Seiten, die auf Scuderi verweisen

Dauer

90 Minuten

Alter

Ab 15 Jahren

Premiere

18. April 2009

E.T.A.Hoffmanns spannende Detektivgeschichte aus dem Paris des Jahres 1680 - von Gil Mehmert und den Bananafishbones in ein RockMusikTheater veredelt: Glam-Rock-Outfit, Allongeperücken, Stepp-Nummer, Choreographie, Folterszene, Liebesschwüren, Gitarrenriffs, Bassläufen, Glockenspiel, Pferdekutschfahrt, Schlagzeugwirbeln, Akkordeonorchester...

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Die Geschichte

Paris 1680. Unerkannt geht eine Mörderbande um und versetzt die Bürger der Stadt in Angst und Schrecken. Im Visier der Täter sind häufig adlige Galane auf dem Weg zur Geliebten. Trotz berittener Polizei und Sondergerichtshof - eingerichtet vom Sonnenkönig Ludwig XIV - gelingt es nicht, der Täter habhaft zu werden. Dunkle Mächte scheinen die Stadt zu beherrschen. Ahnungen, Befürch-tungen wabern durch die Gassen. Jeder weiß etwas, keiner weiß genug. Polizeichef Desgrais ist verzweifelt, weil ein Täter sich quasi vor seinen Augen in Luft auflöst.

Wenn nächtens an eine Tür geklopft wird, werden die Bewohner starr vor Schreck. Die Kavaliere der Stadt bitten den König um zusätzliche Schutzmaßnahmen. Mademoiselle Scuderi, die bei Hofe hohes Ansehen genießt, wird vom König um ihre Meinung gefragt. Sie antwortet mit einem beinahe scherzhaften Vers: „Un amant qui craint les voleurs, n’est pas digne d’amour“. („Ein Liebender, der die Diebe fürchtet, ist der Liebe nicht würdig“). 

Und plötzlich laufen alle Fäden des komplizierten Kriminalfalls beim noblen Fräulein Scuderi zusammen. Sie wird zur Drahtzieherin der Aufklärung. Mit kühlem Kopf und heißem Herzen trägt sie Sachverhalte zusammen. Sie bleibt unbeeindruckt von geheimnisvollen Schmuckgeschenken und vertraut stattdessen ihrer Menschenkenntnis, auch wenn die Indizien erdrückend sind. Dank ihrer hohen Reputation bei Hofe kann sie verhindern, dass der unter Verdacht geratene junge Olivier Brusson und seine Geliebte Madelon vorschnell zum Tode verurteilt werden. Sie will sich das Unvorstellbare nicht vorstellen.

Sehr genau hört sie den beiden jungen Leuten zu und findet so die richtige Spur zum Täter: Es ist René Cardillac, der berühmteste Goldschmied seiner Zeit, zu dessen Kunden die gesamte Hofgesellschaft zählt. Getrieben von undurchsichtigen Kräften im Innern, gequält von Obsessionen und dämonischen Kräften ist ihm der Gedanke, dass fremde Leute seine Kunstwerke dazu benützen, um ihrer Eitelkeit zu schmeicheln und ihre Liebesabenteuer „aufzuhübschen“, unerträglich. Deshalb holt er sich in der Dunkelheit zurück, was er tags kunstvoll gefertigt hat.

RockMusikTheater

Mit dieser Gattungsbezeichnung sind alle Ingredienzien des Abends angegeben. Ausgangspunkt der Arbeit war die 1819 veröffentliche Novelle DAS FRÄULEIN VON SCUDERI von E.T.A. Hoffmann. Darauf beruht das Libretto von Gil Mehmert. Als Arbeitsmodell diente die Idee eines Konzeptalbums. Im Zentrum steht die Band.

Mittels ihrer Songs wird die Geschichte um das Fräulein von Scuderi fortlaufend erzählt. Die Geschehnisse der dramatischen Handlung entfalten sich durch die spezifische musikalische und textliche Kraft jedes einzelnen Songs, die von Rock und lyrischem Liebeslied bis zum Falsett-Trio und melodramatischem Duett reichen und von den BANANAFISHBONES speziell für die Schauspieler der SCHAUBURG - Produktion geschrieben wurden.

Die besondere Erzählform in E.T.A. Hoffmanns Novelle wurde beibehalten. Das heißt, die verschachtelte Erzählstruktur, bei der alle am Verlauf der Geschichte Beteiligten in Erinnerungs-Zeitsprüngen und Rückblenden davon berichten, welche Aspekte der mysteriösen Mordgeschichte ihnen bekannt sind, blieb unverändert.

In einem „Gil-Mehmert-Feuerwerk“ aus Musik, Choreographie, Glam-Rock-Outfit, Stepp-Nummer, Folterszene, Liebesschwüren, Gitarrenriffs, Bassläufen, Glockenspiel, Pferdekutschfahrt, Schlagzeugwirbeln und Akkordeonorchester nehmen sechs SchauspielerInnen und die drei Musiker der BANANAFISHBONES das Publikum mit auf eine Reise ins Paris des 17. Jahrhunderts, in eine Welt okkulter Kräfte, Allongeperücken, dunkler Abgründe des Seelenlebens, geheimer Wissenschaften und scheinbar unaufklärbarer Morde.

Das Leben soll tanzen
 

Die Zeit E.T.A. Hoffmanns ist eine lese- und schreibwütige Epoche. Wo junge Leute heute die grenzenlose Welt mit Hilfe des Internets entdecken, diente der Jugend damals die Literatur als Möglichkeit der geistigen Grenzöffnung in Opposition zu Schule und Elternhaus. Pädagogen und Kulturkritiker waren alarmiert, weil sich die Phantasien eines Lesenden jeder Kontrolle entziehen. Von der Literatur ging eine faszinierende, das Leben inszenierende Kraft aus, die sowohl für „große“ Literatur galt wie für Unterhaltungstexte. Hoffmann konnte Paris beschreiben, obwohl er es nie gesehen hat. Für seine Geschichte benützte er Literatur und seine Phantasie. Literatur sollte das Leben zum Tanzen bringen. 

„Ich kehre in mich selbst zurück und finde eine Welt.“ Dieser Satz aus Goethes Werther wurde für E.T.A. Hoffmann zum Lebensmotto. „Er und seine Generation drehten die Formulierung um: Wenn wir uns selbst erkennen, erkennen wir die ganze Welt. Wir konstruieren die Welt aus den Formen unseres Geistes.“ (Rüdiger Safranski)

Die Parallelen zur Gegenwart liegen auf der Hand. Heute sind es nicht mehr Bücher, die der Jugend die Welt erschließen, sondern das Word-Wide-Web. Die Suche bleibt gleich. Man will sich spüren, man sucht den Kick in einem Leben, das durchorganisiert und belanglos ist. Das Leben soll zum Tanzen gebracht werden. 

Dennoch kann es interessant und weltöffnend sein, zurück in die Vergangenheit zu blicken. E.T.A. Hoffmann, selbst ein Kind wechselvoller politischer Zeiten, geprägt durch die napoleonischen Kriege, das Nebeneinander von Rokoko und Klassizismus, von Romantik und Aufklärung, von Reformen und Restauration, hat in den Gegensätzlichkeiten des ausgehenden 17. Jahrhunderts in Frankreich die der eigenen Epoche wieder erkannt. Er wählte für seine Erzählung eine Gesellschaft in der Krise, weil er das eigene gesellschaftliche Umfeld als krisenhaft empfand. Dieser Gedankenbogen lässt sich ins Heute verlängern. Heftige wirtschaftliche und gesellschaftliche Verwerfungen prägen seit kurzem den Zeitgeist.

Zukunft heißt Ungewissheit. Wo eben noch Geldströme unvorstellbaren Ausmaßes flossen, herrscht innerhalb kürzester Zeit blanke Verzweiflung. Die Frage nach Recht und Unrecht, nach Arm und Reich, Macht und Ohnmacht müssen neu definiert werden. Ist heute ein kluges Fräulein von Scuderi mit Menschenkenntnis, Mut und Gehör in den Zentren der Macht in Sicht?

E.T.A. Hoffmann
 

Ernst Theodor Amadeus Hoffmann (1776 – 1822) war nicht nur Dichter, sondern auch Dirigent, Komponist, Bühnenbildner und Zeichner. Ein Universalkünstler und Jurist, der im Leben wie in seiner künstlerischen Selbstverwirklichung Phantasie und Wirklichkeit verbinden musste. Fast sein ganzes Leben war er gezwungen in preußischem Staatsdienst zu arbeiten, obwohl er sich vor allem als Komponist verstand. Erst spät gewinnt er als Autor Anerkennung für die damals sehr populären Taschenbuch- und Almanacherzählungen, die er mit schneller Feder zu Papier brachte.

Die Verbindung von Phantasie und Wirklichkeit prägte sowohl sein eigenes Leben wie auch seine Erzählkunst. Wer sich darauf nicht einlassen kann - weil er in der Wirklichkeit festklebt oder ganz in der Phantasie versunken ist - der erlebt nicht das Faszinosum der Verwandlung, die für Hoffmann das Zentrum des Lebendigen war. Der Alltag erlaubte - und erlaubt - die Verwandlung nicht. 

Die bürgerliche Gesellschaft braucht Menschen, die eine dauerhafte und darum berechenbare Identität herausgebildet haben, die sich beherrschen können. Hoffmann, der von Zeitgenossen als übernervöser, quirliger Gnom beschrieben wurde, der als Mitglied der Kommission zur Ermittlung hochverräterischer Umtriebe die Freilassung Inhaftierter forderte, war fasziniert von doppelgesichtigen Wesen.  
Mit Vorliebe stellte er Menschen in den Mittelpunkt seiner Geschichten, die verstrickt sind in seelische Konflikte, in Spannungen zwischen Edelmut und Verbrechen. Mit diesen tiefenpsychologischen Vielschichtigkeiten war er seiner Zeit weit voraus.

Gil Mehmert

Er studierte zunächst Musik in Köln und absolvierte anschließend die Regieausbildung bei August Everding an der Musikhochschule in München. Inzwischen hat er fast 100 Inszenierungen gemacht: Oper und Musical ebenso wie Komödie und Drama. Seit 2003 lehrt er als Professor im Bereich Musical an der Folkwang-Hochschule in Essen.

Im selben Jahr machte er seine erste Inszenierung an der SCHAUBURG. Seit dieser Zeit wollte er immer eine Rocktheater-Produktion für Jugendliche machen. Stattdessen erzielte er Erfolge mit „Ein Blick von der Brücke“ (Arthur Miller), „Die Weber“ (Gerhart Hauptmann) und „Der Besuch der alten Dame“ (Friedrich Dürrenmatt). Nun endlich erfüllt er sich seinen Wunsch. Zusammen mit den BANANAFISHBONES hat er SCUDERI für die Bühne bearbeitet und inszeniert.

Bananafishbones

„Auf der Bühne kann man Dinge tun, die sonst nicht möglich sind: Ich kann Geschichten erzählen, die zu abstrus wären für das normale Leben“. Dieser Satz ist auf der Homepage der BANANAFISHBONES nachzulesen. Obwohl lange vor der Arbeit an SCUDERI geschrieben, könnte er sich doch genau auf diese Produktion beziehen.

Die BANANAFISHBONES sind Sebastian Horn (Gesang, Bass), Peter Horn (Gitarre) und Florian Rein (Schlagzeug). Der Bandname ist inspiriert durch den Titel „Bananafishbones“ von The Cure, der sich auf die Kurzgeschichte „A Perfect Day for Bananafish“ von J.D. Salinger bezieht.
 

In der aktuellen Besetzung spielen die drei seit 1991 zusammen.

Seit dieser Zeit haben sie etliche Hits produziert („Come to Sin“, „Easy Day“, „When you Pass by“ etc.). Außerdem schreiben sie Songs Film-Soundtracks („Wer früher stirbt, ist länger tot“, „Die Wilden Kerle“ etc.). Seit 2001 veranstalten sie jährlich das Hillside Festival in Bad Tölz.