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Seiten, die auf Der Sturm verweisen
Deutsch von Rainer Iwersen
Regie
Beat Fäh
Bühne und Kostüme
Franziska Kaiser
Musik
Florian Rein
Es spielen
Josephine Ehlert, Marlis Hirche, Lucca Züchner, Oliver Bürgin, Markus Campana, Wolfgang Cerny, Oliver Dassing, Peter Wolter
Dauer
110 MinutenAlter
Ab 15 JahrenPremiere
19. Oktober 2011Nächste Termine
Ein STURM für heute
Vor genau 400 Jahren, im November 1611, wurde DER STURM am Hof König Jakobs I. in London uraufgeführt. Von allen Stücken Shakespeares ist DER STURM sicher eines der komplexesten. Und genau deshalb passt es in die heutige Zeit, in der wir die Welt als verwirrend, aufgerissen, unfassbar wie nie zuvor erleben. Das galt für die Zeitgenossen Shakespeares auf vergleichbare Weise. Die prägenden Themen der Renaissance sind denen von heute nicht unähnlich: Die Welt wurde ungemein groß durch neueste Entwicklungen der Seefahrt und die Entdeckung neuer Kontinente.
Das Bezwingen der Natur spielte eine wichtige Rolle. Die Kunst des Buchdrucks revolutionierte die Vermittlung von Wissen. Neue Handelszentren und damit neuer Wohlstand entstanden samt modernem Bankenwesen. Bildung bekam einen hohen Stellenwert. Gleichzeitig brachten diese Entwicklungen für große Teile der Bevölkerung einen beträchtlichen sozialen Abstieg. Unglaubliche Chancen, zivilisatorischer Fortschritt und Reichtum gingen einher mit Elend, Seuchen und Not. Die Übertragung auf heute gelingt kinderleicht.
Shakespeare kannte das Leben außerhalb des Theaters sehr gut. Im Geist der Renaissance stellte er den einzelnen Menschen mit seinen Interessen, Werten und seiner Würde in den Mittelpunkt. Deshalb sind seine Stücke für uns noch immer ein so großer Schatz. Im Gegensatz zu seinen Autoren-Vorgängern und Zeitgenossen beschreibt Shakespeare den Menschen so wie wir ihn vierhundert Jahre später noch immer kennen, als Figur mit Innenleben, als beunruhigend menschliches Wesen.
Wie gesagt: Sicher ist DER STURM eines der komplexesten Stücke Shakespeares. Vielleicht wird es deshalb zu oft als pessimistisches Alterswerk gelesen oder als Parodie inszeniert. Beides ist es nicht. Es ist die Geschichte vom Kampf um Macht, von hinterhältigen Herrschern, Gewalt, Freiheitsdrang, Weisheit, Größe und Elend des Menschen. Und am Ende sind es zwei junge Menschen, Prosperos Tochter Miranda und Alonsos Sohn Ferdinand, die mit Kreativität, Zuversicht und Selbstvertrauen in die Zukunft schauen. Wenn das kein Zeichen von Optimismus ist!
Stürmischer Beginn
Als Antonio, Herzog von Mailand mit König Alonso von Neapel, dessen Bruder Sebastian und Alonsos Sohn Ferdinand in einen gewaltigen Sturm gerät, ihr Schiff Feuer fängt und die gesamte Hofgesellschaft mit Mann und Maus unterzugehen droht, ahnt keiner der Betroffenen, wer hinter diesen Naturgewalten steckt.
Dieser Sturm ist kein normales Unwetter, dieser Sturm wird durch magische Künste erzeugt, die nur einer beherrscht: Prospero. Er hat diesen Taifun aufgerufen und beobachtet nun zusammen mit seiner Tochter Miranda aus sicherer Distanz den Überlebenskampf auf dem Schiff. Sein Motiv ist Rache: Rache an seinem Bruder Antonio und Rache am Widersacher Alonso, König von Neapel. Rache dafür, dass er von beiden entmachtet wurde und mit seiner Tochter in Verbannung auf einer elenden Insel lebt.
Nach 12 langen Jahren der Demütigung scheint der Augenblick der Abrechnung gekommen. Mit Hilfe seines Luftgeistes Ariel stranden einzelne Grüppchen an den Gestaden seiner Insel. Jetzt soll Prosperos Stunde kommen, in der er seine Widersacher mit Grenzerfahrungen konfrontiert.
In diesem Stück herrscht Sturm. Und zwar nicht nur in der ersten Szene. Sturm herrscht in Prospero seit zwölf Jahren. Diesem Sturm sind nicht nur die kenternde Mannschaft ausgeliefert, sondern auch diejenigen, die mit ihm die Insel bewohnen: Seine Tochter Miranda, der Luftgeist Ariel und Caliban, der ursprüngliche Herrscher der Insel.
Rückblick
Prospero war rechtmäßiger Herzog von Mailand. Da er die Staatsgeschäfte nachlässig führte und sich mehr für die Studien der Magie und Wissenschaften interessierte, entstand ein Machtvakuum am Hof. Sein Bruder Antonio ergriff die Chance und entmachtete Prospero. Dazu verbündete er sich mit Alonso, König von Neapel und Erzfeind des Hauses Mailand. Er ließ Prospero samt Tochter entführen und bei Nacht in einem alten Kahn aussetzen. Das hätten beide nicht überlebt, wenn der edle Gonzalo ihnen nicht Proviant, Wasser, Kleidung und die wichtigsten Bücher zugesteckt hätte. So landeten Vater und Tochter vor 12 Jahren auf dieser Insel.
Mirandas Schicksal ist extrem. Als Dreijährige kam sie mit ihrem Vater in die Einsamkeit. Mutter, Freundinnen, andere Menschen außer ihrem eigenwilligen Vater kennt sie nicht. Wie aber soll ein Kind heranwachsen ohne soziale Kontakte, allein mit dem Vater? Von den beiden eigenartigen, bereits auf der Insel lebenden Gestalten ist in dieser Hinsicht nichts zu erwarten: Caliban und Ariel.
Caliban ist das Kind einer Hexe und eines fischartigen Meeresungeheuers. Nach ihrem Tod wurde dieser halbmenschliche Wechselbalg Herrscher der Insel. Bis Prospero kam.
Zunächst begegnete er dem merkwürdigen Wesen freundlich und brachte ihm das Sprechen bei. Aber Caliban versuchte, Miranda zu vergewaltigen, deshalb wurde er von Prospero verstoßen und muss seitdem hart für ihn arbeiten. Voller Schmerz, Wut und Trauer verbringt er seine Zeit lauernd und wartet auf eine Chance der Rache. Das heißt: Caliban hat sein Reich durch Prospero verloren so wie Prospero sein Herzogtum verlor durch seinen Bruder. Die Dinge wiederholen sich.
Der letzte Inselbewohner ist der Luftgeist Ariel. Er wurde von Calibans Mutter in einem Fichtenstamm schmerzhaft eingekeilt. Daraus befreite ihn Prospero und machte ihn zu seinem Diener. Obwohl Ariel nicht so schwer schuften muss wie Caliban, empfindet er Prosperos Macht über ihn als Strafe und hofft auf schnelle Entlassung in Unabhängigkeit und Freiheit. Das dauert noch ein wenig, denn alles, was im Stück passiert, ist sein Werk.
Ariel führt aus, was Prospero ihm befiehlt, und das gelingt so perfekt, weil Ariel unsichtbar ist für jedermann - außer für Prospero und die Zuschauer.
Ariel lenkt die Geschicke
Auf Anweisung führt Ariel den Sturm auf und sorgt dafür, dass alle unverletzt stranden. Nun kann der wahrheitsbesessene Prospero mit seiner Abrechnung beginnen:
Ferdinand, der Sohn des Königs von Neapel irrt über die Insel voll Trauer über den verlorenen Vater, als Ariel dafür sorgt, dass er Miranda trifft. Beide verlieben sich sofort ineinander. Gefühlssturm. Gelenkt wird die Begegnung von Prospero. Allerdings überlässt ein Vater, der zwölf Jahre allein mit seiner Tochter gelebt hat, diese nicht dem nächstbesten Mann. Ferdinand muss als Prüfung seiner Liebe schwerste Arbeit verrichten. Er nimmt die Herausforderung an.
Szenenwechsel: König Alonso, sein Bruder Sebastian, der weise alte Gonzalo und Herzog Antonio haben sich noch gar nicht von ihrem Unglück erholt, als sich menschliche Abgründe auftun: Dem Tode eben knapp entkommen, macht Antonio einen kaltblütigen Vorschlag. Sebastian könne die Macht übernehmen, wenn er die Gunst der Stunde nutze und seinen schlafenden Bruder Alonso umbringe, um selbst König von Neapel zu sein.
Im Klartext: Wie Antonio seinen Bruder Prospero aus dem Weg geschafft hat, so könnte jetzt Alonso liquidiert werden. Die Geschichte wiederholt sich. Fast. Ariel verhindert den schnöden Mord.
Szenenwechsel: Die Trunkenbolde Stephano und Trinkulo begegnen dem schwer schuftenden Caliban. Auch bei ihnen hat die Erfahrung des Beinah-Ertrinkens weder zu Nachdenklich- noch zu Menschlichkeit geführt. Stephano hat schnell die Idee, dieses kuriose Wesen nach Neapel mitzunehmen und für Geld auszustellen. Der unerfahrene Caliban, der gleichzeitig in ekligen Rachefantasien von Schädeleinschlagen und Halsabschneiden schwelgt und wenig später in berührender Weise einen Traum beschreiben kann, sieht in den beiden Kerlen seine Chance. Er verspricht ihnen die Herrschaft über die Insel, wenn sie Prospero erschlagen. Dieses Komplott hat Prospero nicht vorhergesehen. Dennoch gilt: Die Geschichte wiederholt sich.
Prosperos Gnade
Alle Facetten von Machtstreben, Gewalttätigkeit, Verschwörung – aber auch der Liebe – hat Prospero in seiner Insel-Inszenierung aufgefächert und erkennt die Unzulänglichkeit des Menschen als unveränderlich. Er muss sich eingestehen, dass seine Macht ausgespielt hat. Deshalb führt er alle Beteiligten zusammen und löst den Zauber.
Das Finale handelt von Triumph, Wiedergutmachung, von Versöhnung. Am Schluss bleiben Miranda und Ferdinand. Sie haben die Liebe entdeckt. Die grausame Welt rund um sie haben sie nicht wahrgenommen. Das ist ihre Chance. Sie können neu beginnen. Alle Figuren sind einer Prüfung unterzogen worden. Die Schlussfolgerungen darf der Zuschauer ziehen. Ein moralischer Appell fehlt.
In diesem Stück zeigt sich „die herrliche, grausame und dramatische Welt, die plötzlich die ganze Macht des Menschen offenbarte und seine ganze Armseligkeit; die Welt, in der Natur und Geschichte, Königsmacht und Moral zum ersten Mal frei von theologischen Sacra gezeigt wurden. Das elisabethanische Theater war diese Welt.“ (Jan Kott)
Shakespeares Theater
„Die ganze Welt ist eine Bühne und alle Frauen und Männer bloße Spieler“. (aus: Wie es Euch gefällt) Das gilt auch für Prosperos Insel. Sie ist Welt und zugleich Bühne. Wie löst man diese Forderung ein? Mit rotem Vorhang? Er ist noch immer das große Symbol für Theater: Der Vorhang öffnet sich, gibt den Blick frei auf die Bühne, und der Zuschauer wird wieder zum staunenden Kind. Da wir mit unserer Inszenierung von DER STURM kein Zaubermärchen erzählen, sondern Bilder der wirklichen Welt zeigen, hat der rote Vorhang seine Magie verloren. Er hängt einfach als Zitat im Bühnenraum. Das Bodentuch ist teilweise aufgerollt. Ist es die Stunde vor oder nach der Vorstellung? Ein Zirkel, mit dem im Theatermalsaal Kreise mit großem Durchmesser gezogen werden, ist installiert. Markiert Prospero mit dessen Hilfe seine Insel?
Diese reduzierten Elemente, umsäumt von Zuschauern auf drei Seiten, beschreiben die Bühne, die zugleich die Welt ist. Illustration würde diese Welt klein machen. Einleuchtend zeigt sich das an der Figur des Ariel. Welches Kostüm trägt eine Figur, die unsichtbar ist? Ein solches gibt es nicht. Man muss theatralische Lösungen finden, wodurch die Kreativität der Zuschauer stimuliert wird und Glaubhaftigkeit entsteht.
Für diese Theaterform ist Beat Fäh ein Spezialist. Das steht seit 1989 fest, als er in der SCHAUBURG seine legendäre Fassung des Sommernachtstraums unter dem Titel „Rose und Regen, Schwert und Wunde“ inszenierte. Er beherrscht die Kunst, im leeren Raum mit den Schauspielern zu zaubern, also ohne Ausstattung, Flugwerk, Arielflügeln und Caliban-Maske.
Aus der Beschäftigung mit dem Text und dem Autor entsteht das Spiel. Dann braucht Caliban keine Monster-Maske, um das Ungeheuerliche seines Charakters zu zeigen. Die Vorstellungskraft des Schauspielers beflügelt die Fantasie des Zuschauers, wenn dies in den Proben entsprechend erarbeitet wurde.
Beat Fäh meidet die Illustration eines Textes. Er fordert die Spieler dazu heraus, die Spannung zwischen persönlichem Zugang und der „Werktreue“ zu suchen. In seinen Proben geht es nicht darum, Verabredungen herauszuarbeiten. Gesucht werden vielmehr Gradlinigkeit und das Unverkrampfte beim Spiel. So entstehen Leichtigkeit, Lebendigkeit und Komik auf der Bühne, die wiederum das Publikum inspiriert.
Der große Theatertheoretiker Jan Kott hat es so formuliert: „Der wahre STURM von Shakespeare ist drohend und roh, lyrisch und grotesk, er ist – wie alle großen Werke Shakespeares – eine leidenschaftliche Auseinandersetzung mit der wirklichen Welt.“ Und wir fügen hinzu: Ein großartiges Stück für junge Menschen, die Fragen an die Welt, an sich, an die Zukunft haben.