Seiten, die auf Das glühend Männla verweisen

Das glühend Männla

Dauer

75 Minuten

Alter

Ab 14 Jahren

Premiere

14. Januar 1999
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Die Geschichte

Die Geschichte könnte man in der Zeitung finden: Der Vater, ein ehemaliger NVA Soldat, hat sich vor Jahren das Leben genommen. Damit wird die Mutter nicht fertig. Sie fühlt sich von der Dorfgemeinschaft ausgeschlossen und klammert sich an ihren einzigen Sohn, erdrückt ihr „Bubela“ mit ihrer unerbittlichen Liebe. Auch die Oma erhebt Besitzansprüche an den Jungen. Immer wieder steckt sie ihm Geld zu, lässt sich sogar von ihm beklauen, um ihn zu halten. Der Enkel und Sohn versucht, sich vom Rockzipfel der beiden Frauen zu befreien. Das will ihm nicht gelingen. Er führt einen verzweifelten Kampf um seine Identität. Und unversehens ist seine Freundin Anke tot!

Das Stück bietet keine soziologische Analyse, beklagt nicht die soziale Realität am unteren Ende der gesellschaftlichen Leiter. Das Stück erklärt nichts, entschuldigt nichts und beschuldigt niemanden. In 33 filmschnitt-knappen Szenen lässt die Autorin die Geschichte vor unseren Augen abspulen.

„Das Stück spielt im Frankenwald.
Der Frankenwald liegt an der Grenze.
Die Grenze geht durch den Wald,
den Bach, durch eine Küche.
Der Zug fahrt noch hindurch, 
aber für die Menschen ist es eine Endstation.
Viele gehen in die Stadt.“
 (...)
Aus dem Vorwort der Autorin

Glühend Männla

Im Fränkischen erzählt man sich, dass „Glühend Männla“ feurige Männer seien, die des Nachts öfters Vorbeigehende erschrecken und betrügen. Zuweilen werden sie unter sich uneins und schlagen sich, dass die Funken um die Köpfe fliegen. Ansonsten aber sind sie ziemlich lustig. Es handelt sich bei ihnen um die Seelen ungerechter Marktscheider und Grenzsteinsetzer. Sie bekommen ihre Strafe dafür, dass sie zu Lebzeiten ungerecht Grenzsteine gesetzt haben. Nun irren sie umher, wollen die Steine wieder fortschaffen und können es nicht.

Die Grenze als Metapher statt als politisch-geographische Gegebenheit – das hat uns an diesem Stück interessiert. Die Grenze, die einen (über den Tod hinaus) nicht loslässt. Grenzen, die einem gesteckt werden und Grenzen, die man selber zieht – aus Angst, aus Unsicherheit, Mutlosigkeit. Die Grenzen, die es zu überwinden gilt und natürlich das Jenseits der Grenze: die Freiheit.

„Fegefeuer im Frankenwald“ hat ein Journalist seine Kritik der Uraufführung des Stücks in Bonn vor einigen Jahren überschrieben. So haben wir das Stück gelesen: Kein Wohnküchenrealismus in Kittelschürzen, sondern eine gallebittere Ballade aus dem dunklen Frankenwald über eine höllische Familie. Ohne Sentimentalität, ohne Folklore.

Die Mutter

Ihr Mann hat sich aufgehängt. Sie glaubt, dass das Dorf sie dafür verantwortlich macht. Und behauptet, er habe das aus Bosheit ihr gegenüber gemacht. Absichtlich sei er nicht an einem normalen Herzinfarkt gestorben. Über den Vater zu reden, ist tabu. Auch für den Sohn.

“Mutter:
Mir ham kein Vadder.
Hast nie einen ghabt.
Hast mich immer blutig bebissen, wie ich dir die Brust geben hab.
Mit meinem Blut hab ich dich ernährt.
Bist von meinem Blut allein.
Keinen Vadder brauchen wir nicht.
Hab auch keinen ghabt.“

Klare Worte einer Frau, die sich ihre Welt so zurecht gelegt hat, dass sie darin überleben kann. Eine Frau, die sich auskennt, die vieles weggesteckt hat im Leben. Doch das Leben ist Vergangenheit. Nun herrscht vor allem Leere um sie. Mit dem Fernrohr schaut sie der Nachbarin ins Wohnzimmer, terrorisiert sie per Telefon. Nähe und Ferne gleichzeitig. Und keinen Kontakt nach draußen. Den Spießrutenlauf zum Kirchgang wird sie sich ab sofort auch verkneifen. Sie will die Nadelkissenblicke der Nachbarn nicht mehr spüren. Verhärtet, eingeeist, verbarrikadiert in den Vorurteilen über alles, was außerhalb, was anders ist, sitzt sie in ihrer Stube. Bedrohliche Grenzen, wohin sie schaut.

Die Oma

Die Oma wohnt oben drüber. Und das ist nicht nur räumlich zu verstehen. Sie ist zwar die Älteste und körperlich die Gebrechlichste der Familie. Aber ist Geist ist sehr vital und voller Bosheit und Gift. Und das versprüht sie mit einer selbst zerstörerischen Lust in der Familie.
“Oma:
Von deinem Vadder gibt’s nix. Kein einzigs Bildla. Und kein Hochzeitsfoto.
Verbrannt hat sies.
Er reut mich, der Kurt. Der arm Maikäfer. Wie ein Maikäfer is er ins Licht geflogen.
Das ganze Dorf war dunkel, wie er rüber die Grenz is.
Bloß in unserm Haus war Licht. Da ist er drauf zu.
Bin auf den Tod erschrocken, wie er ans Fenster geklopft hat.
Mit seiner Uniform. Hab ich gedacht, ein Russ is.
Dageblieben is er, und deine Mutter hat er genommen. Die Hiesigen, die
ham ihr schlechte Goschen gekannt.“

Der Sohn

Im Zentrum der Frage steht: Wie wächst ein Junge in einem solchen Zuhause auf? Wo gibt es Raum für seine Suche nach Freiheit, seinen Lebenswillen, seine Fragen, den altersgemäßen Über-Mut, seine Lebens-Experimentierlust? Die Autorin gibt dem Jungen nicht man einen Namen. „Bubela“ nennen Mutter und Oma ihn. Wie alt das „Bubela“ ist, verrät die Autorin nicht. Aber sicher ist er kein Bub mehr. Er fordert ein Mofa, klaut der Oma Geld und will Gynäkologe werden. Wenn die Oma Geschichten aus seiner Kindheit memoriert, wehrt er das ab. „Des verstehst jetzt nimmer, was ich denk.“ Stimmt. Weder Oma noch Mutter verstehen, was ihr „Bubula“ denkt. Und es interessiert sie auch gar nicht. Für die beiden ist die Zeit längst stehen geblieben.
Wenn niemand ihn wie ein Mensch behandelt, ist es kein Wunder, wenn er zum Tier wird. Als Mensch behandelt werden, bedeutet, Respekt, Liebe, Freundschaft zu erfahren. Das Leben wird dadurch „menschlich“, dass man es in Gesellschaft von Menschen verbringt. Man redet mit ihnen, man paktiert und lügt, man wird geachtet und verraten, man liebt, man macht Pläne und erinnert sich an die Vergangenheit, man fordert sich heraus. Der Junge bekommt vermittelt, dass die Menschen gefährlich seien.
„Mutter: Bleib doch daheim. Da is doch am schönsten.
Sohn: Habs ausgemacht. Will einen neuen Schläger ausprobieren. Meiner is nix mehr.
Mutter: Ich kauf dir einen. Den besten. Du musst nicht immer zu die fremden Leut. Da kommen sie höchstens zu dir, wenn sie was brauchen.
Sohn: Ich geh.
Mutter: Bring sie halt mit her, deine Freunde. Damit ich sie kennenlern. Welchen Umgang du hast. Kann ich doch besser beurteilen. Weißt doch net, wie schlecht die Menschen sind.“

Mutter und Oma betrachten die Welt mit abwehrender Sicht: „Was wird mir passieren.“ Der Junge möchte sich fragen: „Was werde ich tun.“ Er müsste die Kraft haben, Beziehungen zu anderen Menschen zu suchen, er müsste sich entscheiden, zu lieben und geliebt zu werden, statt zu besitzen und beherrscht zu werden. Da taucht Anke auf, ein Mädchen aus der Clique, die sich immer beim Kriegerdenkmal trifft. Gelingt es ihm, die Grenzen des Zuhauses zu überwinden, die Freiheit zu finden, zu entscheiden, was er will und dafür auch die Verantwortung zu tragen? Oder bleiben ihm nur Oma und Mutter als ‚Vorbild’, die bei lebendigem Leibe als irrlichtende „Glühend Männla“ durchs Leben gehen? Fragen, die sich junge Leute immer und zu allen Zeiten stellen.
 

Die Sprache

Das Stück ist in einer sperrigen, an das Fränkische angelehnten Kunstsprache geschrieben, kunstvoll verknappt und verdichtet. Jeder Satz ein Peitschenhieb, jede Szene ein Duell... Die dichte und konzentrierte Sprache ist gleichzeitig so kantig wie die Figuren, die sprechen. Kerstin Specht gelingt es, mit wenigen Sätzen ganze Szenen entstehen zu lassen, die Vorstellung von einem Menschen und einer Situation.
“Mutter: Mein Bub. Bist doch mein Einziges auf der Welt. Häng dich net an solche Gsteckla. Du riechst doch noch wie mein kleins Baby.
Sohn: Häng dich net an mich. Bin keine Wäscheleine.
Mutter: Krumme Beine hats. Deine Mutter hat noch schöne Bein, siehst.
Sohn: Die Beine gehen zur Seite.“

 

Peer Boysen

Geboren 1957, in Bochum, nach dem Abitur Ersatzdienst, 1979 Bühnenbild-Assistenz in Nürnberg, Wien, Residenztheater München, Münchner Kammerspiele, anschließend Bühnenbildner in Mainz, Ulm, Stuttgart, Gießen, Kaiserslautern, Hannover.
1990 erste Regie an der SCHAUBURG, seither fester Regisseur. Inszenierungen (u.a.) „Der Sohn des Chao“, „Weißt du, wo mein kleiner Junge ist?“, „Polenweiher“, „Magdalena“, „Grindkopf“, „Bremer Wind“, „Ronald Akkerman“, „Wach auf und träume“, „Sneewitte“. Weitere Regiearbeiten in Freiburg und an den Münchner Kammerspielen („Keine Arbeit für die junge Frau im Frühlingskleid“); Opernregie in Wiesbaden, Weimar dem Staatstheater am Gärtnerplatz und der Semperoper in Dresden. Peer Boysen lebt in München.

Kerstin Specht

Geboren 1956 in Kronach (Oberfranken). Nach Abschluss des Studiums der Germanistik in München Regieassistenz beim Bayerischen Rundfunk und Schauspielunterricht. Seit 1985 Studium an der Hochschule für Fernsehen und Film in München. 1988 beginnt sie, für das Theater zu schreiben. Stipendium des Literarischen Colloquiums Berlin 1988. Preis des Hessischen Literaturbüros Frankfurt am Main (Hungertuch-Preis) für „Das Glühend Männla“ 1989. Preis der Autorenstiftung 1989. Literaturpreis des Kulturkreises im Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. 1990. Staatlicher Förderpreis des Landes Bayern für junge Schriftstellerinnen und Schriftsteller 1990. Friedrich-Baur-Preis der Bayerischen Akademie der Künste 1991. Else Lasker-Schüler-Preis für Volkstheaterstücke des Landes Baden Württemberg 1993. Kulturpreis der Oberfränkischen Wirtschaft 1996. Theaterstücke: „Lila“, „Das glühend Männla“, „Amiwiesen“ (UA Münchner Kammerspiele), „Der Flieger“, „Mond auf dem Rücken“, „Carceri“ (UA Münchner Kammerspiele), „Die Froschkönigin“