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2007 eingeladen zum Deutschen Kinder- und Jugendtheater-Treffen "Augenblick mal!" in Berlin
Regie
Beat Fäh
Bühne und Kostüme
Marion Hauer
Musikalische Leitung
Toni Matheis
Es spielen
Oliver Bürgin, Hussam Nimr, Tim Kalhammer-Loew, Sebastian Hofmüller, Marie Ruback, Peter Wolter

Dauer

100 Minuten

Alter

Ab 14 Jahren

Premiere

10. Januar 2006

Der bärenstarke, aber einfältige Lennie zieht mit George durchs Land, um sich als Erntehelfer eine paar Dollar zu verdienen. Gemeinsam träumen sie von einer eigenen Farm, auf der sie Kaninchen züchten können. Doch Lennies Bedürfnis, alles - ob Mäuse oder Menschen - zu streicheln, bringt die beiden immer wieder in Schwierigkeiten. Als Lennie beginnt, die Frau vom Bauern zu streicheln, ist das Unheil vorprogrammiert.

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Das Stück

Amerika in den 30er Jahren des 20sten Jahrhunderts. Es ist die Zeit der Großen Depression. Heerscharen heimatloser Menschen ziehen durch die Südstaaten auf der Suche nach einem Job und einer Zukunft. Auch der einfältige aber bärenstarke Lennie und sein Freund George, der die existenzielle Verantwortung für beide trägt, ziehen als Saisonarbeiter durch Kalifornien. Sie haben 10 Dollar in der Tasche und suchen einen neuen Job. Bei ihrem letzten Job mussten sie abhauen, weil Lennie das Kleid eines Mädchens nicht mehr los lassen wollte und die aufgebrachte Meute drohte, ihn zu lynchen. Nun sind sie auf ihrer Flucht im Irgendwo angekommen. Dort wo sie keiner mehr finden kann und wo sie sich im Hinblick auf den nächsten Job als Erntehelfer absprechen. George instruiert Lennie darüber, wie er sich auf der neuen Farm verhalten soll, damit sie den Job bekommen. Lennie willigt in alle Vorschläge von George bedingungslos ein und versucht ihn mit beruhigenden Worten davon zu überzeugen, dass er diesmal keinen Mist bauen wird. Doch das Versprechen hält nicht lange. Als Lennie vom Holzholen für das Nachtlager wiederkommt, findet George bei ihm wieder eine tote Maus, und es wird deutlich, mit welchem Handicap Lennie sein Leben zu meistern versucht: Alles – ob Mäuse, Menschen, Kaninchen oder Hunde – muss er mit seinen riesigen Händen berühren um es zu erfühlen, bis er es, mehr aus Versehen und in Unkenntnis seiner Kräfte, tötet oder zumindest nur schwer wieder loslassen kann. Und er tut das wie ein Kind, das mit seinem Spielzeug spielt: Zufrieden, selig fast zärtlich. Dann ist es kaputt und die sich einstellende tief gefühlte Traurigkeit über den Verlust ist emotional so geradlinig, wie man es nur von Kindern kennt. George, beeinflusst von Lennies Emotionen, kann Lennie nicht lange böse sein und versöhnt sich mit ihm. In solchen Momenten, wo die beiden Freunde ganz bei sich sind, erzählen sie sich immer wieder ihren gemeinsamen Traum. Lennie hört dabei zu und verliert sich kindlich in der Schönheit dieser Vorstellung. George, hartnäckig von Lennie gedrängt, muss den Traum erzählen. Ein Traum von einer Farm mit einer kleinen Windmühle und einem Auslauf für Hühner und einem Obstgarten, Kirschen, Äpfeln, Aprikosen und ausreichend Wasser. Aber das Wichtigste wäre ein Stall für die Kaninchen, die sich Lennie so sehnlich wünscht. Diesen Traum lassen sie sich von niemand nehmen. Den behüten und bewahren sie, wie das letzte Stück Menschlichkeit in einem von Armut und harter Arbeit gekennzeichneten Alltag.

Auf der neuen Farm erwartet sie Curley, der Sohn des Bauern. Curley, immer auf der Suche nach seiner Frau Eva, ist ein eifersüchtiger und streitsüchtiger Kerl, dem die beiden sofort verdächtig vorkommen. Vor allem passt ihm nicht, dass nur George auf seine Fragen antwortet und Lennie, selbst wenn er direkt angesprochen wird, nur schweigend daneben steht um keine Fehler zu machen. Das provoziert Curley derartig, dass es nicht lange dauert, bis es zum offen ausgetragenen Konflikt kommt. Er zerrt an Lennie herum und wird schließlich handgreiflich. Lennie, nachdem er von George ausdrücklich die Erlaubnis bekommen hat, schnappt sich Curley und zerquetscht ihm die Hand. Nur mit größter Mühe kann George seinen Freund von Curley wieder losreißen um Schlimmeres zu verhindern. Dabei hilft ihm Slim, der Vorarbeiter auf der Farm. Slim, ein sympathischer Typ wie George, ist schon lange auf der Farm und kennt sich dort gut aus. Das macht ihn für den Bauern wertvoll und verleiht ihm Autorität gegenüber Curley. Von Slim vor die Wahl gestellt, nur dann zum Arzt gebracht zu werden, wenn er Lennie nicht verrät, willigt Curley schließlich ein.

Slim und George freunden sich schnell an. Sie verbindet die gleiche Wut auf Curley und dessen Aggressivität. Außerdem haben sie dieselben Gefühle gegenüber Lennie. Slim und George begegnen sich sozusagen in Augenhöhe, als Gleichgesinnte in einer zivilisationsverarmten Welt. Sie respektieren und vertrauen sich gegenseitig.

Auch Candy, der Älteste auf der Farm und seit dem Verlust einer Hand nur noch mit leichten Arbeiten vertraut, hat von Curleys aggressiver Unzufriedenheit genug. Nur kann er sich zu einem aktiven Auflehnen nie durchringen. Dann bekommt Candy von Curley, ohne Angabe von Gründen, gesagt, dass er bei seinem Vater zu erscheinen hat. Er rechnet mit einem Rausschmiss, was für jemanden in seinem Alter und mit seiner Behinderung gravierende Folgen hätte. Als dann noch sein zwar kranker und sehr alter, aber innig geliebter Hund den Gnadenschuss bekommt, ist es um Candy geschehen. Er fällt in Resignation und tiefe Trauer. Hoffnung keimt erst dann wieder auf, als er von George und Lennie in deren Pläne für die eigene kleine Ranch einbezogen wird und darin eine neue Lebensperspektive für sich entdeckt. Sie legen ihr Geld zusammen und stellen fest, dass sie die erträumte kleine Farm auch sofort bezahlen könnten. George, überwältigt von dieser Aussicht, will auch gleich alles in die Wege leiten.
Da erscheint Eva, die Frau von Curley und das einzige weibliche Wesen auf der Ranch. Mit dem Vorwand Curley zu suchen, ist sie ständig darum bemüht, sich durch die Präsentation ihrer weiblichen Reize bei den Männern Anerkennung zu verschaffen. Einsamkeit und die Suche nach Nähe und Geborgenheit finden sich in ihrem Verhalten wieder.

Aber auch Trotz und Enttäuschung über die Heirat mit Curley und die damit verpassten Lebenschancen. Sie sagt, dass sie eigentlich was aus sich hätte machen können. Beim Film, in Hollywood. Dort könnte sie lauter schöne Kleider anhaben, in einem Hotel sitzen und Interviews geben. Und gerade als sie in Lennie jemanden gefunden hat, dem sie ihre innersten Gefühle anvertrauen kann, wird das Anbändeln mit ihm für sie zur tödlichen Falle. Als sie Lennie ihr Haar streicheln lässt, erkennt dieser nicht die Grenzen. Bei dem verzweifelten Versuch, ihren Widerstand und ihr Schreien zu unterdrücken, bricht er ihr in seiner Panik ungewollt das Genick. Lennie, völlig verstört, erinnert sich an die Abmachung mit George, dass er sich, wenn etwas Schlimmes passiert, dort verstecken und auf George warten soll, wo sie sich schon zu Beginn versteckt hatten: Unten am Fluss im Irgendwo. Inzwischen bläst Curley zur bewaffneten Jagd auf Lennie. George sucht verzweifelt nach einem Ausweg und macht sich Vorwürfe: "Ich glaub, ich hab’s von Anfang an gewusst. Ich glaub, ich hab gewusst, dass wir es nie schaffen. Aber er hat’s so gern gehört, dass ich schließlich selbst geglaubt hab, es könnt klappen." Schließlich findet George den aufgelösten Lennie an der verabredeten Stelle am Fluss. Er versucht ihn zu beruhigen und verspricht, ihn nicht zu verlassen. Dann drängt Lennie seinen Freund, von früher zu erzählen. Auch ihren gemeinsamen Traum muss George erzählen. Und es ist wieder wie immer in diesen Momenten, wenn sie ganz allein bei sich sind: Lennie kichert kindlich und zufrieden in sich hinein, bei dem Gedanken an die eigene kleine Farm. Von Ferne hört man mittlerweile schon Curley und seine Rächer. Lennie schaut über den Fluss und tatsächlich: "Ich seh unser Anwesen, George! Ich seh es – da drüben ist es! Jetzt seh ich’s!" In diesem Moment richtet George eine Pistole auf Lennies Hinterkopf. Es ist still. Schuss.

Gesellschaft-Freundschaft-Liebe-Tod - Eine Provokation?

Das Stück erzählt die Geschichte von zwei ungleichen Jugendlichen, die in tiefer Freundschaft miteinander verbunden sind. Der eine klug, sich um die Dinge kümmernd, verantwortungsvoll, und der andere, dumm aber nicht verrückt, bärenstark, ein Arbeitstier. Das sich ihre Wege gekreuzt haben war Zufall. Das haben sie sich nicht ausgesucht. Es gibt ganz reale Gründe dafür: Tante Klara hat vor ihrem Tod Lennie in die Obhut von George gegeben. Aber was hält die Beiden zusammen? Das Schicksaal ihres Zusammenkommens ist das Eine. Das Zusammenbleiben und der Versuch, gemeinsam ihr Dasein zu gestalten das Andere. Das ist dann kein Schicksal mehr, das muss man wollen, dafür muss es Gründe geben. Gerade in ihrer existentiellen Lebenssituation, wo der Einzelne mit sich selber genügend zu tun hat um überhaupt zu überleben! Sicher kann man für Lennie sagen, dass George seine einzige Chance ist, im Alltag zu überleben. Denn dass er jemand anderen braucht, der ihn mit durchs Leben zieht, scheint klar: Zu groß sind die Defizite bezüglich seiner Fähigkeit, sich in eine fremde Gemeinschaft zu integrieren, und zu ausgeprägt ist seine, in dieser Gesellschaft nicht zu vermittelnden Eigenart, Dinge, die er anfasst um sie zu erfühlen, schlussendlich nicht mehr los zu lassen oder zu töten! Demnach muss der treibende Motor dieser Beziehung George sein. Er ist die Identifikationsfigur. Warum macht der das? Warum macht er sich sein Leben freiwillig so schwer? Was will er mit diesem Klotz am Bein? Er selber sagt doch, dass er es alleine viel leichter hätte? Also warum? Bei der Beantwortung dieser Fragen öffnen sich schnell moralische und emotionale Schleusen. Es treten aber auch Eigenschaften zu Tage, die gerade heute verloren zu gehen drohen. Im Wesentlichen handelt es sich dabei um zwei ursächliche Punkte:

Erstens: Verantwortung für einen anderen Menschen zu haben ist ein Vorgang, der zunehmend abgelehnt wird. Jeder hat, so scheint es, irgendwie mit sich selber genug zu tun. Wenn man sich in einer solchen Verantwortung befände, müsste man den Drang nach der eigenen Selbstverwirklichung zu Gunsten einer WIR-Verwirklichung aufgeben. Alles völlig uncool, unzeitgemäß und sehr anstrengend. Als sozialen Ersatz lassen die virtuellen Welten die eigentlichen sozialen Veranlagungen des Menschen zunehmend verkümmern. Selbst der Tod scheint am Bildschirm alltäglich. Der Drang und die Versuchung, nur den eigenen Bedürfnissen und Verwirklichungen hinterher zu hecheln nehmen nicht nur zu, sondern werden heutigen Generationen auch sehr leicht gemacht. Das lässt uns alle zusehends zu sozial Behinderten und zu hirnlosen Konsumenten werden. Der Preis ist hoch: Das Wesen einer Gesellschaft, das bisher im prosperierenden ZUSAMMEN-spiel aller Kräfte - und nicht nur aus ökonomischen Bedingungen/Unvermeintlichkeiten - bestand, stirbt und das Neue scheint noch sehr diffus.

In diesen Zeiten, wo die soziale und zivilisationsbildende Seite des Lebewesens Mensch zunehmend ökonomisiert wird, der Staat gleichzeitig dabei ist, alle gesellschafts- und zukunftsbildenden Instrumentarien den Gesetzen des Marktes zu übergeben, muss ein Vorgang wie die im Stück beschriebene Beziehung zwischen George und Lennie, der vom ICH - Gedanken wegführt zu einem WIR oder ZUSAMMEN-Gedanken als sehr befremdlich wahrgenommen werden. Es scheint, dass die Vorstellung, ganz eng mit einem anderen Menschen sein Leben zu gestalten, von vielen nicht mehr auszuhalten ist und nur als Nachbeben sozialer Beziehungen der Vergangenheit wahrgenommen wird; sozusagen als Relikte im sozialen Völkerkundemuseum. Eines unserer Anliegen mit dieser Produktion ist es, dass dieses Nachbeben zu einem kräftigen Hauptbeben und die eigentliche, dem Wesen Mensch ausmachende Eigenschaft, als ein zuvorderst soziales Wesen in einer Gemeinschaft, in das theatrale Epizentrum gestellt wird!

Der zweite Punkt, der uns das Stück hat machen lassen, ist das große Thema Freundschaft. George könnte noch so verantwortungsvoll und sozial im oben genannten Sinne sein, ohne die Liebe für das, WAS er tut, ohne die Liebe zu seinem Freund Lennie könnte er die existenzielle Verantwortung für beide nicht tragen! Die Emotionalität, die aus dieser Freundschaft entsteht, ist auch der Brennstoff des tragischen Endes. Denn einen Menschen, den man liebt in den Tod zu befördern, um ihn von den Unzulänglichkeiten des Lebens und aus einer unlösbaren Situation zu befreien, ist kein Vorgang, den man rational und moralisch durchführt. Der Tod eines Menschen als einzigen Ausweg aus einer Konfliktsituation und das Mitleiden an der Ausweglosigkeit, setzen am Ende die unbedingte Hoffnung frei, dass es andere Wege im Leben geben möge, um eine Situation zu verhindern, in der nur noch der Tod die Lösung ist.

John Steinbeck

John Ernst Steinbeck, geboren 1902 in Salinas, Kalifornien; gestorben 1968 in New York, gehört zu den erfolgreichsten US-amerikanischen Autoren des 20. Jahrhunderts. Er ist bis heute einer der meist gelesenen Autoren. Er schrieb zahlreiche Romane, Kurzgeschichten und Novellen, arbeitete zeitweilig als Journalist und war Kriegsberichterstatter im Zweiten Weltkrieg. 1940 wurde er für sein wohl bekanntestes Werk „Grapes of Wrath“ („Früchte des Zorns“) mit dem Pulitzer-Preis und 1962 für sein Lebenswerk mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet.

Sein soziales und politisches Engagement in seinen Büchern hat ihm viel Respekt verschafft. Gleichzeitig sorgte es jedoch bei den offiziellen Behörden für Unruhe. Steinbeck war zwar nie der Kommunistischen Partei beigetreten, jedoch verkehrte er gelegentlich mit ihren Mitgliedern. Das FBI sah dies als Grund genug, gelegentlich Auskunft über Steinbeck Aktivitäten einzuholen und ihn näher zu beobachten. Allein die Bekanntschaft mit „Staatsfeinden“ machte ihn für die Behörden suspekt.

In seinen Büchern trat er jedoch ungeachtet der Brisanz immer wieder für vergessene Randgruppen ein. Ob in „Früchte des Zorns“ die Hoffnungslosigkeit von Außenseitern oder in „Von Mäusen und Menschen“ die Lage und Ausbeutung der Wanderarbeiter im Vordergrund steht: Steinbeck macht die an der Gesellschaft scheiternden Menschen zu seinen Helden und portraitiert ihr Schicksal.

Sein Werk ist in der ganzen Welt bekannt, wurde übersetzt und schon früh verfilmt, inspirierte selbst Bruce Springsteen zu seinem 95er Album „The Ghost of Tom Joad“, einen Hauptcharakter aus „Früchte des Zorns“.