Seiten, die auf Yvonne, die Burgunderprinzessin verweisen

Deutsch von Heinrich Kunstmann
Regie
Martin Rengel
Ausstattung
Peer Boysen
Musik
Toni Matheis
Sprechtraining
Käthe Ebner
Es spielen
Sabine Zeininger, Andreas Röhrich, Evelyn Grossmann, Joachim Król, Karl Achleitner, Waltraud Rodeck, René Dumont, Peter Ender, Heio von Stetten

Yvonne, die Burgunderprinzessin

Dauer

100 Minuten

Alter

Ab 14 Jahren

Premiere

21. Juni 1990
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Zum Stück - von Witold Gombrowicz

“1. Akt
Prinz Philipp verlobt sich mit der unappetitlichen Yvonne, denn er fühlt sich durch den verheerenden Anblick dieses Mädchens in seiner Würde verletzt. Zudem will er als Freigeist nicht dem natürlichen Ekel gehorchen, den diese unangenehme Person in ihm auslöst. König Ignaz und Königin Margarethe willigen aus Furcht vor dem Skandal, mit dem Philipp ihnen droht, in die Verlobung ein.

2. Akt
Es geschieht, dass Yvonne sich in den Prinzen verliebt. Von dieser Liebe überrascht, fühlt sich der Prinz verpflichtet, darauf als Mensch und als Mann zu reagieren. Er wünscht, er könne sie seinerseits lieben.

3. Akt
Die Anwesenheit Yvonnes am Hofe verursacht sonderbare Verwirrung. Die Verlobung des Prinzen löst Spott und Klatsch aus. Yvonnes Schweigen, Wildheit, Passivität bringen die Königsfamilie in eine schwierige Lage. Yvonnes natürliche Unzulänglichkeiten entfesseln gefährliche Ideen-Verbindungen, denn jeder findet darin so etwas wie eine Spiegelung von Unvollkommenheit der eigenen Person und auch der anderen. Eine Epidemie ungesunden Lachens sucht den Hof heim. Der König entsinnt sich seiner alten Sünden. Die heimlich wie besessen schreibende Königin kann sich nicht mehr verbergen, kann sich nicht mehr verhehlen, wie entsetzt sie über ihre Gedichte ist, die, so entdeckt sie, Yvonne gleichen.

Absurde Verdächtigungen kommen auf. Die Dummheit und der Unsinn greifen um sich. Jeder spürt es, auch der Prinz, doch weiß er nicht, was er tun soll. Er fühlt sich selbst hinsichtlich Yvonnes absurd. Wie könnte er sich da noch verteidigen? Er meint, einen wirksamen Gegenschlag zu tun: Er umarmt öffentlich eine Hofdame und verlobt sich mit ihr, nachdem der mit Yvonne gebrochen hat. Doch ein wirksamer Bruch ist nicht möglich, er weiß, dass Yvonne immer an ihn denken und sich auf ihre Weise das Glück des jungen Paares vorstellen wird. Yvonne hat ihn in ihrer Macht. Er beschließt, sie zu töten.

4. Akt
Der König, der Kammerdiener, die Königin, der Prinz versuchen jeder auf eigene Faust, Yvonne zu töten. Doch sie direkt zu töten, übersteigt ihre Kräfte: der Akt erscheint zu dumm, zu absurd, kein formeller Grund rechtfertigt das, die Konventionen sprechen dagegen.

Die Bestialität, die Wildheit, die Dummheit und der Unsinn wachsen unaufhörlich. Auf den Rat des Kammerdieners beschließen sie, den Mord zu organisieren und zugleich den Anschein der Majestät, der Eleganz, der Überlegenheit zu wahren. Es wird ein Mord von oben sein und nicht von unten. Das Unternehmen gelingt. Die Königsfamilie kommt wieder zur Ruhe.“

Über das Lachen

„Das Groteske ist bei Gombrowicz nichts als ein Organ des Widerstands und des Abstoßens (...) Der Angriff konnte nur gelingen, indem jegliche Haltung des Ernstes aufgegeben wurde. Das entfesselte Lachen wurde vorgeschickt und die universale Invasion der Komik.“ So beschreibt Bruno Schulz das Werk seines Freundes Gombrowicz.

Dem Lachen hat er beim Schreiben große Aufmerksamkeit gewidmet. Es ist fast nie befreiend, sondern eher gemein, hämisch, defekt. All die im Text sorgfältig differenziert beschriebenen „Hahaha“ und „Hohoho“ klingen hinterhältig und dumm zugleich. Gombrowicz selber meinte über das Lachen in seinem Tagebuch: „Unser heutiges Lachen vermag schon nicht mehr das elementare oder automatische Lachen sein, ein auf alte Art und mit Ernst angewendeter Humor. Es muss eine allerernsthafteste Anwendung des Lachens auf unsere Tragödie sein. Dieses Lachen, von schrecklichen Notwendigkeiten diktiert, soll nicht nur die Welt unserer Feinde umfassen, sondern vor allem uns selber.“

Das Lachen ist oft ein einschüchterndes Herrschaftslachen. Und dieses Lachen hat wichtige dramaturgische Funktion. So ist es das demütige „Hahaha“ seines Freundes Cyryll angesichts Yvonnes, das Philipps Verlobung mit dem unglücklichen Geschöpf auslöst. Und es ist das bösartige Gekicher des gesamten Hofstaats, das zu Yvonnes Ermordung führt.

Ein moderner Klassiker fürs Jugendtheater?

Ausgangspunkt der Inszenierung ist der Gedanke, dass Prinz Philipp an seinem zu satten, reibungslosen Leben leidet. Obwohl in einer beneidenswerten Situation, von gutmeinenden Eltern behütet und gefördert, ohne ökonomische Probleme, spürt er im Unterbewusstsein eine Leere: Er hat keine Gefühle. Dieser Überdruss bringt ihn dazu, etwas zu tun, was gegen alle Konventionen verstößt: die hässlichste Frau zu heiraten. Er will damit ausprobieren, ob er seinem Leben eine Notwendigkeit geben kann.

Zu dieser Notwendigkeit wird Yvonne, von der man behauptet, sie sei die hässlichste Frau am Hofe. Ob sie das wirklich ist, soll in dieser Inszenierung der Zuschauer selbst entscheiden. Auf alle Fälle ist sie anders. Dadurch wird sie zur Provokation für ihre Umgebung. Diese Rolle hat sie nicht selber gewählt, sie wird ihr vielmehr zugeordnet, da sie an all den Äußerlichkeiten und Oberflächlichkeiten, mit denen sich der Hof beschäftigt, nicht interessiert ist.

Warum das so ist, dafür liefert das Stück keine Erklärung. Es zeigt nur die Folgen. Durch ihren Eigen-Sinn hält sie ihrer Umgebung den Spiegel vor. Jeder spürt seine eigenen Defizite unbarmherzig. Auch der Prinz kann die Chance seines Lebens nicht wahrnehmen. Als er mit Yvonne die Liebe kennen lernen könnte, läuft er vor ihr davon, und rettet sich in den Schoß der Konventionen.

Nur für die Hofdame Isa lässt das Stück eine Hoffnung. Sie, die im ersten Akt über sich selber sagt, dass sie nichts tue, als sich ihres Lebens freuen, durchschaut im Laufe der Geschehnisse die bösartigen Spiele des Hofes und ergreift Flucht.
Obwohl vom Autor nie als Jugendstück gedacht, formuliert Gombrowicz so heutig und präzise die Sehnsucht junger Menschen nach dem Sinn im Leben, als ob er es speziell für sie geschrieben habe. Alle sind auf der Suche nach Herausforderungen, nach Reibung und Widerstand, anhand dessen man sich selber spüren könnte.
Das Stück vermeidet jede Idealisierung der Jungen. Es bietet keine eindeutige Identifikationsfigur. So unterschiedlich die Ausbruchsversuche der Figuren gegen festgelegte Lebensbahnen im Stück auch sind, liefert es dem Zuschauer keine Handlungsanweisung, welcher Weg der richtige sein könnte. Das bleibt die Aufgabe für den Nachhause-Weg.

Gombrowicz suchte immer den Zwiespalt in seinen Figuren. So etwas wie Glück, Erfüllung oder Harmonie kommt bei ihm nicht vor. Er suchte stets den extremen Kontrast und Konflikt auf der Bühne. Seine Figuren wollen immer das Unmögliche. Auch damit trifft er das Lebensgefühl junger Menschen.
So ist in 'Yvonne' die Familie zugleich ein Ort der Zeremonie und der Herkömmlichkeit und doch auch gleichzeitig ein Schlachtfeld, das durch das Erscheinen Yvonnes ans Tageslicht kommen. Liebesszenen, die nicht grotesk oder schrecklich sind, gibt es bei diesem Autor nicht.

Der polnische Theaterwissenschaftler Jan Kott liefert noch eine ganz andere Begründung, warum sich Schüler für „Yvonne, die Burgunderprinzessin“ interessieren könnten. Nach der Uraufführung des Stücks in Krakau schrieb er: „’Yvonne’ ist nicht ohne Ähnlichkeit mit jenen grausigen oder perversen kleinen Stücken, wie sie Schuljungen in der Klasse hinter dem Rücken anderer Schüler schreiben. Solche Stücke sind gewöhnlich grotesk, eine Art Karikatur, die sich gegen die Lehrer richtet, die jüngere Brüder und ältere Schwestern verspottet und die Literatur und Geschichte lächerlich machen wollen (...) Ein oder zweimal ist es geschehen, dass solche Stücke von Schulbuben von Genies geschrieben wurden. Das war der Fall bei Alfred Jarry mit Ubu Roi (...). ‚Yvonne’ ist von einem bewussten Schriftsteller verfasst worden, aber etwas von Schülerrache und Schülerbesessenheit und –späßen hängt daran (...). Das Stück entspringt dem Geist von Ubu Roi, aber seine philosophischen Probleme sind reifer und zeitgemäßer.“

Der Autor Witold Gombrowicz

Witold Gombrowicz (1904 – 1969), einer der bedeutendsten und einflußreichsten polnischen Schriftsteller dieses Jahrhunderts, hat neben Romanen, Novellen, und Tagebüchern drei Schauspiele geschrieben: „Yvonne, die Burgunderprinzessin“, „Die Trauung“ und „Operette“. Diese Schauspiele, in denen sich polnische Tradition und Avantgardismus, Familiendrama und Königsdrama parodistisch verbinden, gehören inzwischen zum Repertoire des modernen Welttheaters.
Zurzeit, da Witold Gombrowicz in Warschau sein erstes Stück „Yvonne“ schrieb, ging er selten ins Theater, und wenn man den Aufzeichnungen in seinen Tagebüchern Glauben schenken darf, dann hat er keinen anderen Bühnenautor als Shakespeare jemals gelesen.

Die Nähe zu Shakespeare hat Gombrowicz absichtlich gewählt. Die Königsdramen dienten ihm als Vorbild für seine eigenen Stücke und sollten als solche von den Zuschauern auch erkannt werden. Denn er hat in seinen Arbeiten stets versucht, bekannte Formen zu übernehmen und darin seine neuen gefährlichen Inhalte wie Schmuggelgut zu transportieren. Form und Inhalt fallen also weit auseinander, und zwar bewusst. Viele Male hat der Autor seine Entschlossenheit hervorgehoben, Zuschauer nicht zu langweilen. Sie durften nach seiner Ansicht provoziert, aufgerüttelt, geärgert, aber nicht angeödet werden. Deshalb verpackte er Unbekanntes in vertrautem Gewand. Man kann „Yvonne, die Burgunderprinzessin“ als ein Königsdrama, oder genauer als Königsfarce bezeichnen.