Seiten, die auf 20000 Meilen unter den Meeren verweisen

Regie

 

Bühne
Greulix Schrank
Kostüme und Kostümobjekte
Christl Wein-Engel
Kostümassistenz
Marlene Rösch
Hai-Konstruktion
Peter Weidinger
Musik und Musikmaschine
Portmanteau
Es spielen
Regina Speiseder, Lucca Züchner, Markus Campana, Nick-Robin Dietrich, Taison Heiß, Thorsten Krohn, Greulix Schrank

Wir danken den Werkstätten der Münchner Kammerspiele

Spielort

Großer Saal

Dauer

95 Minuten

Alter

Ab 12 Jahren

Premiere

09. April 2015

nach Jules Verne | in einer Fassung von Taison Heiß und Thorsten Krohn

 

 
Fantasie und Kenntnisse der Naturwissenschaft halfen Jules Verne, zum Bannerträger des zivilisatorischen Fortschritts und technischer Spekulationen zu werden. Sein Roman „20000 Meilen unter den Meeren“ gilt bis heute als einer der bekanntesten Abenteuerromane. Er erzählt darin aber nicht nur von der Faszination technischer Möglichkeiten, sondern auch von den Gefahren, die von „Technik“ ausgehen können, wenn sie nicht an ein starkes Verantwortungsgefühl gekoppelt sind.

Nächste Termine

Am Anfang war die Musikmaschine

 

Die Arbeit zu dieser Produktion begann mit einer von uns so genannten „Musikmaschine“. Sie besteht zum Teil aus Instrumenten, die für zurückliegende Vorstellungen gebaut und entwickelt wurden. Kreativität, Neugier und Spaß am Experimentieren trieben Taison Heiß und Greulix Schrank an, immer neue mechanische und elektronische Klang- und Noise-Körper zu erfinden und zu bauen. So entstand aus Laserharfe, Magnetstössel-Klavier, Kreiselpumpen-Glockenspiel, Ballasttank-Trommeln, Orchestrophon, Linearmotoren-Luftorgel, Helmholtz-Induktionsklöppel, Lichtring-Relais, Pauken-Pneumatik, Kraftkreis-Vibraphon, Energie-Klangschalen und anderen verrückten Gegenständen und Gerät

schaften die so genannte „Musikmaschine“.
Als diese bereits imposante Dimensionen angenommen hatte, haben wir uns auf die Suche nach einer Geschichte gemacht, in der dieses Wunderding mitspielen konnte. Das hieß, die gesuchte Story musste mit dem Forschergeist der beiden Maschinenerfinder zu tun haben, fantastisch und spannend sein und zugleich ein Potential enthalten für essentielle Fragen, die uns heute beschäftigen sollten. So kamen wir auf „20.000 Meilen unter den Meeren“ von Jules Verne. Und die Musikmaschine bekam die Rolle des berühmten U-Boots „Nautilus“.

Reise in die Tiefen der Meere

 

Die phantastische Reise in die Tiefen des Pazifiks entführt zwei Meeresspezialisten in Unterwasser-Welten, die ihren bisherigen Vorstellungshorizont bei Weitem übertreffen. Der französische Wissenschaftler Professor Pierre Arronax ist Autor eines berühmten Fachbuches über „Die Geheimnisse der Meerestiefen“, der Kanadier Ned Land gilt als einer der renommiertesten Harpuniere seiner Zeit. Beide haben den Auftrag, ein geheimnisvolles Seeungeheuer zu jagen, das für mehrere Schiffsunfälle verantwortlich gemacht wird. Unter der Führung von Kapitän Farragut stechen die Forscher in See. Überraschend kommt es zur Kollision zwischen ihrem Forschungsschiff und dem unbekannten Schwimm-Körper. Arronax, Ned Land und ein Schiffsjunge gehen über Bord und können sich nur mit letzter Kraft auf das phosphoreszierende Objekt aus verbolzten Stahlplatten retten, bei dem es sich keineswegs um ein Seeungeheuer handelt, sondern um das U-Boot „Nautilus“. Die Schiffbrüchigen werden von dem genialen und zugleich düsteren Kapitän namens Nemo (im Lateinischen „Niemand“) aufgenommen.
Dieser lebt schon sehr lange abgekapselt von der Welt in diesem U-Boot wie in einem eigenen Kosmos, von dem kein Mensch erfahren soll. Aus Verbitterung und Enttäuschung hatte Nemo sich dorthin zurückgezogen. Freiheitsliebend, gebildet und exzentrisch zugleich existiert er in seiner eigenen Welt völlig autark, besitzt eine großartige Bibliothek, ernährt sich ausschließlich aus dem Meer und gewinnt aus dem Wasser die nötige Energie für die „Nautilus“. Niemandem ist er Rechenschaft
schuldig, und damit sich das nicht ändert, werden die drei Schiffbrüchigen zwar gerettet, dürfen aber nie mehr zurück auf die Erde.
Professor Arronax leidet kaum unter der Gefangenschaft. Auf der „Nautilus“ kann er als abenteuerlustiger Feldforscher seine Wissenschaft ausgiebig vorantreiben. Die Arbeitsbedingungen an Bord sind großartig, und Kapitän Nemo ist ein spannender Kollege. Da er nichts entbehrt, fühlt er sich schnell wohl. Im Gegensatz zu Ned Land, den die Vorstellung, ein Gefangener von Nemo zu sein, zunehmend umtreibt. Bald schmiedet er Fluchtpläne, die alle ohne die Mithilfe von Arronax unrealistisch bleiben.
Zunächst ist Nemo den Gästen gegenüber sehr aufgeschlossen.
Er lädt sie ein zu einem Unterwasser-Spaziergang auf der Insel Crespo, wo Ned Land erst einen Schatz entdeckt und dann durch einen Hai in Lebensgefahr gerät. Das bleibt nicht das einzige gefährliche Abenteuer, das es zu bestehen gilt. In der Torresstraße laufen sie auf ein Korallenriff auf und drohen zu sinken. Schon wieder Lebensgefahr. Bei einem Landgang muss sich Ned Land vor Kannibalen retten. Und noch immer ist die Reise nicht zu Ende: Sie durchqueren den so genannten Arabischen Tunnel, erleben einen Unterwasser-Vulkan-Ausbruch und müssen gegen eine Riesenkrake kämpfen, wobei es wieder um Leben und Tod geht. Nemo ist nicht zu stoppen. Am Südpol bleiben sie im ewigen Eis gefangen, was zu Druckabfall und Sauerstoffmangel an Bord der“ Nautilus“ führt. Die Nerven liegen blank ...

Nemos Tragik

 

Kapitän Nemo umgibt ein unergründliches Geheimnis. Hinter der Fassade eines genialen und gebildeten Wissenschaftlers und Konstrukteurs verbirgt sich etwas Unergründliches, Finsteres. Er besitzt an Bord eine großartige Bibliothek und spielt Orgel. Und gleichzeitig bedeutet sein Leben auf der „Nautilus“ den kompletten Rückzug aus der Gesellschaft. Offenbar wurde sein Gerechtigkeitsempfinden in der Vergangenheit so stark verletzt, dass seine Talente ausschließlich Rache- und Hassgefühle entwickeln können.
Empathie ist ihm fremd. Als er wegen eines Defekts in seiner Tauchausrüstung vom Erstickungstod bedroht ist und Ned Land seine Sauerstoffreserve mit ihm teilt, kann er diese Rettungsmaßnahme kaum ertragen. Uneigennütziges und verantwortungsvolles Handeln kann er nicht anerkennen. Sein Leben basiert einzig auf der Suche nach der hundertprozentigen Perfektion. Diese Vollkommenheit kann der Mensch niemals bieten und die Forderung danach ist unmenschlich. Das ist die Tragik von Kapitän Nemo.

Phantasie und Realität

 

Die submarine Reise von Kapitän Nemo und seinen Gästen durch die Tiefen der Ozeane kann man ziemlich gut auf einer Landkarte nachvollziehen und gleichzeitig erkennen, wo sich der Autor irrte. Bei dem Arabischen Tunnel soll es sich um einen natürlichen unterirdischen Kanal zwischen dem Mittelmeer und dem Roten Meer handeln, den die „Nautilus“ in zwanzig Minuten durchfahren kann. Einen solchen Kanal gibt es nicht. Allerdings war der Wunsch nach einer schnellen Verbindung zwischen dem Roten und dem Mittelmeer in der Entstehungszeit des Buches (1869/1870) hoch aktuell, denn in dieser Zeit wurde der Suez-Kanal gebaut, wirtschaftlich, verkehrstechnisch und politisch ein Jahrhundertbauwerk (1859 – 1869).
Ein ähnliches Phänomen betrifft die Reise zum Südpol. Die Antarktis war zu Lebzeiten des Autors bekannt, allerdings wusste man noch nicht, dass es sich um einen Kontinent handelt. Sonst hätte Jules Verne die „Nautilus“ sicher nicht unter einer Eisbarriere bis zum Südpol gelotst (Der geographische Pol wurde erst 1911 von dem norwegischen Forscher Roald Amundsen erreicht.).
Dies sind nur zwei Beispiele, die sichtbar machen, wie sehr Jules
Verne ein Kind seiner Zeit war, einer Zeit, in der Wissenschaft und Forschung rasante Fortschritte machten und viele Erfindungen das tägliche Leben der Menschen erleichterten. Technischer Pioniergeist und unbändiger Fortschrittsglaube prägten die Zeit. Das führte zu sprudelnden Zukunftsphantasien in den Köpfen vieler Zeitgenossen, deren kreativster Vertreter Jules Verne war.
So wurde die Nutzung der Elektrizität auf der Weltausstellung von 1851 zum ersten Mal vorgestellt. Verne war davon sehr fasziniert, sowohl im positiven wie im negativen Sinn. Er bezeichnete sie einmal gleichzeitig als die „gute Fee“ und als „Dämon“. Die „gute Fee“ war in seinen Augen etwa die Straßenbeleuchtung, der „Dämon“ war in seinen Augen die Erfindung des elektrischen Stuhls. Diese Dualität verarbeitete er in seinem Roman. Ohne Elektrizität, die aus dem Meer gewonnen und in riesigen Akkumulatoren gespeichert wird, wäre das Leben von Nemo in der „Nautilus“ gar nicht möglich. Wenn aber Nemo veranlasst, dass der Einstiegsbereich zum U-Boot unter Strom steht, damit niemand das Boot betreten oder verlassen kann, dann kann man eher an die dämonische Seite der Elektrizität denken.

Das Team

 

Christian Taison Heiß und Greulix Schrank von „Portmanteau“ arbeiten seit 2006 als Musiker in der Schauburg, mal gemeinsam, zum Beispiel in Das Trollkind oder in der Reihe um Prinz Eisenherz, manchmal einzeln wie in Paranoid Park oder Der König hinter dem Spiegel.
Aber eigentlich waren sie immer viel mehr als nur Musiker: Instrumentenbauer, Geräusche-Erfinder, Elektronik-Frickler, Wildpferd- und Bühnenbild-Konstrukteure, Geschichtenerzähler, Mitspieler und Mitdenker – all das können sie auch.
Nun haben sie ihre Talente gebündelt zu einer eigenen Inszenierung und laden die Zuschauer zu einer gigantischen Unterwasser-Reise auf den Spuren des mysteriösen Kapitän Nemo ein.

Thorsten Krohn begann nach dem Abschluss seiner Ausbildung an der Otto-Falckenbergschule in Der Sohn des Chao  an der SCHAUBURG. Danach wechselte er für mehrere Jahre an das Theater an der Ruhr in Mülheim. Glücklicherweise lebt er inzwischen wieder in München und spielt regelmäßig an der SCHAUBURG, seit einigen Jahren als festes Ensemblemitglied. Da er auf Proben und auf der Bühne nicht nur seine eigene Rolle im Blick hat, sondern auch Verantwortung für die ganze Arbeit übernehmen kann, war es wunderbar, als er sich zusammen mit Taison Heiß den etwas dickflüssigen Roman von Jules Verne vorgenommen hat und die beiden daraus eine ideensprudelnde Theaterfassung geschrieben und mit unserem Ensemble szenisch entwickelt haben.

Jules Verne

 

Der Autor gilt als Bannerträger des zivilisatorischen Fortschritts und der technischen Spekulationen. Kaum ein Schriftsteller vor oder nach ihm hat das gesammelte Wissen seiner Zeit so umfassend und in populärer Form veröffentlicht. Er vereinte in seinen Büchern das Bedürfnis nach Unterhaltung, die Neugier auf naturwissenschaftliche Aktualitäten und Länderkunde in Zeiten des Kolonialismus mit einem zeitaktuellen Thema und einer wundersamen Rettung. Seine schier unerschöpflichen Kenntnisse der Naturwissenschaften gepaart mit Fantasie bildeten die Grundlage für seine literarische Rezeptur.

Jules Verne (1828 – 1905) war kein Hellseher und auch kein blauäugiger Technik-Euphoriker, als der er gerne gesehen wurde. Er hatte die Begabung, das zu seiner Zeit existierende technische Wissen in Hypothesen und Spekulationen weiter zu denken und nach Anwendungsmöglichkeiten zu suchen. Und doch plagte ihn am Ende seines Lebens die Frage, ob der Fortschritt, dem er sein ganzes Leben gehuldigt hat, in die Katastrophe führt, weil die moralische Kraft des Menschen nicht im selben Tempo wie der technische Fortschritt wächst. Eine Frage, die nichts von ihrer Gültigkeit verloren hat.