und dem nomadischen Leben. Selbst der große Dschingis Khan hatte auf seinen Feldzügen durch Asien und Europa einen Morin Khuur-Spieler in seinem Tross.
Es ist die Kultur der Pferdezucht, die sich mit der Morin Khuur untrennbar verbindet. So werden Pferde verehrt, genauso wie der blaue Himmel, welcher der unendlich wirkenden Weite der Mongolei ihre Faszination verleiht. Der Klang der Pferdekopfgeige erinnert die Mongolen zudem an den Wind der Steppe und das Wiehern ihrer Pferde. Aber ihren eigentlichen Ursprung hat sie im Mythos, in dem über viele Jahrhunderte lang weitererzählten Mythos vom Geschenk des weißen Pferdchens.

Die Jurte

Das deutsche Wort Jurte stammt aus dem türkischen jurt, was soviel wie Zelt, Lagerplatz, Land, Heimat oder Wohnort bedeutet. Sie ist das traditionelle Zelt der Nomaden in West- und Zentralasien und die übliche Unterkunft nomadisierender Völker.

Besonders verbreitet ist die Jurte in der Mongolei und in Kasachstan. Man nimmt an, dass die Jurte auf eine über 2000jährige Entwicklungsgeschichte zurückblickt. Das erste Mal schriftlich erwähnt wurde die Jurte im 6. Jh. n. Chr. in chinesischen Quellen.

Der Pferdekopfgeigenspieler

Janlav Tumursaikhan wurde 1972 in der Mongolei geboren, erlernte die zweisaitige Pferdekopfgeige Morin Khuur und den rituellen Obertongesang Khoomi an der Musikschule und am Konservatorium in Ulaanbaatar.

Er ist Gründungsmitglied des international bekannten mongolischen Ensembles Egschiglen und lebt seit einigen Jahren in der Nähe von Nürnberg.
 

Der Autor

Rudolf Herfurtner wurde 1947 in Wasserburg am Inn geboren. Nach seinem Studium der Germanistik, Romanistik und Theaterwissenschaften in München arbeitete er ab 1971 für eine Tageszeitung. Ab 1973 erschienen seine ersten Veröffentlichungen. Rudolf Herfurtner gehört zu den bekanntesten Kinder- und Jugendbuchautoren Deutschlands. Daher verwundert es nicht, dass er für seine rund 35 Bücher vielfach mit Preisen ausgezeichnet wurde. Hier nur eine kleine Auswahl: 1981 erhielt er den Förderpreis der Stadt München, 1990 den Grimme-Preis für das Drehbuch zum Film „Brausepulver“, 1996 den Deutschen Kindertheaterpreis für das
Stück „Waldkinder“.
Sein Stück Spatz Fritz, das seit 2007 auf dem Spielplan der Schauburg steht, ist 2000 mit dem Preis der Bayerischen Theatertage prämiert worden. Die Akademie für Kinder- und Jugendliteratur Volkach verlieh ihm 2003 den Großen Preis für sein Gesamtwerk.
Sein Stück Das Geschenk des weißen Pferdchens ist im Auftrag für die Schauburg entstanden und hat 2010 im Rahmen des 13. niederländisch – deutschen Kinder- und Jugendtheaterfestival „Kaas & Kappes“ einen Stückpreis erhalten.