Seiten, die auf Katzelmacher verweisen

Dauer

65 Minuten

Alter

Ab 15 Jahren

Premiere

05. Juni 1999
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Der Autor

„Schlafen kann ich, wenn ich tot bin“

Rainer Werner Fassbinder wurde am 31. Mai 1945 in Bad Wörishofen geboren (später hat er sein Geburtsdatum um ein Jahr verschoben). Seine Mutter war Dolmetscherin, der Vater Arzt. Er verließ die Familie als der Sohn sechs Jahre alt war. Die Schulzeit war für Fassbinder eine komplizierte und problematische Phase. Sein erstes Theaterstück mit dem Titel „ Ende einer traurigen Zeit“ schrieb er als neunjähriger. 1962 verließ er die Schule ohne Abschluß. Ab 1963 nahm er Schauspielunterricht.

1966 wurde Fassbinder bei der Aufnahmeprüfung an der Berliner Filmakademie abgelehnt. Durch die Hauptdarstellerin seines im selben Jahr gedrehten Films „Das kleine Chaos“ stieß er zu der neugegründeten Action-Theatergruppe, die sich 1968 in „Anti-Theater“ umbenannte. 1967 inszenierte er mit dieser Schauspielgruppe „Leonce und Lena“ in einen ehemaligen 60-Platz-Kino. 1968 folgten 8 Theaterstücke und 1969 fünf Theaterstücke sowie vier Spielfilme.

Rainer Werner Fassbinders Werk umfasst kongeniale Literaturverfilmungen und gesellschaftskritische Sozialstudien, Melodramen und selbstquälerische Bekenntnisfilme, Low-Budget-Theaterproduktionen und Filme im Hollywood-Format. Sein Produktionstempo war atemberaubend. In nur 13 Jahren schuf er 33 Spielfilme, 4 Fernsehserien, 4 Videofilme, dazu 30 Theaterstücke und 4 Hörspiele. Er starb am 10. Juli 1982.

"Katzelmacher" – Theaterstück und Film

Die Theaterfassung von „Katzelmacher“ schrieb Fassbinder 1968 für das Münchner „Anti-Theater“. Das Stück ist ganz einfach gebaut: Keine Szenenwechsel, keine Übergänge, keine Rollenidentifikation, keine Dekoration, keine individuellen Kostüme. Das war das Dogma. Sprachlich orientierte sich Fassbinder an der Dialektdiktion von Marieluise Fleißer. (Ihr ist das Stück auch gewidmet); die Sätze sind geschrieben als seien sie Zitate.
Das Theatralische war für Fassbinder interessant und faszinierend, weil er darunter keine Nachahmung von Wirklichkeit verstand, sondern die Schaffung eines neu geformten Zustandes, der gemeinsam mit dem Bewusstsein des Zuschauers eine eigene Wirklichkeit konstituiert.
Der Film „Katzelmacher“ wird im August 1969 innerhalb von neun Tagen gedreht. Er besteht ausschließlich aus langen satirischen Einstellungen; Fassbinders antidokumentarische Absicht wurde durch diese extreme Langsamkeit nachdrücklich profiliert: Realismus wird übersetzt ins Typische. Der Film erhielt fünf Bundesfilmpreise und viel Presselob:
„Fassbinder führt die Mechanismen eines latenten Faschismus und der Eskalation von Verhetzung und Gewalt mit der kühlen Abstraktion des Modells vor... wie die Viehhändler auf dem Markt über die Sau reden, malen sich die Burschen die übelsten ‚Racheakte’ an dem Griechen aus, während dieser dabeisitzt und freundlich ist wie die Sau auf dem Markt, die auch nichts versteht“ (Wolfgang Längsfeld in der SZ).
„In dieser Welt dumpfer Sprachlosigkeit, wo Gefühle und Gedanken nur im Zerrspiegel der Phrase zu Wort kommen,... verfolgt Fassbinder das Vorurteil über die Stufen seiner Entfaltung bis dorthin, wo es zur Tat wird und aus der Sprache übersetzt in die Wirklichkeit der Fäuste, Tritte und Schläge“ (Wolfram Schütte in der Frankfurter Rundschau).
Fassbinder selbst sagte, „Katzelmacher“ handle von einer Gemeinschaft, die zu jeder Gemeinheit fähig sei.

"Katzelmacher" – der Andere

Fassbinders Interesse galt immer Außenseiter-Figuren: Frauen und Homosexuellen, Alten und Ausländern, den erniedrigten und den Opfern. „Katzelmacher“ erzählt von der mutwilligen, unbegründeten Ausgrenzung eines Einzelnen aus der Gruppe. Dass es in diesem Stück einen Ausländer trifft, ist eher zufällig. Die Gruppe benützt ihn als Blitzableiter. An ihm kann man abreagieren, worunter man leidet: Die Unfähigkeit, das eigene Leben aktiv zu gestalten, die Langeweile, die unerfüllte Sehnsucht nach Liebe, das vergebliche Ringen um Aufstieg und Würde. Gegen wen sich die Entladung richtet, ist zweitrangig. Ob griechischer oder italienischer Gastarbeiter, egal. Im Prinzip kann’s jeden treffen, der anders ist.
Das Stück öffnet einprägsame Einsichten in die gesellschaftlichen Brutstätten der Gewalt, in die Riten der Unterdrückung, in die unterschwelligen Zusammenhänge von Macht, Sex und Geld.
Beteiligt an dem hässlichen Spiel sind Erich und sein Freund Paul. Beide haben allerlei Pläne, wie sie ohne Arbeit ans große Geld kommen könnten. Dafür würden sie sogar ihre Freundinnen einsetzen. Aber die trauen sich nicht. Stattdessen wird Helga, die mit Paul befreundet ist, schwanger. Gunda findet keinen Mann, selbst der Grieche weist sie ab. Deshalb verbreitet sie das Gerücht, er habe sie vergewaltigt. Rosy träumt von einer Filmkarriere und nimmt Geld von Männern. Häufig kommt Franz zu ihr. Der ist stolz, dass er sich’s leisten kann. Die Unternehmerin Elisabeth gilt als mannstoll, hat aber nur den blassen, verklemmten Bruno, der bei ihr arbeitet: tagsüber dienstlich und nachts privat. Ihr kommt der Grieche gerade recht. Als Marie, die Freundin von Erich, sich auch in den Griechen verliebt, ist das Maß voll.

“Marie: Der muß weg
Helga: Genau. Eine Ordnung muss wieder her.
Paul: Eine Rache hat sein müssen.
Erich: Da gehören wir her und sonst nix.“

Den Kopf befreien

Die Figuren in „Katzelmacher“ sind gefährlich, weil sie ihre Ersatzhandlungen für das Eigentliche halten, denn was sie tun, tun sie, weil sie das Eigentliche nicht haben können. Was man sich vormachen kann als Mensch, davon erzählt das Stück. Und warum man das nötig hat, sich was vorzumachen. Und Fassbinder beschreibt das ohne jede Sentimentalität, aber mit Zärtlichkeit und Sympathie. Er erhebt sich nicht über sie, verurteilt sie nicht. Im Gegenteil: Er gibt ihnen Würde, verleiht ihnen Größe. Diese Haltung war ihm auch bei anderen Autoren immer wichtig. An seinem Lieblingsroman „Berlin, Alexanderplatz“ rühmt er, dass der Autor die „scheinbar unscheinbaren, unwichtigen, unbedeutenden Individuen“,… „ diese bis zur Mittelmäßigkeit entblößten mit allergrößter Zärtlichkeit…“ beschreibt. Auch für Fassbinders Werk gilt, dass er seine Figuren, so armselige Existenzen es auch sein mögen, nie denunziert. Denn er war sicher, dass man nur so die Wirkung erreicht, um die es ihm in seiner Arbeit ging: „...spannende Unterhaltung, das heißt Unterhaltung, die unterhält und spannend ist und nicht langweilt und nicht verdummt und nicht bestätigt, die in Frage stellt und Fragen provoziert, die im scheinbar Abgesicherten das „scheinbar“ transparent zu machen fähig ist, die dennoch Spaß macht, Freude, und nicht zuletzt dem, der den Spaß hat, Brüche und falsche Klebestellen in der eigenen Wirklichkeit zu entdecken, Lust macht, ein paar Widersprüche zu erkennen, aus denen unsere Wirklichkeit besteht.“ (R.W. Fassbinder, März 1977)
 

"Katzelmacher" – ein Modell

Die verschrumpelte Gefühlswelt, die für Fassbinder aus der Einsamkeit der Menschen resultiert, ist Leitmotiv in fast allen seinen Erzählungen, sei es im Film oder als Theaterstück. Und häufig finden sich Spuren einer Autobiographie, die von Verlust, Trauer und Aggression gekennzeichnet ist.
Katzelmacher“ erzählt keine Geschichte im Sinne einer Story. Wie unter einem soziologischen Brennglas wird das Verhalten einer Kleingruppe beobachtet und die Zirkulation von Ansichten und Meinungen in einer geschlossenen Gruppe vorgeführt.
Das Stück entwirft ein Modell, das der Verdeutlichung dient, nicht aber der Belehrung. Die Figuren sind stilisierte und typisierte Rollenträger, sie sind keine Helden und bieten keine Identifikationsfläche. Die Schauspieler exerzieren die Verhaltensweisen von Unterdrückung, Anpassung, Aufbegehren, Gefühlsausbruch und Vorurteil. Um der Meinung vorzubeugen, von derartigen Mechanismen seien immer nur „die anderen“ infiziert, spielen wir die Vorstellung in einem Bühnenbild, das ein selbstgefälliges Zurücklehnen der Zuschauer verhindern soll.
Der bevorzugte historische Ort von Fassbinders Erzählungen ist die Adenauer-Ära, die Zeit der Restauration und des wirtschaftlichen Aufschwungs bei gleichzeitigem enormen Konformitätsdruck. „Katzelmacher“ beschreibt und kritisiert schon 1969 eine Entwicklung der Wohlstandsgesellschaft und ihrer Wirkung auf das Zusammenleben: Einer Gesellschaft, die nur ein Ziel hat, und zwar mehr und neuere Waren zu produzieren, in der die Bürger nur als mögliche Kunden behandelt werden, in der alles käuflich ist: einer Gesellschaft, die vorgibt, das bestmögliche Lebensmodell zu sein. Fassbinder hat schon vor 30 Jahren mit poetischer Brutalität sein Unbehagen gegen diese Modere publik gemacht. Die Mechanismen haben sich seither nicht geändert.

"Einer, der eine Liebe im Bauch hat"

“Einer, der eine Liebe im Bauch hat, muss nicht am Flipper spielen, weil eine Liebe schon genug mit Leistung zu tun hat, dass man die Maschine nicht braucht, gegen die man doch nur verlieren kann. Wenn eine Frau im Regen steht und weint, dann hat sie der geliebte verlassen. Und – er hat sie verlassen, weil sie es nicht geschafft hat, ihn an sich zu fesseln. Es ist schon eine Anstrengung dabei bei der Liebe, das ist eben so. Begrenzungen machen frei. Begrenzungen machen frei. Terror kann nicht so grausam sein wie die Angst vor dem Terror. Oder – verlassen zu werden, kann nicht so einsam machen wie die Angst vor dem ende, denn die Angst vor dem ende schafft ein Klima, in dem hast Du Angst vor dem Terror. Alles in Einzelteile zerlegen und neu zusammensetzen, das müsste schön sein. Man kann immer nur ausgehen von dem, was ist. Keine Utopie ist eine. Und – die Vorstellung von einer schönen Liebe ist eine schöne Vorstellung, aber die meisten Zimmer haben vier Wände, die meisten Straßen sind gepflastert, und zum Atmen brauchst Du Luft. Ja – die Maschine ist ein perfektes Ergebnis des Kopfes. Ich habe mich entschlossen, ich spiel wieder Flipper und lass die Maschine gewinnen, egal – der letzte Sieger bin ich.“ (R.W. Fassbinder, März 1971)