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Seiten, die auf Salz verweisen
Von und mit
Hedwig Rost
Jörg Baesecke
Musik
Toni Matheis
Spielort
StudiobühneDauer
50 MinutenAlter
Ab 9 JahrenPremiere
05. April 2008Das Salz spielte bei der Gründung und Entwicklung Münchens eine große Rolle. Es war die wichtige Salz-Handelsstraße nach Augsburg, für die Herzog Heinrich der Löwe vor 850 Jahren „bei den Munichen“ seine neue Isarbrücke bauen ließ. Die Inszenierung blickt zurück in die Erdgeschichte, schaut in die tiefen Höhlen des geheimnisvollen Untersbergs und lässt uns Platz nehmen am Frühstückstisch Heinrichs des Löwen. Ein Muss für alle Münchnerinnen und Münchner, die mehr über die sagenumwobene Vergangenheit ihrer Stadt erfahren wollen!
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Fragen standen am Anfang
Die Feierlichkeiten zum 850. Geburtstag der Stadt München waren Inspiration, um nach den historischen Wurzeln der Stadtgründung zu forschen und daran zu erinnern, dass der Salztransport von Reichenhall nach Augsburg dabei eine wesentliche Rolle gespielt hat. Bei Kindern Interesse und Verständnis für Geschichte zu vermitteln, ist nicht einfach. Geschichte ist lange her. Und uninteressant, weil’s lange her ist. Die Tatsache, dass Salz das „Gold des Mittelalters“ war, ist heute schwer nachzuvollziehen. Im Lebensmittelgeschäft kostet es ein paar Cents, und im Winter dient es als Streugut. Fertig. Alle Fragen beantwortet.
Nein! Jetzt fangen die Fragen erst an. Warum hat Kaiser Barbarossa das Land Bayern an den Braunschweiger Welfen Heinrich den Löwen geschenkt? Warum war der Bau der Brücke über die Isar ein so bedeutendes Datum, dass damit die Zeitrechnung Münchens beginnt? Warum ist Salz so kostbar? Wie kommt das Salz ins Meer? Wie lang sind 250 Millionen Jahre? Wie kann man große Themen der Weltgeschichte auf eine Theaterbühne bringen?
Aus Klein wird Groß
Die letzte Frage konnten wir schnell beantworten und haben die beiden europaweit renommiertesten Objekttheater-Spieler beauftragt, ein neues Stück rund ums Salz und die Stadtgründung Münchens zu erarbeiten: Hedwig Rost und Jörg Baesecke sind seit vielen Jahren ausgewiesene Meister darin, mit minimalistischen Mitteln große Geschichten zu erzählen. Über viele Jahre haben sie eine Animationstechnik entwickelt, wobei sie erzählen und gleichzeitig mit bewundernswerter Liebe zum kleinsten Detail Materialien oder Gegenstände mitspielen lassen. Vorgänge und Zusammenhänge werden nicht illustriert, sondern entstehen durch Verknüpfungen im Kopf des Zuschauers.
Fast wie Zauberwerk erscheint es, wie sich aus profanem, aber sehr präzise ausgewähltem Material, kombiniert mit einer ausgefeilten Erzähltechnik, eine Welt entfaltet, in der die Plackerei im Salzbergwerk ebenso vor den Augen des Zuschauers entsteht wie das Gefühl der Unendlichkeit von 250 Millionen Jahren, als das Salz entstand. Das ist faszinierend vor allem für diejenigen, die kaum die Metamorphose eines Papierhuts in ein Papierschiff kennen, sondern besser mit den fertigen Bildern der Playstation vertraut sind. Wenn sie entdecken dürfen, dass sie Geschichten mit ihrer eigenen Phantasie kreieren können, ist das ein großes Geschenk. Dank Hedwig Rost und Jörg Baesecke.
Münchner Geschichte
Begonnen hat alles in Föhring, heute zwar nur noch ein Stadtteil Münchens, aber viel älter als dieses. Seit der Römerzeit gab es dort eine Handelsstraße mit einem Flussübergang über die Isar, wo bei normalem Wasserstand das andere Ufer gut zu erreichen war. Transportiert wurde vor allem kostbares Salz aus der Gegend von Reichenhall und Hallein nach Augsburg. Um die Jahrtausendwende ließ der Bischof von Freising an dieser Stelle eine Brücke bauen und erhob für die Überquerung Zoll. Oberföhring wurde zu einer reichen Gemeinde.
1156 verlieh Kaiser Friedrich I. Barbarossa das Herzogtum Bayern an den Welfen Heinrich den Löwen. Der zerstörte umgehend die Brücke und ließ stattdessen einige Kilometer flussaufwärts eine neue errichten, für die nun er Zoll kassierte. Rund um „seine“ neue Brücke gab es eine Ansammlung von Höfen, die zum Teil von Mönchen (Munichen) bewirtschaftet wurden. Daher der Name der neuen Stadt. Und daher auch das Stadtwappen, denn bei dem so genannten Münchner Kindl handelt es sich um einen Mönch.
Heinrich der Löwe wusste, wie wichtig Städte für die Entwicklung einer Region sind und stattete die kleine Siedlung „Munichen“ mit den Rechten aus, die für das Wachstum einer Gemeine wichtig waren: Das Recht, einen Markt abzuhalten und das Recht, Münzen zu prägen.
Der Freisinger Bischof musste das Unrecht ohnmächtig geschehen lassen, da der Kaiser am 14.6.1158 die Tat Heinrichs des Löwen legalisierte. Dieses Datum gilt als Gründungstag Münchens.
Salzhandel
Heinrich der Löwe war nicht so sehr an den Brückenzöllen interessiert. Er wusste: wer Herr über einen so bedeutenden Handelsweg ist, der hat auch die politische Gewalt in Händen. Während der folgenden Jahrhunderte trafen in München jährlich ungefähr 150 000 Zentner Salz ein. Im Vergleich zu der damals niedrigen Bevölkerungszahl war das eine unvorstellbare Menge. 1380 machten in München die Steuereinnahmen aus dem Salz mehr als die Hälfte des städtischen Haushaltes aus. Die so genannten Salzsender hatten den Großhandel in Händen und wurden außerordentlich reich. Ihr Reichtum machte es möglich, dass sie ins internationale Geldgeschäft einsteigen konnten und maßgeblichen Einfluss auf das Bankwesen gewinnen konnten.
Weißes Gold
Die wichtige Rolle des Salzes ist uns heute gar nicht mehr bewusst. Wir haben vergessen, dass der Mensch ohne Salz nicht leben könnte, denn das Mineral regelt den Wasserhaushalt. Ohne Salz kein Leben. Da der Körper Salz nicht selber produzieren kann, muss es über die Nahrung zugeführt werden. Der menschliche Körper braucht ungefähr acht Kilo pro Jahr. Und diese acht Kilo sind unentbehrlich, für den Kaiser ebenso wie für den Bettelmann. Das Einsalzen macht viele Nahrungsmittel nicht nur angenehm würzig, sondern auch haltbar. Ohne Pökelsalz hätte die Ostindische Kompanie ihr weltweites Handelsimperium nicht aufbauen können, weil der Reiseproviant auf den Schiffen nach wenigen Tagen verdorben gewesen wäre.
Aus diesen Zeiten stammt der Beiname „Weißes Gold“, denn Salz war so kostbar, dass es mit Gold aufgewogen wurde. Im alten Rom erhielten die Legionäre zusätzlich zu ihrem Sold eine Ration Salz als Lohn: Das „Salarium“ (von lat. „Sal“ für Salz). In unserem Wort „Salär“ lebt der Begriff weiter. Da Salz ein so unentbehrlicher Stoff ist, entstanden Abhängigkeiten, Rivalitäten, Konflikte. Wer über kein eigenes Salz verfügte, stand in der Abhängigkeit anderer. Deshalb kamen die Mächtigen der Welt auf die Idee, das Salz mit Steuern zu belegen.
Wie kommt das Salz ins Meer?
Ursprünglich war die ganze Erde mit salzhaltigem Wasser bedeckt. Durch tektonische Verschiebungen bildeten sich vor 250 Millionen Jahren sozusagen riesige Wasserkessel, in denen durch Sonneneinstrahlung das Wasser verdunstete und das Salz zurück blieb. Auf diese Salzschicht türmten sich immer neue Erdschichten, und so entstanden riesige unterirdische Salzlagerstätten.
Zur Gewinnung wird dieses Salz mit Wasser wieder aus dem Gestein gespült, „nasser“ Abbau nennt man diese Methode. In einigen Salzstöcken, zum Beispiel in Bad Reichenhall gibt es natürliche Solevorkommen im Gestein: Diese, Sole genannte Flüssigkeit muss dort nur an die Oberfläche gepumpt und anschließend erhitzt werden, bis das Wasser verdampft ist.
Salzbergwerksbau betrieben in Europa schon die Kelten, zum Beispiel in Hallein in der Nähe von Salzburg. Nach der Bergbaukultur, die man im benachbarten Hallstatt fand, hat die Archäologie eine ganze Epoche benannt: Die Hallstattzeit (etwa 800 – 480 v. Chr.)
Die Salzgewinnung war schwere Arbeit. Anfangs wurde das Salz mit eine Hacke oder Axt aus dem Berg gebrochen und im Rucksack nach oben geschleppt. Durch verbesserte Bohr- und Fördertechniken entstanden später weit verzweigte Stollensysteme: Schächte und Hallen aus Salz, deren Wände wie ein Meer aus Diamanten zu glitzern beginnen, sobald sie beleuchtet werden.
Die erste Geschichte unserer Vorstellung dreht sich um eine Sage, die in dieser Region angesiedelt ist.
In der Geschichtswerkstatt
Üblicherweise – vor der Erfindung des Internets - wurde Geschichte durch Überlieferung vermittelt. Und zwar einerseits durch die mündliche Erzählung, die Begebenheiten, Schicksal, Historie von Generation zu Generation weitergab. Auf diese Weise wurden nicht nur historische Fakten konserviert, sondern die Geschehnisse verdichteten sich durch die Überlieferung zu Sagen, Märchen, Moritaten und Schelmengeschichten. Andererseits waren Bücher, also Papier, ein wichtiges Medium, um Zeitläufte dem Vergessen zu entreißen. Erzählen und Papier! Die Frage nach der Materialität war entschieden. Beim Besuch der Vorstellung kommt man sozusagen zu den beiden Spielern in ihre „Geschichts-Werkstatt“. Sie suchen nach Geschichten, Fakten, Märchen, die sich ums Salz drehen, wälzen Bücher, um der Geschichte der Stadtgründung Münchens auf den Grund zu gehen. Und siehe da. Großes Theater entfaltet sich durch den artifiziellen Umgang mit gewöhnlichem Papier.
„Die Form entsteht erst auf der Bühne, während des Erzählens. Durch Schneiden, Reißen, Knüllen, Falten. Das ist nun schon seit 5 Jahren mein liebstes Material. Ich nehme Bücher als Bühne, die Seiten haben Fenster, verdecken sich teilweise, die Kanten sind Horizontlinien...“ (Jörg Baesecke) ...und man ist dabei, wenn Heinrich der Löwe über das fehlende Salz zum Frühstücksei schimpft. Das Buch klappt auf, und der Horizont öffnet sich von der Moritat zu den wahren Begebenheiten: und über die beiden Tische der „Geschichtswerkstatt“ spannt sich plötzlich die Brücke über die Isar. Die Materialität des Papiers, das Schneiden, Formen und Reißen trägt die beiden von Geschichte zu Geschichte, die alle mit der Wichtigkeit des Salzes und der Stadtgründung Münchens zu tun haben. Und manchmal übernimmt die Geige eine wichtige Rolle.