Seiten, die auf Sieben Weltwunder verweisen

Regie:
Ad de Bont
Musik:
Guus Ponsioen
Musikalische Einstudierung:
Toni Matheis
Stimmtraining:
Margarete Adler
Es spielen:
Matthias Friedrich, Lisa Huber, Dirk Laasch, Michael Vogtmann, Marion Niederländer, Christof Thiemann, Lauretta Hickmann, Silke Nikowski, Sabine Zeininger

Sieben Weltwunder

Dauer

75 Minuten

Alter

Ab 6 Jahren

Premiere

10. Oktober 1996
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Nächste Termine

Diese Vorstellung wäre ohne den außergewöhnlichen Einsatz aller Beteiligten nicht realisierbar gewesen. Besonders möchten wir Jürgen Höfer, Rainer Bernt und Karsten Matterne von den Münchner Kammerspielen für ihre Unterstützung danken.

Theater - Bilder

Die beiden bildenden Künstler Heleen van der Wusten und Cees Landsaat sind bei diesem Projekt in der Besetzungsliste als Autoren genannt. Was soll man sich denn darunter vorstellen? Malende Autoren? Bildende Kunst und Bühnenbild – da ist der Zusammenhang klar. Mit einem Autor jedoch verbindet man das Schaffen von Texten.
Genau dies war der Ausgangspunkt der Arbeit: Wie entsteht eine Theatervorstellung, wenn zu Beginn kein Text vorliegt? Diese Frage beschäftigt den Regisseur Ad de Bont, der selbst zu den prominentesten Kinderbuch-Autoren gehört, schon seit vielen Jahren immer wieder. Für ihn soll Theater für Kinder und Jugendliche vor allem eine Angelegenheit der Sinne sein, eine Sache des Gefühls und der Vorstellungskraft statt vorrangig vom Verstand bestimmt zu werden. 
Wenn man einen Text schreibt, bestimmt vornehmlich der Intellekt die Arbeit. Welche Geschichte? Welche Rollenentwicklung? Welche Form?
Und fürs Inszenieren mit einem geschriebenen Text als Ausgangspunkt gilt das Gleiche. Warum diese Geschichte? Welche Rolle für welchen Spieler? Welche Form erfordert dieser Text?
Womit kann die Arbeit zu einer Vorstellung beginnen, wenn kein Text vorliegt? Zum Beispiel mit der bildnerischen Vorstellung und Phantasie von zwei Bildenden Künstlern.

Heleen van der Wusten und Cees Landsaat arbeiten schon seit vielen Jahren immer wieder auch fürs Theater. Meistens als Ausstatter. In der Vorstellung „Schwäne sehen immer so neu aus“, die unter der Regie von Ad de Bont für das Amsterdamer Theater Wederzijds entstand, spielten die beiden mit. Während jeder Aufführung entwickelte sich vor den Augen der Zuschauer ein Original-Bühnenbild in Form von drei überdimensionalen Gemälden. Gleichberechtigt mit dem Darsteller spielten die beiden ihren Part, traktierten die Leinwände mit großen und kleinen Pinseln, Bürsten und Quasten im Rhythmus der Musik und erzählten auf ihre Art einen Teil der Geschichte, die mit der des Darstellers korrespondierte.
Diese Arbeit hat beiden so viel Spaß gemacht, dass sie begeistert das Angebot von Ad de Bont annahmen, malend eine Geschichte für das Theater zu entwickeln, an deren Beginn die Möglichkeiten grenzenlos waren. Es gab keinerlei Vorgaben.
Über einen längeren Zeitraum haben sie sich wechselseitig postkartengroße Bilder zugesandt, worauf der Empfänger wieder mit Pinsel und Farbe reagieren musste. So entspann sich allmählich eine Geschichte, deren Verlauf sich von Bild zu Bild entwickelte bis Heleen van der Wusten und Cees Landstaat nach 230 Zeichnungen beim Happy End angekommen waren.
Dann haben wir zu den gezeichneten Episoden texte gesucht: Kindergedichte, Abzählreime, Limmericks, Dada-Texte, Volkslieder, Märchen und wenige kurze Dialogszenen. Die meisten Texte wurden vom Komponisten Guus Ponsioen vertont, so daß ein ca. 75 Minuten langer musikalischer Bilderbogen entstand, der als eine Art Schöpfungsgeschichte beginnt und als Zaubermärchen endet. Eine Inhaltsangabe ist aus den Untertiteln der Bildbeispiele ersichtlich.

Augen, Ohren, Sinne

Das Wort „Theater“ leitet sich vom griechischen „theatron“ ab, und das hat mit Schauen zu tun. Und zu Schauen gibt es viel in dieser Vorstellung. Und zu hören. Belehrt wird man nicht. Sondern eingeladen, sich von der eigenen Vorstellungskraft treiben zu lassen.
Die Bilder von Heleen van der Wusten und Cees Landstaat sind klar, aber nicht eindeutig. Man sieht Vorgänge, Episoden, merkwürdige Figuren. Man erkennt, was sie tun, wie die Geschichte sich entwickelt. Das Warum wird nicht erzählt. Die Bühne behauptet verschiedene Welten. Die Phantasie des Zuschauers ist eingeladen zur Mitarbeit. Spielt eine Szene über den Wolken oder unter dem Meer, in der Hölle oder einfach im dunklen Märchenwald? Die Antwort findet der Zuschauer. Die verschiedenen Orte entstehen durch Licht, Musik, Schauspieler, Farben, Bewegungen, Atmosphäre, obwohl das Grundbühnenbild mit den beiden Hügeln sich nicht verändert.

Auch die Texte liefern nicht eine Erklärung. Spielerisch übermitteln sie ihren Beitrag zur Szene. Es gibt nur ganz wenige Dialogpassagen. Und die sind eher emotional zu verstehen als intellektuell. SIEBEN WELTWUNDER ist eine Vorstellung für die Augen, die Ohren, das Gefühl. Die Worte sind nur ein Teil des Stücks. Weil Beispiele immer einfacher sind als die theoretische Umschreibung, ein Exempel aus der Vorstellung:
Das Kind taucht ganz alleine hinter dem Berg auf mit Wut im Bauch und einem Gedicht auf den Lippen:

Auf der Bank
Sitzt ein Pfau
Kommt die Frau
Malt ihn blau

Sagt der Pfau
Liebe Frau
Ich bin lieber
Rot als Blau

Kommt ein Kammer-
jäger her
gibt dem Pfau
ein Gewehr

Wird der Pfau
Puterrot
Schießt den Kammer-
jäger tot

Fährt der Pfau
in einem Boot
Wird der Chiemsee
Puterrot

Kriegt der Pfau
einen Schreck
springt vom Deck
und ist weg

Dieses „Kinderlied, für Florian gegen Wut zu singen“ von Walter Höllerer haben wir für eine Szene ausgesucht, bevor zwei grüne Fischköpfe auftauchen, eine riesige Pfeife rauchen und nur Unsinniges reden. Nachdem sich das Kind auf dem Berg eine Weile diese Alten angeschaut hat, verlässt es den Berg und macht sich auf den Weg.
Wer gut schaut, erkennt, dass es sich bei den Fischköpfen um die Eltern des Kindes handelt. Die Fischkopf-Eltern beachten das Kind gar nicht. Ist es deshalb so wütend? Würde es auch gerne ein Gewehr nehmen? Ist es die Vorankündigung seiner Fluchtabsichten, die ungehört bleiben durch die Eltern? Man kann die ganze Szene auch begreifen ohne ein Wort zu verstehen: Wenn man die vielen Aus hört und sie als Ausdruck größten Missbehagens versteht.
Wir wollen nicht mitsurfen auf der aktuellen Welle des „easy listening“, dem Rausschmiß der Wörter – und somit auch Gedanken – aus den Köpfen. Im Gegenteil: das „Neandertal der Sprachlosigkeit“ (Jurek Becker) ist uns ein Graus. Wir möchten vielmehr auf lustvolle Weise anregen zum lebendigen Umgang mit der Sprache. Und dazu eignen sich im Theater die spielerischen Formen von Nonsense, Dada, Absurdum und Surrealismus manchmal besser als das Erklärende, Informative, Erkennbare.

Wahre oder falsche Bilder

Um Missverständnisse gar nicht erst aufkommen zu lassen: Die Vorstellung besteht nicht aus Versatzstücken, die es beliebig zu arrangieren gilt. Es gibt eine durchgehende Geschichte, eine Geschichte von einem Mann, einer Frau und ihrem Kind, die unterbrochen wird von mehreren Intermezzi. Anstelle einer einzigen, individuellen Familie zeigen die Bilder eher symbolische Situationen, deren Interpretation abhängig ist von Alter, Lebenserfahrung, individueller Biographie und Kultur des einzelnen Betrachters. Sie bilden sozusagen ein Projektionsfläche für die eigene Erfahrungswelt.

Die Geschichte ist eine fortlaufende, die den Zuschauer von Bild zu Bild, von Szene zu Szene begleitet. Innerhalb der szenischen Komposition soll jede Situation ein Geheimnis haben. Die Erzähltechniken wechseln zwischen leisen poetischen und kräftigen aktionsreichen Situationen ab und sollen dazu stimulieren, ganz persönliche Bilder im Kopf des Zuschauers entstehen zu lassen.
Eine ganz wichtige Rolle spielt dabei die Musik. Deshalb genug der Worte. Da er so schöne Geschichten erzählen kann, soll der Komponist dieser Produktion, Guus Ponsioen, das Schlusswort haben.

Kinder und Schwämme

’Ist die Musik für Kinder’, fragte mich ein Studiomusiker in Holland, als ich ‚Der Teufel mit den drei goldenen Haaren’ für das Kinder- und Jugendtheater Freiburg aufnahm. ‚Das klingt so erwachsen, Geige, Saxophon, breite, beinahe opernhafte Gesänge und großes Orchester’. ‚Du dachtest’, sage ich dann, ‚Blockflöte, Tamborin, Klavier, schlichte Liedchen, das muß doch ausreichend sein. Das ist Kindertheater, dem können wir folgen.’
Die Vereinfachung der Musik bedeutet eine große Unterschätzung dessen, was ein Kind begreifen kann. Und letztendlich tust Du dir damit selber auch keinen Gefallen. Wenn mein Sohn ins Aufnahmestudio kommt, dann entferne ich doch vorher auch nicht alle Apparaturen, weil er es nicht begreifen kann. Denn dann ist es kein Studio mehr. Mehr noch, er kommt gerade deswegen so gerne, weil er es nicht verstehen kann. Ein Kind schmachtet nach dem Unfasslichen, weil es erfassen will. Das ist das Schönste an Kindern und an Schwämmen. Ein Schwamm nimmt nicht mehr Wasser auf, als er fassen kann.

Je kleiner der Schwamm, je weniger nimmt er auf. Aber es muß immer mehr Wasser geben, als er aufnehmen kann, sonst wird der Schwamm nicht gesättigt. Und jetzt kann man daran gehen zu berechnen, wie viel ein Schwamm tatsächlich erfassen kann. Aber jeder Schwamm ist anders. Wo der eine Schwamm schon ausreichend Wasser hat, ist es dem anderen noch zu wenig. So ist es auch mit meiner Musik. Lieber mehr als zu wenig gebe ich dem Kind. Im vollsten vertrauen, dass ein Kind nicht mehr zu sich nimmt, als es im Moment aufnehmen kann. Es muß sich laben können. War genügend da, dann kommt es wieder, es will wiederkommen. Gab es zu wenig, warum sollte es dann? (...) Eigentlich habe ich eine schreckliche Abscheu vor allen Kunstformen, die vereinfacht werden um sie für Kinder zugänglich zu machen. Denn dann sieht man ein paar hundert ausgetrocknete Schwämme voller Langeweile. Ein leeres Studio ist kein Studio mehr, entkleidete Kunst ist keine Kunst, allzu zugängliches Theater ist noch fader als Fernsehen.“ (aus: Kinder- und Jugendtheater in den Niederlanden, Dipa Verlag)