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Regie:
Peer Boysen
Bühne:
Peer Boysen
Mitarbeit und Kostüme:
Ulrike Schlemm
Musikalische Leitung:
Toni Matheis
Es spielen:
Klaus Haderer, Björn Jung, Yogo Pausch, Florian Stadler, Sabine Zeininger
Musiker/innen:
Ricardo Döringer, Leopold Gmelch, Georg Karger, Christian Kaya, Yogo Pausch, Claus Reichstaller, Esther Schöpf, Christopher Varner, Nici Walde, Franz Weyerer

Die Geschichte vom Soldaten

Dauer

70 Minuten

Alter

Ab 9 Jahren

Premiere

16. Juni 2001
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Musik und Jahrmarkt

An ein einfaches Wandertheater hatte Igor Strawinsky gedacht, als er gemeinsam mit dem Librettisten Charles Ferdinand Ramuz zwischen 1917 und 1918 im Schweizer Exil an der Geschichte vom Soldaten arbeitete. Die Auswirkungen des Weltkrieges wurden damals auch in der Schweiz vehement spürbar und nach der russischen Revolution brachen auch die Verbindungen in seine Heimat ab. Nicht nur die ökonomischen Mittel zwangen zur Beschränkung. Strawinsky und mit ihm viele Künstler der Jahrhundertwende forderten zu dieser Zeit eine “Ästhetik der Einfachheit”, die sich entschieden gegen den Bombast im Musiktheater des 19. Jahrhunderts wandte.

Der Jahrmarkt, seine Atmosphäre, seine Gerüche und Geräusche, standen Pate für Musik und Erzählweise. In der Musik kann man das deutlich hören, wenn auch das Orchester schlussendlich doch größer geraten war, als es für eine ‚kleine‘ Tourneeproduktion zuträglich gewesen wäre. Sieben Instrumentalisten bilden ein sorgfältig abgewogenes gleichsam ‚ausgedörrtes‘ Orchester, in dem die einzelnen Klangqualitäten nicht als Farbflächen, sondern als prägnante Konturen in Erscheinung treten. Es besteht aus Violine, Kontrabass, Klarinette, Fagott, Trompete, Posaune und Schlagzeug. Fast ausnahmslos griff Strawinsky bei der Komposition der einzelnen Musikstücke auf bekannte Genres zurück. Wir hören einen Marsch, eine Pastorale, Tango, Walzer, Ragtime und einen Choral. Mit wunderbarer Spiellaune und Erfindungslust hat Strawinsky diese Formen zitiert und zugleich grundlegend verändert. Da fällt ein Marsch aus dem Schritt, da pfeifen die Misstöne im ‘Königsmarsch’, als ob jeder Musiker sich seinen eigenen Marsch bliese.

Kurz: das klingt und tönt wie ein Haufen bunt zusammengewürfelter Musiker, ein Jahrmarktsorchester eben, das sich ad hoc zusammengefunden hat, um dem Publikum in der Manier eines bebilderten Moritatenvortrags eine Geschichte mit Musik zu erzählen. Aber der Schein trügt. Denn dieser Eindruck wird mit raffinierten Kunstmitteln erzeugt: Dazu gehören eine ausgefeilte hochkomplexe Rhythmik ebenso wie die zeitweilige Gegenläufigkeit von Rhythmik und Melodik (das Stück gehört dementsprechend zu den schwierigsten im Repertoire der klassischen Moderne). Charakteristisch ist auch der Einsatz des Schlagzeuges, das als vollwertiges Soloinstrument eingesetzt wird und zeitweise die Führung übernimmt. So endet das Stück - völlig ungewöhnlich - mit einem Schlagzeugsolo.

Ein Russisches Volksmärchen

In der Schauburg - Inszenierung haben wir versucht, diese besondere Akzentuierung des Schlagzeugs weiter zu verfolgen: So ist die zentrale Sprechrolle des Erzählers auf den Schlagzeuger und einen Schauspieler verteilt, die die Geschichte im Dialog entstehen lassen, unterbrochen von Spielszenen der handelnden Figuren. Erzählt wird ein altes russisches Volksmärchen, das Strawinsky und Ramuz nachhaltig bearbeitet haben. Zwar sind die märchenhafte Archetypi ebenso wie die charakteristische Zeit- und Ortlosigkeit erhalten geblieben, aber Ramuz hat eine ganze Reihe von feinsinnigen Aktualisierungen hinzugefügt. Dazu gehört das durchgängige Spiel mit der Grenze, das mit dem merkwürdigen Einsatz des Vorhangs korrespondiert, der sich an willkürlich gesetzten Stellen überraschend hebt und oft ebenso unvermittelt fällt.

Da mögen im Hintergrund die konkreten Ereignisse des 1. Weltkriegs die Vorstellungskraft beflügelt haben. Denn die Neuverlegung von Grenzverläufen war zur Entstehungszeit des Stückes nicht nur eine willkürliche, sondern auch eine schmerzliche und blutige Alltagserfahrung. Strawinsky und Ramuz haben dafür allerdings ein Bild gefunden, das auch heute - ohne den damaligen historischen Bezugsrahmen - problemlos verständlich ist. Wir brauchen dabei nur an die Neustrukturierung Osteuropas während der letzten 10 Jahre zu denken, die oft auch blutigen Auseinandersetzung um Grenzverläufe etwa im ehemaligen Jugoslawien.

Ein junger Soldat ist auf dem Weg von der Front nach Hause. Urlaub hat er. Da begegnet ihm ein Mann, der seine Geige haben möchte. Der Soldat tauscht die Geige schließlich gegen ein Zauberbuch, das die Dinge voraussieht und ihm zu viel Geld verhilft: Zu spät erkennt er, dass er einen Pakt mit dem Teufel geschlossen hat. Er verliert seine Familie, er wird reich, aber unglücklich, weil niemand mehr ihn lieben mag. Verzweifelt marschiert er in ein anderes Land. Die Tochter des Königs ist krank und der König verspricht sie dem zur Frau, der sie zu heilen vermag. Da begegnet der Soldat dem Teufel wieder. Jener besitzt, was allein der Prinzessin zu einer Linderung ihrer Schmerzen verhelfen kann: die Geige. Aber wie sie wieder erlangen?

Auch hier ist eine entscheidende Wendung eingefügt: So lange der Soldat noch etwas besitzt, solange bleibt er in der Gewalt des Teufels. Entledigt er sich seines Geldes, dann ist er frei. Der Soldat lädt den Teufel zum Kartenspiel, er verliert alles und säuft den Teufel unter den Tisch. Nun hat er die Geige wieder: Er heilt die Prinzessin und besiegt den Teufel, indem er ihn mittels eines fulminanten ‘Teufelstanzes’ zu Boden zwingt. Das Glück scheint vollkommen. Doch da erscheint der Teufel wieder auf der Szene. Erneut hat er die ‘Grenze’ verschoben: Wehe dem Soldaten, wenn er je jene Grenze überschreitet, die ihn nun von seiner Mutter und der Heimat trennt, weh ihm, wenn ihn je das Heimweh packt. Nach einiger Zeit aber wird die Prinzessin neugierig, fragt nach des Soldaten Herkunft, drängt auf eine Reise in seine Heimat... Das Stück endet mit einem grandiosen Triumphmarsch des Teufels.
 

Musik für die Augen

"(...) ich habe immer einen Abscheu davor gehabt, Musik mit geschlossenen Augen zu hören, also ohne dass das Auge aktiv daran teilnimmt. Wenn man Musik in ihrem vollen Umfang begreifen will, ist es notwendig, auch die Gesten und Bewegungen des menschlichen Körpers zu sehen, durch die sie hervorgebracht wird. (...) Warum soll man dann nicht auch mit den Augen den Bewegungen der Musiker folgen, den Armen etwa des Paukenschlägers, des Geigers, des Posaunenbläsers, da doch der visuelle Eindruck die Aufnahme durch das Ohr nur erleichtern kann."
(Igor Strawinsky über "Die Geschichte vom Soldaten")

Eine zentrale Rolle spielt dabei selbstverständlich die Geige; folgt man ihrem Klang und der Bewegung der Geigerin, so kann man feststellen, dass allein in ihrem Spiel die ganze Geschichte zu ‘lesen’ ist. Das gilt auch für die Bewegung anderer Musiker; ein Aspekt, der für Strawinsky von besonderer Bedeutung war.
Diesen Gedanken aufnehmend, hat der Regisseur Peer Boysen das kleine Orchester zentral in die Mitte der Bühne gesetzt. Denn die Musik ist nicht Begleitung und Untermalung des Bühnengeschehens. Sie spielt eine Hauptrolle, sie ist vollständig im Bühnenbild integriert und der Zusammenhang von Sehen und Hören ist unerlässlich, um sie zu begreifen. So nehmen auch die Schauspieler zu Beginn zwischen den Musikern Platz und es nicht ganz klar, wer musizieren und wer sprechen wird. Die Musik beginnt, dann erhebt sich die Stimme des Erzählers in der Musik gleichsam wie ein weiteres Instrument. Nach und nach erst verlassen die Schauspieler ihre Plätze im Orchester und betreten die Bühne: die allmähliche Verfertigung der Geschichte vom Soldaten aus dem Geist der Musik setzt ein.
Der plakativen Klarheit der Erzählung und der Musik korrespondierend besteht das Bühnenbild aus großflächigen, einfarbigen, geometrischen Flächen, die die Räume angeben. Ein gelbes Dreieck, ein blaues Rechteck, ein grüner Querstreifen, ein roter Längsstreifen deuten einander abwechselnd die Spielorte an; entschiedene Farbtöne reagieren auf prägnante Klangfarben.

Die märchenhafte Atmosphäre und die durchsichtige Opulenz der Musik sprechen dem gemäß ein Publikum aus allen Alterschichten an und machen den Besuch einer Aufführung der Geschichte vom Soldaten zum Generationen übergreifenden Erlebnis: Nur wenige Stücke sind für eine erste Begegnung mit der klassischen Musik so vorzüglich geeignet wie Die Geschichte vom Soldaten, wo die Einfachheit einer Märchenerzählung den Reichtum von Strawinskys Komposition erschließt.