Seiten, die auf Der gewissenlose Mörder Hasse Karlsson verweisen

Regie:
Maria Knilli
Bühne und Kostüme:
Hans Richter
Musik:
Toni Matheis
Es spielen:
Sabrina Khalil, Berit Menze, Lucie Muhr, Armin SchlagweinFlorian Stadler

Dauer

90 Minuten

Alter

Ab 11 Jahren

Premiere

04. Juni 2002

Hasse ist dreizehn. Klar, dass er den selbstbewussten, frechen Sohn des neuen Oberförsters interessant findet, obwohl er weiß, dass die Spiele gefährlich sind, die der neue Freund vorschlägt. Aber er will sich keine Blöße geben, will nicht der Angsthase sein. Er macht mit... So nimmt das Unglück seinen Lauf und ist noch längst nicht am Endpunkt, wenn die Frau auf der Brücke zu Tode gekommen ist.

Nächste Termine

Der Titel

Der gewissenlose Mörder Hasse Karlsson enthüllt die entsetzliche Wahrheit darüber, wie die Frau über der Eisenbahnbrücke zu Tode gekommen ist.
Einerseits ist mit diesem Titel fast die komplette Handlung des Stücks erzählt und andererseits ist er in seinem reißerischen, beinahe an den Aufmacher einer Boulevard-Zeitung erinnernden Charakter irreführend. Das Stück fasziniert eher durch die Darstellung einer alltäglichen Jungenbiographie, dadurch, dass eine Kette von Begebenheiten erzählt wird, die in einem schrecklichen Ereignis endet, allerdings ohne einen absichtsvoll bösartigen Plan.

Das Unglück endet nicht damit, dass die im Titel angesprochene Frau zu Tode kommt, damit fängt die Tragödie erst an. Zumindest für Hasse Karlsson.

Hasse Karlsson

Hasse Karlsson ist auf dem Weg zu seiner schwerkranken Mutter, als er sich daran erinnert, wie es zum bis zu diesem Moment andauernden Zerwürfnis mit seiner Mutter kam. Sechsundzwanzig Jahre hat er mit ihr nicht gesprochen, abgesehen von ein paar Höflichkeiten zu den Feiertagen. Und nun kommen die Erinnerungen zurück, Erinnerungen, die bis zu diesem Moment tief in ihm verschollen waren und an deren Ausgrabung er die Zuschauer teilhaben lässt. Die Reise führt nach Schweden ins Jahr 1948, in einen schwedischen Winter, in ein kleines Dorf in den Wäldern, in dem die Zeit stehen geblieben scheint. Und wenn etwas passiert, dann ist es ein Unglück. Dort beginnt die Geschichte.

Der Freund

Hasse ist dreizehn und er kennt jeden Dorfbewohner, aber auch jeden Baum, jeden Strauch und jeden Stein weit und breit. Einem hat er sogar einen Namen gegeben: Klippenthron. Es ist "sein" Klippenthron. Aber eines Tages sitzt ein fremder Junge darauf. Er ist neu hier. Er hat ihn noch nie hier gesehen. Genau so alt wie Hasse und trotzdem ganz anders. Vom ersten Augenblick an weiß Hasse, dass er ihn zum Freund haben will. Ihn, den man Schwalbe nennt.

Schwalbe ist faszinierend. Sein Vater ist als Oberförster in dieses verlassene Kaff versetzt worden. Schwalbe will weg. Am besten so schnell wie möglich. Seine Eltern haben Geld und er viel Selbstbewusstsein. Er besitzt Schneeschuhe von seinem Onkel aus Kanada, er wohnt in einem Haus mit sieben Zimmern und er hat einen Feldstecher, mit dem man die Welt groß oder klein machen kann. “Man muss es nur schaffen, den Feldstecher im richtigen Moment zu drehen, und die Welt wird weit weggerückt und ganz fern und klein. Dann wird alles gut.“

Die Mutter

Hasses Welt ist anders. Er wohnt mit seiner Familie in zwei Zimmern. Sein Vater ist seltsam, seit er hilflos zusehen musste, wie sein Freund bei der Waldarbeit zu Tode kam. Seine Mutter arbeitet als Bedienung in einer Kneipe und kommt oft mit geschwollenen Füßen nach Hause. Und dann fragt sie als erstes nach den Hausaufgaben. Noch schlimmer ist, wenn sie von Hasse verlangt, selbstgebaute Rattenfallen zu verkaufen. Was Peinlicheres kann man sich kaum vorstellen.

Manchmal kann sie nach Hasses Ansicht richtig nervtötend sein. Andererseits ist Hasse auch stolz auf seine Mutter. Sie war, ehe sie seinen Vater kennen gelernt hatte, zur See gefahren. Und sie hat ein Geheimnis, das mit ihrem großen Traum zu tun hat. Denn sie weiß, dass man Träume haben muss, vor allem als Kind. “Was möchtest du in deinem Leben zustande bringen? Wenn man dreizehn ist, träumt man davon, etwas zu werden. Aber du musst träumen, Junge, sonst wird nie etwas daraus! Wenn du keine Träume hast, wird das Leben wie nasses Brennholz.“
 

Die Pferdehändlerin

Hasse und Schwalbe treffen sich regelmäßig am Klippenthron bei der Eisenbahnbrücke. Es ist langweilig und dazu noch kalt, als Schwalbe eine Idee hat. Er will Schrecken verbreiten. Er will ein Mensch sein, den niemand vergisst. Zufällig kommt die alte Pferdehändlerin vorbei und Schwalbe entscheidet, dass die Rache sie treffen solle. Was für eine Rache? Wofür? Keine Antwort. Hasse versteht sofort, dass er Schwalbe als Freund verlieren wird, wenn er nicht mitmacht. Also jagen sie der Pferdehändlerin Angst ein. Eigentlich ist es ein harmloser Bubenstreich. Hasse stellt sich im Schnee tot, als sie vorbeikommt.

Erschreckt eilt sie davon, um einen Krankenwagen zu holen, was in dieser einsamen Gegend und ohne Handy anno 1948 einen immensen Aufwand bedeutete. Als der Rettungswagen eintrifft, sind die beiden Jungen verschwunden, nicht ohne den zurückgelassenen Hut der Pferdehändlerin mitgenommen zu haben. Schwalbe betrachtet ihn als Trophäe, als Skalp und zerschneidet ihn. “Irgendetwas zog sich in meinem Magen zusammen. Es war in seiner Stimme, etwas Hartes und Hässliches ... und trotzdem fand ich es anziehend ... und das war bloß der Anfang ...“

Die Wetten

Das war bloß der Anfang. Widerwillig hatte Hasse mitgemacht, in der Hoffnung, dass danach Schluss sei. Irrtum. Immer neue Schrecknisse denkt sich Schwalbe aus. Der nasenlosen, aber wunderschön Posaune spielenden Janine werden erst gefrorene Ameisen in ihre Küche geworfen und am nächsten Tag die Johannisbeerbüsche lackiert. Diese Gemeinheiten denkt sich Schwalbe aus, um von einer verlorenen Wette abzulenken: Als Verlierer muss er 10 Sekunden mit der Zunge an der kalten Stahlbrücke bei minus 20 Grand lecken. Immer wieder besteht Hasse auf der Einlösung, bis es für Schwalbe keine Ausflüchte mehr gibt. Schwalbe leckt und Hasse zählt ganz langsam bis zehn. Anschließend fehlt Schwalbe in der Schule. “Er hatte einen roten Ausschlag. Niemand konnte genau sagen, was es war. Es waren weder Masern noch Röteln noch Windpocken. Er lag wochenlang krank im Bett und niemand durfte ihn besuchen.“

Schwalbe ist ein schlechter Verlierer. Wenn er am Brückenstahl lecke, solle Hasse im Gegenzug über die mehr als 20 m hohe Brücke klettern. “Ich schaute an der Eisenbahnbrücke hoch und wusste, wenn ich da hinaufklettere, werde ich sterben. Dann sagte ich mir, ich muss versuchen, so denken zu lernen wie Schwalbe. Ich muss etwas erfinden, um mich zu drücken. Aber was? Wie könnte ich mich herausmogeln ...“

Fragen und Antworten

Hasse will nicht mehr mitmachen, aber er will auch nicht als Feigling gelten. Je weiter er in Schwalbes Rache-Spirale hineingezogen wird, umso abhängiger wird er. “Warum macht man Dinge, die man nicht tun will? Darauf fand ich keine Antwort.“Eine Frage stellt er nicht: Warum sucht Schwalbe immer die Schwachen aus? Die alte Pferdehändlerin und die Außenseiterin Janine? Wer ist denn hier eigentlich der Feigling? Auch das außergewöhnliche Gespräch mit der wunderbaren Janine öffnet ihm die Augen nicht.

So geht der Spuk weiter. Aurelia, eine frömmelnde Alte, die harmlos aber geistig nicht ganz auf der Höhe ist, soll das nächste Opfer werden. Ich dachte an Vater und daran, was Schwalbe gesagt hätte über ihn. Wenn er es gewusst hätte? Hätte sich Schwalbe an meinem Vater auch rächen wollen? Plötzlich reichte es mir und ich wäre am liebsten abgehauen.“ 

Aber er tut es nicht. Und so steht er dabei, als Schwalbe Aurelia auf die Brücke lockt, von wo sie nicht wieder runterkommt. Wie das endet, erzählt der Titel des Stücks. Zwar machen sich die beiden Jungen aus dem Staub, aber jemand hat etwas gesehen und gehört. Und anstelle von Schwalbe gerät Hasse, der gar nichts gemacht hat, der nur dabeistand und der am liebsten abgehauen wäre, ins Visier. Die Schlinge um seinen Hals zieht sich zu ...

Henning Mankell

Die billigsten und schnellsten Reisen macht man in seiner Phantasie. Weder Pass noch Fahrkarten noch Geld sind hier notwendig. Begeben wir uns also auf eine Reise, und zwar zuerst nach Norden. Machen wir halt in einem unbedeutenden nordschwedischen Dorf namens Sveg. Dort bin ich großgeworden. Damals, in den Fünfzigerjahren, lag Sveg völlig abseits, entfernt von allem. Wenn versehentlich mal ein Stockholmer Auto dort auftauchte, dann war das geradezu eine Sensation. Dort, am nördlichen Ufer des Flusses Ljusnan, bin ich also aufgewachsen. Und ich weiß heute noch ganz genau, dass ich im Alter von sechs bis sieben Jahren in diesem Fluss Krokodile gesehen habe. Für andere waren es sicher Baumstämme auf ihrer langen Fahrt zum Meer. Aber für mich blieben es Krokodile. Das verriet ich jedoch wohlweislich niemandem. Es war eben mein Geheimnis. Der Fluss Ljusnan war also der Kongo, der durch meine Kindheit floss. Wie alle Kinder las auch ich die Erzählungen der großen Forschungsreisenden Mungo Park, Stanley, Livingstone, Burton, Darwin. Ich glaube, ich habe sehr früh im Leben erkannt, was für ein außerordentlich sinnlicher Genuss das Reisen, das Aufbrechen ist. Ich empfinde es heute noch als einen fast erotischen Genuss, meine Koffer zu packen und loszuziehen. Im Grund hat meine Reise nach Afrika mit den Krokodilen begonnen. 

Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch etwas anderes erwähnen: Ich glaube, Kinder sind die eigentlichen Künstler. In der Kindheit haben Phantasie und Wirklichkeit denselben Stellenwert. Dieses Gleichgewicht beginnt dann, sich zu verschieben, zunächst wenn wir in die Schule kommen, und dann immer mehr im Laufe des Lebens. (Henning Mankell: "Ein Fuß im Schnee und einer im Sand", ein Vortrag)

Härjedalen ist eine "verdammt kalte" Gegend in Nordschweden mit rauhem Klima und wenigen Menschen. Dort wurde in dem Dorf Sveg am 3. Februar 1948 Henning Mankell geboren. Sein Vater zog ihn alleine auf, weil seine Mutter die Familie im Stich ließ. Mit 17 Jahren zieht er nach Stockholm und wird dort Regisseur. 1972 fährt er zum ersten mal nach Afrika. Dort findet er seine wahre Heimat. Er arbeitet für verschiedene Theater als Regisseur, Autor und Intendant in Schweden und pendelt zwischen Europa und Afrika. 1985 wurde er eingeladen, in Mosambik beim Aufbau eines professionellen Theaters in Maputo zu helfen. 1996 wird er Leiter des Theaters "Teatro Avenida" in Mosambik. Mit seinen sozialkritischen Kriminalromanen um den Kommissar Wallander feiert er weltweite Erfolge. Er hat aber auch Jugendbücher geschrieben, sowie Romane, die sich mit dem Verhältnis zwischen Europa und Afrika beschäftigen: "Der Chronist der Winde" und "Die rote Antilope".

Eine letzte Geschichte vom Autor

Die letzte Geschichte kommt aus Mosambik, aus dem nördlichen Teil des Landes. Wie wir wissen, gab es dort dreißig Jahre lang fast ununterbrochen Krieg: “(...) Ich bin damals in den Norden des Landes gereist. Eines Tages war ich zu Fuß auf dem Weg zu einem Dorf. Mir entgegen kam ein Mann, mager, vielleicht auch hungrig. Seine Kleider hingen in Fetzen. Dann sah ich seine Füße. Was ich erblickte, werde ich mein Lebtag nicht vergessen: Ich habe es beim Schreiben stets vor Augen. Er hatte Schuhe auf seine Füße gemalt. Mit Erdfarben. Das war die letzte Möglichkeit für ihn, seine Würde zu bewahren.

Dieser Wunsch war stärker gewesen als das Elend, das ihn seiner Würde zu berauben drohte. Ich glaube, in meinen Büchern geht es um diesen Mann. Um Menschen, die sich nie unterkriegen lassen, egal wie schlecht es gerade aussieht. (…) Und beim Schreiben habe ich immer folgenden Leitgedanken: Eines Tages können wir alle in eine Situation geraten, in der wir darauf gefasst sein müssen, Schuhe auf unsere Füße zu malen. Und dann müssen wir sicher sein, dass wir dazu auch fähig sind.“ (aus seinem Vortrag: "Ein Fuß im Schnee und einer im Sand")