Seiten, die auf Rose und Regen, Schwert und Wunde verweisen

Regie:
Peter Ender
Bühnenkonstruktion:
Markus Dassing, Knut Hirche
Kostüme:
Ute Werner
Musikalische Leitung:
Toni Matheis
Es spielen:
Björn JungThorsten KrohnBerit MenzeChristian Pfeil, Anouk SchererPeter Wolter

Rose und Regen, Schwert und Wunde

Dauer

90 Minuten

Alter

Ab 14 Jahren

Premiere

07. November 2000
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Nächste Termine

Ein Sommernachtstraum

Ihr habt einen Traum gehabt, da reicht der Menschenverstand einfach nicht aus zu sagen, was das für ein Traum war: der Mensch, der hergeht und diesen Traum zerklären will, ist einfach ein Esel.

Des Menschen Auge kann nicht hören, des Menschen Ohr kann nicht sehen, des Menschen Hand nicht schmecken, seine Zunge kann nicht begreifen noch sein Herz berichten, was dieser Traum war.

Mit diesen Sätzen beenden Robin Goodfellow und Hobglobin, die beiden Pucks, das Stück. Und in der Art und Weise, wie sie das tun, meinen sie: Und nun, liebe Zuschauer, wacht auf aus diesem Traum, geht hinaus aus dem Theater und schaut, was ihr mit diesem heißen, wüsten Traum einer Sommernacht, den ihr mit uns geträumt habt, im eigenen Leben anfangen könnt.

Als Beat Fäh 1989 den Shakespearischen "Sommernachtstraum" für junge Zuschauer bearbeitete, hat er sich auf die vier Liebenden konzentriert, die keiner bestimmten Zeit und keinem geographischen Ort zuzurechnen sind. Deshalb sind Hermia, Lysander, Helena und Demetrius Figuren jeder zeit und aller Orte. Weder sind sie Feenwesen wie Titania und Oberon, noch verfügen sie über eine soziale Zuordnung wie die Handwerker oder stammen aus der Sphäre antiker Mythen wie Theseus und Hippolyta. Sie sind zeitlos Liebende.

Durch die Beschränkung auf diese beiden Paare ist es Beat Fäh gelungen, in seiner Fassung die Verbindung zwischen dem vor mehr als 400 Jahren verfassten Text und unserem Leben heute, genauer, dem Lebensgefühl junger Menschen heute greifbar zu machen.

Großaufnahme

Ein junger Mann und ein junges Mädchen treten auf. Sie umgarnen, umarmen, küssen sich. Die Freundin des Mädchens kommt vorbei. Der junge Mann schaut ihr nach. Und vergisst sein Mädchen. Die Liebe ist vorbei. Aber dieses Mädchen hat keine Blicke für ihn. Sie liebt einen anderen. Doch ihr Vater verlangt, dass seine Tochter denjenigen heiraten soll, den er für sie ausgesucht hat. Und das ist derjenige, der ihr eben sehnsüchtig nachschaute. Wenn die Tochter nicht gehorche, müsse sie sterben oder in ewiger Keuschheit leben. Das alles spielt sich in den ersten vier Minuten der Aufführung ab.

Bei Shakespeare ist die Plötzlichkeit der Liebe immer überwältigend. Das heißt: Angezogen-Werden auf den ersten Blick. Die Liebe stürzt herab wie ein Habicht, die Welt versinkt, die Liebenden haben nur Augen für einander. Die Liebe erfüllt das ganze Wesen, ist Verzückung und Begierde. Und so unvermittelt wie sie kommt erlischt sie wieder.

Wenn Shakespeare die Handlung in solcher Verdichtung aufbaut, erfordert das von den Darstellern eine entsprechende Spielweise. Der Text ist intensiv, plastisch. Darauf können die Spieler nur mit Unmittelbarkeit reagieren. Für ein behutsames Entwickeln von Gefühlen lässt der Autor keine Zeit. Von Null auf Hundert in einer Zehntel Sekunde.

Shakespeare operiert unentwegt mit Großaufnahmen – wie der Film (Jan Kott). Ein Drehbuch besteht aus Einstellungen und Bildfolgen, im Gegensatz zu Szenen, wie man sie von Theatertexten kennt. Das Theater Shakespeares besteht, wie der Film, aus Einstellungen und Bildfolgen. Ein Bild überblendet das nächste. Filmschnittschnell wechseln die Situationen und Personen. Für Auf- und Abtritte, wechselnde Bühnenbilder oder Umbauten ist keine Zeit.
Der "Sommernachtstraum" ist vielleicht das erotischste von allen Shakespeare-Stücken. Aber die Erotik ist nicht tüllig und hold, sondern trashig und heftig. Die Schärfe der Situationen und Dialoge sollte nicht verwischt werden. Unmittelbarkeit ist angesagt. Eine solche Spielweise erfordert einen besonderen Raum. Das konventionelle Guckkasten-Theater konnte uns dabei nicht hilfreich sein (vgl. auch 5.).

Wer liebt wen wann und warum?

Wie die Geschichte in den ersten vier Minuten verläuft, ist gleichermaßen einfach und kompliziert.

Ein großes Fest soll gefeiert werden. Da kommt Egeus mit der Klage, seine Tochter Hermia wolle nicht Demetrius, dem er sie versprochen habe, sondern einen gewissen Lysander heiraten. Hermia gesteht ihre Liebe zu Lysander, und dass sie Demetrius gewiss niemals nehmen werde. Lysander petzt, dass Demetrius doch eigentlich in Helena verliebt gewesen sei. Theseus, Herzog von Athen, erklärt das Recht des Vaters für das bessere und gibt Hermia Bedenkzeit. Lysander und Hermia sehen keine andere Möglichkeit als die Flucht zu ihrer Tante außerhalb der Stadt. Dazu verabreden sie sich an einem bestimmten Platz im Wald.
Von diesem Plan erzählt Hermia ihrer Freundin Helena, die um Demetrius weint, weil der nur Augen für Hermia habe. Um sich bei Demetrius einzuschmeicheln, erzählt Helena ihm von der Flucht der beiden. Und so treffen sich alle vier im Wald.

Helena läuft Demetrius nach, der noch immer nichts von ihr wissen will. Da treten die Pucks auf den Plan. Sie wollen, sobald Demetrius eingeschlafen ist, seine Augen mit Zaubersaft benetzen, damit er beim Erwachen in blinde Liebe zu Helena verfalle.
Lysander und Hermia haben im selben Wald ein stilles Plätzchen zum Ruhen gefunden. Sie sind müde und wollen beieinander liegen, - aber nicht zu nah. Hermia besteht auf züchtigen Abstand. Versehentlich bezaubert Puck Lysander mit der Wunderblume. Helena findet die beiden Schlafenden. Lysander erwacht und der Zauber wirkt: Er verliebt sich in Helena. Die fühlt sich bloß verhöhnt. Lysander lässt Hermia allein im Wald zurück und läuft Helena nach.
Hermia erwacht und findet sich verlassen. Da taucht Demetrius auf. Statt seine Liebe zu erwidern, unterstellt sie ihm, der Mörder ihres Lysanders zu sein. Sie ist so in Rage, dass er das Missverständnis nicht aufklären kann. Erschöpft legt er sich zum Schlafen. Die Pucks zücken wieder die Zauberblume.

Da kommen der verliebte Lysander und die ihn abweisende Helena vorbei. Demetrius erwacht und verliebt sich - dank der Zauberkraft – ebenfalls in Helena. Die fühlt sich nun von zwei Männern verspottet. Als Hermia dazukommt, sind ihre Verschwörungstheorien perfekt. Auch die Freundin macht mit beim unbarmherzigen Spiel! Jetzt können nur noch die Pucks helfen.

Die Nacht schwindet, der Morgen zieht herauf. Der Wahnsinn hat nur eine Nacht gedauert. Die Liebenden sind ein wenig beschämt. In dem heftigen Kontrast zwischen dem Liebeswahn, den die Nacht auslöst, und der Zäsur des Tages, der alles vergessen machen will, wird Shakespeares Modernität sichtbar. Die Geschwindigkeit, mit der der Autor den Blick in die Unergründlichkeit der menschlichen Seele öffnet, ist auch heute noch atemberaubend.

Pucks

Wer den "Sommernachtstraum" kennt, weiß, dass Shakespeare einen Puck erfunden hat. Bei uns sind es zwei. Pucks Herkunft ist teuflisch. Man erschreckte damit Frauen und Kinder wie mit dem "Schwarzen Mann". Puck ist ein volkstümlicher Teufel und kein liebes Heinzelmännchen des Waldes und auch kein romantischer Kobold. Im Stück wird seine Zwienatur zwischen dem gutmütigen Robin Goodfellow und dem zu fürchtenden Teufel Hobgoblin folgendermaßen beschrieben: Doch hilfst du denen, die dich näher kennen und lieber Puck und guter Waldgeist nennen. - Those that Hobgoblin call you and sweet Puck. Da lag es auf der Hand, den Puck zu verdoppeln. Wenn man Puck als Teufel betrachtet, dann kann er sich vervierfachen. Er ist schnell wie ein Gedanke - Vierzig Minuten, und ich leg 'nen Gürtel rund um den Erdball. -, für ihn gibt es weder Zeit noch Raum, er hat etwas von einem Tier und einem Faun an sich. Aber all dies haben wir erst recherchiert, weil wir zwei Schauspieler hatten, die wir mit dieser Rolle besetzen wollten.

Und weil Toni Matheis, der musikalische Leiter, so gerne mit Live Musik in dieser Vorstellung arbeiten wollte. Einer der beiden Schauspieler spielt Klarinette, der andere E-Gitarre. Aus dieser Konstellation ergab sich die musikalische Konzeption der Aufführung. Die beiden Pucks sind zugleich eine kleine Combo, die sich mit ihren Instrumenten einmischt, um den Reigen der Liebe in Gang zu halten. So betreiben sie nun in unserer Vorstellung ihr Geschäft zu zweit. Sie spinnen die Fäden, lösen Instinkte aus und setzen den ganzen Mechanismus der Verwechslung in Gang. Sie sind Inspizient und Regisseur des Abends, sind Bock, Teufel, Harlekin und Pan in einem.

Der leere Raum

Shakespeares Stücke wurden im Globe-Theatre aufgeführt, einem aus Holz gebauten Theater, in dem nur die Galerien und die Hinterbühne überdacht waren. Podium und Parkett lagen unter freiem Himmel. Das wohlhabendere Publikum saß in den Rängen und schaute von drei Seiten auf die Bühne. Die feineren Herren und der Adel hatten ihre Logen unmittelbar neben dem Podium. Durch zwei Seiteneingänge füllte sich das Parterre mit Volk, mit den sogenannten "Gründlingen", die während der ganzen Vorstellung stehen mussten. Gespielt wurde auf dem rechteckigen Podium der Bühne, die im Hintergrund rechts und links je eine Tür hatte. Darüber befand sich die sogenannte Hochbühne, auf der Turmszenen stattfanden oder die Musiker saßen. Das Theater war eigentlich nicht viel mehr als ein Innenhof mit Tribünen drum rum und lässt eher an ein antikes Amphitheater denken denn an eine barocke Guckkasten-Bühne.

So ähnlich sieht der Raum aus, den wir für unsere Vorstellung gebaut haben. Man kann an eine Sportarena denken, oder eben an das Globe-Theatre. Es gibt weder Vorhang noch Dekorationen. Keine illusionistischen Kulissen-Landschaften und keinen gemalten Wald. Keinen künstlichen Wind und keine Eulenrufe aus der Tonkonserve. Liebesspiele auf leerer Bühne statt in erhabener Szenerie. Der Zuschauer bleibt sich immer bewusst, dass ein Spiel stattfindet, erzählt mit den Mitteln der Schauspieler: Bewegung, Musik, Mimik und Spiellust, Witz und Temperament, die aus dem Text herausgearbeitet wurden: "Rose und Regen, Schwert und Wunde" eben, wie der berühmte polnische Theaterwissenschaftler Jan Kott den "Sommernachtstraum" einmal beschrieben hat.